Urteil des ArbG Heilbronn vom 18.12.2007

ArbG Heilbronn (kläger, klinik, oberarzt, labor, teil, tätigkeit, akte, chefarzt, arzt, baden)

ArbG Heilbronn Urteil vom 18.12.2007, 5 Ca 290/07
Tarifauslegung - Zur Eingruppierung eines als Oberarzt bezeichneten Facharztes für Neurologie nach
dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an den Zentren für Psychiatrie des Landes Baden-Württemberg
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von EUR 2.750,00 brutto zu zahlen nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
a) aus EUR 250,00 seit 31.01.2007,
b) aus EUR 250,00 seit 28.02.2007,
c) aus EUR 250,00 seit 31.03.2007,
d) aus EUR 250,00 seit 30.04.2007,
e) aus EUR 250,00 seit 31.05.2007,
f) aus EUR 250,00 seit 30.06.2007,
g) aus EUR 250,00 seit 31.07.2007,
h) aus EUR 250,00 seit 31.08.2007,
i) aus EUR 250,00 seit 30.09.2007,
j) aus EUR 250,00 seit 31.10.2007,
k) aus EUR 250,00 seit 30.11.2007.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger beginnend mit dem 01.01.2007 in die
Entgeltgruppe Ä 3 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an den Zentren für Psychiatrie des Landes Baden-
Württemberg vom 05.02.2007 einzugruppieren.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Streitwert EUR 9.000,00.
5. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Eingruppierung des Klägers als Oberarzt.
2
Der am ... 1971 geborene Kläger ist Facharzt für Neurologie und seit 01.03.2006 beim beklagten Klinikum
beschäftigt. Er ist Mitglied des Marburger Bundes, Gewerkschaft der angestellten und beamteten Ärzte
Deutschlands, Landesverband Baden-Württemberg e.V. Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes
des öffentlichen Dienstes des Landes Baden-Württemberg. Sowohl aufgrund der Tarifbindung als auch kraft
arbeitsvertraglicher Inbezugnahme nach § 5 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 11.01.2006 (Blatt 11 der
Akte), waren auf das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2006 die Vorschriften des
Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) anwendbar. Mit Wirkung ab 01.01.2007 wurde der BAT durch den
Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an den Zentren für Psychiatrie des Landes Baden-Württemberg (TV-Ärzte
ZfP) vom 05.02.2007, abgeschlossen zwischen dem Arbeitgeberverband des öffentlichen Dienstes des Landes
Baden-Württemberg und dem Marburger Bund Baden-Württemberg, ersetzt. Die Geltung dieses Tarifvertrags
ist zwischen den Parteien unstreitig.
3
Der TV-Ärzte ZfP vom 05.02.2007 enthält zur Eingruppierung der Ärzte folgende Regelung:
"§ 12
4
Eingruppierung
5
Ärzte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte auszuübenden
Tätigkeit wie folgt eingruppiert:
6
Entgeltgruppe Bezeichnung
Ä 1
Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit
Ä 2
Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit
Ä 3
Oberärztin/Oberarzt
Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder
Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden
ist.
Oberarzt ist ferner der Facharzt in einer durch den Arbeitgeber übertragenen Spezialfunktion,
für die dieser eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der
Weiterbildungsordnung fordert.
Ä 4
Fachärztin/Facharzt, der/dem die ständige Vertretung des leitenden Arztes (Chefarzt) vom
Arbeitgeber übertragen worden ist.
(Protokollerklärung: Ständiger Vertreter ist nur der Arzt, der den leitenden Arzt in der
Gesamtheit seiner Dienstaufgaben vertritt.
Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb einer Klinik nur von einer Ärztin/einem Arzt erfüllt
werden.)
"
7
Der Kläger begehrt die Eingruppierung in die Entgeltgruppe Ä 3 ab 01.01.2007. Die Beklagte hat dies mit
Schreiben vom 23.04.2007 und 08.06.2007 abgelehnt und den Kläger in die Entgeltgruppe Ä 2 Stufe 3
eingruppiert.
