Urteil des ArbG Freiburg vom 14.01.2010

ArbG Freiburg (aufgaben, abmahnung, gewissensfreiheit, treu und glauben, berufliches fortkommen, religiöse handlung, verhältnis zwischen, tochter, arbeitnehmer, personalakte)

ArbG Freiburg Urteil vom 14.1.2010, 13 Ca 331/09
Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte - Arbeitsverweigerung - Konflikt zwischen
Direktionsrecht und Gewissensfreiheit: Betrauung einer Auszubildenden, die der Religionsgemeinschaft
der Zeugen Jehovas angehört, mit der Vorbereitung von Fasnachtsveranstaltungen
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 700,00 EUR.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, die ihr unter dem 05.05.2009 erteilte Abmahnung zu widerrufen und
aus der Personalakte zu entfernen.
2
Die Klägerin wurde mit Vertrag vom 28.10.2008 als Auszubildende zur Verwaltungsfachangestellten bei der
Beklagten eingestellt. Dort ist sie derzeit eine von sieben Auszubildenden.
3
Die Klägerin ist Angehörige der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Dies teilte sie beim
Einstellungsgespräch auch mit.
4
Die Beklagte ist eine Hochburg der schwäbisch-alemannischen Fasnacht.
5
Vor diesem Hintergrund erteilte sie der Klägerin - über ihre Eltern - unter dem 05.05.2009 eine Abmahnung, die
auszugsweise den folgenden Wortlaut hat:
6
„(…)
7
mit unserem Schreiben vom 03.02.2009 informierten wir Sie darüber, dass im Rahmen des
Ausbildungsvertrages, den Sie für Ihre Tochter mit der Stadt … geschlossen haben, u.a. folgende
Ausbildungsziele in der praktischen Ausbildung stehen:
8
1. die Vermittlung von Fertigkeiten und Kenntnisse der Berufsbildposition Arbeitsorganisation, dabei
insbesondere die persönliche Arbeitsorganisation rationell und zweckmäßig zu gestalten sowie Lern- und
Arbeitsmethoden aufgabenorientiert einzusetzen, Termine zu planen und erforderliche Maßnahmen
einzuleiten sowie
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2. im Rahmen der Kommunikation und Kooperation das Erbringen von externen und internen
Dienstleistungen auf der Grundlage des Qualitätsmerkmals der Bürger- und Kundenorientierung, das
Beitragen, um Kommunikationsstörungen zu vermeiden und die Bewertung des Wirkens des eigenen
Handelns auf Betroffene und die Öffentlichkeit.
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Die schulischen Leistungen ihrer Tochter im Rahmen der besuchten Berufsschule haben darauf keinen
Einfluss.
11
Wir wiesen in dem Schreiben sowie persönlichen Gesprächen mit Ihrer Tochter S. gleichzeitig darauf hin,
dass es in unserer Verwaltung üblich ist, im Rahmen von Azubiprojekten an Stadtmarketingaktivitäten
teilzunehmen und dadurch Teamarbeit zu üben, kommunalpolitische Themen aufzuarbeiten und von der
Finanzierung über die Organisation und Beschaffung eigenständig zu bearbeiten. Unsererseits wurde
sowohl in unserem o.g. Schreiben als auch in mehreren Gesprächen mit Ihnen als Eltern und Ihrer Tochter
betont, dass wir auf Glaubensaspekte durchaus Rücksicht nehmen, sofern diese geschützt sind.
12
Bereits beim Azubiprojekt vor Weihnachten hat Ihre Tochter aus religiösen Gründen eine Unterstützung der
anderen Auszubildenden verweigert und damit den sozialen Betriebsfrieden stark belastet. Von einer
Ermahnung haben wir zu dem Zeitpunkt abgesehen.
