Urteil des ArbG Herne vom 23.09.2008

ArbG Herne: schiedskommission, beratung, arbeitsrecht, rechtskontrolle, satzung, selbstbestimmungsrecht, rechtssetzung, akte, arbeitsbedingungen, arbeitsgericht

Arbeitsgericht Herne, 3 Ca 1900/08
Datum:
23.09.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Herne
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Ca 1900/08
Schlagworte:
Kirchliches Arbeitsrecht, Zuständigkeit der staatlichen Gerichte
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
3. Der Streitwert wird auf 5.000.000,00 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Arbeitsrechtsregelung.
2
Die Klägerin betreibt Krankenhäuser in … und … und beschäftigt insgesamt rund 1.700
Mitarbeiter. Sie ist Mitglied des Beklagten zu 2), des … .Das vorliegende Verfahren wird
von der Klägerin als Pilotverfahren stellvertretend für mehrere diakonische
Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geführt.
3
Die Klägerin hat in den Arbeitsverträgen mit den von ihr beschäftigten Arbeitnehmern
eine dynamische Inbezugnahme des Bundes-Angestellten-Tarifvertrages in kirchlicher
Fassung (nachfolgend: BAT-KF) bzw. des Manteltarifvertrages für Arbeiterinnen und
Arbeiter in kirchlicher Fassung (nachfolgend: MTArb-KF) vereinbart.
4
§ 4 Abs. 2 Ziff. 7 a der Satzung des Beklagten zu 2) in der Fassung vom 01.06.2007
lautet wie folgt:
5
"Die Mitglieder sind verpflichtet, die Mitarbeitenden nach Arbeitsbedingungen zu
beschäftigen, die in einem kirchengesetzlich anerkannten Verfahren gesetzt
werden, welches auf strukturellem Gleichgewicht der Dienstgeber- und der
Dienstnehmerseite beruht."
6
Wegen des weiteren Inhalts der Satzung wird auf Bl. 82 – 103 der Gerichtsakten
verwiesen.
7
Das Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst (Arbeitsrechtsregelungsgesetz –
ARRG) vom 11.01.2002 (KABl. S. 109) enthält u.a. die nachfolgenden Regelungen:
8
§ 15
9
Verfahren bei Arbeitsrechtsregelungen
10
[…]
11
(5) Haben nach einer erneuten Beratung gemäß Absatz 2 oder nach der Beratung
gemäß Absatz 3 Satz 2 oder Absatz 4 Satz 2 in der Arbeitsrechtlichen Kommission
mindestens neun, jedoch weniger als vierzehn Mitglieder der Arbeitsrechtlichen
Kommission für die vorgeschlagene Arbeitsrechtsregelung gestimmt, kann von
mindestens sechs Mitgliedern der Arbeitsrechtlichen Kommission, die an der
Beratung teilgenommen haben, innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Monat
die Arbeitsrechtliche Schiedskommission angerufen werden. […]
12
(6) Die Arbeitsrechtliche Schiedskommission entscheidet endgültig. Sie kann die
Angelegenheit an die Arbeitsrechtliche Kommission zurückverweisen und dabei
Empfehlungen für deren Beratung und Entscheidung geben. Über eine nach Satz 2
an sie zurückverwiesene Angelegenheit entscheidet die Arbeitsrechtliche
Kommission endgültig.
13
[…]
14
§ 16
15
Bildung und Zusammensetzung der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission
16
(1) Zur Entscheidung in den Fällen des § 15 Absatz 5 wird eine gemeinsame
Arbeitsrechtliche Schiedskommission für Rheinland, Westfalen und Lippe (ARS-
RWL) aus einer oder einem Vorsitzenden und zehn Beisitzerinnen oder Beisitzern
gebildet. […]
17
(5) Die oder der Vorsitzende und die oder der stellvertretende Vorsitzende werden
durch übereinstimmende Beschlüsse der entsendenden Stellen (§§ 6 und 7)
gewählt. […] Sie müssen die Befähigung zum Richteramt haben und dürfen weder
beruflich im kirchlichen Dienst oder im Dienst einer der in der Arbeitsrechtlichen
Kommission vertretenen Mitarbeitervereinigungen stehen noch dem Leitungsorgan
einer kirchlichen Körperschaft, eines Diakonischen Werkes oder eines anderen
Trägers kirchlicher oder diakonischer Einrichtungen angehören.