8
Das beklagte Klinikum W. ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts und betreibt 7 eigenständige Kliniken mit
insgesamt über 619 Planbetten. Betrieben werden eine Klinik für allgemeine Psychiatrie und Psychotherapie,
eine Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie, eine Klinik für Suchttherapie, eine Klinik für forensische
Psychiatrie und Psychotherapie, eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, eine Klinik
für Neurologie und eine Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
9
Der Kläger ist in der Klinik für Neurologie beschäftigt. Diese Klinik wird von einem Chefarzt geleitet und besteht
aus drei Stationen und weiteren Einrichtungen (Logopädie, Sozialdienst, Physiotherapie, Konsiliardienst,
Elektrophysiologie, Röntgen, Sekretariat). In dieser Klinik sind 45 ständig belegte Betten vorgesehen. Der
Kläger ist zu 70 % seiner Arbeitskraft in der Station N1 und zu 30 % seiner Arbeitszeit im
elektrophysiologischen Labor eingesetzt. Bei der Station N1 handelt es sich um eine Kurzpflegestation mit 23
Betten, die am Wochenende geschlossen ist. Außer dem Kläger werden 2 feste Stationsärzte und eine
Aushilfsärztin sowie 3,5 Pflegekräfte beschäftigt. Auf dieser Station werden monatlich circa 100 Patienten
behandelt. Im elektrophysiologischen Labor sind 5 medizinisch-technische Angestellte tätig.
10 Die Beklagte bezeichnet den Kläger gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber Patienten als Oberarzt
(vergleiche etwa den Flyer zum Tag der offenen Tür am 08.07.2007, Blatt 20 der Akte). Im internen
Verwaltungsablauf wird der Kläger ebenfalls als Oberarzt tituliert (vergleiche etwa Schichtplan, Blatt 18 der
Akte, Organigramm, Blatt 183 der Akte). Gegenüber den Krankenkassen und Lieferanten tritt der Kläger als
Oberarzt auf, was von der Beklagten nicht beanstandet wird (vergleiche Blatt 19, 168 der Akte). Der Chefarzt
der Klinik für Neurologie erstellte dem Kläger am 02.04.2007 ein Zwischenzeugnis, nach welchem der Kläger
die Aufgaben eines Oberarztes wahrnimmt (vergleiche im einzelnen Blatt 181 f. der Akte). Mit Schreiben vom
12.11.2007 wies die Beklagte den Kläger zur Durchführung von Mitarbeiterjahresgesprächen mit den 5
Angestellten in der Elektrophysiologie an (Blatt 179 f. der Akte).
11 In der Station N1 obliegen dem Kläger folgende Aufgaben:
12
- Durchführung einer eigenen Visite auf der Station
- Durchführung einer Teambesprechung jeden Morgen gegen 09:00 Uhr mit den Stationsärzten und dem
Pflegepersonal
- Überprüfung und Unterzeichnung der von den Stationsärzten verfassten Arztbriefe und Entlassberichte für
jeden Patienten auf der Station N1 mit Ausnahme der Privatpatienten;
- Vorbereitung der Abrechnung mit den Kassen durch das Verschlüsseln der Diagnosen (DRG)
- Korrespondenz mit dem medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK), Einlegen von
Widersprüchen
- Festlegung der Diagnostik und der Einzelheiten der Therapie bei jedem Patienten. Die Stationsärzte
führen die Aufnahmeuntersuchung von neuen Patienten durch und übermitteln die Anamnese und den
Aufnahmebefund dem Kläger. Dieser sieht die Berichte durch, korrigiert und unterzeichnet sie. Bei
fragwürdigen Befunden führt er die Nachexploration und gegebenenfalls eine Nachuntersuchung durch.
