Urteil des ArbG Essen vom 12.06.2009

ArbG Essen: funktionszulage, treu und glauben, juristische person, kündigung, tarifvertrag, arbeitsgericht, vergütung, erlass, ortszuschlag, abschaffung

Arbeitsgericht Essen, 7 Ca 102/09
Datum:
12.06.2009
Gericht:
Arbeitsgericht Essen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Ca 102/09
Schlagworte:
ohne
Normen:
ohne
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
kein Leitsatz vorhanden
Tenor:
2. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Der Streitwert wird auf 4.100,78 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer
Funktionszulage.
2
Die am 27.05.1959 geborene Klägerin ist seit dem 01.01.1980 bei der Beklagten als
Schreibkraft beschäftigt. Sie arbeitet derzeit im Schreibdienst beim A. in F. gegen eine
Grundvergütung in Höhe von 2.320,44 € brutto. Auf das Arbeitsverhältnis findet der
TVöD Anwendung.
3
Mit Schreiben vom 04.12.1980 wurde die Klägerin in die Vergütungsgruppe VII
Fallgruppe 3 des Teils II, Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 2. a zum BAT
eingruppiert (Bl. 5 d.A.). Weiterhin erhält sie seit Dezember 1983 eine monatliche
Funktionszulage für ihre Tätigkeit „im Schreibdienst“ in Höhe von zuletzt 94,53 € brutto.
Ein entsprechender Anspruch ergab sich ursprünglich aus der Anlage N der
Eingruppierungsrichtlinien Anlage 2. und 1a zum BAT/MTA. Diese wurden von der
Beklagten zum 01.01.1984 gekündigt, 1991 jedoch wieder - allerdings ohne den
Abschnitt N - in Kraft gesetzt. Eine Zahlung der Funktionszulage erfolgte nach
Kündigung der Eingruppierungsrichtlinien aufgrund der Nachwirkung des Tarifvertrages.
4
Mit Schreiben vom 27. August 2008 teilte die Beklagte der Klägerin Folgendes mit:
5
„gemäß dem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 12. Oktober 2005 - Z B
4 - P 2102 - 159/05 - und dem Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom
10. Oktober 2005 - D II 2 - 220 210/643 - wird bei der Überleitung von den TVöD die
Funktionszulage für Angestellte im Schreibdienst außertariflich als persönliche Zulage
weitergezahlt. Bei allgemeinen Entgeltanpassungen und sonstigen Entgelterhöhungen
wird allerdings der Unterschiedsbetrag zum bisherigen Entgelt auf diese
Besitzstandszulage angerechnet. Demnach ist die Besitzstandszulage jeweils ab 01.
Januar 2008 und 01. Januar 2009 neu zu berechnen und abzuschmelzen.
6
....
7
ist allerdings abweichend von der im o.g. Rundschreiben vom 30. April 2008
aufgeführten Regelung hinsichtlich des Abschmelzens der persönlichen
Besitzstandszulage nunmehr so zu verfahren, dass lediglich ein Drittel des gesamten
Erhöhungsbetrages, welcher sich aufgrund der Tariferhöhung zum 01. Januar 2008
ergibt, auf die persönliche Besitzstandszulage anzurechnen ist.
8
....
9
Somit werden 41,08 EUR auf die anstelle der Funktionszulage für Angestellte im
Schreibdienst außertariflich gezahlte persönliche Besitzstandszulage in Höhe von 94,53
EUR angerechnet. Diese beträgt demnach rückwirkend ab 01. Januar 2008 53,45 EUR.
10
....“
11
Wegen des weiteren Inhalts des Schreibens wird auf die eingereichte Kopie, Bl. 6 f. d.A.,
Bezug genommen. Mit Rundschreiben des Bundesministers des Inneren vom
10.10.2005 wurde der TVöD bekanntgegeben und zu den Funktionszulagen
Durchführungshinweise mitgeteilt. Wegen des Inhalts zu dem Punkt „Funktionszulage
für Angestellte im Schreibdienst“ wird auf die eingereichte Kopie, Bl. 76 d.A., Bezug
genommen.
12
Entsprechend der Ankündigung im Schreiben vom 27.08.2008 kürzte die Beklagte die
Zulage der Klägerin in den Monaten Januar bis Dezember 2008 um monatlich 41,08 €
brutto, ab dem Monat Januar 2009 um 61,58 € brutto.
