Urteil des ArbG Frankfurt an der Oder vom 15.10.2009

ArbG Frankfurt: vergütung, abfindung, anpassung, auszahlung, aufhebungsvertrag, beendigung, bonus, aufrechnung, dienstverhältnis, urlaub

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Gericht:
ArbG Frankfurt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ca 1957/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 313 Abs 1 BGB, § 313 Abs 2
BGB, § 611 BGB, § 9 KSchG, §
10 KSchG
Anspruch auf Bonuszahlung - zum "Wegfall der
Geschäftsgrundlage"
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, 1.500.000,00 EUR (in Worten: Eine Million
Fünfhunderttausend 00/100 EURO) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 12. Februar 2009 an den Kläger zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.
Der Streitwert wird auf 1.500.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche.
Der Kläger war vom 30. März 2006 bis 31. Januar 2009 bei der Beklagten bzw.
deren Rechtsvorgängerin als ... beschäftigt. Die Einzelheiten regelt ein
Dienstvertrag. In diesem Vertrag ist u. a. unter
2 b) "variable Vergütung" geregelt:
"Eine variable Vergütung, die unter Berücksichtigung der Ertragslage der ...
sowie in Erwartung weiterer engagierter Tätigkeit individuell nach
Leistungsgesichtspunkten jährlich neu festgesetzt wird. ..."
Im Übrigen wird auf den Vertrag (Bl. 54 ff d. A.) Bezug genommen.
Im Hinblick auf die sich abzeichnende Verschmelzung von ... und ... haben die
Parteien des Arbeitsvertrages ab Sommer 2008 Gespräche über die Beendigung
des Arbeitsverhältnisses geführt.
Unter dem 18. November 2008 (Bl. 103 d.A.) erhielt der Kläger folgendes
Schreiben:
"Sehr geehrter Herr
wir beziehen uns auf die mit Ihnen geführten Gespräche und bestätigen Ihnen,
dass wir Ihnen bereits jetzt für das Kalenderjahr 2008 eine variable Vergütung /
Bonuszahlung gemäß Ziff. 2 b) Ihres Dienstvertrages in Verbindung mit Ziff. 3.1 b)
Ihres Secondmentvertrages vom 10.05. und 17.05.07 in Höhe von mindestens €
3.000.000,00 brutto zusagen. Aus dieser garantierten variablen Vergütung können
keine Rechtsansprüche für die Zukunft hergeleitet werden. Die Auszahlung dieser
garantierten variablen Vergütung / Bonuszahlung nehmen wir mit Vertragsende
zum Beendigungszeitpunkt vor, soweit Sie sich zum Closing 1 in einem
ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden. Hiervon ausgenommen ist eine
Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus betriebsbedingten Gründen bzw.
Gründen, die Sie nicht zu vertreten haben. ... Bitte beachten Sie, dass diese
Garantie eine besondere Wertschätzung der Bank Ihrer Person ist und Sie deshalb
Stillschweigen gegenüber Dritten zu wahren haben. Wir setzen weiterhin auf Ihr
Engagement und Ihre Leistung"
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In einem Schreiben vom gleichen Tag haben die Parteien ebenfalls die Eckpunkte
für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses festgelegt (Bl 61.d.A.).
Bereits im November 2008 prognostizierte die Rechtsvorgängerin der Beklagten
ein negatives operatives Ergebnis in Höhe von 2,9 Milliarden EURO.
Unter dem 22. Dezember 2008 / 12. Januar 2009 schlossen die Parteien einen
Aufhebungsvertrag. In diesem Aufhebungsvertrag wird u. a. folgendes vereinbart:
"Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis endet aus
betriebsbedingten Gründen auf Veranlassung der Bank mit dem Mehrheitserwerb
der ... durch die ... (sog. Closing Transaktion Schritt 1). ....
Für das Kalenderjahr 2008 erhält der Mitarbeiter einen Bonus gemäß des
Bonusgarantieschreibens vom 30.11.2008 in Höhe von € 3.000.000,00 (in Worten:
drei Millionen EURO) brutto. ....
Die Parteien sind sich einig, dass mit diesen Regelungen unter Ziff. 2 die
Vergütungsansprüche des Mitarbeiters abschließend geregelt sind. ....
3. Als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt die ... an den
Mitarbeiter eine bereits jetzt entstandene und damit vererbbare Abfindung unter
entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG, § 24, § 34 EStG in Höhe von €
1.500.000,00 (in Worden eine Million fünfhunderttausend) brutto. Der sich
ergebende Nettobetrag wird dem Mitarbeiter Anfang Februar 2009 ausgezahlt. Mit
Blick auf die Aufgabe seines Wohnsitzes in Deutschland erfolgt die Auszahlung der
Abfindung auf eine vom Mitarbeiter der ... bis zum ersten Arbeitstag des
Abrechnungsmonates zu benennende Bankverbindung. Die Versteuerung der
Abfindung erfolgt nach den zum Zeitpunkt der Auszahlung jeweils gültigen
gesetzlichen Bestimmungen. Die anfallenden Steuern sind vom Mitarbeiter zu
tragen. ....