18
[…]
19
§ 18
20
Rechtsstellung der Mitglieder der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission
21
Die Arbeitsrechtliche Schiedskommission ist unabhängig. Für die Rechtsstellung
22
ihrer Mitglieder gilt § 9 Abs. 1 bis 3, 5 und 6 entsprechend.
§ 19
23
Verfahren und Geschäftsführung der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission
24
(1) Die Arbeitsrechtliche Schiedskommission hat die Grundsätze des fairen
Verfahrens zu beachten. Sie ist bei ihrer Entscheidung gemäß § 15 Absatz 6 Satz 1
an den gestellten Antrag insoweit gebunden, als sie ihn nicht überschreiten darf.
Sie kann Einzelheiten in einer Geschäftsordnung regeln.
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(2) Die Sitzungen der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission sind nicht öffentlich.
Die Arbeitsrechtliche Kommission sowie ihre Mitglieder, die die Arbeitsrechtliche
Schiedskommission angerufen haben, und die entsendenden Stellen (§§ 6 und 7)
sind anzuhören. Sachkundige Beraterinnen und Berater können zu einzelnen
Tagesordnungspunkten hinzugezogen werden.
26
(3) Die Arbeitsrechtliche Schiedskommission beschließt mit Stimmenmehrheit in
geheimer Beratung. An der Abstimmung nehmen alle elf Mitglieder teil, die an der
Beratung teilgenommen haben; Stimmenthaltung ist nicht zulässig.
27
[…]
28
(5) Die Entscheidungen der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission werden den in
der Arbeitsrechtlichen Kommission vertretenen Landeskirchen und Diakonischen
Werken zugeleitet und von diesen nach Maßgabe der für ihren jeweiligen Bereich
maßgeblichen Regelungen bekannt gemacht.
29
[…]
30
Am 22.10.2007 hat die Arbeitsrechtliche Schiedskommission für Rheinland, Westfalen
und Lippe eine Arbeitsrechtsregelung u.a. zur Änderung des BAT-KF und des MTArb-
KF beschlossen, die rückwirkend zum 01.07.2007 in Kraft getreten ist. Der Beschluss
hat folgenden Wortlaut:
31
"1. Der BAT-KF und der MTArb-KF werden gemäß der Vorlage Nr. 13/2007
einschließlich der Übergangsregelungen, wie sie Gegenstand der
Abstimmungen der Arbeitsrechtlichen Kommission
Rheinland/Westfalen/Lippe waren, geändert.
32
2. Die Änderungen und die Übergangsregelungen treten am 1. Juli 2007 in Kraft.
33
3. Die Arbeitsrechtliche Schiedskommission empfiehlt, die Möglichkeit für
einrichtungsspezifische, in der Regel befristet gültige, und für
refinanzierungsbedingte Abweichungen zu schaffen.
34
4. Die Arbeitsrechtliche Schiedskommission empfiehlt, die Regelungen zu 1.
in angemessener Zeit – spätestens aber binnen vier Jahren – zu überprüfen
und sie gegebenenfalls strukturell, auch hinsichtlich des Tabellenwerkes,
abzuändern oder zu ergänzen."
35
Mit ihrer am 15.04.2008 bei Gericht eingegangenen und den Beklagten am 17.04.2008
und 18.04.2008 zugestellten Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der
Beschluss der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission vom 22.10.2007 unwirksam ist.