13
Mit ihrer am 09.01.2009 eingegangenen Klage beansprucht die Klägerin die Zahlung
der vollen Besitzstandszulage in Höhe von 94,53 € brutto von Januar bis Dezember
2008 und verlangt Zahlung der einbehaltenen Beträge für 12 Monate in Höhe von
insgesamt 492,96 € brutto. Mit Klageerweiterung vom 13.03.2009 macht sie darüber
hinaus die erfolgte Kürzung für die Monate Januar und Februar 2009 in Höhe von
jeweils 61,58 € brutto geltend.
14
Die Klägerin ist der Ansicht, eine Herabsetzung der Funktionszulage sei nicht
gerechtfertigt.
15
Der Anspruch auf die Schreibzulage ergäbe sich aus dem Abschnitt N, Unterabschnitt I
der Anlage 2. a zum BAT. Da der Abschnitt N im Gegensatz zu den Anlagen 2. und 1a
im Übrigen zum BAT/MAT zum 01.01.1991 nicht wieder in Kraft gesetzt worden sei,
wirke er als Tarifrecht gem. § 4 Abs. 5 TVG nach, da die Klägerin die auf dieser Norm
beruhende Zulage bereits vor Kündigung zum 31.12.1983 bezogen habe. Insoweit
16
verweist die Klägerin auf ein Urteil des BAG vom 13.12.2000, AZ 10 AZR 689/99.
Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem Inkrafttreten des TvöD zum 01.01.2005.
Das hiernach errechnete Vergleichsentgelt berücksichtige die Funktionszulage gerade
nicht, so dass diese nicht aufgrund des Inkrafttretens des TvöD wegfallen.
Diesbezüglich sei der Klägerin mit Schreiben vom November 2005 auch mitgeteilt
worden, dass sie in die Entgeltgruppe 5 übergeleitet werde und sie eine sogenannte
individuelle Entgeltstufe in Höhe ihres bisherigen Entgelts erhalte. Dabei sei
ausdrückliche darauf hingewiesen worden, dass dem „bisherigen Entgelt“ die Summe
aus Grundvergütung, Ortszuschlag sowie allgemeiner Zulagen zu Grunde liege. Die
Funktionszulage sei also nicht eingeflossen.
17
Die Funktionszulage hätte zumindest bei der Berechnung des Vergleichsentgelts
berücksichtigt werden müssen. Aufgrund der Nachwirkung habe der Klägerin diese im
September 2005 tarifvertraglich zugestanden.
18
Der Klägerin werde seit 2005 die Funktionszulage als persönliche Zulage weiterbezahlt.
Eine Änderung ihrer Tätigkeit habe nicht stattgefunden. Eine Kündigung bzw. ein
Widerruf dieser persönlichen Zulage sei nicht erfolgt.
19
Die Klägerin beantragt,
20
1.die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 492,96 brutto zuzüglich Zinsen in
höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu
zahlen,
21
2.die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 123,16 brutto zuzüglich Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Schriftsatzzustellung zu
zahlen.
22
Mit am 05.06.2009 beim Arbeitsgericht F. eingegangenem klageerweiternden Schriftsatz
beantragt die Klägerin hilfsweise,
23
die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin gewährte Funktionszulage für
Schreibkräfte bei der Bemessung des Vergleichsentgeltes gem. § 5 Abs. 2 TVÜ-
Bund zu berücksichtigen.
24
Die Beklagte beantragt,
25
die Klage abzuweisen.
26
Sie ist der Ansicht, aufgrund des Inkrafttretens des TVöD zum 01.10.2005 sei der BAT
einschließlich der noch bestehenden Nachwirkung des zum 31.12.1983 gekündigten
Abschnitts N der Anlage 2. a zum BAT ohne Nachwirkung außer Kraft gesetzt worden.
Diesbezüglich verweist sie zunächst auf § 2 Abs. 2. i.V.m. der Anlage 2. TVÜ-Bund
sowie die Protokollerklärung hierzu. Weiterhin verweist sie auf die Regelung des § 17
Abs. 2. TVÜ-Bund, nach welcher die Vergütungsordnung vom 30.09.2005 - ohne den
gekündigten Abschnitt N - weitergelten soll.
