Urteil des ArbG Essen vom 22.06.2004

ArbG Essen: ordentliche kündigung, geheime abstimmung, arbeitsgericht, ersetzung, juristische person, betriebsrat, nichtigkeit, versammlung, mehrheit, form

Arbeitsgericht Essen, 2 BV 17/04
Datum:
22.06.2004
Gericht:
Arbeitsgericht Essen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 BV 17/04
Schlagworte:
Keine Ersetzung eines in nichtiger Wahl gewählten untätigen Wahlvor-
stands durch das Arbeitsgericht / Ordnungsgemäße Einladung zu einer
Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 3 BetrVG / Einladungsfrist
Normen:
§ 17 Abs. 3 BetrVG, § 18 Abs. 1 S. 2 BetrVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1.) Die gerichtliche Ersetzung eines Wahlvorstands für die erstmalige
Wahl eines Betriebsrats wegen Untätigkeit nach § 18 Abs. 1 S. 2 BetrVG
ist unzulässig, wenn dessen Wahl nichtig gewesen ist. In diesem Fall
kann eine die Ersetzung des untätigen Wahlvorstandes betreibende, im
Betrieb vertretene Gewerkschaft nur nach § 17 Abs. 3 - 4 BetrVG
vorgehen und muss zunächst zu einer neuen Betriebsversammlung
gem. § 17 Abs. 3 BetrVG ein- laden. 2.) Eine ordnungsgemäße
Einladung zu einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 3 BetrVG muss
den Zeitpunkt, den Ort, die Einladenden und insbesondere das Thema
der Betriebsversammlung - beabsichtigte Wahl eines Wahlvorstands -
angeben. Die Einladung muss entweder alle Arbeitnehmer des Betriebs
tatsächlich erreichen oder so bekannt gemacht werden, dass diese die
Möglichkeit haben, von ihr Kenntnis zu nehmen und an der
Versammlung teilzunehmen. 3.) Hinsichtlich der Frage, welche Frist bei
der Einladung im normalen Wahlverfahren einzuhalten ist, kommt es auf
die betrieblichen Verhältnisse an. Eine Einladungsfrist von einer Woche
ist ausreichend, wenn alle Arbeitnehmer des Betriebs in demselben
Gebäude oder in benachbarten Gebäuden arbeiten. Hingegen ist eine
Einladungsfrist von nur einem Arbeitstag unzureichend.
Tenor:
Unter Zurückweisung des Antrages im übrigen wird festge-
stellt, dass die in der Betriebsversammlung vom 12. Januar
2004 erfolgte Wahl des Wahlvorstandes nichtig ist.
G r ü n d e :
1
A.
2
Die antragstellende H. betreibt die gerichtliche Ersetzung des Wahlvorstands für die
erstmalige Wahl eines Betriebsrats im Betrieb der beteiligten Arbeitgeberin [i.d.F.: der
Arbeitgeber] sowie hilfsweise die Feststellung, dass die in der Betriebsversammlung
vom 12. Januar 2004 erfolgte Wahl des Wahlvorstandes nichtig ist.
3
Der Arbeitgeber, der sich wirtschaftlich im Bereich Erstellung und Verkauf von
Gewerbeimmobilien betätigt, beschäftigt bundesweit etwa 280 Arbeitnehmer, von denen
ca. 180 in dem Betriebsgebäude in F. arbeiten. Die übrigen Beschäftigten arbeiten
bundesweit, verteilt auf verschiedene Projekte und auf verschiedene Baustellen;
außerdem betreibt der Arbeitgeber eine Betriebsstätte in München.
4
Bei dem Arbeitgeber besteht bislang kein Betriebsrat. Die antragstellende H., die im
Betrieb vertreten ist, wandte sich mit Schreiben vom 09. Dezember 2003 an den
Arbeitgeber und bat um ein Gespräch mit dem Ziel, in dessen Betrieb eine
Betriebsratswahl einzuleiten. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2003 teilte der
Arbeitgeber mit, dass ein solches Gespräch, bedingt durch die Urlaubsabwesenheit
seines Vorstands, erst in der 5.. Kalenderwoche des Jahres 2004 stattfinden könne.
5
Mit Schreiben vom 13. Januar 2004 unterrichtete der Arbeitgeber die antrag-stellende H.
dann allerdings darüber, dass es zwischenzeitlich innerbetrieblich zur Wahl eines
Wahlvorstandes gekommen sei.
6
Tatsächlich hatten sich mit einer "Aktennotiz" vom 05. Januar 2004 drei Arbeit-nehmer
wie folgt an die Beschäftigten der Betriebsstätte F. gewandt:
7
"Einladung zur Betriebsversammlung
8
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
9
als Mitglieder des Orga-Team sind wir vom Vorstand darüber informiert worden,
dass die J. beabsichtigt, eine Betriebsratswahl durchzuführen.
10
Die Unterzeichner machen von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch, zu einer
Betriebsversammlung einzuladen, um dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeiter
die notwendigen Informationen erhalten.
11
Wir sind sicher, dass es im Interesse aller Mitarbeiter liegen dürfte, über die
Abwicklung und die Vorgänge informiert zu werden.
12
Wir bitten deshalb zahlreich zu erscheinen.
13
Wann:Montag 12. Januar 2004
14
Zeit:2.:00 Uhr
15
Ort:M.
16
Wir erlauben uns abschließend die Anmerkung, dass nach den Bestimmungen des
Betriebsverfassungsgesetzes die Teilnahme an der Betriebsversammlung
entgeltpflichtige Arbeitszeit ist.