- Entscheidung am Freitag über das weitere Verbleiben der Patienten, da die Station N1 am Wochenende
geschlossen ist
- Überprüfung und Besprechung der elektrophysiologischen Befunde des Assistenzarztes in Weiterbildung
- Die Diensteinteilung und die Urlaubsgewährung für alle Ärzte obliegen dem Chefarzt
13 Im Labor für Elektrophysiologie hat der Kläger folgende Aufgaben:
14
- Anschaffung der Geräte, Korrespondenz mit den Geräteherstellern, Testen, Vergleichen und Empfehlen
von Geräten
- Bestimmung, Einführung und Veränderung von Untersuchungsmethoden
- Einarbeitung der Ärzte und Mitarbeiter in die Untersuchungsmethoden
- Ansprechpartner bei technischen Problemen und Befundfragen
- Durchführung eines Elektrophysiologiekurses für Assistenzärzte und Mitarbeiter des Labors am
24.02.2007, Beschaffung von Fremdmitteln hierfür (Blatt 167 f. der Akte)
- Eintragung als Verantwortlicher für die Geräte im Gerätebuch (Blatt 178 der Akte)
15 Der Kläger trägt vor,
16 er sei in die Entgeltgruppe Ä 3 (erste Alternative) des § 12 TV-Ärzte ZfP einzugruppieren. Ihm sei die
medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik übertragen worden. Dementsprechend
werde der Kläger von der Beklagten intern und extern als Oberarzt bezeichnet. Bei der Station N1 handele es
sich um einen Teilbereich und bei dem elektrophysiologischen Labor um einen Funktionsbereich der Klinik
(unstreitig). Die Übertragung der medizinischen Verantwortung für diese Bereiche sei konkludent erfolgt, ein
ausdrücklicher Übertragungsakt sei nicht erforderlich. Eine Mindestzahl an Funktions- oder Teilbereichen sei im
Tarifvertrag nicht vorgesehen; die Formulierung sei auch nicht so zu verstehen, dass mindestens zwei
Bereiche gemeint seien. Der Kläger habe die Verantwortung für die Handlungen der Assistenzärzte in der
Station N1. Allein er sei für den reibungs- und haftungsfreien Ablauf dieser Station zuständig. Er würde
überwiegend oberärztliche Aufgaben durchführen; so habe er im Oktober 2007 von 117 Patienten lediglich 2
selbst behandelt. Er habe in der Station N1 gegenüber den dortigen Assistenzärzten und der Fachärztin die
fachliche Weisungsbefugnis. Nur der Kläger trage die medizinische Verantwortung für die Station N1. Das
Gleiche gelte für das Labor für Elektrophysiologie. Die Verantwortung für die korrekte Durchführung der
Untersuchungsabläufe obliege dem Kläger. Er allein bestimme, nach welchen Untersuchungsmethoden die
Befunde erhoben würde. Er schule die Mitarbeiter und habe die Geräte im Labor nach und nach erneuert. Er
habe begonnen, die Assistenzärzte in den elektrophysiologischen Untersuchungsmethoden systematisch zu
schulen. Auch die Beklagte sehe den Kläger als Vorgesetzten in diesem Bereich, der die
Mitarbeiterjahresgespräche zu führen habe. Zwar habe der Chefarzt die Gesamtverantwortung für die
Neurologische Klinik. Da er aufgrund seiner zahlreichen Verpflichtungen nicht in der Lage sei, alle Stationen zu
betreuen, sei die medizinische Verantwortung für Teil- und Funktionsbereiche auf den Oberarzt übertragen
worden.
17
Der Kläger beantragt
18
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von EUR 2.750,00 brutto zu zahlen
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
19
a) aus EUR 250,00 seit 31.01.2007,
b) aus EUR 250,00 seit 28.02.2007,
c) aus EUR 250,00 seit 31.03.2007,
d) aus EUR 250,00 seit 30.04.2007,
e) aus EUR 250,00 seit 31.05.2007,
f) aus EUR 250,00 seit 30.06.2007,
g) aus EUR 250,00 seit 31.07.2007,
h) aus EUR 250,00 seit 31.08.2007,
i) aus EUR 250,00 seit 30.09.2007,
j) aus EUR 250,00 seit 31.10.2007,
k) aus EUR 250,00 seit 30.11.2007.
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2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger beginnend mit dem
01.01.2007 in die Entgeltgruppe Ä 3 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an den Zentren
für Psychiatrie des Landes Baden-Württemberg vom 05.02.2007 einzugruppieren
21
Die Beklagte beantragt
22
Klageabweisung.