36
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gemäß § 2
Abs. 1 Nr. 1 ArbGG eröffnet sei. Aufgrund der strukturellen Vergleichbarkeit von
Tarifverträgen und Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Weges sei diese Vorschrift
zumindest analog anzuwenden. Da das Bundesarbeitsgericht hinsichtlich kirchlicher
Arbeitsrechtsregelungen die gleichen Auslegungsgrundsätze wie für Tarifverträge
heranziehe, seien für die Frage der Wirksamkeit von Arbeitsrechtsregelungen des
Dritten Wegs ebenfalls arbeitsrechtliche Spezialkenntnisse erforderlich, so dass auch
aus diesem Grund die arbeitsgerichtliche Zuständigkeit gegeben sei. Sie habe als
Anwenderin von Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Weges das gleiche Interesse wie
ein Tarifanwender, in abstrakter Weise klären zu lassen, ob sie zur Anwendung einer
bestimmten Arbeitsrechtsregelung verpflichtet sei. Für Streitigkeiten im Zusammenhang
mit dem Arbeitsrechtsregelungsverfahren sei auch keine Zuständigkeit kirchlicher
Gerichte vorgesehen.
37
Die Prüfung der Vereinbarkeit von Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Weges mit
höherrangigem Recht sei den staatlichen Gerichten vorbehalten. Es sei nicht mit der
Justizgewährungspflicht und dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes vereinbar,
wenn eine gerichtliche Überprüfbarkeit abgelehnt würde. Die Arbeitsrechtliche
Schiedskommission lege den Inhalt der Arbeitsrechtsregelung erstmalig fest; sie setze
selbst das Recht und könne daher nicht gleichzeitig als Kirchengericht im Sinne der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angesehen werden. Da sowohl der
Beklagte zu 2) als auch sie selbst in einer Rechtsform des Privatrechts organisiert seien
und sich ihr Verhältnis nach einer Satzung regele, könne von einer rein innerkirchlichen
Angelegenheit ohnehin keine Rede sein.
38
Das erforderliche Feststellungsinteresse sei gegeben. Da sie in den Arbeitsverträgen
ihrer Mitarbeiter eine dynamische Inbezugnahme des BAT-KF bzw. des MTArb-KF
vereinbart habe, würden die von der Arbeitsrechtlichen Kommission bzw.
Schiedskommission beschlossenen Änderungen des BAT-KF und MTArb-KF
grundsätzlich automatisch zum Inhalt der Arbeitsverhältnisse. Daher hänge es von der
Wirksamkeit dieser Beschlüsse ab, welche Arbeitsbedingungen sie gegenüber ihren
Mitarbeitern anzuwenden habe. Vorliegend sei § 9 TVG analog anzuwenden mit der
Folge, dass der Feststellung der Unwirksamkeit der kirchlichen Arbeitsrechtsregelung
Rechtskraftwirkung auch gegenüber ihren Mitarbeitern zukomme.
39
Die Klage sei begründet, da es bei dem Zustandekommen des Beschlusses der
Arbeitsrechtlichen Schiedskommission vom 22.10.2007 an der erforderlichen
Verhandlungsparität gefehlt habe. Inhaltlich verletze der Beschluss sie in ihren
Grundrechten und verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
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Die Klägerin beantragt,
41
festzustellen, dass der Bundes-Angestellten-Tarifvertrag in kirchlicher Fassung
(BAT-KF) in der Fassung vom 22.10.2007 bzw. der Manteltarifvertrag für
Arbeiterinnen und Arbeiter in kirchlicher Fassung (MTArb-KF) in der Fassung vom
22.10.2007, geändert durch Beschluss der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission
für Rheinland, Westfalen und Lippe vom 22.10.2007, unwirksam sind, und in der
42
bis zum 30.06.2007 geltenden Fassung fortgelten.
Die Beklagten beantragen,
43
die Klage abzuweisen.
