Urteil des ArbG Herford vom 07.07.2010

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Arbeitsgericht Herford, 2 Ca 280/10
Datum:
07.07.2010
Gericht:
Arbeitsgericht Herford
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Ca 280/10
Schlagworte:
Einführung von Kurzarbeit durch Betriebsvereinbarung
Normen:
§ 77 Abs. 2, 3, 4 BetrVG
Leitsätze:
Keine Verpflichtung von Arbeitnehmern zur Kurzarbeit durch eine
Betriebsvereinbarung, die keine hinreichenden Angaben zu Dauer,
Lage, Verteilung und Auswahl der betroffenem Arbeitnehmern enthält
(wie LAG Berlin vom 29.10.1996, 10 Sa 95/98 [JURIS])
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.173,11 € brutto nebst
Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit
dem 1.1.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf 3.173,11 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, im Dezember 2009
Kurzarbeit gegenüber dem Kläger abzurechnen.
2
Der Kläger ist seit dem 01.03.1985 Maschinenbauingenieur und Leiter der Abteilung
"IT". Er verdient ca. 5.500,00 € brutto monatlich. Auf den schriftlichen Arbeitsvertrag vom
20.12.1984 (Bl. 3 – 6 d. A.) und auf die Nachträge vom 30.03.1992 (Bl. 8 d. A.) und vom
28.01.1999 (Bl. 7 d. A.) wird inhaltlich verwiesen.
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Am 24.06.2009 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung
über die Einführung von Kurzarbeit (Bl. 9 ff. d. A.). Darin heißt es unter § 1, Einführung,
Beginn und Dauer unter I.
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Mit Wirkung vom 01. Juli 2009 bis 31. Dezember 2009 wird Kurzarbeit im ganzen
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Betrieb zeitversetzt für einzelne Abteilungen eingeführt. Die betroffenen
Arbeitnehmer sind spätestens 1 Woche vor der Einführung der Kurzarbeit zu
informieren. Die Anzahl der Kurzarbeitstage sowie deren zeitliche Lage wird
entsprechend der Auslastung der jeweiligen Abteilung durch die Geschäftsleitung
unter Beachtung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates festgelegt.
Der Kläger erkrankte im Zeitraum vom 25.11.2009 bis zum 16.03.2010.
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Die Beklagte ordnete für den Kläger für Dezember 2009 Kurzarbeit an und erteilte
abschließend die Dezemberabrechnung (Bl. 14 d. A.).
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Diese Anordnung der Kurzarbeit hält der Kläger für willkürlich und rechtswidrig wegen
Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Vor seiner Arbeitsunfähigkeit habe
de Kläger noch drei umfangreiche Aufträge zur Abarbeit erhalten. Es sei auch nicht
erklärlich, warum in der Abteilung "DV" zu 33 % Kurzarbeit im Dezember 2009 gefahren
werden sollte (s. Anlage K6 zum Schriftsatz vom 16.06.2010, Bl. 57 d. A.). In anderen
Abteilungen sei der Anteil der Kurzarbeit viel geringer gewesen. Im Übrigen sei nach
dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung nur in den Abteilungen insgesamt die
Einführung von Kurzarbeit zulässig und nicht für einzelne Personen in den Abteilungen.
Das habe die Beklagte insoweit auch erkannt, als sie mit einer weiteren
Betriebsvereinbarung vom 15.12.2009 (Bl. 49 ff. d. A.) genau diesen Punkt geändert
habe.
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Im Übrigen – und das ist unstreitig – ist dem Kläger nicht innerhalb einer Woche vor
Beginn der Kurzarbeit die entsprechende Information nach § 1 Abs. 1 der
Betriebsvereinbarung vom 24.06.2009 gegeben worden.
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Unter Saldierung der Kürzung der Kurzarbeit um 4.341,12 € und einem Kurarbeitergeld
von 1.168,01 € (s. Abrechnung Dezember 2009, Bl. 14 d. A.) berechnet der Kläger eine
Forderung von 3.173,11 € brutto.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.173,11 € brutto nebst Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen
Zentralbank seit dem 01.01.2010 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, dass bereits mit Antrag vom 20.11.2009 (Bl. 43 d. A.) beim
Betriebsrat die Zustimmung für die Kurzarbeit des Klägers für 17 Tage im Zeitrahmen
01.12. – 23.12.2009 beantragt worden sei. Der Betriebsrat habe am 20.11.2009 hierzu
auch die Zustimmung (Bl. 43 d. A.) erteilt. Mithin sei vor der Arbeitsunfähigkeit des
Klägers am 25.11.2009 die entsprechende Entscheidung über die Kurzarbeit in Person
des Klägers in der Abteilung IT gefallen.