17
Mit freundlichen Grüßen
18
gez. E. gez. H. gez. T.
19
Dieses Schreiben wurde am Schwarzen Brett im Eingangsbereich des Betrie-bes
zwischen dem Zentralen Empfang und den Aufzügen im Hause des Arbeit-gebers am
Freitag, dem 09. Januar 2004 ausgehängt. Außerdem informierte die einladende
Arbeitnehmergruppe die ca. 70 bis 80 Beschäftigten des Stand-orts F., die E-Mails
empfangen können, per E-Mail vom 09. Januar 2004, 13:47 Uhr, in gleicher Weise über
die bevorstehende Betriebsversammlung.
20
An der Betriebsversammlung am darauf folgenden Montag, den 12. Januar 2004
nahmen ca. 100 Personen teil, wobei allerdings die Anzahl der anwesen-den
stimmberechtigten Arbeitnehmer nicht festgestellt wurde. In dieser Ver-sammlung, auf
der auch der nunmehrige Verfahrensbevollmächtigte des Arbeit-gebers, Rechtsanwalt
C., zugegen war und das Wahlverfahren zum BetrVG erläuterte, wurde ein aus den
Arbeitnehmern E., T. und K. bestehender Wahlvorstand sowie als Ersatzmitglied der
Arbeitnehmer H. gewählt. Ein Protokoll der Betriebsversammlung wurde nicht geführt;
diesbezüglich hat in der Folge der Wahlvorstandsvorsitzende E. in dem vor dem
Arbeitsgericht F. geführten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung - 6 (5.)
BVGa 6/04 - eidesstattlich versichert:
21
"Die Wahl und die Auszählung gestaltete sich schwierig, weil es erhebliche
Differenzen bei der Zahl der abgegebenen Stimmen gab. Die Zahlen schwankten
zwischen 78 und 98".
22
Die Zahl der anwesenden stimmberechtigten Mitarbeiter war zuvor nicht
festgehalten worden.
23
...".
24
Am 2.. Januar 2004 sprach der Arbeitgeber gegenüber dem Wahlvorstands-mitglied K.
eine mit dringenden betrieblichen Erfordernissen begründete ordentliche Kündigung
aus und stellte ihn von der Arbeit frei. In seiner Sitzung vom 22. Januar 2004 bat der
Wahlvorstand den Arbeitgeber u. a. um eine Liste aller Beschäftigten (vgl. Bl. 27/28 d.
A.).
25
Am 26. Januar 2004 fand eine von dem Vorstand des Arbeitgebers einberufene
Belegschaftsversammlung in den Räumen der Gaststätte #. statt. Gegenüber dem
Wahlvorstandsmitglied K. hatte der Arbeitgeber bereits mit Schreiben vom 23. Januar
2004 darauf hingewiesen, dass zu dieser Versammlung ausschließlich Mitarbeiter
eingeladen seien, die ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen hätten;
freigestellte Mitarbeiter, zu denen auch Herr X. gehöre, seien zu dieser Versammlung
ausdrücklich nicht eingeladen. Der Arbeitgeber kündigte in diesem Schreiben ferner an,
er werde erforderlichenfalls von seinem Hausrecht Gebrauch machen.
26
In der Belegschaftsversammlung appellierte der Vorstandsvorsitzende an die Mitarbeiter
und ließ deutlich werden, dass der Vorstand einen Betriebsrat im Sinne des
Betriebsverfassungsgesetzes nicht wünsche. Sinngemäß führte er weiter aus, dass die
Wahl eines Betriebsrats als Misstrauen gegenüber der Unternehmensleitung
27
angesehen würde, das Unternehmen jedoch bereit wäre, eine betriebsinterne Stelle
einzurichten (Obmann/Obfrau), wo Mitarbeiter Beschwerden und Kritik anbringen
könnten.
Mit Schreiben vom 27. Januar 2004 (vgl. Bl. 29/30 d. A.) wies der Arbeitgeber den
Wahlvorstand darauf hin, dass hinsichtlich der Art und Weise von dessen Wahl - dass
dieser ausschließlich von den Mitarbeitern der Zentrale in F. gewählt worden sei -
Bedenken bestünden und bat um Überprüfung.
28
Mit Aktennotiz vom 28. Januar 2004 (vgl. Bl. 60/61 d.A.) wandte sich der Wahlvorstand
darauf wie folgt an die Beschäftigten:
29
"Liebe Kolleginnen und Kollegen,
30
wie in der letzten Mitarbeiterversammlung vom 26.01.2004 versprochen, wird eine
Abstimmung darüber durchgeführt, ob Sie, die Mitarbeiter der mfi AG,
31
einen Betriebsrat (nach den Vorstellungen der J.), eine
Mitarbeitervertretung (Obfrau und/oder Obmann) oder keine Form der
Mitarbeitervertretung
32
wünschen.
33
Wann:Montag, 02. Februar 2004
34
Zeit:9:00 Uhr bis 14:00 Uhr
35
Ort:"Wahllokal" ist der große Besprechungsraum 2
36
37
Verfahren:Jeder Mitarbeiter, der sich am "Wahlort" einfindet,
38
erhält einen Stimmzettel, den er vor Ort (Sichtschutz vorhanden)
ausfüllt und in eine Wahlurne einwirft.
39
Stimmberechtigt ist jeder Mitarbeiter in F. (ausgenommen Prokuristen und
Vorstände). Die Auswertung findet unmittelbar im Anschluss an die Abstimmung
statt und wird spätestens am Dienstag, den 03.02.2004 veröffentlicht.
