Urteil des ArbG Karlsruhe vom 10.10.2003

ArbG Karlsruhe: dienstkleidung, abmahnung, verfügung, personalakte, öffentlich, begriff, feststellungsklage, anwendungsbereich, verordnung, persönlichkeitsschutz

ArbG Karlsruhe Urteil vom 10.10.2003, 1 Ca 266/03
Dienstkleidung - Direktionsrecht - Entfernen einer Abmahnung
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, während der Ausübung ihres Dienstes als Fahrausweisprüferin Dienstkleidung
zu tragen, solange die Beklagte keine Umkleideräume in Sinne von § 34 ArbStVO der Klägerin zur Verfügung stellt.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die der Klägerin mit Schreiben vom 23.12.2002 erteilte Ermahnung aus der Personalakte herauszunehmen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die der Klägerin mit Schreiben vom 26.02.2003 erteilte Abmahnung aus der Personalakte herauszunehmen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die der Klägerin mit Schreiben vom 10.03.2003 erteilte Abmahnung aus der Personalakte herauszunehmen.
5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
6. Der Streitwert wird auf 6.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, der Klägerin eine Umkleidemöglichkeit zum Wechseln der Dienstkleidung zur
Verfügung zu stellen und über die Rechtmäßigkeit von Ermahnungen und Abmahnungen wegen der Weigerung der Klägerin, die Dienstkleidung
zu tragen.
2
Die Beklagte betreibt ein Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs in K. mit mehreren 100 Arbeitnehmern. Die Klägerin ist bei der
Beklagten seit 1993 als Fahrausweisprüferin mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von ca. 2.000,00 EUR beschäftigt.
3
Die Klägerin beginnt ihre Tätigkeit als Fahrausweisprüferin auf dem Betriebshof der Beklagten in der T. in K.. Von dort meldet sie telefonisch den
Beginn ihrer Arbeitstätigkeit an und erhält den Einsatzplan für die durchzuführenden Fahrausweisprüfungen. Kurz vor Dienstschluß – der genaue
Zeitpunkt ist zwischen den Parteien streitig – kehrt die Klägerin zum Betriebsgelände der Beklagen zurück, um gegebenenfalls Meldungen über
Vorkommnisse während der Ausweisprüfung zu erstellen. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Regelungen des Bundesmanteltarifvertrages für
Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G) Anwendung.
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Mit Wirkung zum 15.11.2002 vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung eine neue Dienstkleiderordnung.
Danach sind nunmehr neben den Aufsichtsbediensteten, den Straßenbahnen und Omnibusfahrer auch die Fahrscheinprüfer verpflichtet, eine
Dienstkleidung zu tragen, die den Träger als Angehörigen des Unternehmens besonders kenntlich machen soll. Die Dienstkleidung besteht
unter anderem aus einem Anorak, einem Sakko, einer Weste, Hosen bzw. Röcken, Hemden bzw. Blusen. Die Dienstkleidung darf zu privaten
Zwecken nicht getragen werden. Die Dienstkleidung wird vom Arbeitgeber gestellt. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Dienstkleidung in
ordnungsgemäßem Zustand zu erhalten und hierfür die Kosten zu tragen. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten der Betriebsvereinbarung wird auf
die Dienstkleiderordnung vom 07.11.2002 (Bl. 45 d.A.) verwiesen.
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Mit Schreiben vom 23.12.2002 (Bl. 5 d.A.) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Ermahnung, da sie am 05.12.2002 und am 12.12.2002 im Dienst
in Privatkleidung angetroffen wurde. Mit Schreiben vom 07. Januar 2003 (Bl. 6 d.A.) wandte sich die Klägerin unter Hinweis auf § 34 ArbStättVO
an die Beklagte und verlangte die Zurverfügungstellung von Umkleideräume und Spinde.