13
Am 17.02.2009 wurde S. unsererseits gebeten, bei den anstehenden Vorbereitungen für die
Fasnetveranstaltung zu helfen. Auch ist eines der Azubiprojekte. Ihre Tochter verwies in Ihrem Schreiben
an mich und teilte mit, sie halte uneingeschränkt an den dort gemachten Ausführungen fest. Sie werde
sich nicht an den Vorbereitungen für Fasnet beteiligen. Da zwei Auszubildende aufgrund schulischer
Verpflichtungen nicht verfügbar waren, mussten sämtliche anfallenden Arbeiten erneut von einer
Auszubildenden übernommen werden. Wie beim Weihnachtsprojekt ging es auch in diesem Fall weder um
eine religiöse Handlung noch darum, sie für ein fasnächtliches Treiben zu gewinnen. Daher sehen wir auch
diesmal keinen Grund für ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 275 III BGB.
14
Wir mahnen Ihre Tochter deswegen ab. (…)“
15 Wegen der weiteren Einzelheiten des Abmahnschreibens wird auf die Anlage K1, Aktenblatt 14 f., verwiesen.
16 Zu diesem unstreitig auch feststehenden zugrundeliegenden Sachverhalt machte die Klägerin persönlich zur
Vorbereitung des Gerichtstermins auszugsweise folgende Ausführungen:
17
„(…)
18
Im Folgenden gehe ich auf meinen Gewissenskonflikt bezüglich der Tätigkeiten an Fastnacht ein und
schildere, wie einzelne Fastnachtsbräuche zu meinem Gewissenskonflikt beitragen!
19
Nachdem es mir durch mein biblisch geschultes Gewissen unmöglich war, an den
Weihnachtsvorbereitungen mitzuwirken, habe ich versucht, für Fastnacht ein Lösung zu finden. Daher ging
ich zu der Besprechung unter den Auszubildenden am 26. Januar 2009. Diese Besprechung beinhaltete
zunächst die Entscheidung für ein Motto der Fastnachtsbar. Ich hielt mich dabei zurück! Letztendlich kann
man zu dem Motto: „Vampire, Geister, Teufel und Hölle“. Bereits das Motto hat mich erschüttert. Als
Christ glaube ich an die Existenz des Teufels - der Widersacher Gottes, dessen Lebensweise wir absolut
verabscheuen. Deshalb brachte dieses Motto schon den ersten Gewissenskonflikt. Ich mache mich über
Darstellungen und Wirken des Teufels nicht lustig, sondern sehe im Teufel ein Geistgeschöpf, welches
Menschen beeinflussen kann.
20
(…)“
21
Wie steht Gottes Wort zur schwäbisch-alemannischen Fasnacht?
22
Die Bibel hat nichts gegen Freude und Geselligkeiten.
23
Ist es wirklich nur Freude was Fasnacht bringt, oder tun die Menschen im fastnächtlichen Treiben auch
Dinge, welche sie Wochen oder sogar Jahre danach noch bereuen?
24
Nicht umsonst bezeichnen die augustinischen Lehren die Fasnacht als „Teufelsstaat, die Fastenzeit als
„Gottesstaat“. Auch die Bibel zieht einen klaren Strich zwischen positiven und negativen Verhaltensweisen
von Menschen. Sie unterscheidet im Galater, Kapitel 5 zwischen den Werken des Fleisches und Früchten
des Geistes . In Galater, Kapitel 5, Verse 19-21 werden unter andrem folgende Werke des Fleisches
aufgeführt: Hurerei, zügelloser Wandel, Ausübung von Spiritismus, Trinkgelage, Schwelgereien usw.
25
Keiner will sicherlich bestreiten, dass bei der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, Verhaltensweisen wie
oben in Galater 5:19-21 aufgezählt, an der Tagesordnung sind!
26
Wie kann ich mich am Fastnachtstreiben beteiligen, und gleichzeitig die Anerkennung Jehovas behalten?
Selbst bei der mittelalterlichen augustinischen Lehre hat sich der „Teufelsstaat“ mit dem „Gottesstaat“
nicht vertragen. Das waren absolute Gegensätze. So sind die schwäbisch-alemannischen Fasnacht und
Gottes Wort die Bibel ebenfalls absolute Gegensätze.