40
Wir wissen, dass wir möglicherweise durch obiges Verfahren nicht jedem
Mitarbeiter die Chance zur Stimmabgabe geben - wir haben uns aber bewusst für
diese Art der Durchführung entschieden, um den Vorgang zeitnah und
unkompliziert abzuwickeln.
41
Mit freundlichen Grüßen
42
gez. E. gez. H. gez. T."
43
Als Ergebnis der Mitarbeiterbefragung teilten die Wahlvorstandsmitglieder E. und T.
sowie das Ersatzmitglied H. den Beschäftigten am 02.02. 2004 als „Orga-Team“
44
folgendes mit:
„An dieser Abstimmung beteiligten sich weniger als die
45
Hälfte der Arbeitnehmer.10,8 % stimmten für Installation
46
eines Betriebsrats, 49,6 % stimmten für eine Mitarbeiter-
47
vertretung, 39,6 % hielten weder die Wahl eines Betriebs-
48
rats noch die Einführung einer Mitarbeitervertretung für
49
notwendig.“
50
Mit Schreiben vom 04. Februar 2004 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsver-hältnis mit
dem Wahlvorstandsmitglied K. außerordentlich, fristlos auf. Hinsichtlich der
Rechtswirksamkeit dieser Kündigung ist vor dem Arbeitsgericht F. der Rechtsstreit - 6
Ca 373/02 - anhängig.
51
Seitdem hat der Wahlvorstand keinerlei Schritte unternommen, eine Betriebs-ratswahl
einzuleiten.
52
Vielmehr teilte der Wahlvorstandsvorsitzende E. am 23. Februar 2004 in einer im
Intranet des Arbeitgebers an sämtliche Beschäftigten ver-sandten E-Mail mit, dass sich
die Belegschaft im Rahmen der durchgeführten Befragung mehrheitlich für die Wahl von
Vertrauensleuten entschieden habe und dass die insoweit erforderliche Wahl wie folgt
ablaufen solle:
53
"1. Jeder Vorstandsbereich wählt eine/einen Vertrauensfrau/mann, wobei die
Vorstandsbereiche wie folgt zusammen gefasst werden
54
a)Projektmanagement/Projektentwicklung
55
b)Centermanagement
56
c)Vermietungsmanagement/Verkaufsmanagement
57
d)Rechnungswesen/Controlling
58
Damit werden insgesamt 5. Vertrauensleute gewählt.
59
2. Jeder Vorstandsbereich führt die Wahl eigenständig und eigenverant-wortlich
durch. Hierzu ist in jedem Vorstandsbereich ein Wahlleiter zu bestimmen, der bis
spätestens zum 12.03.2004 eine Kandidatenliste mit max. 5. Personen
zusammenstellt.
60
Aus dieser Kandidatenliste wird dann spätestens zum 12.03.2004 der
entsprechende Vertreter bzw. Vertreterin des jeweiligen Vorstands-bereiches in
geheimer Wahl (auch Briefwahl zugelassen) durch einfache Mehrheit gewählt.
61
3. Zentrale Koordination für das gesamte Wahlverfahren ist Frau L.. Frau L. sind die
62
Wahlergebnisse aus den jeweiligen Vorstands-bereichen bis spätestens
19.03.2004, 14:00 Uhr, mitzuteilen, damit Frau L. am 22.03.2004 die gewählten
Vertrauensleute am Schwarzen Brett bekannt geben kann.
5.. Informationen zu Rechten, Pflichten, Funktionen und Schutz der Vertrauensleute
werden Ihnen umgehend per E-Mail zugehen.
63
5. Für Rückfragen steht Ihnen die Zentrale Koordination Frau L. zur Verfügung.
Alternativ können Sie sich auch jederzeit an das Orga-Team wenden."
64
Mit ihrem am 26. Februar 2004 bei Gericht eingegangenen Antrag begehrt die
antragstellende H. die Ersetzung des Wahlvorstands. Zur Begründung macht sie
geltend, der Wahlvorstand sei seiner gesetzlichen Pflicht, Betriebsratswahlen
unverzüglich einzuleiten, in keiner Weise nachgekommen. Im Gegenteil habe er
stattdessen eine vom Gesetz nicht vorgesehene Umfrage unter den Beschäftigten
gestartet, ob er überhaupt eine Wahl durchführen solle. Darüber hinaus nehme er es hin,
dass anstelle eines Betriebsrats sog. Vertrauensleute gewählt werden sollten.
Zumindest der Wahlvorstandsvorsit-zende E. unterstütze diese Aktion offen.
Unabhängig vom Ergebnis der durchgeführten Befragung sei der Wunsch der
Beschäftigten, einen Betriebsrat nicht wählen zu wollen, kein Grund, der es rechtfertigen
könnte, die Betriebs-ratswahl nicht unverzüglich einzuleiten. Der Wahlvorstand hätte
das Wahlver-fahren zumindest so lange betreiben müssen, bis sich gegebenenfalls
ergeben hätte, dass ein Betriebsrat - z. B. mangels Wahlbewerbern - tatsächlich nicht
gewählt werden könne. Dies stehe jedoch keinesfalls fest, weil es zu diesem
Verfahrensschritt aufgrund der Untätigkeit des Wahlvorstands gar nicht gekommen sei.