6
Mit Schreiben vom 26.02.2003 und vom 10.03.2003 erhielt die Klägerin zwei Abmahnungen durch die Beklagte, da die Klägerin sich weiterhin
weigerte, ihre Tätigkeit als Fahrausweisprüferin in Dienstkleidung auszuüben.
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Hinsichtlich Einzelheiten wird auf die Abmahnung vom 26.02.2003 nebst Stellungnahme der Klägerin vom 05. März 2003 bzw. auf die
Abmahnung vom 10.03.2003 (Bl. 7 ff. d.A.) verwiesen.
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Die Klägerin ist der Auffassung, daß die Beklagte ihre Verpflichtung gemäß § 34 ArbStättVO nicht nachgekommen sei. Bei der Dienstkleidung
handele es sich um besondere Arbeitskleidung im Sinne der Arbeitsstättenverordnung. Der Arbeitsplatz sei auch nicht von der
Arbeitsstättenverordnung ausgenommen; die Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 2 ArbStättVO schließe die Anwendbarkeit nur für Arbeitsstätten in den
Fahrzeugen des öffentlichen Straßenverkehrs aus. Die Arbeitsschutzvorschrift wirke gemäß § 618, 242 BGB auf das Arbeitsverhältnis ein und
begründet ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB.
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Die Klägerin beantragt:
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1. Festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, während der Ausübung ihres Dienstes als Fahrausweisprüferin Dienstkleidung
zu tragen, solange die Beklagte keine geeigneten Umkleidemöglichkeiten zur Verfügung stellt.
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2. Die Beklagte wird verurteilt, die der Klägerin mit Schreiben vom 23.12.2002 erteilte Ermahnung aus der Personalakte herauszunehmen.
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3. Die Beklagte wird verurteilt, die der Klägerin mit Schreiben vom 26.02.2003 erteilte Abmahnung aus der Personalakte herauszunehmen.
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4. Die Beklagte wird verurteilt, die der Klägerin mit Schreiben vom 10.03.2003 erteilte Abmahnung aus der Personalakte herauszunehmen.
14 Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
16 Sie ist der Auffassung, daß die Klägerin aufgrund der Betriebsvereinbarung über die Dienstkleiderordnung und den tariflichen Regelungen
gemäß § 62 BMT-G i.V.m. § 20 Bezirkszusatztarifvertrag Nr. 1 verpflichtet sei, die Dienstkleidung zu tragen. Die Vorschriften der
Arbeitsstättenverordnung fänden auf das Arbeitsverhältnis der Fahrausweisprüferin gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 Arbeitsstättenverordnung keine
Anwendung, da die Klägerin den ganz überwiegenden Teil ihrer Arbeitsleistung auf den Fahrzeugen des öffentlichen Personennahverkehrs
erbringe. Im übrigen dienen die Regelungen der Arbeitsstättenverordnung nur der Gefahrenabwehr und des Gesundheitsschutzes und umfassen
daher nicht das Tragen von Dienstkleidung außerhalb dieses Schutzbereiches.
17 Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Parteienvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung vom 10.10.2003 waren und auf das entsprechende Sitzungsprotokoll (Bl. 69 d.A.) verwiesen.
18 Die Entscheidung der Kammer erging ohne Beweisaufnahme.
Entscheidungsgründe
19 Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
20 Die Klage ist zulässig.
21 1. Gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß Klageantrag Ziffer 1 bestehen keine Bedenken. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann eine
Feststellungsklage erhoben werden, wenn die Klägerseite ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung und Feststellung besitzt. Im
vorliegenden Fall ist für beide Parteien im Interesse der zukünftigen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses von entscheidender Bedeutung,
ob der Klägerin ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich des Tragens von Dienstkleidung zusteht, solange die Beklagte eine
Umkleidemöglichkeit nicht zur Verfügung stellt. Hierbei handelt es sich um ein streitiges Rechtsverhältnis, da konkrete Pflichten aus dem
Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien streitig sind. Die Feststellungsklage ist auch erforderlich, um zukünftig diesbezügliche
Unsicherheiten zu beseitigen.