Sollte der Mitarbeiter bis zum Beendigungszeitpunkt gemäß Ziff. 1 dieses
Vertrages einen Arbeitsvertrag mit einer Gesellschaft des ... oder des ...
abschließen, entfallen sämtliche Ansprüche aus diesem Aufhebungsvertrag.
... Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass nach Erfüllung der
Verpflichtungen aus dieser Vereinbarung beiderseits keinerlei Ansprüche – mit
Ausnahme eventuell bestehender Konto- und Kreditverbindlichkeiten gegen die –
mehr aus dem Dienstverhältnis – insbesondere wegen Urlaub, Group Equity
Incentive planen, Vergütung und variable Gratifikation – und seiner Beendigung
bestehen und auch keine Tatsachen gegeben sind, aus denen solche Ansprüche
abgeleitet werden können."
Auf den Vertrag im Übrigen (Bl. 12 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
Im Januar 2009 wurden die € 3.000.000,00 Bonus gemäß Vertrag an den Kläger
gezahlt.
Eine Auszahlung der € 1.500.000,00 Abfindung nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses erfolgte nicht.
Unter dem 18. Februar 2009 wandten die Vorstände ... und ... an die Mitarbeiter. In
diesem Schreiben heißt es u. a.:
"Liebe Kolleginnen und Kollegen,
für ein Unternehmen gilt der gleiche Grundsatz, den auch jeder Einzelne von
Ihnen privat beherzigen wird und den ich am letzten Donnerstag in der
Öffentlichkeit bereits klar angesprochen habe: Man kann nur das ausgeben, was
man eingenommen hat. Anders gesagt: Wo Verluste erwirtschaftet werden, kann
auch nichts verteilt werden. ... Vor diesem Hintergrund haben wir uns im Vorstand
der neuen ... mit den Bonuszahlungen für das Jahr 2008 auseinandergesetzt. Nach
intensiver Diskussion haben der Vorstand der und der Vorstand der ... eine
mögliche einheitliche Regelung für ... und ... und deren Töchter beschlossen. Es
wird für 2008 keinerlei Bonuszahlungen geben. Dies gilt ausdrücklich für alle
Vorstände, alle Führungskräfte und alle Mitarbeiter der ... im In- und Ausland und
für alle hundertprozentigen Töchter, also auch für die ... und die Investmentbank
....
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Dies bedeutet im Einzelnen: ...
In beiden Häusern bezahlen wir den Mitarbeitern die vertraglich zugesicherten
Leistungen.
Für Mitarbeiter, die keine individualvertraglichen Zusagen haben, bedeutet dies
zusammengefasst: ..."
Auf das Schreiben (Bl. 63 ff. d. A.) wird verwiesen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm die € 1.500.000,00 Abfindung gemäß
Vereinbarung zustehen. Die Auszahlung könne von Seiten der Beklagten nicht
verweigert werden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, € 1.500.000,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12. Februar 2009 an ihn zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass sie zur Aufrechnung der Abfindung mit dem
zu Unrecht gezahlten Bonus berechtigt sei.
Die Geschäftsgrundlage hinsichtlich der negativen Prognose habe sich dergestalt
geändert, dass ein Festhalten der Beklagten an dem Vertrag unzumutbar sei. Es
habe sich herausgestellt, dass sich der tatsächlich negative Ergebnisbetrag zuletzt
auf eine Summe von 6,2 Milliarden EURO belaufe. Von daher sei die Beklagte zur
Anpassung des Vertrages über die Geschäftsgrundlage berechtigt. Eine
entsprechende Geltendmachung des Klägers sei nicht möglich. Die
Verschlechterung der Ertragslage, die Entwicklung der Kernkapitalquote und auch
der öffentliche Druck könnten nicht ohne Einfluss auf die entsprechende
Bonuszahlung sein.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch gemäß der
Aufhebungsvereinbarung vom 22. Dezember 2008 und 12. Januar 2009 auf
Zahlung einer Abfindung von € 1.500.000,00. Die Beklagte hat sich rechtswirksam
hierzu verpflichtet. Ferner hat sie sich wirksam zur Zahlung des
Vergütungsbetrages von € 3.000.000,00 verpflichtet.
Die Beklagte ist nicht berechtigt, die Anpassung des Vertrages vom 22. Dezember
2008 / 12. Januar 2009 wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu verlangen. Da
eine Anpassung nicht in Betracht kommt, steht der Beklagten gegen die
Abfindungsforderung des Klägers keine aufrechenbare Gegenforderung zu.
Geschäftsgrundlage sind nach ständiger Rechtsprechung die bei Abschluss des
Vertrages zu Tage getretenen und dem anderen Teil auch erkennbar gewordenen
und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die
gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem
künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf
diesen Umständen aufbaut (vgl. Palandt-Heinrichs, § 313 BGB, Anm. 4 ff.).