65
Die Mitglieder des Wahlvorstands hätten darüber hinaus die Pflicht, einen Betriebsrat im
Sinne des BetrVG wählen zu lassen. Eine anderweitige Form der "Mitarbeitervertretung"
sehe das Gesetz nicht vor. Dem Wahlvorstand stehe insoweit auch keine
Entscheidungsbefugnis über die Art des zu wählenden Gremiums zu. Allein die
Tatsache, dass die Mitglieder des Wahlvorstands die in Rede stehende Umfrage
betrieben hätten, lasse darauf schließen, dass sie selbst nicht bereit seien, eine
Betriebsratswahl im Sinne des BetrVG durchzu-führen. Sie seien daher aus ihrem Amt
abzuberufen und durch einen neuen Wahlvorstand zu ersetzen.
66
Die Antragstellerin beantragt,
67
68
den im Betrieb des Arbeitgebers gebildeten Wahlvorstand - bestehend aus den
Mitgliedern Dr. Christoph Glatzel, K. und T. - durch einen Wahlvorstand,
bestehend aus
69
a)K., T. Str. 13, 6. P.,
70
b)C., T. str. 51, 8. L.,
71
c)I., D. 19, 5. F.,
72
zu ersetzen und
73
d)C., L. 37, 5. S.,
74
e)H., C. 98, 5. C.,
75
f)N., P. str. 5., 5. F.,
76
als Ersatzmitglieder für die zu a) - c) genannten Mitglieder zu bestellen;
77
h i l f s w e i s e ,
78
die am 12. Januar 2004 erfolgte Wahl des Wahlvorstandes
79
für nichtig zu erklären.
80
Der Wahlvorstand beantragt,
81
den Antrag - auch im Umfange des Hilfsantrags - zurückzuweisen.
82
Zur Begründung macht der Wahlvorstand, der der in der Stellung des Hilfsantrags
liegenden Antragsänderung nicht zugestimmt hat, geltend, nach-dem er von der
gegenüber dem Wahlvorstandsmitglied K. ausgesprochenen Kündigung erfahren habe,
habe er sich wiederholt bemüht, von diesem eine klarstellende Erklärung zu erhalten.
Dies sei ihm jedoch leider nicht gelungen. Nachdem Herr X. zunächst die Auffassung
vertreten habe, er sei weiterhin trotz der fristlosen Kündigung Mitglied des
Wahlvorstandes, habe er gegenüber dem Wahlvorstandsmitglied T. Gegenteiliges
erklärt. Auch auf die wiederholte Bitte, Herr X. möge sich direkt oder über die H. bzw.
über seine anwaltlichen Berater eindeutig und schriftlich äußern, um keine weitere Zeit
zu verlieren, sei keine Reaktion erfolgt. Herr X. habe insbesondere eine schriftliche
Erklärung abgelehnt. Schließlich habe er darauf hingewiesen, dass er im Rahmen
gerichtlicher Maßnahmen kurzfristig in die Funktion als Wahlvorstandsmitglied
eingesetzt würde. Vor diesem Hintergrund habe der Wahlvorstand Bedenken, mit dem
Ersatzmitglied H. weiter zu agieren, weil die Gefahr bestanden habe, dass die
Wahlvorbereitungen gerichtlich angreifbar gewesen wären.
83
Schließlich seien die Bedenken des Wahlvorstandes hinsichtlich seiner Legitimation zur
Durchführung der Betriebsratswahl noch dadurch verstärkt worden, dass er erfahren
habe, dass das Arbeitsgericht F. in seinem den Antrag des Herrn X. auf vorläufiges
Tätigwerden als Mitglied des Wahlvorstands und auf uneingeschränkten Zutritt zu den
Betriebsräumen zurückweisenden Beschluss vom 04. März 2004 - 6 (5.) BVGa 5./04 -
die Wahl des Wahlvorstands am 12. Januar 2004 für nichtig gehalten habe.
84
Im übrigen seien die Mitglieder des Wahlvorstands als Teil des Orga-Teams bei dem
Arbeitgeber angestellt. Sie seien im Rahmen ihrer Aufgabenstellung und aufgrund der
ausdrücklichen Zusage des Wahlvorstandsvorsitzenden in der Betriebsversammlung
vom 12. Januar 2004 gehalten gewesen, das Für und Wider einer Betriebsratswahl in
einer vertraulichen anonymisierten Form abzu-fragen. Dies sei geschehen. Das Votum
sei eindeutig gewesen. Als Ergebnis des Votums habe sich die Geschäftsleitung
entschlossen, das Orga-Team mit der gewünschten Wahl von Vertrauensleuten zu
befassen. Diesen Vorgaben sei das Orga-Team nachgekommen und habe dabei seine
arbeitsvertraglichen Verpflichtungen erfüllt.
85
Der Arbeitgeber macht geltend, der erst am 09. Januar 2004 erfolgte Aushang zur
Betriebsversammlung im Format DIN A 5. am Schwarzen Brett, das zuvor in keinem
einzigen Fall für Mitarbeiterinformationen genutzt worden sei, und die Versendung der
E-Mails an die Beschäftigten am Standort F., die eine entsprechende E-Mail-Adresse
hätten, seien nicht geeignet gewesen, die 280 Beschäftigten der Arbeitgeberin auch nur
theoretisch zu erreichen. Im übrigen sei in dem Aushang am Schwarzen Brett weder
direkt noch indirekt darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, auf der
Betriebsversammlung einen Wahlvorstand zu wählen. Vielmehr sei es ausdrücklich um
eine Informations-veranstaltung und nicht um die Einleitung zu einer Wahl gegangen.
86
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die zwischen
ihnen gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsprotokolle, jeweils nebst
Anlagen, Bezug genommen.
87
B.