27
Das Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurde missachtet, da der Anspruch nach eigener
Glaubensüberzeugung leben und handeln zu dürfen, nicht gewährt wurde. Die Religionsausübung wurde
gestört, da man mir schon durch das Motto der Fastnachtsbar glauben machen wollte, dass man sich über
Geistgeschöpfe (Teufel) lustig machen kann. Geistgeschöpfe sind stärkere Wesen als Menschen.
28
Die gesamte Ausbildung bei der Stadt … macht mir Freude und ich bin gewillt, sie auch fortzuführen.
29
(…)“
30 Wegen der weiteren Einzelheiten der persönlichen Darstellung wird auf die Aktenblätter 45 - 47 verwiesen.
31 Insofern weigerte sich die Klägerin, bei der Fasnacht 2009 an folgenden Aufgaben teilzunehmen: Beschaffen
von Dekorationsmaterial, das Finden eines Mottos, diverse Dekorationsarbeiten im und am Rathausgebäude,
organisieren einer fasnächtlichen Bewirtung von Beschäftigten und der Öffentlichkeit. Diese Aufgaben fallen bei
der Beklagten jährlich an, genauso wie die Aufgaben in Zusammenhang mit der Vorbereitung des
Weihnachtsfestes.
32 Diese Aufgaben im Rahmen des Stadtmarketings sind so im Ausbildungsvertrag der Klägerin nicht explizit
aufgeführt. Vielmehr wurden sie durch die Beklagte im Rahmen der Ausübung ihres Direktionsrechtes der
Klägerin übertragen. Im Rahmen des Einstellungsgespräches wurde die Klägerin durch die Hauptamtsleiterin
Frau G. auf die Aufgaben im Zusammenhang mit der Fasnacht hingewiesen. Sie erwiderte darauf nichts.
Zudem ist es bei der Beklagten seit Jahren üblich, dass das Stadtmarketing in diesem Punkten in den
Aufgabenbereich der Auszubildenden fällt.
33 Die Klägerin trägt vor,
34 sie habe einen Anspruch darauf, dass die ihr erteilte Abmahnung widerrufen und aus der Personalakte entfernt
werde. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass die durch die Beklagtenseite aufgeführten Einzelheiten zum
Ausbildungsziel einer Verwaltungsfachangestellten keine Beteiligung an Stadtmarketingprojekten aufwiesen.
Zudem fänden sich in allen dem Ausbildungsverhältnis zugrunde liegenden Regelungswerken nur rahmenmäßig
umschriebene Leistungspflichten, woraus folge, dass die Beklagte aufgrund ihres Weisungsrechtes nur
Aufgaben nach billigem Ermessen zuweisen könne. Im vorliegenden Fall sei die Grenze die Glaubens- und
Gewissensfreiheit der Klägerin, welche die Anwendung des sogenannten subjektiven Gewissensbegriffes
erfordere, als Grenze des Direktionsrechtes einschlägig. Auch stellten Fasnachtsvorbereitungen nicht bloße
kommunalpolitische Aufgaben ohne religiösen oder heidnischen Bezug dar. Die Begehung eines Brauchtums
könne durchaus gegen das Gewissen des Einzelnen - wie hier der Klägerin - gerichtet sein. Auch dann, wenn
es sich also bei einer solchen Veranstaltung um kein katholisches Kirchenfest handele, berühre der dabei
betriebene Hexen- und Dämonenkult durchaus die religiösen Gefühle der Klägerin und verletze sie bei einer
erzwungenen Mitwirkung in ihrer Gewissensfreiheit. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der subjektive
Gewissensbegriff und der darauf beruhende Konflikt eben individuell zu beurteilen sei. Weiter sei zu
berücksichtigen, dass die Klägerin eben bei Vertragsschluss erklärt habe, dass die Angehörige der Zeugen
Jehova sei. Ihrer Auffassung nach gehörten diese Tätigkeiten des Stadtmarketings nicht zum Kernbereich
einer Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten. Zudem müsse die Beklagte berücksichtigen, dass die
Klägerin im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses lediglich noch dreimal mit Tätigkeiten im Zusammenhang
mit Fasnachtsveranstaltungen in Berührung komme und es hierfür keineswegs entscheidend auf ihre
Mitwirkung ankommen könne. Daher sei die Abmahnung bereits unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
aus der Personalakte zu entfernen.