22 2. Auch über die Zulässigkeit des Klageantrages Ziffer 2 bestehen keine Bedenken. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
ist der Arbeitgeber bei Vorliegen einer rechtswidrigen Abmahnung verpflichtet, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
II.
23 Die Klage ist bezüglich beider Klageanträge begründet.
24 Die Klägerin ist nicht verpflichtet, die Dienstkleidung zu tragen, solange die Beklagte der Klägerin keine Umkleidemöglichkeiten gemäß § 34
ArbStättVO zur Verfügung stellt.
25 Im Einzelnen gilt Folgendes:
26 1. Die Kammer geht mit der Beklagten davon aus, daß die Klägerin aufgrund der Betriebsvereinbarung über die Dienstkleiderordnung vom
07.11.2002 verpflichtet ist, während ihrer Tätigkeit als Fahrausweisprüferin eine Dienstkleidung zu tragen.
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a) Die Anordnung des Tragens einer Dienstkleidung fällt – individualrechtlich – unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers und bedarf –
kollektivrechtlich – der Zustimmung des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Beide Voraussetzungen liegen vor, nachdem die
Beklagte mit dem Betriebsrat durch Betriebsvereinbarung eine entsprechende Dienstkleiderordnung getroffen hat, die gemäß § 77 Abs. 4
BetrVG unmittelbar und zwingend gilt.
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Ein höherrangiges Recht steht der Anordnung nicht entgegen. Das Anordnen von Tragen von Dienstkleidung ist gemäß § 62 BMT-G
i.V.m. § 20 Bezirkszusatztarifvertrag Nr. 1 während der Dienstzeit grundsätzlich zulässig. Von einer Verletzung des Persönlichkeitsrecht
kann aufgrund der Beschaffenheit der Dienstkleidung nicht ausgegangen werden, da die im Kammertermin vorgelegte Kleidung nicht
geeignet ist, die Klägerin in der Öffentlichkeit herabzusetzen (vgl. insoweit Urteil LAG Hamm vom 07.07.1993 – 14 Sa 435/93). Dies ist
zwischen den Parteien auch nicht streitig.
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b) Die Anordnung, Dienstkleidung als Fahrausweisprüfer zu tragen, ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil dadurch die Prüftätigkeit der
Klägerin erschwert werde, da potentielle Schwarzfahrer durch die Dienstkleidung "gewarnt" und die Fahrzeuge "fluchtartig" verlassen
würden. Unabhängig davon, ob dies tatsächlich der Fall ist, unterfällt es allein dem Beurteilungsrecht des Arbeitgebers, ob und inwieweit
das Tragen der Dienstkleidung während der Arbeitszeit für Fahrausweisprüfer/innen sinnvoll ist oder nicht.
30 2. Dennoch ist die Klägerin derzeit nicht verpflichtet, die Dienstkleidung zu tragen. Ein entsprechendes "teilweises"
Leistungsverweigerungsrecht folgt aus §§ 273, 242 BGB i.V.m. § 34 der ArbStättVO
31
a) Der Arbeitgeber ist aufgrund vertraglicher Nebenpflichten gehalten, das zu beachten, was ihm bereits durch öffentlich-rechtliche
Vorschriften vorgegeben ist. Dies gilt auch für solche Arbeitsschutzvorschriften, die keine ausdrückliche Entsprechung im Wortlaut des §
618 Abs. 1 BGB finden (vgl. ausführlich Wlotzke, Münchener Handbuch für Arbeitsrecht Band 2, § 209 Rn. 15 und 16). Dies sind
insbesondere die Vorschriften des sozialen Arbeitsschutzes, die außer dem Gesundheitsschutz auch dem Persönlichkeitsschutz des
Beschäftigten dienen, soweit diese Gegenstand arbeitsvertraglicher Vereinbarung oder Inhalt der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sein
können (vgl. Küttner/Reinecke Personalbuch 2003, Arbeitsstätte Rn. 8).
