Urteil des ArbG Essen vom 17.01.2008

ArbG Essen: künstliche befruchtung, arbeitsunfähigkeit, unfruchtbarkeit, künstliche insemination, verschulden, behandlung, körperlicher zustand, juristische person, krankenversicherung, sterilität

Arbeitsgericht Essen, 1 Ca 1805/07
Datum:
17.01.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Essen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 Ca 1805/07
Schlagworte:
Entgeltfortzahlung, Arbeitsunfähigkeit, Krankheit, Unfruchtbarkeit,
künstliche Befruchtung, künstliche Insemination
Normen:
§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, § 27 a SGB V, § 115 Abs. 1 SGB X
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Die Unfruchbarkeit einer Arbeitnehmerin ist eine Krankheit isd. § 3
Abs. 1 S. 1 EFZG.
2. Die im Rahmen einer künstlichen Befruchtung behandelte
Arbeitnehmerin ist "infolge" der Krankheit Unfruchtbarkeit arbeitsunfähig
und hat damit Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG.
3. Entscheidet sich eine Arbeitnehmerin zur Vornahme einer künstlichen
Befruchtung trifft sie kein Verschulden isd. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG.
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 722,19 € nebst 5 % über
dem jeweiligen Basiszinssatz seit 30.05.2007 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Streitwert, auch für die Gerichtsgebühren: 722,00 €.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um übergegangene Lohnansprüche.
2
Die Beklagte betreibt einen Pflegedienst in Essen. Bei ihr ist eine Arbeitnehmerin (29
Jahre alt) seit 2.1.2004 als Pflegerin beschäftigt. Sie ist bei der Klägerin als gesetzliche
Krankenversicherung versichert. Sie ist unfruchtbar.
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Die Klägerin bewilligte ihr mit Bescheid vom 4.8.2006 eine bis zu dreimalige
Behandlung gegen die Unfruchtbarkeit (Bl. 27 d. A.).
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Die Arbeitnehmerin wurde im Zeitraum vom 29.9. bis 18.10.2006 sowie vom 7.3. bis
22.4.2007 im Rahmen einer artifiziellen Insemination behandelt und konnte während
dieser Zeiträume nicht arbeiten. Die erste Insemination im Herbst 2006 schlug fehl, die
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zweite im Frühjahr 2007 hatte Erfolg, die Arbeitnehmerin befand sich am 11.4.2007 in
der 6. Schwangerschaftswoche (Bl. 31 d. A.). Während die Beklagte der Arbeitnehmerin
für den ersten Zeitraum Entgeltfortzahlung leistete, diese aber nun von ihr zurückfordert,
verweigerte sie Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 7.3. bis 22.4.2007. Die Klägerin trat
mit Krankengeld für den Zeitraum 8.3. bis 22.3.2007 in Vorleistung und zwar in Höhe
von insgesamt 722,19 €.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Unfruchtbarkeit sei eine Krankheit und die Behandlung
dagegen führe zu einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit, für die der Arbeitgeber
Entgeltfortzahlung zu leisten habe. Eine unfruchtbare Arbeitnehmerin sei sogar
gehalten, drohenden Folgen einer die Arbeitsfähigkeit zunächst nicht tangierenden
Krankheit entgegenzuwirken. Hier sei bei einer Nichtbehandlung der Sterilität z.B.
spätere Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Auswirkungen zu befürchten.
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Sie beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 722,19 nebst 5 v.H. über jeweiligem
Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, Sterilität sei nur ein vermeintlich unnormaler körperlicher Zustand.
Die Krankheit müsse für einen Entgeltfortzahlungsanspruch zudem die alleinige
Ursache für die Arbeitsunfähigkeit sein. Dies sei hier nicht der Fall, weil die Sterilität die
Arbeitsfähigkeit eines Arbeitnehmers nicht tangiere. Es komme hinzu, dass die
Behandlung durch künstliche Befruchtung nicht geeignet sei, die Krankheit zu
beseitigen. Die Inanspruchnahme des Arbeitgebers für das gesellschaftspolitische Ziel,
auch unfruchtbaren Menschen Kinder zu ermöglichen, sei verfehlt. Die Entscheidung zu
einer künstlichen Befruchtung beruhe auf einer freien Willensentscheidung und sei mit
dem Schutzzweck des § 3 EFZG nicht vereinbar. Der Arbeitgeber sei nicht
verantwortlich für die affektive Ausrichtung des Arbeitnehmers. Dafür sei die
Solidargemeinschaft zuständig. Es könne nicht sein, dass der Arbeitnehmer seine
persönlichen Lebensziele auf Kosten des Arbeitgebers realisieren solle.
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Ergänzend wird auf die wechselseitigen vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen
verwiesen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, sowie
auf die Sitzungsprotokolle.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die zulässige Klage ist auch begründet.
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I.
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Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung gegen die Beklagte in geltend gemachter Höhe
aus übergegangenem Recht.
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1. Die Arbeitnehmerin der Beklagten hatte für den Zeitraum ab 7.3.2007 Anspruch auf
Entgeltfortzahlung durch die Beklagte nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Die Voraussetzungen
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des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG sind für diesen Zeitraum erfüllt.
a) Die Arbeitnehmerin war in diesem Zeitraum krank.
