Urteil des ArbG Freiburg vom 16.01.2003

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ArbG Freiburg Urteil vom 16.1.2003, 13 Ca 302/02
Vorformulierter Arbeitsvertrag - Vertragsstrafe
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.500,00 EUR (i. W. eintausendfünfhundert Euro) nebst 5 % Zinsen aus diesem Betrag über dem
Basiszins seit 31.10.2002 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Streitwert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Bezahlung einer Vertragsstrafe.
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Die Parteien schlossen am 29.05.2002 einen Arbeitsvertrag, wonach der Beklagte ab 01.09.2002 als Maschinenbautechniker/Konstrukteur bei
der Klägerin arbeiten sollte. Das vereinbarte Monatsgehalt betrug 3.000,00 EUR. In dem von der Klägerin vorformulierten Arbeitsvertrag hieß es
u. a.:
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"§ 1 Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses
...
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(3) Die ersten 6 Monate der Dauer des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit. Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis mit einer
Frist von 2 Wochen gekündigt werden.
...
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§ 9 Vertragsstrafenklausel
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Der/Die Arbeitnehmer/in hat eine Vertragsstrafe in Höhe eines Bruttomonatsgehaltes zu zahlen, wenn er/sie
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-- das Anstellungsverhältnis nicht antritt oder
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-- seine/ihre Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung dauerhaft verweigert, ohne dass ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB
vorliegt oder
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-- die Arbeitgeberin durch schuldhaft vertragswidriges Verhalten zur fristlosen Kündigung des Anstellungsverhältnisses gemäß § 626 BGB
veranlaßt.
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Die Geltendmachung weiterer Schadensersatzansprüche bleibt hiervon jeweils unberührt."
11 Mit Schreiben vom 27.08.2002 erklärte der Beklagte, er werde das Arbeitsverhältnis nicht antreten. Zugleich sprach er die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses aus. Der Beklagte nahm die Arbeit tatsächlich nicht auf.
12 Die Klägerin forderte den Beklagten zur Zahlung einer Vertragsstrafe von 3.000,00 EUR bis 30.10.2002 auf (Aktenseite 14).
13 Mit der vorliegenden Klage begehrt sie die Zahlung der Vertragsstrafe.
14 Die Klägerin beantragt:
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Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Vertragsstrafe in Höhe von 3.000,00 EUR nebst 5 % Zinsen aus diesem Betrag über dem
Basiszinssatz seit 31.10.2002 zu zahlen.
16 Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen. Hilfsweise beantragt er die Herabsetzung der Vertragsstrafe.
18 Der Beklagte behauptet, wenn er die Arbeit angetreten hätte, hätte die Klägerin ihn in den ersten beiden Septemberwochen auf eine Schulung
geschickt. In diesem Fall wären der Klägerin höhere Kosten entstanden als durch sein Fernbleiben. Der Beklagte meint, die
Vertragsstrafenvereinbarung sei insbesondere deshalb unzulässig, weil die Höhe der Vertragsstrafe unangemessen sei. Eine Herabsetzung der
Vertragsstrafe sei wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion ausgeschlossen.
19 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und die Protokolle der mündlichen
Verhandlungen vom 03.12.2002 und 16.01.2003 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Beklagte ist gemäß § 9 des Arbeitsvertrages i. V. m. §
339 S. 1 BGB zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet. Die Vertragsstrafenklausel im Arbeitsvertrag der
Parteien ist wirksam. Die Vertragsstrafe ist verfallen. Sie ist jedoch auf einen halben Bruttomonatsverdienst
des Beklagten herabzusetzen.
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1. Das Vertragsstrafeversprechen in § 9 des Arbeitsvertrages ist wirksam.
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a) Nach § 339 BGB kann eine Vertragsstrafe für den Fall vereinbart werden, dass der Schuldner eine Vereinbarung nicht oder nicht in
gehöriger Weise erfüllt. Diese Norm ist als Bestimmung des allgemeinen Schuldrechts auch auf Arbeitsverhältnisse anwendbar.
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b) Die Pflichtverletzung, die die Strafe auslöst, ist mit den Worten "wenn (der Arbeitnehmer) das Anstellungsverhältnis nicht antritt" klar
bezeichnet. Die Voraussetzungen, die zur Verwirkung der Vertragsstrafe führen, sind genau bestimmt. Der Beklagte konnte sich in
seinem Verhalten darauf einstellen.
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c) Die Vertragsstrafenabrede konnte auch in einem vorformulierten Arbeitsvertrag getroffen werden.
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Die Klausel ist anhand der §§ 305 ff. BGB n.F. zu überprüfen, weil sie eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist.
Die Klägerin hat den Arbeitsvertrag für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert hat und sie dem Beklagten bei Abschluss des
Vertrages gestellt (§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB).
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Die Klausel ist weder überraschend noch mehrdeutig (§ 305c BGB) noch haben die Parteien eine vorrangige Individualabrede
getroffen (§ 305b BGB).