27
Darüber hinaus ergebe sich aus den Neuregelungen des TVöD - etwa dem Wegfall der
Ortszuschläge, die Abschaffung von Bewährungs- und Fallgruppenaufstiegen sowie der
28
Vergütungsgruppenzulagen etc. -, dass dieser darauf gerichtet gewesen sei, das frühere
Tarifrecht umfassend abzulösen, soweit dieses über die unmittelbaren
Eingruppierungsvorschriften der §§ 22, 23 BAT hinausgehe. Dem würde es
zuwiderlaufen, wollte den Tarifvertragsparteien unterstellt werden, speziell die
Nachwirkung von gekündigten Tarifnormen abweichend von diesen allgemeinen
Grundsätzen aufrecht erhalten zu wollen.
Die Schreibzulage sei auch nicht in die Berechnung des Vergleichsentgelts
einzubeziehen. Gem. § 5 TVÜ-Bund sei das Vergleichsentgelt für die Übergangszeit
vom 01.10.2005 bis zum 30.09.2007 zu bilden; dies sei die Grundlage für die zum
01.10.2007 vorzunehmende Eingruppierung in die neue Entgelttabelle gem. § 15 Abs. 2
TVöD i.V.m. § 6 Abs. 2. S. 2 TVÜ-Bund. Neben der Grundvergütung, den allgemeinen
Zulagen sowie dem Ortszuschlag seien gem. § 5 Abs. 2 S. 3 TVÜ-Bund
Funktionszulagen nur zu berücksichtigen, wenn sie dem Arbeitnehmer im September
2005 tarifvertraglich zugestanden hätten und nach dem TVöD nicht mehr vorgesehen
seien. Die an die Klägerin gezahlte streitgegenständliche Funktionszulage habe der
Klägerin aber nicht tarifvertraglich, sondern lediglich aufgrund Nachwirkung
zugestanden.
29
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug
genommen.
30
Entscheidungsgründe
31
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
32
I.
33
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Funktionszulage in Höhe von
monatlich 94,53 € brutto und dementsprechende Nachzahlung einer Vergütung in Höhe
von 626,12 € für die Monate Januar 2008 bis Februar 2009. Ein Anspruch ergibt sich
weder gem. Teil II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 2. a zum BAT i.V.m. § 4 Abs.
5 TVG, da durch Inkrafttretens des TVöD die Nachwirkung geendet hat (2..), noch
aufgrund einer individualrechtlichen Vereinbarung (2.).
34
2..
35
a)
36
Die an die Klägerin gezahlte Funktionszulage im Schreibdienst hatte ihre Grundlage in
Teil II Abschnitt N Unterabschnitt I der Anlage 2. a zum BAT. Hiernach wurde eine
Funktionszulage für Schreibkräfte mit bestimmten Tätigkeiten in den Protokollnotizen Nr.
3 und 6 begründet. Aufgrund der Kündigung zum 01.01.1984 galt die Zulage als
nachwirkendes Tarifrecht gem. § 4 Nr. 5 TVG weiterhin für Arbeitnehmer, welche am
31.12.1983 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden haben. Da die
Wiederinkraftsetzung der Anlage 2. a zum BAT zum 28.12.1990 ohne den Abschnitt N
des Teils II der Anlage 2. a zum BAT erfolgte, wirkte dieser die Funktionszulage für
Schreibkräfte betreffend weiterhin nach (BAG vom 13.12.2000, 10 AZR 689/99, zit. nach
Juris).
37
b)
38
Die die Funktionszulage im Schreibdienst regelnde Anlage N des Teils II der Anlage 2.
a zum BAT ist jedoch durch Inkrafttreten des TVöD abgelöst worden.
39
aa)
40
Die Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG sichert eine statische Zwischenregelung, bis die
Rechtsnormen des abgelaufenen Tarifvertrages durch eine andere Abmachung ersetzt
werden; dabei kann es sich um einen Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung sowie
eine Individualabrede handeln. Voraussetzung ist dabei, dass die Abmachung auf das
jeweilige Arbeitsverhältnis Anwendung findet (BAG vom 20.04.2005, 4 AZR 288/04, zit.
nach Juris; BAG 20.03.2002, 10 AZR 501/01, zit. nach Juris). Ein Tarifvertrag beendet
die Nachwirkung damit nur dann, wenn er unmittelbar und zwingend auf das
Arbeitsverhältnis einwirkt und auch die übrigen Voraussetzungen der Tarifgeltung in
Bezug auf das Arbeitsverhältnis gegeben sind (Franzen in Erf.-Kommentar, § 4 TVG Rz.