44
Sie sind der Ansicht, dass die Klage abzuweisen sei, da weder der Rechtsweg zu den
Arbeitsgerichten eröffnet sei noch andere Gerichte zur Feststellung der Nichtigkeit von
Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission berufen seien. Vielmehr
handele es sich um eine innerkirchliche Streitigkeit, die der staatlichen Gerichtsbarkeit
entzogen sei. Das kirchliche Recht enthalte eine abschließende Regelung des
Arbeitsrechtsregelungsverfahrens, wonach die Arbeitsrechtliche Schiedskommission
endgültig entscheide. Das Verfahren vor der Schiedskommission gemäß § 15 ff. ARRG
Westfalen ersetze im Arbeitsrechtsregelungsverfahren des Dritten Weges den
Arbeitskampf. Die Schiedskommission erfülle eine besondere Schlichtungs- und
Befriedigungsfunktion, so dass deren Beschlüsse einerseits als Akte kirchlicher
Rechtssetzung, andererseits als Akte kirchlicher Rechtsprechung zu qualifizieren seien.
Die rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an ein nichtstaatliches Gericht, die das
Bundesarbeitsgericht für Schlichtungsstellen im Mitarbeitervertretungsrecht als erfüllt
ansehe, seien auch im Hinblick auf die Arbeitsrechtlichen Schiedskommissionen
gegeben. Die Mitglieder der Kommission seien unabhängig und nicht
weisungsgebunden, die Grundsätze des fairen Verfahrens seien zu beachten. Die
Arbeitsrechtliche Schiedskommission sei daher ein besonderes kirchliches Gericht im
Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
45
Der Klage fehle darüber hinaus das erforderliche Feststellungsinteresse. Selbst wenn
der Klage stattgegeben würde, würde ein entsprechendes Urteil keine
Rechtskraftwirkung im Verhältnis zwischen der diakonischen Einrichtung und den von
ihr beschäftigten Mitarbeitern entfalten. § 9 TVG könne auch nicht analog angewandt
werden, weil den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen eben keine normative Wirkung
zukomme. Im Übrigen verpflichte die Satzung der Beklagten zu 2) die Klägerin auch
nicht zur Anwendung des BAT-KF in der jeweils gültigen Fassung, sondern lediglich zur
Beschäftigung der Mitarbeiter nach Arbeitsbedingungen, die in einem kirchengesetzlich
anerkannten Verfahren gesetzt werden, das auf strukturellem Gleichgewicht der
Dienstgeber- und Dienstnehmerseite beruhe.
46
Die Klage sei jedenfalls unbegründet. Der Beschluss der Arbeitsrechtlichen
Schiedskommission vom 22.10.2007 sei weder unter Verstoß gegen den Grundsatz der
Verhandlungsparität zustande gekommen noch verstoße er gegen höherrangiges
Recht, insbesondere nicht gegen Grundrechte oder den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. Unverhältnismäßig könne der Schiedsspruch vom 22.10.2007
bereits deshalb nicht sein, weil er exakt das Gehaltsniveau widerspiegele, das seit dem
Jahr 2006 für die Universitätskliniken und seit April 2008 für die kommunalen
Krankenhäuser tarifvertraglich verankert sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
48
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
49
I
50
Die Klage ist unzulässig.
51
Der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten ist nicht eröffnet.
52
1. Eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gemäß §§ 2, 2 a ArbGG ist vorliegend nicht
gegeben.
53
Entgegen der Ansicht der Klägerin sind weder die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1
ArbGG erfüllt noch ist diese Vorschrift analog anzuwenden. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1
ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen
Tarifvertragsparteien oder zwischen diesen und Dritten aus Tarifverträgen oder über das
Bestehen und Nichtbestehen von Tarifverträgen ausschließlich zuständig. Nach
Auffassung der Kammer ist bereits äußerst zweifelhaft, ob es sich um eine bürgerlich-
rechtliche Rechtsstreitigkeit handelt. Ansatzpunkte hierfür könnten sich lediglich im
Hinblick auf das Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) ergeben,
soweit zwischen den Parteien diskutiert wird, ob § 4 Abs. 2 Ziff. 7 a der Satzung des
Beklagten zu 2) in der Fassung vom 01.06.2007 die Klägerin verpflichtet, den BAT-KF
bzw. den MTArb-KF in der jeweils aktuellen Fassung auf die Arbeitsverhältnisse ihrer
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzuwenden. Dies kann aber bereits deshalb
dahinstehen, weil nicht diese Frage, sondern vielmehr die Wirksamkeit des
Beschlusses der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission vom 22.10.2007
Streitgegenstand des vorliegenden Klageverfahrens ist.