35 Vor diesem Hintergrund beantragt die Klägerin zuletzt,
36
die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 05.05.2009 zu widerrufen und aus der
Personalakte zu entfernen.
37 Die Beklagte beantragt,
38
die Klage abzuweisen.
39 Sie führt aus,
40 die Abmahnung sei zu Recht erfolgt. In allererster Linie sei zu berücksichtigen, dass die
Fasnachtsvorbereitungen eine bloße kommunalpolitische Aufgabe ohne jeden religiösen oder heidnischen
Bezug darstellten. Ziel sei es alleine, den Auszubildenden in Teamarbeit gemeinsam die Projektrealisierung zu
ermöglichen. Zudem sei bei der Klägerin auch nicht erkennbar, dass die Verweigerung tatsächlich von einer
religiösen Überzeugung getragen sei. Dies zeige sich darin, dass die Klägerin - dies ist unstreitig - auch in der
Vergangenheit bereits als Wahlhelferin mitgewirkt habe, dies allerdings eine Tätigkeit sei, die den Zeugen
Jehovas untersagt sei. Auch habe es befremdlich gewirkt, dass die Klägerin die Bitte, als Fahnenträgerin für
die Beklagte beim badischen Umzug anlässlich des jährlichen Stadtfestes aufzutreten, zunächst deshalb
abgewiesen habe, weil sie ihren erkrankten Großvater habe pflegen müssen, später allerdings nachgeschoben
habe, dass ihr diese Tätigkeit aufgrund ihres Bekenntnisses zu den Zeugen Jehovas unmöglich sei. Dies zeige
ein letztlich inkonsequentes Verhalten.
41 Schließlich sei im Rahmen einer auf jeden Fall zu treffenden Abwägung zu berücksichtigen, dass durch das
Verhalten der Klägerin die Beklagte in ihrer Unternehmerfreiheit gestört worden sei. Das Interesse der
Beklagten sei es, betriebliche Abläufe reibungsfrei zu organisieren. Im Rahmen des Abwägungsvorganges sei
maßgeblich zu berücksichtigen, ob die nunmehr eingetretene Situation für die Klägerin auch vorhersehbar
gewesen sei. Darüber hinaus sei es der Beklagten auch nicht möglich gewesen, die Tätigkeiten an andere
Auszubildende zu übertragen. Die Stadtmarketingaktivitäten würden den Auszubildenden stets
gemeinschaftlich übertragen. Eine Auswahl sei nicht möglich. Zudem seien bis auf die Klägerin und eine
weitere Auszubildende alle anderen im Blockunterricht und auf einem Lehrgang gewesen. Daher hätten die
Aufgaben letztendlich - auch dies ist unstreitig - von der einen verbliebenden Auszubildenden erledigt werden
müssen. Hierdurch sei der Teamgeist stark beeinträchtigt worden.
42 Zu guter Letzt bestehe auch eine Wiederholungsgefahr, da im Rahmen der Ausbildung noch weitere
Fasnachtsfeste anstünden.
43 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie die Protokolle der Güte- als auch der Kammerverhandlung verwiesen.
44 Die Kammer hat ohne Beweiserhebung entschieden.
Entscheidungsgründe
45 Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
46 Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte gem. den §§ 1004, 823
BGB analog bzw. gem. §§ 611, 242 BGB.
47 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber im Rahmen seiner allgemeinen
Fürsorgepflicht auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Er muss
daher unter Umständen besondere Maßnahmen treffen, die die Entstehung eines Schadens und damit eine
Beeinträchtigung des Fortkommens eines Arbeitnehmers verhindern können (BAGE 09.02.1977 - 5 AZR 2/76).