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Die anderen beiden Arbeitnehmer aus der IT-Abteilung, Herr C3 und Herr W1, seien
unabkömmlich gewesen.
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Insgesamt sei kein Ermessensfehler festzustellen; die Kurzarbeit sei im Dezember 2009
auch übergreifend beantragt worden.
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Wegen des gesamten Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen und Protokolle verwiesen, die sämtliche Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von 3.173,11 € brutto für Dezember 2009 auf der
Grundlage seines Arbeitsvertrages und der vereinbarten monatlichen Bruttoentgeltbasis.
Die Beklagte war nicht berechtigt, für den Kläger im Zeitraum 01.12. – 23.12.2009 für 17
Tage Kurzarbeit abzurechnen und dementsprechend die Gehaltsansprüche des Klägers
zu kürzen.
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Zwar liegt im Betrieb der Beklagten die Betriebsvereinbarung vom 24.06.2009 über die
Einführung von Kurzarbeit vor. Die Beklagte hat jedoch die dort gesetzten
Voraussetzungen gegenüber dem Kläger nicht erfüllt. Sie hat dem Kläger nicht
spätestens 1 Woche vor der Einführung der Kurzarbeit eine entsprechende Information
gegeben. Das ist unstreitig. Auch wenn der Kläger seit dem 25.11.2009 erkrankt
gewesen ist, bedeutet dies keine Entbindung von der entsprechenden Mitteilungspflicht.
Denn diese Mitteilungspflicht ist auch dafür da, dem betroffenen Arbeitnehmer eventuell
Einwendungsmöglichkeiten gegen die Anordnung von Kurzarbeit zu ermöglichen.
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Wenn auch überwiegend in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist, dass
Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen neben dem Einzelvertrag eine ausreichende
Rechtsgrundlage zur Kürzung der Arbeitszeit und damit des Lohnes bei der Einführung
von Kurzarbeit abgeben, so muss die zugrunde liegende Betriebsvereinbarung aber
zumindest die tatbestandlichen Vorgaben für die vorübergehende Verkürzung der
betriebsüblichen Arbeitszeit regeln (so LAG Berlin, Urteil vom 29.10.1998, 10 Sa 95/98
– recherchiert nach JURIS). Darin führt das LAG in Randziffer 39 auf:
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Gerade bei der Einführung von Kurzarbeit ist es wesentlich, in welchem Umfange
eine Solche eingeführt werden soll, wie hoch mithin der Arbeits- und damit
Vergütungsausfall werden soll. Zum Anderen spielt in der Praxis eine wesentliche
Rolle, welcher Arbeitnehmer mit welchen zeitlichen Maßgaben in die Kurzarbeit
einbezogen werden soll; denn gerade die Verteilung der etwa verbleibenden Arbeit
auf einzelne Arbeitnehmer ist für die betriebliche Praxis eine wichtige und vielfach
umstrittene Problematik, die gerade auch unter dem Gesichtspunkt des
Gleichbehandlungsgrundsatzes zwischen den betroffenen Arbeitnehmern eine
Rolle spielt, einer Frage, die dem Betriebsrat in § 75 Abs. 1 BetrVG in besonderer
Weise als Handlungsmaßstab vorgegeben ist.
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In der Betriebsvereinbarung der Beklagten vom 24.06.2009 ist nicht angesprochen,
nach welchen Maßgaben der Personenkreis zu bestimmen ist, der in die Kurzarbeit
einbezogen werden soll. Die Betriebsvereinbarung enthält auch keinerlei Vorgaben
über den Umfang der ausfallenden Arbeitszeit, mithin über die Frage der
umfangmäßigen Verringerung von deren Vergütung.
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Das macht es schlussendlich so virolent, den einzelnen Arbeitnehmer eine Woche vor
der Einführung der Kurzarbeit hierüber zu informieren. Denn die Einführung der
Kurzarbeit kann tatsächlich nur aus sachlichen Gründen heraus im Einzelfall erfolgen.
Dies zu überprüfen, muss das Recht eines jeden betroffenen Arbeitnehmers sein. Wenn
die Beklagte daher gegenüber dem Kläger das eigene Procedere hinsichtlich der
Informationspflicht nicht eingehalten hat, so ist es dem Kläger auch im Nachhinein bei
bestehender Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 25.11.2009 bis 16.03.2010,
zuzubilligen, sich gegen die Anweisung der Kurzarbeit zu wenden.
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Vor diesem Hintergrund war der Klage stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die unterliegende Partei trägt die
Kosten des Rechtsstreits.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG i. V. mit § 3 ZPO unter Ansatz
des bezifferten Zahlungsantrages.
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