88
Das Begehren der Antragstellerin ist zulässig und hinsichtlich des Hilfsantrags auch
begründet.
89
I.
90
1. Das geltend gemachte Begehren wird von der antragstellenden Gewerk-schaft
zutreffend im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren verfolgt.
91
Es handelt sich um eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne
der §§ 2 a Abs. 1 Nr. 1, 2 a Abs. 2, 80 Abs. 1 ArbGG, da die Beteiligten über die
Wirksamkeit der Wahl des Wahlvorstands sowie darüber streiten, ob dieser
gegebenenfalls zu ersetzen ist.
92
2. Das - im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren stets erforderliche und von Amts
wegen zu prüfende (vgl. Grunsky, ArbGG, 7. Aufl. 1995, § 80 Rz. 20 - 22;
Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5.. Aufl. 2002, § 81 Rz. 23 - 32;
Rewolle/Bader, ArbGG § 81 Erl. 1; ArbGV-Koch, 2000, § 81 Rz. 24 - 28) -
Rechtsschutzbedürfnis der antragstellenden H. ergibt sich hinsichtlich des
Hauptantrages daraus, dass diese der Auffassung ist, der Wahlvorstand sei seiner
Verpflichtung, die Betriebsratswahl unverzüglich einzu-leiten, in keiner Weise
nachgekommen und somit zu ersetzen.
93
Das Rechtsschutzbedürfnis für den Hilfsantrag ergibt sich daraus, dass eine im Betrieb
vertretene H. die eventuelle Nichtigkeit der Wahl des Wahlvorstands jederzeit geltend
machen kann.
94
Gegen die Zulässigkeit von Haupt- und Hilfsantrag bestehen daher keine rechtlichen
Bedenken.
95
3. Die Antragsberechtigung der antragstellenden H. hinsichtlich des Hauptantrages folgt
aus § 18 Abs. 1 S. 2 BetrVG, die Nichtigkeit der Wahl des Wahlvorstands kann in
entsprechender Anwendung von § 19 Abs. 2 BetrVG jederzeit von jedermann geltend
gemacht werden.
96
5.. Die in der mündlichen Anhörung der Beteiligten erfolgte Antragsänderung ist
97
zulässig. Der Hilfsantrag, die am 12. Januar 2004 erfolgte Wahl des Wahlvorstands für
nichtig zu erklären, ist sachdienlich.
Die Beteiligten haben sich in ihrem schriftsätzlichen Vorbringen eingehend mit der
Frage der Nichtigkeit der am 12. Januar 2004 durchgeführten Wahl des Wahlvorstands
auseinandergesetzt. Der Arbeitgeber hat im einzelnen begrün-det, weshalb die Wahl
nach seiner Auffassung nichtig gewesen ist. Der Wahl-vorstand hat hierauf auch explizit
erwidert.
98
Neue Tatsachen oder neue rechtliche Gesichtspunkte, die bis zur Antrags-änderung in
dem Verfahren keine Rolle gespielt hätten, sind aufgrund der Antragsänderung nicht zu
besorgen gewesen. Vielmehr kann der bisherige Streitstoff auch für die Entscheidung
über den geänderten Antrag nutzbar gemacht werden. Außerdem kann der Streit
zwischen den Beteiligten mit einer Entscheidung über den geänderten Antrag endgültig
beigelegt werden, während im Falle der Nichtzulassung der Antragsänderung ein
weiteres Verfahren unvermeidbar gewesen wäre.
99
Die Kammer hat daher die Zulässigkeit der Antragsänderung bejaht (§ 81 Abs. 3 S. 1 +
3 ArbGG).
100
II.
101
Begründet ist das Begehren der antragstellenden H. jedoch nur insoweit, als diese
hilfsweise die Nichtigkeit der in der Betriebsversammlung vom 12. Januar 2004 erfolgte
Wahl des Wahlvorstandes geltend gemacht hat, hingegen ist der Hauptantrag
unbegründet.
102
1. Die gerichtliche Ersetzung des Wahlvorstands nach § 18 Abs. 1 S. 2 BetrVG ist ein
Notbehelf, auf den nur zurückgegriffen werden kann, wenn die Initiatoren einer
Betriebsratswahl allen Arbeitnehmern wenigstens die Chance eingeräumt haben, einen
demokratisch legitimierten Wahlvorstand zu wählen und wenn dieser dann seinen
gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommt (vgl. BAG vom 19. März 1974 - 1 ABR
87/73 - AP Nr. 1 zu § 17 BetrVG 1972, zu II 5. der Gründe). Hingegen ist die Ersetzung
eines Wahlvorstands dann nicht zulässig, wenn zuvor keine ordnungsgemäße
Einladung zu einer Betriebsver-sammlung nach § 17 Abs. 3 BetrVG erfolgt ist, so dass
die Wahl des Wahl-vorstands nichtig gewesen ist. Dies widerspräche nämlich den
Grundprinzipien einer demokratischen Wahl, wonach vorrangig gegenüber jedem
staatlichen Eingriff die der Belegschaft im BetrVG zugewiesenen Rechte sind.
103
Daher muss vorliegend auch in Kauf genommen werden, dass im Falle einer etwaigen
Ersetzung des Wahlvorstands durch das Arbeitsgericht die Einleitung der
Betriebsratswahl unter Umständen wesentlich zeitnäher hätte erfolgen können als dies
bei einem Vorgehen der Antragstellerin nach § 17 Abs. 3 - 5. BetrVG der Fall sein dürfte.