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b) Entgegen der Auffassung der Beklagten finden die Regelungen des § 34 ArbStättVO auf das vorliegende Arbeitsverhältnis Anwendung.
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Gemäß § 1 Abs. 1 ArbStättVO gilt diese Verordnung grundsätzlich für alle Tätigkeitsbereiche und damit für alle Beschäftigten,
unabhängig davon, in welcher Branche, Berufsgruppe oder bei welchem Arbeitgeber sie tätig sind. Erfaßt werden damit nicht nur die
gewerbliche Wirtschaft, sondern auch der Bereich des öffentlichen Dienstes und der freien Berufe (vgl. Heilmann/Aufhauser
Arbeitsschutzgesetz § 1 Rn. 6). Der Betrieb der Beklagten unterfällt danach dem Arbeitsschutzgesetz und damit der
Arbeitsstättenverordnung.
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c) Eine Ausnahme ergibt sich auch nicht aufgrund der Regelungen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 ArbStättVO. Danach gilt diese Verordnung nicht für
Arbeitsstätten in Straßen-, Schienen- und Luftfahrzeuge im öffentlichen Verkehr. Daraus folgt lediglich, daß Arbeitsstätten in Straßen- bzw.
Schienenfahrzeuge des öffentlichen Verkehrs nicht der Arbeitsstättenverordnung unterfallen. Der Grund für die Herausnahme aus dem
Anwendungsbereich liegt darin, daß für diese Fahrzeuge spezielle verkehrsrechtliche Vorschriften gelten, die der
Arbeitsstättenverordnung vorgehen. Insoweit ist die Regelung arbeitsstätten- und nicht tätigkeitsbezogen. Mit anderen Worten: Die
Tatsache, daß die Klägerin überwiegend ihre Tätigkeit als Fahrausweisprüferin in Straßen- bzw. Schienenfahrzeugen des öffentlichen
Verkehrs ausübt, läßt den Anwendungsbereich der Arbeitsstättenverordnung für diese Tätigkeit nicht entfallen. Durch die
Ausnahmevorschrift ist lediglich geregelt, daß in diesen Fahrzeugen die verkehrsrechtlichen Regelungen Vorrang vor der
Arbeitsstättenverordnung genießen (vgl. Opfermann/Streit § 1 ArbStättVO Ordnungsnummer 300 Rn. 23). Im vorliegenden Fall streiten die
Parteien aber nicht über die arbeitsschutzrechtliche bzw. verkehrsschutzrechtliche Ausgestaltung der Straßen- bzw. Schienenfahrzeuge,
sondern über die Zurverfügungstellung von Umkleideräume außerhalb der Fahrzeuge gemäß § 34 ArbStättVO.
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d) Die Voraussetzung des § 34 ArbStättVO liegen vor. Als besondere Arbeitskleidung ist jede Berufskleidung anzusehen, die zu
besonderen Kenntlichmachung im dienstlichen Interesse anstelle anderer Kleidung während der Arbeit getragen werden muß (vgl.
Opfermann/Streit/§ 34 ArbStättVO). Eine einschränkende Auslegung dahingehend, daß dies nur bei besonderer Schutzkleidung der Fall
sei, vermag die Kammer nicht zu folgen. Dagegen spricht zum einen der Wortlaut. Der Verordnungsgeber hat gerade nicht den Begriff
der besonderen Schutzkleidung verwendet, sondern den allgemeinen, umfassenden Begriff der Arbeitskleidung gewählt. Dieser umfaßt
sowohl die Schutzkleidung als auch die Dienstkleidung (vgl. Küttner/Kreitner Personalbuch 2003, Arbeitskleidung Rn. 1 und 4). Zum
anderen geht der Schutzbereich sowohl des Arbeitsschutzgesetzes als der Arbeitsstättenverordnung über die reine Gefahrenabwehr und
den Gesundheitsschutz hinaus und umfaßte den gesamten Persönlichkeitsschutz eines Beschäftigten (sozialer Arbeitsschutz, vgl.