Der Umfang dieser Fürsorgepflicht ist im Einzelfall aufgrund einer eingehenden Abwägung der beiderseitigen
Interessen zu bestimmen (BAGE 17.03.1970 - 5 AZR 263/69). Der Arbeitgeber muss im Rahmen seiner
Fürsorgepflicht dafür Sorge tragen, dass die Personalakten ein richtiges Bild des Arbeitnehmers in dienstlichen
und persönlichen Beziehungen vermitteln (BAGE 7, 273). Die Fürsorgepflicht ist somit Ausfluss des in § 242
niedergelegten Gedankens von Treu und Glauben, der den Inhalt aller Schuldverhältnisse bestimmt.
48 Hieraus folgt, dass der Arbeitnehmer die Entfernung einer missbilligenden Äußerung des Arbeitgebers
verlangen kann, wenn diese nach Form oder Inhalt geeignet ist, ihn in seiner Rechtsstellung zu
beeinträchtigen. Denn solche formellen Rügen können, wenn sie unberechtigt sind, Grundlage für eine falsche
Beurteilung des Arbeitnehmers sein und dadurch sein berufliches Fortkommen behindern oder andere
arbeitsrechtliche Nachteile mit sich bringen.
49 Grundsätzlich wird der Anspruch der Klägerin auf Entfernung nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie
berechtigt ist, eine Gegendarstellung zu den Personalakten zu reichen. Das Recht, die Entfernung unrichtiger
Angaben aus der Personalakte zu verlangen, besteht neben diesem Gegendarstellungsrecht (BAGE 7, 267;
BAGE 24, 247).
50 2. Vorliegend liegt eine ungerechtfertigte Arbeitsverweigerung durch die Klägerin vor, eine Abmahnung konnte
zu Recht erfolgen.
51 Wenn der Arbeitnehmer eine Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt, ist die Arbeitsverweigerung
grundsätzlich ein tauglicher Grund für eine Abmahnung. Entscheidend ist daher stets, ob der Arbeitnehmer
jeweils tatsächlich seine Arbeitspflicht (schuldhaft) verletzt hat.
52 Gerade dies ist bei der Klägerin der Fall. Dies begründet sich wie folgt:
53 Zunächst hat die Beklagte das ihr zustehende Direktionsrecht in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.
54
a) Dem Arbeitgeber steht ein Direktionsrecht gemäß § 106 Satz 1 GewO dann zu, wenn der Inhalt des
Arbeits- bzw. Ausbildungsverhältnisses nicht bereits durch den Arbeitsvertrag hinreichend konkretisiert ist.
Mangels näherer Konkretisierung im Ausbildungsvertrag ist hier davon auszugehen, dass eine
arbeitsvertragliche Konkretisierung nicht gegeben ist, so dass das Direktionsrecht der Beklagten
einschlägig ist.
55
Allerdings sieht § 106 Satz 1 GewO ein Direktionsrecht nur in den Grenzen des billigen Ermessens vor.
Diese Grenzen sind durch die Grundrechte gezogen, die durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte
Gewissensfreiheit der Klägerin entfaltet sog. Drittwirkung.
56
Im Rahmen der nunmehr vorzunehmenden Prüfung, ob die Beklagte bei ihrer Weisung diese Grenzen
beachtet hat, ist festzustellen, dass dies vorliegend der Fall ist. Der für die Klägerin entstehende
Gewissenskonflikt ist von dieser hinzunehmen.
57
Maßgebend ist vorliegend der sogenannte „subjektive Gewissensbegriff“, den das Bundesarbeitsgericht in
seiner ständigen Rechtsprechung vertritt (vgl. statt vieler BAG vom 24.05.1989 - 2 AZR 285/88). Danach
ist die Gewissensentscheidung eines Arbeitnehmers nicht auf ihre Vernünftigkeit hin zu untersuchen, es
reicht vielmehr aus, wenn der Arbeitnehmer darlegen kann, dass seine Entscheidung tief innerlich
begründet, für ihn absolut verbindlich ist und Ausfluss seiner Selbstbestimmung ist.
58
Die Klägerin hat ihre Weigerungsgründe mit ihrer Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft der Zeugen
Jehovas begründet. Insbesondere hat sie sich in ihrer persönlichen Stellungnahme (Aktenblatt 45 - 47)
konkret auf die historischen Wurzeln der Fasnacht bezogen und begründet sodann unter Zitierung von
Bibelstellen, weshalb sie sich nicht dazu in der Lage sieht, die ihr übertragenen Aufgaben auszuführen.