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Zwar widerspricht die Klausel § 309 Nr. 6 BGB, wonach in allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Bestimmung unwirksam ist,
durch die dem Verwender für den Fall, dass der andere Vertragsteil sich vom Vertrag löst, die Zahlung einer Vertragsstrafe
versprochen wird. Einer Anwendung des § 309 Nr. 6 BGB auf Arbeitsverträge stehen jedoch die im Arbeitsrecht geltenden
Besonderheiten entgegen (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB). Bei Arbeitsverträgen ist die Interessen- und Rechtslage nämlich anders als
bei Verträgen über die Erbringung von Waren- oder Werkleistungen: § 309 Nr. 6 BGB ist an dem Fall orientiert, dass der Erbringer
der vertragscharakteristischen Leistung die Vertragsstrafenklausel stellt, obwohl er typischerweise seinen Anspruch auf die
Hauptleistung (= Zahlung des Entgelts) einfach durchsetzen könnte und auch etwaig eintretende Vermögensschäden einfach
darstellen könnte. Diese Konstellation ist im Arbeitsrecht nicht gegeben. Hier ist Verwender der allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Arbeitgeber als die Partei, die das Entgelt für die Leistung zahlt. Wenn der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung zur Arbeitsleitung
nicht nachkommt, hat der Arbeitgeber faktisch keine Möglichkeit, diese Hauptleistungspflicht durchzusetzen. Selbst wenn er zügig
ein Urteil erwirken kann, das den Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verurteilt, kann er dieses in der Zwangsvollstreckung nicht
durchsetzen (§ 888 Abs. 3 ZPO). Anders als ein Waren- oder Dienstleistungsschuldner hat der Arbeitgeber keinen Anspruch auf
Verzugszinsen als Mindestschadensersatz. Zudem kann er regelmäßig kaum darstellen, welchen konkreten Schaden der
Arbeitnehmer durch sein Fernbleiben von der Arbeit verursacht hat. Je komplexer die betriebliche Organisationsstruktur ist, um so
schwerer kann der Anteil jedes einzelnen Arbeitnehmers am Gewinn des Unternehmens festgestellt werden. Die Kammer folgt
damit der Entscheidung des Arbeitsgerichts Duisburg vom 14.08.2002 (Aktenzeichen 3 Ca 1676/02, NZA 2002, 1038; ebenso
Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform 2002, Rn. 250; Annuß, BB 2002, 458, 463; Lingemann, NZA 2002, 181, 191f,
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Preis, 3. Aufl., §§ 305 -- 310 BGB, Rn. 93).
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§ 9 des Arbeitsvertrages benachteiligt den Beklagten auch nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§
307 BGB). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Höhe der vereinbarten Vertragsstrafe: Allgemeine Geschäftsbedingungen
werden im Rahmen der Inhaltskontrolle typisierenden und generalisierenden Wertungen unterzogen. Hat eine Vertragsklausel
einen unangemessen benachteiligenden Inhalt, ist es für die Wirksamkeit der Klausel grundsätzlich nicht ausschlaggebend, ob sich
der benachteilige Inhalt auch im konkreten Einzelfall tatsächlich auswirkt. Entscheidend ist, welche Rechte nach dem konkreten
Inhalt der Klausel geltend gemacht werden können und welche Folgen sich daraus bei genereller Betrachtung ergeben (Erfurter
Kommentar zum Arbeitsrecht/Preis, §§ 305 -- 310 BGB Rn. 42). Bei genereller Betrachtung wird eine Vertragsstrafe in Höhe eines
Bruttomonatsgehaltes für den Fall des Vertragsbruchs des Arbeitnehmers allgemein für zulässig gehalten (Erfurter Kommentar zum
Arbeitsrecht/Preis, §§ 305 -- 310 BGB Rn. 94). Wegen der Verbots der geltungserhaltenden Reduktion im Recht der allgemeinen
Geschäftsbedingungen dürfte eine Vertragsstrafe, die auf einen höheren Betrag gerichtet ist, nach dem neuen Recht insgesamt
unzulässig sein. Die Anpassung der Höhe der Vertragsstrafe an die Besonderheiten des Einzelfalles ist hingegen keine Frage der
geltungserhaltenden Reduktion und des § 307 BGB, sondern der Herabsetzung gemäß § 343 BGB. Die Möglichkeit, eine
unangemessen hohe Vertragsstrafe herabzusetzen, besteht auch bei vorformulierten Vertragsstrafen. Die
Herabsetzungsmöglichkeit ist nämlich eine Besonderheit des Vertragsstrafenrechts und widerspricht nicht dem Verbot der
geltungserhaltenden Reduktion. Nach § 343 BGB sind bei der Entscheidung über die Angemessenheit der Strafe alle Umstände
des Einzelfalles zu berücksichtigen. Derartiges kann eine Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen keinesfalls leisten und ist
nicht Gegenstand der Inhaltskontrolle.