Voraussetzung ist, dass diese Umstände zur Grundlage des Vertrags geworden
sind oder wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrages geworden
sind, sich als falsch herausstellen. In beiden Varianten des § 313 Abs. 1 bzw. § 313
Abs. 2 BGB würde über die Geschäftsgrundlage eine entsprechende Anpassung
möglich sein.
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist nicht erkennbar, dass die Ertragslage
der Bank Geschäftsgrundlage für den Aufhebungsvertrag und die Vereinbarung
der € 3.000.000,00 variable Vergütung geworden ist.
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Dies ergibt sich aus dem Schreiben vom 18. November 2008, der Nichtaufnahme
einer Reviewklausel sowie dem bereits zu diesem Zeitpunkt prognostizierten
negativen operativen Ergebnis.
Im Schreiben vom 18. November 2008 wird als einzige Voraussetzung für die
Auszahlung der variablen Vergütung in Höhe von € 3.000.000,00 der Verbleib des
Klägers bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich dem sog. "Closing 1" im
ungekündigten Arbeitsverhältnis aufgestellt.
Auch der Umstand, dass in dem Schreiben vom 18. November 2008 ausgeführt
ist, dass die Zahlung in Ansehung der Wertschätzung des Klägers erfolge, spricht
gegen eine Ertragsabhängigkeit der Bonuszahlung. Eine Ertragsabhängigkeit ist
bei einem bereits zu diesem Zeitpunkt prognostizierten negativen Ergebnis von
minus € 2.9 Milliarden ohnehin nur schwer vorstellbar.
Dass die Ertragslage nicht Geschäftsgrundlage wurde, ergibt sich auch aus
folgenden Erwägungen:
Der Kläger konnte unbestrittenermaßen vortragen, dass im Dezember 2008 in den
Bonusbriefen an andere Mitarbeiter der Investmentbank sog. MAC-
(Materialadverse Eventclause ) Klauseln enthalten waren.
Danach sind die dort versprochenen Bonuszahlen erfolgt "unter dem Vorbehalt
eines Reviews für den Fall, dass im Rahmen der Aufstellung des Jahresabschlusses
2008 weitere wesentliche negative Abweichungen in Ertrag und Ergebnis vom DKIB
zum Forecast für die Monate November und Dezember 2008 festgestellt werden,
d. h., die Ergebnissituation in DKIB sich in diesem Zeitraum wesentlich
verschlechtert".
Die Aufnahme dieses Vorbehalts zeigt, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten
durchaus mit eventuellen Entwicklungsschwankungen rechnete.
Der Aufhebungsvertrag mit dem Kläger wurde eine Woche später ohne eine
derartige Reviewklausel unterzeichnet.
Aus dem Umstand, dass man dem Kläger eine entsprechende Zusagegarantie
ohne einen Vorbehalt erteilte, folgt nun im Umkehrschluss, dass es sich bei der
Zahlung an den Kläger um eine Bleibeprämie und gerade nicht um eine
ertragsabhängige Bonuszahlung handelte.
Dass für die Zahlung einer variablen Vergütung nicht nur die Ertragslage allein der
Bank maßgeblich ist ergibt sich bereits aus dem Arbeitsvertrag.
Dort heißt es unter 2 b) variable Vergütung, dass diese unter "Berücksichtigung
der Ertragslage der Dresdner Bank sowie in Erwartung weiterer engagierter
Tätigkeit individuell nach Leistungsgesichtspunkten jährlich neu festgesetzt wird."
Demnach war bereits im Arbeitsvertrag geregelt, dass Bonuszahlungen in
Erwartung der Erbringung bestimmter Arbeitsleistungen des Klägers erfolgten.
Dies wurde auch im Schreiben vom 18. November 2008 zum Ausdruck gebracht,
in dem ausdrücklich ausgeführt wurde:
"Wir setzen weiterhin auf Ihr Engagement und Ihre Leistung."
Dass die Beklagte nun zum Zeitpunkt November 2008 nicht die Ertragslage,
sondern allenfalls den Verbleib des Klägers und damit die Erwartung seiner
Arbeitsleistung für eine bestimmte Zeitspanne zum Gegenstand der Höhe der
Sonderzahlung gemacht hat, steht einer Anpassung des Vertrages – auch bei
Verschlechterung der Zahlen – entgegen. Da eine Anpassung der
Geschäftsgrundlage ausscheidet, kommt auch eine Aufrechnung der Abfindung
mit den bereits erfolgten Bonuszahlungen nicht in Betracht.
Der Zinsanspruch ergibt sich dem Grunde und der Höhe nach aus dem
Zahlungsverzug durch die Beklagte (§§ 286 ff. BGB).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Der Streitwert ist im Urteil festzusetzen und entspricht der Höhe des geltend
gemachten Betrages (§ 3 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.