Dass diese Ausführungen der Klägerin nicht bloße Schutzbehauptungen sind, zeigt sich darin, dass sie
trotz der für sie gegebenen Gefahr weiterer Abmahnungen und sogar des Verlustes des
Ausbildungsplatzes bis zuletzt nicht bereit war, einzulenken und sich bereit zu erklären, in Zukunft
entsprechende Aufgaben zu erledigen, dies insbesondere trotz des im Kammertermin durch die
Beklagtenseite gemachten großzügigen Vergleichsangebotes (vgl. dazu Abl. 41). Diese innere
Überzeugung, die die Klägerin auch fest nach außen vertritt, hat sich dem Vorsitzenden im Gütetermin und
der Kammer in der Kammerverhandlung eindeutig und im Punkt Fasnacht auch vollkommen konsequent
präsentiert. Es war ersichtlich, dass die Ausführungen der Klägerin für sie absolut verbindlich sind und für
sie persönlich kein Abweichen rechtfertigen. Von daher wurde in die Gewissensfreiheit der Klägerin durch
die Weisung, bei der Vorbereitung der Fasnachtsveranstaltung mitzuwirken, eingegriffen. Hierbei war es
dann letztlich auch nicht entscheidend, welchem Bereich genau die Fasnacht zuzuordnen ist (religiös oder
nicht religiös). Entscheidend ist, dass eben die von religiösen Ansichten grundsätzlich unabhängig zu
beurteilende Gewissensfreiheit der Klägerin tangiert wurde. Grund hierfür ist, dass im Rahmen des
subjektiven Gewissensbegriffes individuell zu beurteilen ist, inwiefern und ob das Gewissen des Einzelnen
berührt ist. Diese Tangierung ist auch bei der Begehung eines bloßen Brauchtums, und dies sogar bei
Aufgaben, die nur einen Randbereich betreffen, möglich.
59
Insofern findet das Direktionsrecht auf erster Stufe seine Grenze an der Gewissensfreiheit der Klägerin.
60
b) Der Eingriff in die Gewissensfreiheit der Klägerin ist vorliegend allerdings von dieser hinzunehmen. Es
hat grundsätzlich auf zweiter Stufe eine Interessenabwägung der beeinträchtigten Interessen der
Beklagtenseite als auch der Klägerseite zu erfolgen (BAG vom 24.05.1989 - 2 AZR 285/88).
61
Eine objektive Einschränkung der Gewissensentscheidung ist dabei praktisch nicht notwendig, um zu
einem interessengerechten Ausgleich zwischen Gewissensfreiheit einerseits und Vertragstreue
andererseits zu gelangen. Das billige Ermessen im Sinne von § 106 GewO ist unter Abwägung der
Interessenlage beider Vertragsparteien festzustellen, wobei es letztlich eine Frage des Einzelfalles ist, ob
die Zuweisung einer Tätigkeit, die den Arbeitnehmer in Gewissenskonflikt bringt, nicht der Billigkeit des §
106 GewO entspricht und der Arbeitnehmer daher nicht verpflichtet ist, diese Tätigkeit auszuüben. Damit
wird nicht die subjektive, auf objektiv vorliegende und insoweit vom Gericht überprüfbare Tatsachen
gestützte Gewissensentscheidung einer richterlichen Kontrolle unterzogen. Es wird vielmehr im Rahmen
einer Interessenabwägung nur geprüft, ob der Arbeitnehmer trotz eines in seiner Person liegenden
Hinderungsgrundes die Arbeit überhaupt weiter zu verrichten oder wegen ganz besonderer Umstände
kurzfristig zu erbringen hat.
62
Auf der Seiten der Klägerin steht wie unter a) festgestellt, die tangierte Gewissensfreiheit. Die Beklagte
wiederum hat Interesse daran, dass ihre betriebliche Organisation reibungsfrei abläuft.