54
Darüber hinaus handelt es sich bei den Parteien schließlich nicht um
Tarifvertragsparteien, so dass eine direkte Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG
bereits aus diesem Grund ausscheidet. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass § 2 Abs.
1 Nr. 1 ArbGG grundsätzlich weit auszulegen ist und alle Rechtsstreitigkeiten aus dem
Arbeitsleben einschließlich der Betätigung der Koalitionen den Arbeitsgerichten
zugewiesen werden sollen, bei denen der Gesetzgeber besondere Kenntnisse auf dem
Gebiet des Arbeitsrechts und des Arbeitslebens voraussetzt (vgl. dazu Matthes, in:
Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, Arbeitsgerichtsgesetz, 6. Aufl. 2008, § 2 Rz.
14 m.w.N.). Dies gilt jedoch nur für tarifrechtliche Rechtsstreitigkeiten, die vorliegend
ersichtlich nicht gegeben sind. Bei den Arbeitsrechtsregelungen des sogenannten
Dritten Weges handelt es sich nicht um Tarifverträge, sondern um eigenständige
Regelungen, die als kircheneigene Regelungswerke zustande kommen (BAG, Urteil
vom 26.01.2005, 4 AZR 171/03, AP Nr. 1 zu AVR Diakonisches Werk Anlage 18; BAG,
Urteil vom 19.02.2003, 4 AZR 11/02, AP Nr. 36 zu § 611 BGB Kirchendienst; BAG, Urteil
vom 06.11.1996, 5 AZR 334/95, AP Nr. 1 zu § 10a AVR Caritasverband).
55
Nach Auffassung der Kammer ist aber auch für eine analoge Anwendung der Vorschrift
kein Raum. Voraussetzung hierfür wäre zunächst eine planwidrige Regelungslücke, die
bereits nicht erkennbar ist. Der Gesetzgeber hat in den §§ 2, 2 a ArbGG einen
abschließenden Zuständigkeitskatalog für die Rechtsstreitigkeiten aufgestellt, die den
Arbeitsgerichten in ausschließlicher Zuständigkeit zugewiesen werden. Es sind keine
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine ausschließliche
arbeitsgerichtliche Zuständigkeit auch für Arbeitsrechtsregelungen der Kirchen
angenommen hätte, eine entsprechende Regelung nur versehentlich nicht getroffen hat.
56
2. Aber auch eine Zuständigkeit anderer staatlicher Gerichtsbarkeiten, die eine
Verweisung des Rechtsstreits gemäß §§ 17, 17 a GVG ermöglichen würde, ist hier nicht
57
gegeben.
a) Es handelt sich um eine rein innerkirchliche Angelegenheit. Das verfassungsrechtlich
garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgesellschaften aus Art.
140 GG i.V.m. Art. 137 III WRV räumt den Kirchen das Recht ein, ihre eigenen
Angelegenheiten durch eigenständige Gerichte zu ordnen. Durch eine eigene kirchliche
Gerichtsbarkeit wird der staatliche Rechtsschutz nicht verdrängt, sondern ergänzt (BGH,
NJW 2000, 1555; Nolte, NJW 2000, 1844). Nach Art. 137 III 1 WRV können die Kirchen
und Religionsgesellschaften ihre Angelegenheiten – innerhalb der Schranken des für
alle geltenden Gesetzes - selbständig regeln. Das verfassungsrechtlich garantierte
kirchliche Selbstbestimmungsrecht beinhaltet neben der Kompetenz zur Rechtssetzung
in eigenen Angelegenheiten auch diejenige zur Kontrolle des selbst gesetzten Rechts
(BAG, Urteil vom 09.09.1992, 5 AZR 456/91, AP Nr. 40 zu Art 140 GG; BAG, Beschluss
vom 25.04.1989, 1 ABR 88/87, BAGE 61, 376, 382). Diese Entscheidungskompetenz
kann staatlichen Gerichten auch nicht durch kirchenrechtliche Regelungen, durch die
Übernahme staatlicher Regelungen des kollektiven Arbeitsrechts für den kirchlichen
Bereich oder durch Vereinbarungen der Kirchen – etwa im Zusammenhang mit einer
Betriebsübernahme – übertragen werden, denn dazu bedürfte es einer Ermächtigung,
die für diesen Rechtsbereich fehlt (OVG Schleswig, Urteil vom 12.04.1996, AP Nr. 1 zu
§ 22 Mitarbeitervertretungsgesetz-EK-Schleswig-Holstein).