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aa) Die Klägerin ist unstreitig unfruchtbar. Zwar spricht der Behandlungsplan vom
1./4.8.2006 (Bl. 27 d. A.) von einem „OAT-Syndrom“, das häufig zu einer Unfruchtbarkeit
des Mannes führt und schlägt als Behandlungsmethode eine Intracytoplasmatische
Spermieninjektion (ICSI) vor, die häufig bei Unzulänglichkeiten des männlichen
Spermiums gewählt wird. Die Beklagte hat aber im Schriftsatz vom 13.6.2007 (Bl. 25 d.
A.) vorgetragen, die Arbeitnehmerin leide an Unfruchtbarkeit. Die Beklagte ist dem nicht
entgegen getreten, sondern spricht im Schriftsatz vom 14.10.2007 (Bl. 38 d. A.) von der
„Sterilität der Arbeitnehmerin“. Damit ist aber unstreitig, dass die hier in Frage stehende
Arbeitnehmerin unfruchtbar ist. Ob (zusätzlich auch) ihr Ehemann unfruchtbar ist, kann
hier dahinstehen.
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bb) Die Unfruchtbarkeit als fehlende Möglichkeit sich fortzupflanzen, ist eine Krankheit
iSd. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Worauf im Einzelnen diese Unfruchtbarkeit beruht und was
ihre Ursache ist, brauchte hier nicht weiter aufgeklärt zu werden. Es ist mittlerweile
anerkannt, dass auch die Unfruchtbarkeit eine Krankheit darstellt. Krankheit wird als
jeder regelwidrige Zustand des menschlichen Körpers verstanden. Der weibliche Körper
ist bei natürlicher Funktion in der Lage, gemeinsam mit der männlichen Spermazelle
Kinder zu zeugen. Kann der Körper der hier betroffenen Arbeitnehmerin dies nicht, so ist
dies ein regelwidriger Zustand, der eine Krankheit darstellt.
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cc) Diese Auslegung des Krankheitsbegriffes wird auch von dem die
Krankenversicherung regelnden SGB V geteilt. Denn § 27 a SGB V sieht ausdrücklich
Leistungen der Krankenversicherung im Rahmen einer künstlichen Befruchtung vor.
Damit hat der Gesetzgeber aber die begriffliche Auslegung (oben aa) bestätigt, denn die
künstliche Befruchtung ist in § 27 a SGB V aufgeführt unter dem Abschnitt „Leistungen
bei Krankheit“. Auch der Gesetzgeber geht damit davon aus, dass die künstliche
Befruchtung eine Behandlung einer Krankheit darstellt, die eine künstliche Befruchtung
erst notwendig machende Unfruchtbarkeit mithin eine Krankheit ist.
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dd) Auch die Obergerichte sehen die Unfruchtbarkeit als Krankheit an (vgl. BGH v.
12.11.1997, Az. IUV ZR 58/97, NJW 1998, 824, unter 2 a der EntschGr.; v. 17.12.1986,
Az. IVa ZR 78/85, NJW 1987, 703 unter II 2 a der EntschGr.; BSG v. 8.3.1990, AZ. 3 RK
24/89, NJW 1990, 2959; BFH v. 18.6.1997, Az. III R 84/96, NJW 1998, 855 unter II 2 a
der EntschGr.). Gleiches gilt für die ganz herrschende Ansicht in der Literatur (vgl.
Schmitt, EFZG, 5. Aufl. 2005, § 3, Rn. 74; ErfKo-Dörner, 8. Aufl. 2008, § 3 EFZG, Rn. 10,
28; MüKo-BGB-Müller-Glöge, 4. Aufl. 2005, § 3 EFZG, Rn. 44; Lepke, NZA-RR 1999,
57; wohl auch Staudinger-Oetker, BGB, Neubearb. 2002, § 616, Rn. 206; a.A. wohl
allein Müller-Roden, NJW 1989, 128, 129, der einen eigenen Krankheitsbegriff „im
arbeitsrechtlichen Sinne“ schaffen will).
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ee) Die Einheitlichkeit der Rechtsordnung gebietet damit aber, den Begriff „Krankheit“ in
§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ebenso auszulegen, wie in anderen Gesetzen. Es ist kein
Anhaltspunkt ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff „Krankheit“ in § 3 Abs. 1
S. 1 EFZG etwas anderes gemeint haben könnte, als mit demselben Begriff in anderen
Gesetzen. Der vereinzelt vertretenen Ansicht, Krankheit im arbeitsrechtlichen Sinne sei
etwas anderes als Krankheit in einem anderen Sinne (so Müller-Roden, a.a.O.) schließt
sich die Kammer nicht an. Die dort aufgeworfenen Fragen sind allenfalls Fragen
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hinsichtlich des Begriffs Arbeitsunfähigkeit und der Kausalität zwischen Krankheit und
Arbeitsunfähigkeit.
Die betroffene Arbeitnehmerin war bzw. ist damit krank iSd. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG.