104
2. Der auf die Feststellung der Nichtigkeit der in der Betriebsversammlung vom 12.
Januar 2004 erfolgten Wahl des Wahlvorstands gerichtete Hilfsantrag ist begründet.
105
Da der Betrieb des Arbeitgebers die Voraussetzungen des § 1 BetrVG erfüllt, jedoch
noch keinen Betriebsrat hat, war der Wahlvorstand nach § 17 Abs. 1 BetrVG in einer
Betriebsversammlung (Wahlversammlung) von der Mehrheit der anwesenden
Arbeitnehmer zu wählen. § 17 Abs. 3 BetrVG bestimmt, dass zu dieser
106
Betriebsversammlung drei wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betrie-bes oder eine im
Betrieb vertretene H. einladen und Vorschläge für die Zusammensetzung des
Wahlvorstandes machen können. Im übrigen gelten die Vorschriften der §§ 42 ff. BetrVG
über die Betriebsversammlung, soweit sie nicht das Bestehen eines Betriebsrats
voraussetzen (vgl. Richardi, BetrVG, 7. Aufl., § 17 Rz. 10; GK-Kreutz, 6. Aufl., § 17 Rz.
18)
a) Für die Einladung zur Wahlversammlung stellt das BetrVG zwar keine besonderen
Formvorschriften auf (vgl. Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 8. Aufl., § 17 Rz. 5.;
Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 22. Aufl., § 17 Rz. 17; GK-
Kreutz, a.a.O., § 17 Rz. 2.; Richardi, a.a.O., § 17 Rz. 9). Rechtzeitiger Aushang an den
betriebsüblichen Mitteilungsbrettern (Schwarzes Brett) und/oder Rundschreiben an alle
Arbeitnehmer genügt; nicht jedoch die bloße Verteilung von Handzetteln, wenn nicht
sichergestellt ist, dass alle Arbeitnehmer Kenntnis erlangen können. In kleineren
Betrieben kann auch eine mündliche Einladung genügen (allgemeine Meinung: vgl. GK-
Kreutz, a.a.O., § 17 Rz. 2.; Richardi, a.a.O., § 17 Rz. 9; Stege/Weinspach, BetrVG, 8.
Aufl., § 17 Rz. 2). Die Einladung kann auch mittels der im Betrieb vorhandenen
Informations- und Kommunikationstechnik bekannt gemacht werden, wie z. B. durch
Rund-E-Mail oder durch Veröffentlichung im Intranet. Die Bekanntma-chung
ausschließlich in elektronischer Form ist dagegen nur zulässig, wenn alle Arbeitnehmer
von der Bekanntmachung Kenntnis erlangen können (vgl.
Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, a.a.O., § 17 Rz. 17).
107
Generell müssen gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllt sein. Hierzu gehört, dass die
Einladung entweder alle Arbeitnehmer des Betriebes tatsächlich erreicht oder so
bekannt gemacht wird, dass dieser Personenkreis die Möglich-keit hat, von ihr Kenntnis
zu erlangen und an der Wahlversammlung teilzuneh-men (vgl. BAG vom 19. November
2003 - 7 ABR 24/03 - AP Nr. 54 zu § 19 BetrVG 1972 = NZA 2004, 395 = EzA § 19
BetrVG 2001 Nr. 2). Außerdem muss die Einladung den Zeitpunkt, den Ort, den
Gegenstand der Betriebsver-sammlung (beabsichtigte Wahl eines Wahlvorstands)
sowie die Einladenden angeben.
108
b) Hinsichtlich der Frist zur Einladung bestimmt § 28 Abs. 1 S. 2 WO für das vereinfachte
Wahlverfahren zwingend, dass die Einladung mindestens 7 Tage vor der
Wahlversammlung erfolgen muss. Für das normale Wahlverfahren in größeren
Betrieben gibt es keine gesetzlichen Fristvorgaben. Hier kommt es auf die betrieblichen
Verhältnisse an. Arbeiten alle Arbeitnehmer in demselben Gebäude oder in
benachbarten Gebäuden, ist eine Einladungsfrist von einer Woche ausreichend. Ist die
Teilnahme an der Wahlversammlung dagegen für einen erheblichen Teil der
Belegschaft mit einer längeren Anreise verbunden, ist in der Regel ein etwas längerer
Vorlauf erforderlich. Hier dürfte eine Einladungsfrist von 2 Wochen angemessen sein.
109
c) Fehlt es an diesen Voraussetzungen, so ist die in der Versammlung durchgeführte
Wahl nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Rechtslehre jedenfalls dann
nichtig, wenn durch diesen Mangel der Einladung das Wahlergebnis beeinflusst werden
konnte.
110
Bei der Bestellung des Wahlvorstands in einer Betriebsversammlung nach § 17 Abs. 1
BetrVG handelt es sich um eine Wahl, für die die an eine demokratische Wahl zu
stellenden Grundvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Hierzu gehört der Grundsatz der
Allgemeinheit der Wahl. Er ist verletzt, wenn die Einladung zu der Wahlversammlung
111
nicht in einer Weise bekannt gemacht geworden ist, dass alle nach § 7 BetrVG
wahlberechtigten Arbeitnehmer die Möglichkeit erhalten, Ort, Zeit und Zweck der
Betriebsversammlung zu erfahren und an ihr teilzunehmen und wenn auch nicht alle
Arbeitnehmer auf andere Weise tatsächlich von der Betriebsversammlung Kenntnis
erlangt haben (vgl. BAG vom 07. Mai 1986 - 2 AZR 349/85 - AP 18 zu § 2. KSchG 1969
= NZA 1986, 753; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, a.a.O., § 17 Rz. 5.; Fitting/Engels/
Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, a.a.O., § 17 Rz. 18; GK-Kreutz, a.a.O., § 17 Rz. 2.).
d) Bei der Wahl des Wahlvorstands nach § 17 Abs. 2 BetrVG hängt die
Beschlussfähigkeit der Wahlversammlung nicht von der Teilnahme einer Mindestanzahl
von Arbeitnehmern ab; der Wahlvorstand wird vielmehr von der Mehrheit der
anwesenden Arbeitnehmer gewählt. Ferner gelten für das Wahl-verfahren keine
besonderen Vorschriften, so dass auch keine geheime Abstimmung erforderlich ist (vgl.
Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, a.a.O., § 17 Rz. 27; Richardi, a.a.O., § 17
Rz. 22). Somit kann eine kleine Minderheit von Arbeitnehmern eines Betriebs die
Bestellung eines Wahlvor-stands durchsetzen und eine Betriebsratswahl einleiten.
Gerade deshalb muss aber gewährleistet sein, dass alle Arbeitnehmer zumindest die
Möglichkeit erhalten, an dieser Wahl mitzuwirken. Anderenfalls könnten durch eine
gezielte Auswahl der eingeladenen Arbeitnehmer der überwiegenden Mehrheit inner-
halb der Belegschaft sowohl die Durchführung einer Betriebsratswahl als auch ein aus
bestimmten Personen zusammengesetzter Wahlvorstand aufgezwun-gen werden.
Deshalb kann auch von einer Wahl im Sinne des § 17 Abs. 2 BetrVG zumindest dann
nicht mehr gesprochen werden, wenn die Einladung zur Wahlveranstaltung nicht in der
im Betrieb üblichen Weise bekannt gemacht wurde und die auch nicht anderweitig
unterrichteten und der Versammlung fern gebliebenen Arbeitnehmer das Wahlergebnis
beeinflusst haben konnten.
112
3. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führt zu dem Ergebnis, dass die
am 12. Januar 2004 durchgeführte Wahl des Wahlvorstandes nichtig gewesen ist.
113
a) Die Einladung zu der Betriebsversammlung (Wahlversammlung) am Montag, dem 12.
Januar 2004 ist erst am Freitag, dem 09. Januar 2004 in dem Betriebsgebäude in F. am
Schwarzen Brett bekannt gemacht worden.
114
In der mündlichen Anhörung der Beteiligten hat sich insoweit nicht feststellen lassen,
um welche Uhrzeit dies am 09. Januar 2004 erfolgt ist. Außerdem war die Möglichkeit
der in F. arbeitenden Beschäftigten des Arbeitgebers, von dieser Einladung Kenntnis zu
erlangen, infolge der Tatsache, dass an den Wochentagen Samstag und Sonntag im
Betrieb nicht gearbeitet wird, zeitlich unzumutbar eingeschränkt. Hinzu kommt, dass von
den insgesamt ca. 280 Arbeitnehmern überhaupt nur ungefähr 180 in dem
Betriebsgebäude in F. beschäftigt sind, während die übrigen Arbeitnehmer bundesweit,
verteilt auf verschiedene Projekte und Baustellen, eingesetzt sind.
115
Im Hinblick darauf, dass die Betriebsversammlung (Wahlversammlung) bereits am
darauf folgenden Montag um 2.:00 Uhr stattfinden sollte, war bereits die Möglichkeit
auch nur der ca. 180 in F. beschäftigten Arbeitnehmer, von dieser Einladung Kenntnis
zu nehmen, zeitlich unzumutbar eingeschränkt. Für die auswärts eingesetzten übrigen
ca. 100 Arbeitnehmer bestand selbst theore-tisch kaum eine Möglichkeit, von der viel zu
kurzfristig anberaumten Betriebs-versammlung zu erfahren.
116
b) Die einladende Arbeitnehmergruppe hat zwar versucht, darüber hinaus am 09.
117
Januar 2004 um 13:47 Uhr die Arbeitnehmer am Standort F., die E-Mails empfangen
können, per E-Mail zu der Betriebsversammlung einzuladen. Da sich jedoch unstreitig
die Möglichkeit der - wiederum auch nur am Standort F. beschäftigten - Arbeitnehmer, E-
Mails zu empfangen, auf ca. 70 bis 80 wahlberechtigte Arbeitnehmer der insgesamt am
Standort F. tätigen 180 Beschäftigten des Arbeitgebers beschränkt, hat auch die
Einladung per E-Mail nicht dafür gesorgt, dass entweder alle Arbeitnehmer des
Betriebes tatsächlich von der Betriebsversammlung Kenntnis erlangt hätten oder dass
diese zumindest so bekannt gemacht worden wäre, dass alle Arbeitnehmer die Mög-
lichkeit gehabt hätten, von der Einladung Kenntnis zu erlangen und an der
Wahlversammlung teilzunehmen. Unabhängig hiervon ist aber auch die Einladung per
E-Mail erst einen Arbeitstag vor dem Beginn der Betriebsver-sammlung an die
betreffenden Arbeitnehmer versandt worden.
c) Hinzu kommt, dass sich aus dem Inhalt der als Einladung zur Betriebsversammlung
ausgehängten und per E-Mail versandten "Aktennotiz" auch nicht ergeben hat, dass auf
der Betriebsversammlung am 12. Januar 2004 die Wahl eines Wahlvorstandes erfolgen
sollte. Vielmehr heißt es in der "Aktennotiz" lapidar:
118
"Die Unterzeichner machen von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch, zu einer
Betriebsversammlung einzuladen, um dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeiter
die notwendigen Informationen erhalten.