58
Während für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten aus dem Individualarbeitsrecht
kirchlicher Arbeitnehmer grundsätzlich die staatlichen Arbeitsgerichte zuständig sind
(vgl. dazu nur BAG, Urteil vom 26.01.2005, 4 AZR 171/03, a.a.O.; BAG, Urteil vom
06.11.1996, 5 AZR 334/95, a.a.O.), ist im kollektiven kirchlichen Arbeitsrecht, welches
die Rechtssetzung der Arbeitsrechtsregelungen im Dritten Weg und das
Mitarbeitervertretungsrecht umfasst, der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht
eröffnet (Schliemann, Die neue Ordnung der Kirchengerichtsbarkeit in der
Evangelischen Kirche in Deutschland, NJW 2005, S. 392 ff. m.w.N.). Insbesondere für
Rechtsstreitigkeiten aus den Regelungen des Dritten Weges gibt es keine
Rechtskontrolle; der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten ist nicht gegeben. Der
ureigene, selbstbestimmte Bereich der Kirche ist betroffen, die kircheneigene
Rechtskontrolle wird durch Schlichtungsausschüsse ausgeübt (Richardi, Arbeitsrecht in
der Kirche, 4. Aufl. 2003, § 22 Rz. 19).
59
b) Der Klägerin ist allerdings zuzugeben, dass es fraglich erscheint, ob es mit der
Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, wenn bei Streitigkeiten
bezüglich der Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Weges keinerlei
Rechtsschutzmöglichkeiten vor staatlichen Gerichten bestehen. Insoweit ist zu erwägen,
ob rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Rechtsschutzmöglichkeiten nach den
Grundprinzipien unserer staatlichen Rechtsordnung, die dem kirchlichen
Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht nach den obigen Ausführungen
Grenzen setzen, auch für diesen Bereich geboten sind. Nach überwiegender
Auffassung erfasst die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ausschließlich Akte
der staatlichen öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.02.1981, 1 BvR
567/77, ZevKR, Band 26, 1981, 382, 384). Aber auch wenn keine Ausübung öffentlicher
Gewalt vorliegt, kann sich die Rechtsweggarantie unter Umständen aus dem
Rechtsstaatsgedanken in Verbindung mit dem staatlichen Rechtsprechungsmonopol
ergeben (vgl. BAG, Beschluss vom 25.04.1989, 1 ABR 88/87, a.a.O.). Das
Bundesverfassungsgericht hat in dem zitierten Beschluss vom 12.02.1981 erwogen,
aber letztlich offen gelassen, ob die Kirchen nicht auch dort, wo es primär um ihre
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eigenen Angelegenheiten geht, "zumindest an einen Kernbestand der vom Grundgesetz
normierten Grundprinzipien" gebunden sind. Zu prüfen bleibt auch, ob diese
Grundprinzipien, die auch einen ausreichenden Rechtsschutz beinhalten, nur
gegenüber den Mitarbeitern der Kirchen selbst, die zugleich Bürger des Staates und
damit Grundrechtsträger sind und zu deren Gunsten und Schutz auch von den Kirchen
die Beachtung eines Kernbestandes von Grundprinzipien verlangt werden muss, zur
Anwendung kommen oder auch gegenüber etwa der Mitarbeitervertretung als "Stelle"
der innerkirchlichen Verfassung und Ordnung. Das Bundesarbeitsgericht hat diese
Frage in seiner Entscheidung bezüglich einer Streitigkeit zwischen einer kirchlichen
Mitarbeitervertretung und dem Arbeitgeber über das Bestehen von
Mitbestimmungsrechten ausdrücklich offen gelassen, da es die in der
Mitarbeitervertretungsordnung zur Entscheidung von Mitbestimmungsstreitigkeiten