23 Die Beklagte trägt vor,
24 dem Kläger sei die Tätigkeit eines Facharztes, nicht aber eines Oberarztes im tariflichen Sinne übertragen. Die
Bezeichnung des Klägers als Oberarzt sei irrelevant. Es handele sich um einen Titel, der bereits zur Zeit der
Geltung des BAT verwendet worden sei und mit dem erfahrene Ärzte im Klinikbereich formelhaft bezeichnet
würden. Zu keinem Zeitpunkt handele es sich bei der Gewährung dieses Titels um eine tarifrechtliche
Übertragung von Tätigkeiten. Die Eingruppierungsklage des Klägers sei unschlüssig, da ihm Tätigkeiten der
Entgeltgruppe Ä 3 nicht zu mindestens 50 % übertragen worden seien. Allenfalls die Hälfte seiner Tätigkeit auf
der Station N1 entfalle auf oberärztliche Tätigkeiten. Da der Kläger zu circa 70 % seiner Arbeitszeit auf der
Station N1 tätig sei, bedeute dies einen Zeitanteil von 35 % für "oberärztliche" Tätigkeiten.
25 Im elektrophysiologischen Labor habe der Kläger nicht die alleinige medizinische Verantwortung, da sich seine
neurologischen Untersuchungen und Befunde nur auf seine Patienten beschränkten. Seine leitende Tätigkeit in
der Organisation betrage allenfalls 1/3 und damit 10 % seiner Gesamttätigkeit. Im Ergebnis könnten maximal
45 % der Gesamttätigkeit des Klägers der Entgeltgruppe Ä 3 zugerechnet werden, was für eine Eingruppierung
in diese Entgeltgruppe nicht ausreiche. Generell sei die medizinische Verantwortung nicht den Fachärzten und
den "Nominal-Oberärzten", sondern ausschließlich dem Chefarzt und dessen Vertreter übertragen. Diese hätten
nicht das Recht, diese Verantwortung auf andere zu übertragen. Die Elektrophysiologie sei eine kleine Einheit,
die nach ihrer Bedeutung und dem zeitlichen Anteil weit hinter die Station zurücktrete. Soweit der Kläger dort
die Organisation und Abläufe strukturiere, liege hierin nicht die Übertragung der Verantwortung im
medizinischen Bereich. Mehr als 50 % Oberarzttätigkeiten seien erfahrungsgemäß erst dann anzunehmen,
wenn drei Teil- oder Funktionsbereiche geleitet würden. Der Kläger unterscheide nicht zwischen
verantwortungsbewusstem Handeln, wie es von einem Arzt zu verlangen sei, und der Übertragung von
Verantwortung im Tarifsinne. Die organisatorischen Leistungen des Klägers seien nicht originär oberärztliche
Tätigkeiten, sondern könnten jedem qualifizierten Facharzt übertragen werden. Ohne konkreten Vortrag zu den
Arbeitsvorgängen und deren zeitlichen Anteilen könne der Kläger nicht in Ä 3 eingruppiert werden.
26 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den in der mündlichen Verhandlung
vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
27 Eine Beweisaufnahme fand nicht statt.
Entscheidungsgründe
28 Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
29 Die Klageanträge sind zulässig.
30 1. Hinsichtlich des bezifferten Leistungsantrags Ziffer 1 ist der Streitgegenstand hinreichend gemäß § 253
Absatz 2 Nummer 2 ZPO bestimmt. Der Kläger begehrt die Nachzahlung der Arbeitsvergütung für den Zeitraum
Januar 2007 bis November 2007. Er macht die Differenz zwischen der Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä 3
gemäß § 12 TV-Ärzte ZfP und der ihm tatsächlich gezahlten Vergütung geltend.
31 2. Der in Klageantrag Ziffer 2 enthaltene Eingruppierungs-Feststellungsantrag ist ebenfalls hinreichend
bestimmt. Das gemäß § 256 Absatz 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse des Klägers an der alsbaldigen
Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses ist gegeben. Die Beklagte als Anstalt des öffentlichen
Rechts hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie einem rechtskräftigen Feststellungsurteil
nachkommen würde.
II.
