Urteil des ArbG Freiburg vom 23.05.2008

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ArbG Freiburg Beschluß vom 23.5.2008, 11 BV 9/08
Zuständigkeit der Einigungsstelle - Errichtung einer Beschwerdestelle nach § 13 AGG
Tenor
1. Der Präsident des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz a. D. Prof. Dr. K. S. wird zum Vorsitzenden der
Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Vereinbarung zur Errichtung, Bestellung der Beschwerdestelle und
zum Beschwerdeverfahren nach § 13 AGG" für den Betrieb der Klinik für Tumorbiologie F. der Beteiligten zu 2.
bestellt.
2. Die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer/innen wird auf 3 Personen festgesetzt, wobei von jeder
Seite jeweils nur ein externer Beteiligter Beisitzer hinzugezogen wird.
3. Der Wert des Streitgegenstandes beträgt EUR 4.000,00
Gründe
I.
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Die Beteiligte zu 2. und Antragsgegnerin ist ein Leistungszentrum der Krebsmedizin und Krebsforschung, das
Akutmedizin, Rehabilitation, Diagnostik und Therapien, Therapieentwicklung sowie Forschung unter einem
Dach vereinigt. Sie umfasst die Klinik für internistische Onkologie (80 Betten), die Klinik für onkologische
Rehabilitation und Nachsorge (120 Betten) und die KTB Tumorforschungsgesellschaft mbH. Im
krebsmedizinischen Bereich werden regelmäßig ca. 350 Mitarbeiter beschäftigt. Der Beteiligte zu 1 und
Antragsteller ist der bei der Antragsgegnerin gebildete Betriebsrat mit 11 Mitgliedern.
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Nach Inkrafttreten des AGG kam es in der „ gemeinsamen Sitzung vom 20.11.2007“ zu ersten Gesprächen
zwischen den Beteiligten über die Umsetzung der sich aus dem Gesetz ergebenden Verpflichtungen
(Protokollauszug Anlage Ag 1, Aktenblatt 39). Die Antragsgegnerin veröffentlichte in Umsetzung der Abreden in
der Mitarbeiterzeitung KTB intern Nr. 2/2008 vom 28.02.2008 folgende Mitteilung (Anlage Ag 2, Aktenblatt 40):
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„(...) Beschäftigte, die sich wegen eines dieser Gründe benachteiligt oder belästigt fühlen, haben das
Recht, sich an einer hierzu vorgesehenen Stelle zu beschweren, d.h. bei Beschwerden im Sinne des
AGG wenden Sie sich bitte an Frau P./Frau B. (Personalabteilung).
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Den vollständigen Gesetzestext finden Sie im Ordner „Aushangpflichtige Gesetze“ in der Poststelle.
Hiervon unberührt bleibt natürlich das Recht einer jeden Arbeitnehmerin und eines jeden
Arbeitnehmers, sich bei den zuständigen Stellen im Betrieb - auch mit Unterstützung durch den
Betriebsrat - bei Benachteiligungen oder ungerechter Behandlung zu beschweren (§§ 84, 85
BetrVerfG).
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Weiterhin besteht nach Geschäftsordnung für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeitern die Möglichkeit,
bei Beschwerden oder Benachteiligungen den Ombudsmann der KTB zu kontaktieren. Diese Funktion
wird dauerhaft durch den Sprecher des Vorstands bzw. den Stellvertreter wahrgenommen.“
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Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 06.02.2007 (Anlage Ast 1, Aktenblatt 7) Verhandlungen über
eine Betriebsvereinbarung zur Errichtung und Bestellung der Beschwerdestelle nach § 13 AGG sowie zur
Ausgestaltung des dementsprechenden Beschwerdeverfahrens. Die Antragsgegnerin sah hierzu keine
Notwendigkeit, so dass der Antragsteller aufgrund Beschlusses vom 20.02.2008 mit Schreiben vom
21.02.2008 (Anlage Ast 2, Aktenblatt 8) die Einigungsstelle anrief. Auf die Ablehnung der Antragsgegnerin
(Schreiben des Verwaltungsdirektors vom 05.03.2008, Anlage Ast 4, Aktenblatt 10) beschloss der Antragsteller
das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren zur Errichtung der Einigungsstelle nach § 98 ArbGG einzuleiten.
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Der Antragsteller beruft sich auf ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und beantragte
zuletzt:
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1. Der Präsident des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz a. D. Prof. Dr. K. S. wird zum
Vorsitzenden der Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Vereinbarung zur Errichtung,
Bestellung der Beschwerdestelle und zum Beschwerdeverfahren nach § 13 AGG" für den
Betrieb der Klinik für Tumorbiologie F. der Beteiligten zu Ziffer 2 bestellt.