63
Maßgebendes Kriterium zugunsten der Beklagten und für eine Hinnehmbarkeit der Beeinträchtigung der
Gewissensfreiheit - also des Gewissenskonfliktes - der Klägerin ist nach zutreffender Ansicht die
Vorhersehbarkeit für die Klägerin (vgl. hierzu BAG vom 24.05.1989 - 2 AZR 285/88, DB 1990, Seite 212).
Zuletzt in der mündlichen Verhandlung konnte klargestellt werden, dass die Klägerin im
Einstellungsgespräch darauf hingewiesen wurde, dass sie im Rahmen des Stadtmarketings auch Aufgaben
der Fasnachtsvorbereitung zusammen mit den anderen Auszubildenden zu erfüllen hat. Hierauf hat die
Klägerin keinerlei Einwendungen erhoben, obwohl sie zuletzt ebenfalls in der Kammerverhandlung
klargestellt hat, dass es ihr aus Gewissensgründen nicht möglich ist, irgendwelche Handlungen im
Zusammenhang mit der Fasnacht - egal wie unmittelbar der Brauchtum betroffen ist - auszuführen. Dies
allerdings hätte der Klägerin oblegen. Bei dem von ihr geschilderten Gewissenskonflikt in Bezug auf
Tätigkeiten, die auch nur im Entferntesten mit Fasnacht zu tun haben, wäre es ihre Verpflichtung gewesen,
die Beklagte hierauf hinzuweisen. Daher kann wegen der Vorhersehbarkeit und des fehlenden Hinweises an
die Beklagte der Klägerin mehr abverlangt werden, als wenn die Aufgabe für sie völlig überraschend
gewesen wäre. Insbesondere ist zugunsten der Beklagten auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte mit
weiteren vergleichbaren Konfliktfällen zu rechnen hat, insbesondere bereits in wenigen Wochen, wenn die
Fasnachtssaison 2010 ansteht. Dass es diesbezüglich - auch dies wurde in der streitigen Verhandlung vor
der Kammer dargestellt - noch keine konkrete Planung seitens der Stadt gibt, steht dieser Beurteilung nicht
entgegen. Allein entscheidend ist, dass in einer Fasnachtshochburg wie F. grundsätzlich gewisse im
Zusammenhang mit Fasnacht stehende Arbeiten anfallen und dass selbst die abstrakte Gefahr einer
weiteren Arbeitsverweigerung mit dem nach sich ziehen eines identischen Konfliktes wie im Jahre 2009 zu
befürchten steht. Zudem ist weiter zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass ihre Gewissensfreiheit
zwar in der Tat - aus ihrer Sicht auch nachvollziehbar und nachdrücklich - im Rahmen von
Fasnachts(rand)arbeiten erheblich tangiert ist, allerdings ebenfalls, dass derartige Aufgaben auf sie nicht
das ganze Jahr über zukommen. Weiter haben diese Aufgaben keinen unmittelbaren Bezug zur Fasnacht,
insbesondere ist nicht einmal eine irgendwie geartete Teilnahme der Klägerin an Veranstaltungen
erforderlich, sodass ein unmittelbarer Kontakt nicht gegeben ist. Insofern kann im Bezug auf derartige
Arbeiten gerade wegen des fehlenden Hinweises der Klägerin beim Einstellungsgespräch von der Klägerin
trotz Tangierung der Gewissensfreiheit eine gewisse Mitarbeit abverlangt werden.
64
Vor diesem Gesamthintergrund entsprach die Anweisung der Beklagtenseite noch den Anforderungen, die
an das billige Ermessen im Sinne des § 106 GewO zu stellen sind, insbesondere da die Klägerin eben
schon bei Vertragsschluss mit solchen Aufgaben konkret zu rechnen hatte (vgl. zu diesem Problemkreis
nochmals u.a. Krüger in RdA 1954, Seite 365; Seheschonka, Arbeits- und Leistungsverweigerung aus
Glaubens- und Gewissennot, Dissertation, Hamburg 1972, Seite 119). Nicht zu vergessen ist bei der
Gesamtabwägung und dem zu findenden interessengerechten Ausgleich, dass es für die Beklagte wegen
der Abwesenheit anderer Auszubildender wegen der Teilnahme am Blockunterricht nur schwer möglich ist,
die Aufgaben der Klägerin anderweitig verrichten zu lassen. Auch wäre bei kompletter Ausklammerung der
Klägerin der eigentliche Zweck der Stadtmarketingaufgabe, nämlich das Erreichen der Teamarbeit, nicht
mehr gewährleistet.