vorgesehene Schlichtungsstelle als kirchliches Gericht angesehen hat, das
rechtsstaatlichen Anforderungen genügt (BAG, Beschluss vom 25.04.1989, 1 ABR
88/87, a.a.O.). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die
Kirchengerichtsbarkeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland durch das Gesetz
über die Errichtung, die Organisation und das Verfahren der der Kirchengerichte der
Evangelischen Kirche Deutschland seit dem 01.01.2004 neu geordnet worden ist. Unter
anderem ist darin geregelt worden, dass an die Stelle der bisherigen Schlichtungsstelle
nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz das erstinstanzliche Kirchengericht getreten ist,
das die arbeitsgerichtlichen Vorschriften über das Beschlussverfahren entsprechend
anzuwenden hat (vgl. zu den Einzelheiten der Neuregelung: Schliemann, Die neue
Ordnung der Kirchengerichtsbarkeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland, NJW
2005, S. 392 ff.). Für Streitigkeiten aus dem Bereich des kirchlichen
Mitarbeitervertretungsrecht dürfte damit nicht weiter zweifelhaft sein, dass aufgrund des
Verfahrens vor den Kirchengerichten der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG
Genüge getan ist.
c) Nach Auffassung der Kammer gilt dies aber ebenso für Streitigkeiten aus dem
Bereich der Arbeitsrechtsregelungen. Im Rahmen der Neuordnung durch das oben
genannte Gesetz haben sich in diesem Bereich zwar keinerlei Änderungen ergeben.
Innerhalb der evangelischen Kirche gibt es für Streitigkeiten aus den
Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Wegs nach wie vor keine besonders gestaltete
Rechtskontrolle durch ein Kirchengericht. Die Arbeitsrechtliche Schiedskommission ist
aber wegen des für sie geltenden Verfahrens und ihrer Zusammensetzung aus Sicht
des Staatskirchenrechts einem kirchlichen Gericht gleichzustellen (Richardi,
Arbeitsrecht in der Kirche, 4. Aufl. 2003, § 22 Rz. 19). Im Bereich Rheinland-Westfalen-
Lippe richtet sich das Zustandekommen der Arbeitsrechtsregelungen nach dem
Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst (Arbeitsrechtsregelungsgesetz,
nachfolgend: ARRG). Gemäß § 2 Abs. 2 ARRG ist es zunächst Aufgabe der Rheinisch-
Westfälisch-Lippischen Arbeitsrechtlichen Kommission, Regelungen zu treffen, die den
Inhalt, die Begründung und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen
(Arbeitsrechtsregelungen) betreffen. Die von der Arbeitsrechtlichen Kommission
beschlossenen Arbeitsrechtsregelungen sind gemäß § 3 Abs. 1 ARRG verbindlich und
wirken normativ. Die Arbeitsrechtliche Kommission besteht in paritätischer Besetzung
aus Vertretern der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst sowie aus Vertretern der kirchlichen
Arbeitgeber, § 5 Abs. 1 ARRG. Nach den Verfahrensvorschriften des ARRG betreffend
das Zustandekommen von Arbeitsrechtsregelungen hat die Arbeitsrechtliche
Kommission auf Verlangen von sechs ihrer Mitglieder erneut über eine Angelegenheit
zu beraten, wenn bei der erstmaligen Abstimmung in der Arbeitsrechtlichen Kommission
61
mindestens neun, aber weniger als vierzehn Mitglieder für die vorgeschlagene
Arbeitsrechtsregelung gestimmt haben, § 15 Abs. 2 ARRG. Wenn sodann nach einer
erneuten Beratung innerhalb der Arbeitsrechtlichen Kommission wiederum mindestens
neun, aber weniger als vierzehn Mitglieder für die vorgeschlagene