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2. Die Voraussetzungen des § 9 des Arbeitsvertrages sind erfüllt, da der Beklagte das Anstellungsverhältnis nicht angetreten hat, obwohl er
dazu verpflichtet gewesen war. Der Beklagte hat damit schuldhaft die Unmöglichkeit seiner Leistung ausgelöst, was dem Verzug i. S. d. §
339 S. 1 BGB gleichsteht.
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3. Auf Antrag des Beklagten ist die in § 9 des Arbeitsvertrages vereinbarte und durch unterbliebenen Arbeitsantritt auch verwirkte
Vertragsstrafe gemäß § 343 Abs. 1 BGB auf einen halben Bruttomonatsverdienst zu 1.500,00 EUR herabzusetzen.
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a) Nach § 343 Abs. 1 BGB kann auf Antrag des Schuldners eine unverhältnismäßig hohe verwirkte Vertragsstrafe durch Urteil auf den
angemessenen Betrag herabgesetzt werden. Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist jedes berechtigte Interesse des Gläubigers,
nicht bloß das Vermögensinteresse, in Betracht zu ziehen. Maßgeblich sind neben dem Grad des Verschuldens auch die wirtschaftliche
Lage des Schuldners. Ein möglicherweise entstandener Schaden kann berücksichtigt werden. Dagegen rechtfertigt das Fehlen eines
Schadens alleine noch nicht die Herabsetzung der Vertragsstrafe.
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Zur Feststellung der Angemessenheit einer im Fall des Vertragsbruches verwirkten Vertragsstrafe ist auch die maßgebliche
Kündigungsfrist von Bedeutung. Denn hierin kommt zum Ausdruck, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeitgeber im
Beendigungsfall Arbeitsleistungen vom Arbeitnehmer verlangen kann bzw. in welchem Umfang der Arbeitnehmer seiner
Hauptleistungspflicht nicht nachkommt.
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Ein weiterer gewichtiger Aspekt ist die Frage, ob der Arbeitnehmer die Arbeit überhaupt nicht aufnimmt oder sie vorzeitig beendet,
nachdem er zunächst gearbeitet hat. Regelmäßig muss ein Arbeitnehmer bei einer qualifizierten Beschäftigung zu Beginn des
Arbeitsverhältnisses eingearbeitet werden, während er bei Beendigung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses Arbeitsvorgänge
abzuschließen bzw. an einen etwaigen Nachfolger zu übergeben hat. Insoweit kann das Interesse des Arbeitgebers an der
Arbeitsleistung des Arbeitnehmers unterschiedlich hoch sein.
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b) In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist die verwirkte Vertragsstrafe nach § 343 Abs. 1 BGB auf einen halben
Bruttomonatsverdienst herabzusetzen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit ist zugunsten der Klägerin zwar ihr berechtigtes
Interesse an der Sicherung der Vertragstreue des Beklagten zu berücksichtigen. Jedoch ist dieses Sicherungsinteresse durch die
zwischen den Parteien vereinbarte Kündigungsfrist von 2 Wochen in den ersten 6 Monaten nach Arbeitsaufnahme beschränkt. Das
wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Durchführung des Vertrages bei rechtmäßigem Verhalten des Beklagten war in der
Probezeit auf eine Zeitdauer von 2 Wochen reduziert. Hinzu kommt, dass der Beklagte die Arbeit überhaupt erst aufnehmen sollte.
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Hingegen berücksichtigt die Kammer den Vortrag des Beklagten, das Interesse der Klägerin an der Durchführung des Vertrages sei
deshalb sehr gering, weil er in den ersten beiden Wochen eine Schulung hätte besuchen wollen, nicht. Zum einen ist der Beklagte,
der für die Tatsachen, aus der sich die Unverhältnismäßigkeit der Vertragsstrafe ergeben soll, beweispflichtig und hat keinen
Beweis angeboten. Zum anderen kommt es nicht darauf an, welche Arbeit dem Beklagten zugewiesen worden wäre, wenn die
Klägerin bei Arbeitsantritt von einem längerfristigen Arbeitsverhältnis ausgegangen wäre. Entscheidend kann allenfalls sein, welche
Arbeiten die Klägerin dem Beklagten zugewiesen hätte, wenn dieser das Arbeitsverhältnis bei Arbeitsantritt gekündigt und dann
während der Kündigungsfrist gearbeitet hätte. In diesem Punkt wurde nichts dazu vorgetragen, dass die möglichen
Arbeitsleistungen für die Klägerin keinen Wert gehabt hätten.
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4. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1 BGB.
II.
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Die Kosten des Rechtsstreits werden gemäß § 92 Abs. 2 Satz 2 ZPO gegeneinander aufgehoben. Der Streitwert wird gemäß § 61 Abs. 1
ArbGG in Höhe der bezifferten Klagforderung festgesetzt.