65
Zusammenfassend hat die Beklagte also ihr Direktionsrecht korrekt ausgeübt.
66
c) Das Abmahnungsschreiben genügt auch den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit.
67
Nach zutreffender Auffassung wird zunehmend die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
und ein „vertretbares Verhältnis“ zwischen Abmahnung und Fehlverhalten verlangt (BAG 13.11.1991 EzA §
611 BGB Abmahnung Nr. 24; Burger DB 1992, 837; Wilhelm NZA-RR 2002, 451). Dies ist darin begründet,
dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur das Erfordernis einer Abmahnung begründet,
sondern zugleich auch das Abmahnungsrecht des Arbeitgebers begrenzt. Mit dem Hinweis auf die
Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses greift der Arbeitgeber bereits in bestehende
Rechtspositionen des Arbeitnehmers ein und eine solche Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ist nur
gerechtfertigt, wenn ein weiteres Fehlverhalten nach Ausspruch einer Abmahnung als Grund für eine
Kündigung geeignet sein könnte, wofür ganz geringfügige Verstöße nicht in jedem Fall ausreichen (BAG
31.03.1994 EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 33). Demzufolge ist dann, wenn eine Abmahnung eine
Kündigung vorbereiten soll, diese auf Pflichtverstöße zu beschränken, die nach einer Abmahnung geeignet
sein könnten, eine Kündigung zu rechtfertigen (LAG Hamm, 17.04.1985, DB 1985, 2691 f.; LAG Bremen
28.06.1989 DB 1990 742).
68
Nach diesen Grundsätzen genügt die in dem vorliegenden Schreiben ausgesprochene Abmahnung auch
dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da gleiche Pflichtverstöße im Falle einer Wiederholung eine
Kündigung rechtfertigen können.
69
Es entspricht dem anerkennenswerten Interesse der Beklagten, dass alle Auszubildenden an einem Strang
ziehen und vorgegebene Teamaufgaben dann auch soweit wie möglich zusammen erledigen, ohne dass
einzelne Auszubildende mehr Aufgaben erledigen müssen als andere. Zudem muss sich die Beklagte
darauf verlassen können, dass für den Auszubildenden vorhersehbare Aufgaben dann auch erledigt
werden, insbesondere wenn wie hier Aufgaben gegeben sind, die nur einen Randbereich der Fasnacht
betreffen und die Beklagte nicht schon beim Einstellungsgespräch über den möglichen Gewissenskonflikt
unterrichtet wurde und daher ihre Planungen unter Einbeziehung der Klägerin machte. Zwar weiß die
Beklagte nun über den Gewissenskonflikt der Klägerin Bescheid. Allerdings wäre es für die Beklagte als
Fasnachtshochburg im Ergebnis künftig sehr schwer, der Klägerin zumindest in bestimmten Zeiten des
Jahres problemlos Aufgaben zuzuweisen, da viele Verwaltungsaufgaben in engstem Zusammenhang mit
der Fasnacht stehen, so z.B. straßenrechtliche Genehmigungen, Schankerlaubnisse usw. und nicht immer
auf den ersten Blick ersichtlich ist, ob die Klägerin diese Aufgabe auch erledigen kann.
70 Nach alledem war die Klage insgesamt abzuweisen.
II.
71 Die Nebenentscheidungen begründen sich wie folgt:
72 1. Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, vgl. § 91 ZPO.
73 2. Der festzusetzende Streitwert hatte sich an § 3 ZPO zu orientieren, dies wegen der Bedeutung der
Entfernung der Abmahnung für das weitere berufliche Fortkommen der Klägerin, insbesondere im
Ausbildungsverhältnis mit der Beklagten.