Arbeitsrechtsregelung gestimmt haben, kann von mindestens sechs der Mitglieder
innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Monat die Arbeitsrechtliche
Schiedskommission angerufen werden, § 15 Abs. 5 ARRG. Die Arbeitsrechtliche
Schiedskommission besteht gemäß § 16 Abs. 1 ARRG aus einem Vorsitzenden und
zehn Beisitzern; hierbei werden fünf Beisitzer von den Mitarbeitervereinigungen und fünf
Beisitzer für die kirchlichen Arbeitgeber entsandt. Nach § 18 Abs. 1 ARRG ist die
Arbeitsrechtliche Schiedskommission unabhängig. Sie hat die Grundsätze des fairen
Verfahrens zu beachten, hat die Arbeitsrechtliche Kommission und ihre Mitglieder sowie
die entsendenden Stellen anzuhören, § 19 Abs. 1 und 2 ARRG. Die Beschlüsse der
Arbeitsrechtlichen Schiedskommission werden in geheimer Beratung mit
Stimmenmehrheit – eine Stimmenthaltung ist nicht zulässig – getroffen, § 19 Abs. 3
ARRG. Die Entscheidung der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission zu einer
Arbeitsrechtsregelung ist endgültig, § 15 Abs. 6 ARRG.
Diese Regelungen zeigen, dass das Arbeitsrechtsregelungsgesetz eine Konfliktlösung
und damit auch kircheneigene Rechtskontrolle durch die Arbeitsrechtliche
Schiedskommission für den Fall vorsieht, dass die Arbeitsrechtliche Kommission – die
die arbeitsrechtlichen Regelungen in paritätischer Besetzung zunächst ausarbeiten –
entweder keine hinreichende Mehrheit für einen Regelungsvorschlag findet oder dass
Einwendungen in der Arbeitsrechtlichen Kommission nicht durchdringen. In diesen
Fällen entscheidet nach den oben zitierten Regelungen die Arbeitsrechtliche
Schiedskommission. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass unter anderem aufgrund
der Endgültigkeit einer Entscheidung der Arbeitsrechtlichen Schiedskommission zu
einer Arbeitsrechtsregelung dieser letztlich auch Rechtssetzungsfunktion zukommt. Da
aber ausdrücklich geregelt wird, dass die Schiedskommission unter neutralem Vorsitz
tätig wird und unabhängig ist sowie Anhörungspflichten hat und die Grundsätze des
fairen Verfahrens zu beachten hat, ist sie zugleich auch als Schlichtungsstelle tätig und
damit einem Kirchengericht gleichzustellen (Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 4. Aufl.
2003, § 22 Rz. 19; vgl. auch Schliemann, Die Aufgabe(n) der Schlichtungsstellen der
evangelischen Kirche in Deutschland und ihr(e) Verfahren, NZA 2000, 1311, 1312). Da
die Kirche im Rahmen der Arbeitsrechtsregelungen – wie oben dargelegt – innerhalb
ihres originären Selbstbestimmungsrecht handelt, ist es aus Sicht der Kammer auch
durchaus möglich, dass einer Schlichtungsstelle sowohl die Funktion der
Rechtssetzung als auch zugleich der Rechtskontrolle und der Konfliktlösung zukommt.
Durch die in dem Arbeitsrechtsregelungsgesetz normierten Verfahrensregelungen ist
hierbei sichergestellt, dass elementare Rechtsgrundsätze beachtet werden und damit
Art. 19 Abs. 4 GG Genüge getan ist.
62
II
63
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO: Die
unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
64
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 42 Abs. 3
GKG, §§ 3, 5 ZPO. Mangels detaillierter Angaben der Parteien hat die Kammer die
aufgrund des angegriffenen Beschlusses eintretenden Vergütungsdifferenzen für die
rund 1.700 Mitarbeiter der Klägerin in 36 Monaten auf 5.000.000,- € geschätzt.
65
gez.
66