61).
41
Wegen der beiderseitigen Tarifgebundenheit der Parteien findet der TVöD mit seinem
Inkrafttreten zum 01.10.2005 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
42
bb)
43
Der TVöD löste den BAT vollständig ab, es sei denn die Tarifvertragsparteien haben
ausdrücklich etwas anderes geregelt. Ab dem 01.10.2005 gelten gem. § 3 TVÜ-Bund
nur noch die neuen tariflichen Regelungen des TVöD. Dies ergibt sich eindeutig aus § 2
TVÜ-Bund in Verbindung mit Anlage 2. TVÜ-Bund Teil A bis C.
44
Nach dem Ablösungsprinzip findet wegen des gleichen Rangs beider Tarifverträge
zueinander auch kein Günstigkeitsvergleich zwischen den bisherigen und den
ablösenden Regelungen statt. Eine Tarifnorm steht stets unter dem Vorbehalt, durch
eine nachfolgende tarifliche Regelung verschlechtert oder ganz gestrichen werden zu
können. Ein Vertrauensschutz besteht insoweit nicht (BAG vom 8.September 1999, 4
AZR 661/98, zit. nach Juris; BAG vom 20.03.2002 a.a.O.).
45
cc)
46
Der TVöD löste den BAT einschließlich der lediglich nachwirkende Regelung der
Protokollnotizen zum Abschnitt N des Teils II der Anlage 2. a zum BAT ab. Die
Tarifvertragsparteien haben keine partielle Weitergeltung der der Funktionszulage im
Schreibdienst zugrundeliegenden Regelung vereinbart.
47
Regelt ein Tarifvertrag einen bestimmten Komplex von Arbeitsbedingungen insgesamt
neu, ersetzt er den vorangehenden Tarifvertrag grundsätzlich ganz. Wollen die
Tarifvertragsparteien abweichend von diesem Grundsatz die künftige Geltung bisheriger
Regelungen trotz der Neuregelung, müssen sie dies im Interesse der Rechtsklarheit und
Rechtssicherheit deutlich und bestimmt vereinbaren (BAG vom 20.03.2002 a.a.O.).
48
Die Tarifvertragsparteien haben in § 2 TVÜ-Bund bestimmt, dass der TVöD i.V.m. dem
TVÜ-Bund die in der Anlage 2. Teil A und Teil B aufgeführten Tarifverträge ersetzen
soll, wobei die Aufzählung noch nicht abschließend ist. Aufgrund der umfassenden
49
Regelung des § 2 Abs. 2 TVÜ-Bund, nach welcher auch nicht ausdrücklich aufgeführte
Tarifnormen, soweit deren Inhalt dem Regelungsinhalt des TVöD widerspricht bzw. zu
einer Doppelleistung führen würde, ebenfalls abgelöst werden sowie der In § 2 Abs. 3
TVÜ-Bund geregelten Positivliste im Hinblick auf weitergeltende Tarifnormen, haben die
Tarifvertragsparteien eine vollständige Abgeltung der „alten“ durch den BAT getroffenen
Regelungen insbesondere das Vergütungssystem betreffend bezweckt. Da die Anlage
2. a zum BAT nicht ausdrücklich in der Anlage 2. Teil C aufgeführt ist, unterfällt diese
dem Ablösungsprinzip.
Dem entspricht auch der Sinn und Zweck des TVöD. Mit dem Wegfall der
Ortszuschläge, der Abschaffung von Bewährungs- und Fallgruppenaufstiege sowie der
Abschaffung von Funktionszulagen unter gleichzeitiger Einführung von weniger
Fallgruppen der Eingruppierung sollte ein klareres Vergütungssystem geschaffen
werden. Diesem Ziel der Vereinfachung widerspräche es, würden
Vergütungsvorschriften, die lediglich nachwirkten, weiterhin aufrechterhalten.