119
Wir sind sicher, dass es im Interesse aller Mitarbeiter liegen dürfte, über die
Abwicklung und die Vorgänge informiert zu werden."
120
Aus dieser "Aktennotiz" ergibt sich damit nicht einmal der Gegenstand der
Betriebsversammlung vom 12. Januar 2004 - nämlich die beabsichtigte Wahl eines
Wahlvorstandes. Vielmehr mussten die Beschäftigten anhand der "Akten-notiz" den
Eindruck gewinnen, es handele sich um eine Informationsveranstal-tung bezüglich der
in der Einladung bekannt gemachten Absicht der antragstel-lenden H., im Betrieb eine
Betriebsratswahl durchzuführen.
121
Dass die Einladung das Thema der Betriebsversammlung - Wahl eines Wahlvorstands
für die Betriebsratswahl - klar erkennen lässt, ist jedoch für eine Einladung im Sinne von
§ 17 Abs. 3 BetrVG unverzichtbar.
122
d) Außerdem haben unstreitig auch nicht alle zur Wahl des Wahlvorstands berechtigten
Arbeitnehmer anderweitig von der Betriebsversammlung (Wahlver-sammlung) Kenntnis
erlangt.
123
Die am Freitag, dem 09. Januar 2004 am Schwarzen Brett am Standort F. ausgehängte
"Aktennotiz" hätten - ungeachtet der bereits ausgeführten Probleme - allenfalls die 180
am Standort F. tätigen Arbeitnehmer zur Kenntnis nehmen können, nicht jedoch die
übrigen 100 Arbeitnehmer. Dabei kann dahinstehen, ob die einladenden Arbeitnehmer
verpflichtet gewesen wären, auch die ca. 20 örtlich weit weg von F. (in München etc.)
eingesetz-ten Arbeitnehmer zu der Betriebsversammlung einzuladen, denn jedenfalls
wäre es erforderlich gewesen, alle Arbeitnehmer, die organisatorisch dem Betrieb F.
zugeordnet sind, von der anstehenden Betriebsversammlung und deren Gegenstand zu
unterrichten.
124
Da an der Betriebsversammlung am 12. Januar 2004 unstreitig lediglich 100 der ca. 280
125
Arbeitnehmer teilgenommen haben, hat durch die vorstehend aufge-zeigten Mängel der
Einladung auch das Wahlergebnis auf der Betriebsver-sammlung entscheidend
beeinflusst werden können, da die nicht erschienene Mehrheit auf der
Betriebsversammlung die Wahl der dort erschienenen Arbeitnehmer in den
Wahlvorstand hätte verhindern können.
e) Schließlich ist dadurch, dass Rechtsanwalt C. als betriebsfremde Person an der
Betriebsversammlung teilgenommen hat, auch noch der Grund-satz der
Nichtöffentlichkeit der Betriebsversammlung (§ 42 Abs. 1 S. 2 BetrVG) verletzt worden,
wobei dahinstehen kann, wie lange er der Betriebsversamm-lung beigewohnt hat (vgl.
LAG Berlin vom 10. Februar 1986 - 9 TaBV 5/85 - LAGE § 19 BetrVG Nr. 5.;
Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, a.a.O., § 42 Rz. 20, § 43 Rz. 28).
126
Dieser Verstoß hätte allerdings nur eine Anfechtbarkeit der Wahl des Wahlvorstands zur
Folge gehabt.
127
Insgesamt ist jedoch bei der Wahl des Wahlvorstands so grob und offensichtlich gegen
Wahlvorschriften verstoßen worden, dass auch nur von dem Anschein einer dem Gesetz
entsprechenden Wahl nicht gesprochen werden kann und dies jedem mit den
betrieblichen Verhältnissen vertrauten Dritten sofort ohne weiteres erkennbar ist. Ein auf
diese Weise in das Amt berufenes Gremium besitzt weder die Legitimation zur
Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtli-cher Aufgaben noch können die in den
Wahlvorstand gewählten Arbeitnehmer, die Belegschaft oder der Arbeitgeber darauf
vertrauen, dass ein Wahlvorstand besteht, der rechtswirksam
betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrneh-men kann.
128
Ist demgemäss die am 12. Januar 2004 durchgeführte Wahl zum Wahlvorstand nichtig
gewesen, so war die Nichtigkeit der Wahl auf den Hilfsantrag festzu-stellen mit dem
Ergebnis, dass die antragstellende H. nunmehr gemäß § 17 Abs. 3 + 5. BetrVG
vorgehen und zu einer Betriebsversammlung einladen und Vorschläge für die
Zusammensetzung des Wahlvorstands machen kann.
129
C.
130
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 12 Abs. 5 ArbGG).
131
RECHTSMITTELBELEHRUNG
132
Gegen diesen Beschluss kann von der antragstellenden H.
133
(= Antragstellerin) und dem Wahlvorstand (= Antragsgegner)
134
B e s c h w e r d e
135
eingelegt werden.
136
Die Beschwerde muss
137
innerhalb einer N o t f r i s t * von einem Monat nach Zustellung des in voll-
ständiger Form abgefassten Beschlusses
138
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
139
Die Beschwerdeschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle können Vertreter einer H. oder einer
Vereinigung von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher Verbände treten,
wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und der
Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis
haben Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen
Eigentum einer der zuvor genannten Organisationen stehen, solange die juristische
Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der
Organisation entsprechend deren Satzung durchführt.
140
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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gez. B a c h l e r
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