32 Die Klageanträge sind begründet.
33 Der Kläger ist mit Wirkung ab 01.01.2007 nach § 12 TV-Ärzte ZfP als Oberarzt in die Entgeltgruppe Ä 3
einzugruppieren.
34 1. Die Geltung des TV-Ärzte ZfP für das Arbeitsverhältnis ab 01.01.2007 ist zwischen den Parteien unstreitig.
Beide Parteien sind Mitglieder der tarifvertragschließenden Verbände (Arbeitgeberverband des öffentlichen
Dienstes des Landes Baden-Württemberg und Marburger Bund Baden-Württemberg). Gilt damit der TV-Ärzte
ZfP bereits kraft Tarifbindung gemäß §§ 3 Absatz 1, 4 Absatz 1 TVG, so haben die Parteien zudem
arbeitsvertraglich auf den Bundesangestelltentarifvertrag und die diesen ersetzenden Tarifverträge in der
jeweils geltenden Fassung Bezug genommen (§ 5 des Arbeitsvertrages vom 11.01.2006, Blatt 11 der Akten).
35 2. Der Kläger erfüllt die Eingruppierungsmerkmale, die in § 12 TV-Ärzte ZfP unter der Entgeltgruppe Ä 3 für
eine Oberärztin/einen Oberarzt vorgesehen sind. Maßgebend ist die erste Alternative. Danach ist Oberarzt
derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik
beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden ist.
36
a) Entgegen der Auffassung des Klägers versteht die Kammer das Tatbestandsmerkmal "Verantwortung
für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise Abteilung" dahin, dass die Verantwortung für
mindestens zwei Bereiche gegeben sein muss. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Formulierung, die
im Plural gefasst ist. Hätte es den Tarifvertragsparteien ausgereicht, wenn sich die medizinische
Verantwortung auf einen Teil- oder Funktionsbereich bezieht, so hätte dies durch eine entsprechende
Formulierung im Singular ("medizinische Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich") ausgedrückt
werden können. Diese grammatikalische Auslegung wird durch die zweite Alternative der Entgeltgruppe Ä 3
bestätigt. Nach dieser zweiten Alternative reicht es, wenn der Facharzt eine Spezialfunktion mit
besonderen Anforderungen inne hat. Hier haben die Tarifvertragsparteien den Singular gewählt, so dass
bereits eine Spezialfunktion zur Eingruppierung als Oberarzt ausreicht. Angesichts der übrigen präzisen
Formulierungen in den §§ 12 ff. TV-Ärzte ZfP bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Verwendung
des Plurals in der Entgeltgruppe Ä 3, erste Alternative, auf einem Redaktionsversehen beruht.
37
Auch der Sinn und Zweck der Regelung stützt die Auslegung, dass es sich um mindestens zwei Bereiche
handeln muss. Der Oberarzt nimmt eine herausgehobene Stellung innerhalb des Klinikbetriebs wahr. Er ist
den Ärzten und Fachärzten übergeordnet und berichtet an den Chefarzt und dessen ständigen Vertreter.
Seine Zuständigkeit und Verantwortung geht deutlich über die der Fachärzte hinaus. Mit dieser
herausgehobenen Stellung korrespondiert es, wenn die Tarifvertragsparteien das Berufsbild mit einer
Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik/Abteilung definieren. Es handelt sich um eine
Wertung, dass Oberarzt derjenige Arzt ist, der übergreifend mehrere Bereiche zu verantworten hat.
38
Für die vorgerichtlich geäußerte Ansicht der Beklagten, es müssten mindestens 3 Teil- oder
Funktionsbereiche der Klinik betroffen sein, enthält der Tarifvertrag keine Anhaltspunkte. Es genügen
mindestens zwei Bereiche. Hieran ändert der Eingangssatz des § 12 TV-Ärzte ZfP nichts. Die
Prüfungsstufe, ob der Arzt mindestens zur Hälfte die angesprochene Tätigkeit ausübt, ist eine für alle
Eingruppierungen erforderliche, zeitliche Analyse. Aus ihr kann jedoch nicht geschlossen werden, dass
diese Voraussetzung stets und nur dann gegeben ist, wenn mindestens 3 Teil- oder Funktionsbereiche
geleitet werden.