50
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Klägerin auch nach dem
01.10.2005 die Zulage in voller Höhe weitergezahlt worden ist. Grundlage der weiteren
Zahlung war nicht die (nachwirkende) tarifliche Regelung, sondern eine Gesamtzusage
der weiteren Zahlung als persönliche anrechenbare Besitzstandszulage. Dies ergibt
sich aus Ziffer 2.2.2..2..3. b) des Rundschreibens des BMI vom 10.10.2008 i.V.m. dem
Rundschreiben des BMI vom 01.08.2008.
51
Nach alledem besteht kein nachwirkender tariflicher Anspruch der Klägerin auf
Fortzahlung der Funktionszulage in Höhe von monatlich 94,53 € seit dem 01.10.2005.
52
2.
53
Die Klägerin hat seit dem 01.01.2008 auch keinen Anspruch mehr auf Zahlung einer
monatlichen Funktionszulage aufgrund individualrechtlicher Vereinbarung in Höhe von
94,53 € brutto; ein solcher ergibt sich weder aufgrund einer Gesamtzusage der Zahlung
einer persönlichen Besitzstandszulage noch aus betrieblicher Übung.
54
a)
55
Grundlage der Zahlung einer monatlichen Zulage in Höhe von 94,53 € brutto war nach
Inkrafttreten des TVöD seit dem 01.10.2005 eine Gesamtzusage der Beklagten gemäß
Ziffer 2.2.2..2..3. b) des Rundschreibens des BMI vom 10.10.2005 (D II 2 - 220 210/643)
i.V.m. dem Erlass des Bundesministers der Finanzen vom 12.10.2005 (Z B 4). Danach
wurde den Beschäftigten, die bei Überleitung in den TVöD die Funktionszulage gem.
den Protokollnotizen Nr. 3 und 6 des Teils II Abschnitt N der Anlage 2. a zum BAT
erhalten hatten, diese als persönliche Besitzstandszulage weiterhin gezahlt.
56
Die weitere Zahlung der Funktionszulage als persönliche Besitzstandszulage stand
jedoch unter der Bedingung der Anrechenbarkeit im Falle allgemeiner
Entgeltanpassungen und sonstiger Entgelterhöhungen entsprechend § 17 TVÜ-Bund.
Zum 01.01.2008 wurde das Entgelt der Klägerin um 119,77 € brutto erhöht. Da
entsprechend dem Erlass des BMF vom 01.08.2008 i.V.m. dem Rundschreiben des BMI
vom 01.08.2008 die Anrechenbarkeit der Besitzstandszulage auf die Tariferhöhung als
für die Beschäftigten günstigere Regelung auf ein Drittel des Erhöhungsbetrags vom
01.01.2008 begrenzt wurde, betrug der anrechenbare Betrag 41,08 €. Die Kürzung der
57
Besitzstandszulage auf 53,45 € brutto ab dem 01.01.2008 sowie auf 32,95 € entsprach
somit den zwischen den Parteien bestehenden Vereinbarungen.
b)
58
Es besteht auch keine andere Vereinbarung der Parteien, welche einen Anspruch der
Klägerin auf Zahlung einer Zulage in Höhe von 92,53 € brutto monatlich begründen
würde. Insbesondere erfolgte die Zahlung der Zulage ab dem 01.10.2005 auf der
Grundlage einer Gesamtzusage und begründete keine betriebliche Übung.
59
Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung
bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus der die Arbeitnehmer schließen
können, dass ihnen die aufgrund dieser Verhaltensweisen gewährten Leistungen oder
Vergünstigungen auch künftig auf Dauer gewährt werden (BAG vom 16.01.2002, 5 AZR
715/00 in NZA 2002, 632). Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht
der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das
Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller
Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und durfte (BAG vom 16.01.2002
a.a.O.).
60
Vorliegend hat die Beklagte die Zulage nach dem 01.10.2005 nicht einfach weiterhin
gezahlt, sondern diese mit einem Erklärungstatbestand verbunden: Diese sollte künftig
als persönliche anrechenbare Besitzstandszulage gezahlt werden. Liegt aber ein
solcher ausdrücklicher Erklärungstatbestand vor, hindert dies das Entstehen einer
betrieblichen Übung. Einer ausdrücklichen Annahme der Gesamtzusage bedurfte es
dabei gem. § 151 BGB nicht.