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2. Die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer/innen wird auf 3 Personen festgesetzt,
wobei von jeder Seite jeweils nur ein externer Beteiligter Beisitzer hinzugezogen wird.
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3. Der Wert des Streitgegenstandes beträgt EUR 4.000,00
11 Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
13 Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, ein Mitbestimmungsrecht sei offensichtlich nicht gegeben. Die
Errichtung der Beschwerdestelle und deren Bekanntmachung seien schlichter Gesetzesvollzug, den die
Antragsgegnerin durchgeführt habe. Sie sei nicht verpflichtet, ein Beschwerdeverfahren zu regeln. Für das
Gericht sei bei fachkundiger Beurteilung sofort erkennbar, dass ein Mitbestimmungsrecht bei der Benennung
der und Information über die AGG-Beschwerdestelle unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommen
könne. Die vom Antragsteller begehrte Einigungsstelle sei deshalb „offensichtlich unzuständig“ im Sinne von §
98 Abs. 1 S. 2 ArbGG.
14 Im Anhörungstermin vom 15.05.2008 einigten sich die Parteien für den Fall gerichtlicher Einsetzung der
Einigungsstelle auf deren Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer (auf das Sitzungsprotokoll vom
15.05.2008, Aktenblatt 41 und 42 wird Bezug genommen).
II.
15 Der Antrag ist begründet, da die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig ist. Über die Festlegung der
Person des Vorsitzenden und die Anzahl der Beisitzer war nicht mehr zu entscheiden, nachdem die Beteiligten
die Frage in der Anhörung durch Parteivergleich einvernehmlich geregelt haben.
16 Nach § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG kann der Antrag auf Bestellung des Vorsitzenden einer Einigungsstelle und auf
Festsetzung der Anzahl der Beisitzer der Einigungsstelle (§ 76 Abs. 2 S. 2 und 3 BetrVG) wegen fehlender
Zuständigkeit der Einigungsstelle nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich
unzuständig ist. Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle dann, wenn ihre Zuständigkeit unter keinem
denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt begründet ist; das muss bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht
sofort erkennbar sein. Das kommt etwa dann in Betracht, wenn dem Betriebsrat, der die Bildung einer
Einigungsstelle erstrebt, in Bezug auf die Thematik, mit der sich die Einigungsstelle beschäftigen soll,
offensichtlich kein Mitbestimmungsrecht zusteht (nach LAG Saarland, Beschluss vom 06.06.2007 - 2 TaBV
2/07, Rdnr. 12 mit Nachweisen). Gibt es zu der Frage noch keine gefestigte höchstrichterliche
Rechtsprechung, ist darauf abzustellen, ob sich in der arbeitsrechtlichen Literatur zu dieser Rechtsfrage bereits
eine einheitliche Auffassung herausgebildet hat (LAG Saarland a.a.O. Rdnr. 14 mit Nachweisen).
17 Bei der Beurteilung der Frage, ob nach Maßgabe dieser Grundsätze im Zusammenhang mit der Errichtung
einer „zuständigen Stelle“ im Sinne von § 13 Abs. 1 AGG ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Sinne
von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG offensichtlich ausgeschlossen ist, sind drei Vorgänge auseinander zu halten
(Ehrich/Frieters in DB 2007, 1026 ff.): Die Errichtung dieser zuständigen Stelle, deren Besetzung und das
Beschwerdeverfahren. Zumindest für die beiden letzteren Themen gibt es in Rechtsprechung und Literatur
keine einhellige Meinung über die Mitbestimmung des Betriebsrats (zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen
sei auf den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 17.04.2007 - 3 TaBV 6/07 Rdnr. 59 ff. mit
Nachweisen; neuerdings wieder Bissels, BB 2008, 671, Nachweise Fußnote 54, Bezug genommen). Soweit
ersichtlich gehen die Landesarbeitsgerichte in Verfahren nach § 98 ArbGG mit Blick auf eine in der Literatur
vertretene Minderauffassung (Kamanabrou, RdA 2006, 321, 335; Ehrich/Frieters DB 2007, 1026, 1027)
allesamt davon aus, die Einigungsstelle sei jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig.
18 Danach ist die Einigungsstelle entsprechend dem Antrag zu bestellen, weil ein Mitbestimmungsrecht jedenfalls
nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Ob im Ergebnis tatsächlich ein Mitbestimmungsrecht besteht, ist nicht
im vorliegenden Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG zu entscheiden, sondern für alle drei Themen von der
Einigungsstelle zu beurteilen.
19 Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen; die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
20 Auf Antrag und nach Anhörung der Beteiligten wurde der Gegenstandswert im Verfahren nach den §§ 23 Abs. 3
RVG, 33 Abs. 3 RVG auf 4.000,00 EUR festgesetzt (nach LAG Hamm, Beschluss vom 05.11.2007, 10 Ta
609/07).