39
Im Falle des Klägers sind die Voraussetzungen gegeben. Unstreitig handelt es sich bei der Station N1 um
einen Teilbereich der Klinik und beim Elektrophysiologischen Labor um einen Funktionsbereich der Klinik.
Damit ist der Kläger für mindestens zwei Bereiche der Klinik tätig.
40
b) Die medizinische Verantwortung kann vom Arbeitgeber sowohl ausdrücklich als auch konkludent
übertragen werden. Einen förmlichen Ernennungsakt verlangt der Tarifvertrag nicht. Es genügt die
Zuweisung einer entsprechenden Tätigkeit.
41
(1) Nach dem Tarifvertrag ist der Arbeitgeber für die Übertragung der Verantwortung zuständig. In
einem Krankenhausbetrieb wie dem der Beklagten mit 7 Kliniken obliegt den Chefärzten als leitenden
Ärzten die medizinische Organisation ihrer Klinik. Dazu gehört die Übertragung von Aufgaben und
medizinischer Verantwortung.
42
(2) Der Kläger nimmt seine Funktionen innerhalb der Station N1 und des elektrophysiologischen Labors
aufgrund der entsprechenden Organisationsplanung der neurologischen Klinik wahr. Es gibt keine
Anhaltspunkte dafür, dass er die Aufgaben gegen den Willen der Beklagten oder des Chefarztes
wahrnimmt. Vielmehr wurden ihm diese Aufgaben von der Beklagten übertragen.
43
c) Der Kläger hat die medizinische Verantwortung für die Station N1 und das elektrophysiologische Labor.
44
(1) Der Tarifvertrag geht von einer abgestuften medizinischen Verantwortung aus. Die Ärzte und
Fachärzte sind jeweils medizinisch verantwortlich für die Patienten, die sie konkret behandeln.
Übergeordnet ist die medizinische Verantwortung des Oberarztes. Dieser ist nicht nur für die Patienten,
die er konkret behandelt, sondern auch für den reibungslosen medizinischen Ablauf der ihm
übertragenen Bereiche zuständig. Der leitende Arzt (Chefarzt) hat die medizinische
Gesamtverantwortung für die ihm unterstellte Klinik. Das aufeinander aufbauende, hierarchische
Verantwortungssystem soll dem Umstand Rechnung tragen, dass der Chefarzt aufgrund seiner
Verpflichtungen zeitlich nicht in der Lage ist, jeden einzelnen Patienten zu behandeln.
45
Die Auffassung der Beklagten, die medizinische Verantwortung sei ausschließlich dem Chefarzt und
dessen Vertreter übertragen, findet im Tarifvertrag keinen Niederschlag. Vielmehr sieht der Tarifvertrag
ein abgestuftes Verantwortungssystem vor, das es erst ermöglicht, dass der Chefarzt die
Gesamtverantwortung übernehmen kann. Nach der These der Beklagten gäbe es keinen Oberarzt im
Tarifsinne (dementsprechend bezahlt die Beklagte in der Klinik für Neurologie an niemanden eine
Oberarztvergütung). Dies entspricht aber nicht dem tarifvertraglichen System. Danach ist zwischen
dem Arzt/Facharzt und dem Chefarzt/Stellvertreter die Ebene des Oberarztes vorgesehen. Diese stellt
quasi das Bindeglied zwischen dem Chefarzt und den Stationsärzten dar. Dem entspricht es, dass er
für die ihm übertragenen Teil- und Funktionsbereiche die medizinische Verantwortung trägt.
46
Unter dem Ausdruck "medizinische Verantwortung" in der Entgeltgruppe Ä 3 ist nicht die Frage der
Haftung bei Fehlern zu verstehen. Vielmehr bedeutet die medizinische Verantwortung die
Verpflichtung, die Teil- und Funktionsbereiche medizinisch so zu organisieren, dass ein effektiver,
reibungsloser und erfolgreicher Klinikbetrieb möglich ist.