61
II.
62
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung der an sie gezahlten
Funktionszulage bei der Bemessung des Vergleichsentgelts gem. § 5 TVÜ-Bund. Denn
bei der bis September 2005 an die Klägerin gezahlten Funktionszulage handelt es sich
nicht um eine tarifvertraglich zustehende Funktionszulage gem. § 5 Abs. 2 S. 3 TVÜ-
Bund.
63
2..
64
Die Höhe der Vergütung der übergeleiteten Arbeitnehmer ist in drei Schritten zu
ermitteln: Gemäß § 4 Abs. 2. TVÜ-Bund wird im ersten Schritt die sich aus dem BAT
ergebende Vergütungs- bzw. Lohngruppe der Beschäftigten nach Maßgabe der Anlage
2 TVÜ-Bund den Entgeltgruppen des TVÖD zugeordnet. In einem zweiten Schritt ist
nach § 5 TVÜ-Bund ein Vergleichsentgelt auf der Grundlage der im September 2005
erhaltenen Bezüge zu bilden. In einem dritten Schritt sind die angestellten Beschäftigten
sodann gem. § 6 TVÜ-Bund einer ihrem Vergleichsentgelt entsprechenden individuellen
Zwischenstufe der gem. § 4 TVÜ-Bund ermittelten Entgeltgruppe zugeordnet; zum
01.10.2007 steigen die Angestellten dann in die dem Betrag nach nächsthöhere Stufe
der Entgeltgruppe auf.
65
2.
66
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die an die Klägerin seit dem 01.10.2007
67
gezahlte Vergütung dementsprechend ermittelt wurde. Dabei ist zwischen den Parteien
weiterhin nicht streitig, dass zur Berechnung des Vergleichsentgelt gem. § 5 Abs. 2 S. 2.
TVÜ-Bund die Grundvergütung der Klägerin, die allgemeinen Zulagen sowie der
Ortszuschlag berücksichtigt wurden. Streitig ist jedoch, ob zur Berechnung des
Vergleichsentgelts, welches die Grundlage für die letztendliche Eingruppierung der
Klägerin gem. § 6 TVÜ-Bund bildete, auch die an sie bis September 2005 gezahlte
Funktionszulage im Schreibdienst gem. § 5 Abs. 2 S. 3 TVÜ-Bund hätte herangezogen
werden müssen.
Nach Ansicht der Kammer war dies nicht erforderlich. Nach Kündigung der
entsprechenden tariflichen Grundlage 1983 beruhte die Zahlung der Funktionszulage
lediglich auf der Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG und damit auf staatlichem Recht,
nicht jedoch auf tariflichem Recht. Eine Auslegung des § 5 Abs. 2 S. 3 TVÜ-Bund ergibt
jedoch, dass nur Funktionszulage, die aufgrund einer tarifvertraglichen
Anspruchsgrundlage gezahlt wurden, in das Vergleichsentgelt einfließen musste.
68
a)
69
Ein Tarifvertrag ist in seinem normativen Teil nach den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln auszulegen. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei
der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist. Bei einem nicht eindeutigen
Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit
er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist dabei stets
auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, nicht auf die einzelne Norm. Lässt dies
zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte ohne Bindung
an eine Reihenfolge weitere Kriterien heranziehen, etwa die Entstehungsgeschichte
des jeweiligen Tarifvertrages oder die Praktikabilität der Tarifübung. Im Zweifel gebührt
derjenigen Tarifauslegung der Vorrang, die zu einer vernünftigen, sachgerechten,
zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG vom 16.06.2004
AP TVG § 4 Effektivklausel Nr. 24; BAG vom 29.08.2001, AP TVG § 2. Auslegung Nr.
174).
70
b)
71
Dies zugrundegelegt haben die Parteien in § 5 Abs. 2 S. 3 TVÜ-Bund ausdrücklich
geregelt, dass nur tarifvertraglich zustehende Funktionszulagen in das Vergleichsentgelt
einfließen sollten. Funktionszulagen, die nicht aufgrund einer tariflichen Regelung
gezahlt wurden, sollten unberücksichtigt bleiben. Hätten die Tarifvertragsparteien
anderes gewollt, so hätten sie auf die Verwendung des Wortes „tarifvertraglich
zustehend“ verzichten können. Hieraus wird zudem deutlich, dass die
Tarifvertragsparteien davon ausgingen, dass Funktionszulagen ohne tarifliche
Grundlage gezahlt wurden; ansonsten wäre der Zusatz „tariflich zustehen“ überflüssig.