Wlotzke a.a.O. Rn. 16 m.w.N. aus der Literatur).
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e) Auch die weitere Voraussetzung ist gegeben: Aus sittlichen Gründen kann die Arbeitskleidung nur in einem speziellen Umkleideraum
gewechselt werden, da sie mehr als den Mantel oder die Jacke umfaßt (vgl. Opfermann/Streit Arbeitsstättenverordnung § 34 Rn. 4).
37 3. Da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 ArbStättVO erfüllt sind, besteht die öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers,
Umkleidemöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Diese Vorschrift schützt den einzelnen Arbeitnehmer nicht nur als Mitglied der Belegschaft
oder einer bestimmten Arbeitnehmergruppe, da die Einrichtung der Umkleidemöglichkeiten nicht von einer bestimmten Beschäftigtenzahl
abhängt (vgl. Wlotzke a.a.O. Rn. 20). Vielmehr könnte die Pflicht zur Verfügungstellung eines Umkleideraumes den Gegenstand einer
vertraglichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bilden.
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Insoweit geht die Arbeitsstättenverordnung über die Gefahrenabwehr und den Gesundheitsschutz hinaus und konkretisiert einen "sozialen
Arbeitnehmerschutz" (vgl. Wlotzke a.a.O. Rn. 16).
39 4. Bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist § 242 BGB zu berücksichtigen. Dies bedeutet, daß der Beschäftigte das
Zurückbehaltungsrecht nur in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geltend machen kann. Diese Grenzen hat die Klägerin
vorliegend nicht überschritten. Sie hat nicht generell ihre Arbeitsleistung als Fahrausweisprüferin verweigert, sondern lediglich das Tragen
der Dienstkleidung, solange der Arbeitgeber seinen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen gemäß § 34 ArbStättVO nicht nachkommt.
Anhaltspunkte dafür, warum die Einhaltung der Arbeitsstättenverordnung für den/die Arbeitgeber/in im konkreten Einzelfall nicht zumutbar
sein soll, erschließen sich dem Gericht nicht. Die Klägerin beginnt ihre Arbeitstätigkeit im Betriebsgebäude der Beklagten. Die Beklagte ist
daher nicht verpflichtet, an unzählig vielen, verschiedenen Arbeitsplätzen jeweils Umkleideräume zur Verfügung zu stellen; ausreichend aber
auch erforderlich ist es, entsprechende Umkleidemöglichkeiten im Betriebsgelände zu Beginn und am Ende der Arbeit einzurichten. Solange
der Arbeitgeber diese Verpflichtung nicht erfüllt, ist der/die Arbeitnehmer/in berechtigt, das Tragen von Dienstkleidung während der Arbeitszeit
zu verweigern.
40 5. Dem Feststellungsantrag war daher stattzugeben. Das Gericht betont nochmals, daß es nicht darum geht, ob und inwieweit der Arbeitgeber
das Tragen von Dienstkleidung während der Arbeitszeit anordnen kann. Dies ist grundsätzlich zu bejahen. Er kann diese Anweisung jedoch
nicht durchsetzen, solange er sich selbst nicht rechtstreu im Sinne der Arbeitsstättenverordnung verhält.
41 6. Aus den gleichen Gründen stellt das Verhalten der Klägerin kein ermahnungs- bzw. abmahnungsfähiges Fehlverhalten dar. Die Ermahnung
bzw. Abmahnung ist daher aus der Personalakte zu entfernen (§ 618 a BGB).
III.
42 Da die Klägerin mit ihrer Klage in vollem Umfang obsiegt hat, hat die Beklagte gemäß § 46 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO die Kosten des
Rechtsstreits zu tragen.
43 Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt.
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