47
(2) Die Tätigkeitsbeschreibung im unstreitigen Tatbestand des Urteils beruht im Wesentlichen auf den
Behauptungen des Klägers. Entgegen der Ansicht der Beklagten (Schriftsatz vom 14.12.2007, Blatt
194 ff.) war insoweit der Beklagten nicht noch einmal ein Schriftsatzrecht einzuräumen. Der Kläger
hatte seine Tätigkeit im Wesentlichen schon in der Klageschrift charakterisiert. Insoweit hatte die
Beklagte die Behauptungen des Klägers nicht bestritten. Soweit im Schriftsatz des Klägers vom
06.12.2007 weiterer Tatsachenvortrag gehalten wurde, wurde dieser im Tatbestand insoweit
berücksichtigt, als der Kläger seine Behauptungen durch die beigelegten Anlagen unter Beweis gestellt
hat.
48
(3) Unter Berücksichtigung der oben genannten Definition der medizinischen Verantwortung steht diese
dem Kläger für die Station N1 und das elektrophysiologische Labor zu.
49
In der Station N1 obliegen dem Kläger sowohl die übergeordnete ärztliche Überwachung als auch ein
Teil der Verwaltungsaufgaben. Der Kläger führt die Oberarztvisite durch, wird von den Stationsärzten
über jeden Patienten durch Befundberichte unterrichtet und entscheidet letztendlich über die
vorzunehmende ärztliche Therapie. Er unterzeichnet abschließend die Arztberichte und Entlassbriefe.
Er entscheidet über den Verbleib der Patienten, wenn am Wochenende die Station geschlossen ist. Zu
diesen, der Tätigkeit eines Stationsarztes übergeordneten medizinischen Aufgaben kommt die
Vorbereitung der Abrechnung der ärztlichen Leistungen gegenüber den Krankenkassen hinzu. Diese
zahlreichen Verpflichtungen lassen sich als medizinische Verantwortung für die Station N1 im
Tarifsinne ansehen.
50
Gleiches gilt hinsichtlich des elektrophysiologischen Labors. Der Kläger ist hier im Wesentlichen für
die medizinisch-technische Ausstattung zuständig. Er ist Vorgesetzter der medizinisch-technischen
Angestellten (die Kammer schließt dies daraus, dass der Kläger mit diesen Angestellten die
Mitarbeiterjahresgespräche zu führen hat). Zwar führen die einzelnen Ärzte die elektrophysiologischen
Untersuchungen jeweils selbst mit ihren eigenen Patienten durch. Der Kläger ist jedoch dafür
verantwortlich, dass die medizinische Ausstattung auf dem aktuellen medizinischen Stand und
technisch einwandfrei ist und dass die Angestellten ordnungsgemäß eingewiesen sind; nach seinen
Angaben hat er auch Ärzte in die Handhabung der Geräte einzuweisen. Er ist als Verantwortlicher im
Gerätebuch vermerkt (Blatt 178 der Akte) und Ansprechpartner für dieses Labor. Im Ergebnis ist ihm
damit die medizinische Verantwortung für einen Funktionsbereich übertragen worden.
51
d) Die Voraussetzungen des § 12 Eingangssatz TV-Ärzte ZfP sind nach Ansicht der Kammer gegeben.
52
(1) Nach dieser Regelung setzt die Eingruppierung in die Entgeltgruppe Ä 3 voraus, dass der Arzt nicht
nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte die bezeichnete Tätigkeit ausübt. Mit dieser
Regelung haben die Tarifvertragsparteien die von der Beklagten angesprochene Rechtsprechung im
Eingruppierungsrecht übernommen.
53
(2) Der Kläger nimmt die angeführten Tätigkeiten in der Station N1 und im elektrophysiologischen
Labor nicht nur vorübergehend wahr. Soweit der Kläger ab 01.01.2008 eine Botulinum-Toxin-Ambulanz
betreiben wird, tritt diese Tätigkeit zu seinen bisherigen Aufgaben hinzu.