Schließlich spricht für diese Auslegung die Protokollerklärung zu § 5 Abs. 2 S. 3 TVÜ, in
welcher die Tarifvertragsparteien erläutert haben, wie die Berücksichtigung erfolgen
sollte: Die Techniker-, Meister- und Programmiererzulagen sollen als persönliche
Besitzstandszulagen gezahlt werden. Die Funktionszulage im Schreibdienst ist hier
nicht aufgeführt.
72
Der Wortlaut ist eindeutig. Aber auch aus dem im tariflichen Gesamtzusammenhang
zum Ausdruck kommenden Zwecks der Überleitungsvorschriften des TVÜ-Bund ergibt
sich nichts anderes. Das gem. § 5 TVÜ-Bund zu ermittelnde Vergleichsentgelt soll den
73
Beschäftigten davor schützen, nach der Überleitung in den TVöD gem. § 6 bzw. § 7
TVÜ schlechter vergütet zu werden, als vorher. Das Vergleichsentgelt garantiert damit,
dass auch nach der Überleitung des Arbeitsverhältnisses der bisherige Besitzstand
gewahrt wird. Für die Tarifvertragsparteien ging es aber lediglich um Wahrung des
Besitzstandes, welcher sich aus tarifvertraglichen Vorschriften ergab. Ein Grund dafür,
außertariflich geschuldete Vergütung in das künftig tariflich geschuldete Grundgehalt
einfließen zu lassen und es damit individualrechtlichen Änderungen zu entziehen,
bestand nicht.
c)
74
Die an die Klägerin gezahlte Funktionszulage im Schreibdienst, welche aufgrund einer
Nachwirkung der Protokollnotizen Nr. 3 bzw. 6 des Teils II Anschnitt N der Anlage 2. a
zum BAT gem. § 4 Abs. 5 TVG gezahlt wurde, stellt entgegen der Ansicht der Klägerin
keine tarifvertragliche Zahlung dar.
75
Die Nachwirkung beruht auf einer gesetzlichen Anordnung und damit auf staatlichem
Recht; sie stellt insbesondere keine andere Form der Tarifwirkung (dispositives
Tarifrecht) dar. Denn der Tarifvertrag als solcher wurde durch Kündigung 1983
vollständig außer Kraft gesetzt; eine Weitergeltung der Normen hatte seine Grundlage
nicht in einer Vereinbarung der Tarifvertragsparteien, sondern in der gesetzlichen
Anordnung des § 4 Abs. 5 TVG (vgl. BAG vom 16.8.1990 AP TVG § 4 Nachwirkung Nr.
19).
76
Konnte die Klägerin damit die Funktionszulage ab 1984 nicht mehr auf der Grundlage
einer tariflichen Regelung, sondern aufgrund der Nachwirkung gem. § 4 Abs. 5 TVG
beanspruchen, handelte es sich aber nicht um eine tarifvertraglich zustehende Zulage
i.S.v. § 5 Abs. 2 S. 3 TVÜ-Bund, sondern um eine, die gemäß staatlichen Rechts
beansprucht werden konnte. Diese sind aber gem. § 5 Abs. 2 TVÜ-Bund nicht in das
Vergleichsentgelt einzubeziehen.
77
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
78
III.
79
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; der Klägerin als unterlegene Partei
waren die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
80
Die Streitwertentscheidung erging gem. § 42 Abs. 4 GKG, § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 3 ff.
ZPO. Sie ist gleichzeitig maßgeblich zur Berechnung der Gerichtsgebühren gem. § 63
GKG.
81
Die Berufung war gem. § 64 Abs. 3 Nr. 2. und Nr. 2 b) zuzulassen.
82
Rechtsmittelbelehrung
83
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
84
B e r u f u n g
85
eingelegt werden, weil sie vom Arbeitsgericht zugelassen worden ist.
86
Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
87
Die Berufung muss
88
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
89
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
90
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
91
Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
92
1.Rechtsanwälte,
93
2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
94
3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
95
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
96
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
97
- Sell -
98