54
(3) Unklar blieb der zeitliche Umfang, in dem der Kläger die medizinische Verantwortung für die Station
N1 und das Labor wahrnimmt. Insoweit hat sich der Kläger auf den Standpunkt gestellt, diese
medizinische Verantwortung sei durchgehend vorhanden und könne nicht auf bestimmte Zeiten
beschränkt werden. Die Beklagte hat demgegenüber für die Schlüssigkeit der
Eingruppierungsfeststellungsklage verlangt, dass der Kläger seine Zeitanteile an oberärztlicher
Tätigkeit ganz konkret aufführt. Die Beklagte ist selber anhand einer Hochrechnung zu dem Ergebnis
gekommen, dass der Kläger maximal 45 % seiner Arbeitszeit mit Oberarzttätigkeiten verbringe.
55
Die Kammer schließt sich der Auffassung des Klägers an. Die medizinische Verantwortung für eine
Station oder ein Labor ist zeitlich nicht in Stunden mit Verantwortung und Stunden ohne Verantwortung
aufzuteilen. So ist es zutreffend, dass der Kläger auch eigene Patienten, wenn auch in geringem
Umfang, behandelt. Aber auch während dieser Tätigkeit obliegt ihm die Verantwortung für die Station
und das Labor. Die übertragene Verantwortung ist eine dauerhafte Verpflichtung des Klägers, die er
während seiner gesamten Arbeitszeit wahrzunehmen hat.
56
e) Der Kläger ist daher im Ergebnis in die Entgeltgruppe Ä 3 mit Wirkung ab 01.01.2007 einzugruppieren.
57 3. Die Frage, ob die Beklagte unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB)
verpflichtet ist, den als Oberarzt titulierten Kläger auch als Oberarzt zu bezahlen, kann dahinstehen. Insoweit
hat die Beklagte angeführt, dass die Bezeichnung "Oberarzt" zur Zeit der Geltung des BAT tariflich ohne
Bedeutung war und daher lediglich als Titel fortgeführt werde (vergleiche näher Hillmann-Stadtfeld, Deutsches
Ärzteblatt 2007, Seite 1625, Blatt 108 der Akte). Die Ärzte, die nach Inkrafttreten des TV-Ärzte ZfP als
Oberarzt bezeichnet würden, seien lediglich Titular-Oberärzte, was für die Eingruppierung bedeutungslos sei.
58 Die Kammer hält diese Ansicht der Beklagten für zweifelhaft. Es ist nicht lediglich so, dass der Kläger seinen
früheren Titel als Oberarzt - von der Beklagten geduldet - weiter trägt. Vielmehr bezeichnet die Beklagte den
Kläger auch nach Inkrafttreten des TV-Ärzte ZfP aktiv gegenüber der Öffentlichkeit, den Patienten und im
internen Klinikbetrieb als Oberarzt (vergleiche Blatt 20 der Akte - Flyer für den Tag der offenen Tür, Blatt 17 der
Akte, Schichtplan 2007). Es kann hier durchaus unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung die Meinung
vertreten werden, dass die Beklagte den Kläger entsprechend des ihm zugewiesenen Titels zu bezahlen hat.
59 Im Ergebnis kann die Frage der Selbstbindung der Beklagten jedoch offen bleiben, da bereits die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Entgeltgruppe Ä 3 TV-Ärzte ZfP gegeben sind.
60 4. Die mit Klageantrag Ziffer 1 geltend gemachten Beträge sind unstreitig. Die monatliche Vergütungsdifferenz
zwischen den Entgeltgruppen Ä 2 und Ä 3 beträgt EUR 450,00 brutto. Anzurechnen ist eine von der Beklagten
gezahlte Zulage in Höhe von EUR 200,00 brutto monatlich. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 288 Absatz 1,
286 Absatz 2 Nummer 1 BGB. Sowohl der Zahlungsantrag als auch der Feststellungsantrag sind daher
begründet.
61 5. Als unterliegende Partei trägt die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits (§§ 46 Absatz 2 ArbGG, 91 Absatz
1 ZPO).
62 Als Streitwert wurde die dreijährige Vergütungsdifferenz zugrunde gelegt (§§ 61 Absatz 1 ArbGG, 42 Absatz 4
Satz 2 GKG).
63 Die Berufung war gemäß § 64 Absatz 3 Nummer 2b ArbGG zuzulassen.