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b) Dass die Arbeitnehmerin im hier fraglichen Zeitraum arbeitsunfähig iSd. § 3 Abs. 1 S.
1 EFZG war, ist zwischen den Parteien nicht streitig.
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c) Die Arbeitnehmerin war aber auch gerade „infolge“ dieser Krankheit arbeitsunfähig.
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aa) Eine Krankheit führt nur dann zu einer Arbeitsunfähigkeit „infolge“ dieser Krankheit,
wenn sie alleinige Ursache für die Arbeitsunfähigkeit ist; führen erst weitere hinzu
tretende Gründe zu dieser Arbeitsunfähigkeit, scheidet ein Anspruch nach § 3 Abs. 1
EFZG aus (BAG v. 22.8.2001, Az. 5 AZR 699/99, NZA 2002, 610, unter I 3 a der
EntschGr.; ErfKo-Dörner, a.a.O., Rn. 28; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann, 2. Aufl.
2006, § 3 EFZG, Rn. 12 f.). Denn dann ist die Arbeitsunfähigkeit nicht nur Folge der
Krankheit, sondern auch Folge anderer Umstände.
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bb) Die Krankheit „Unfruchtbarkeit“ war aber alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit im
hier streitigen Zeitraum vom 8. bis 28.3.2007. Die Beklagte hat sich auf einen anderen
Grund für die Arbeitsunfähigkeit nicht berufen. Ein anderer Grund kann jedenfalls
entgegen der Argumentation der Beklagten nicht darin gesehen werden, dass nicht die
Unfruchtbarkeit selbst, sondern erst der Wunsch der Arbeitnehmerin, diese zu
überbrücken, Grund für die Arbeitsunfähigkeit gewesen wäre. Denn dieser Wunsch ist
wie jeder Behandlungswunsch bei Krankheit zu der Erkrankung hinzu getreten.
Gleichwohl bleibt aber die Krankheit „Unfruchtbarkeit“ auch weiterhin Ursache für den
Wunsch, eine künstliche Befruchtung durchführen zu lassen. Denn diesen Wunsch
muss eine Arbeitnehmerin nicht haben, wenn sie nicht an dieser Krankheit leidet. Die
Beklagte verwechselt hier die Frage einer „alleinigen“ Ursache mit der Frage nach einer
„direkten“ Ursache. Es geht dabei nicht um die Kausalität, die hier zwischen Krankheit
und Arbeitsunfähigkeit gegeben ist, sondern um die Frage, ob gerade die Krankheit
selbst zur Arbeits“unfähigkeit“ führt oder erst zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit
tretende weitere Umstände.
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cc) Richtig ist, dass die Unfruchtbarkeit nicht direkte Ursache für die Arbeitsunfähigkeit
ist. Denn die Arbeitnehmerin hätte wie zuvor auch mit ihrer Krankheit „Unfruchtbarkeit“
bei der Beklagten ohne Beeinträchtigungen weiter arbeiten können. Auf ihre
Arbeitsleistung wirkt sich diese Krankheit nicht aus. Eine Arbeitsunfähigkeit „infolge“
Krankheit bestand aber gleichwohl.
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(1) Der Arbeitgeber muss nämlich auch für solche Zeiträume Entgeltfortzahlung nach § 3
Abs. 1 S. 1 EFZG leisten, für die ein Arbeitnehmer eine Krankheit behandeln lässt und
erst diese Behandlung zu einer Arbeitsunfähigkeit führt (ähnlich ErfK-Dörner, a.a.O., Rn.
10 für den Fall, dass der Arzt eine Maßnahme anordnet, die erst Arbeitsunfähigkeit zur
Folge hat). So zieht auch die Beklagte im Kammertermin nicht in Zweifel, dass der
Arbeitgeber Entgeltfortzahlung leisten muss für die Zeit, während der einem
Arbeitnehmer ein Herzschrittmacher eingesetzt wird, dessen Batterie ausgewechselt
wird oder ein Arbeitnehmer, der nicht wesentlich auf seine Augen angewiesen ist, im
Rahmen einer Operation eine künstliche Linse in sein Auge einsetzen lässt. In allen
diesen Fällen könnte ein Arbeitnehmer ebenso für den Arbeitgeber weiter arbeiten ohne
seine Krankheit behandeln zu lassen. Die Krankheit führt auch dort nicht direkt zu einer
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Arbeitsunfähigkeit, sondern erst der Wunsch, diese behandeln zu lassen.
(2) Auch das BAG hat eine Arbeitsunfähigkeit angenommen, wenn der Arbeitnehmer
eine Krankheit behandeln lässt, die ihn nicht direkt an der Erbringung der
Arbeitsleistung hindert (BAG v. 14.10.1972, Az. 5 AZR 264/71, DB 1972, 635; und
insbesondere v. 5.4.1976, Az. 5 AZR 397/75, DB 1976, 1386 für die Beseitigung eines
die Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigenden Schielens).
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(3) Auch ethische Unterschiede kann die Kammer zwischen diesen Fällen und dem hier
zu entscheidenden nicht erkennen. Richtig ist, dass die Behandlung einer
Unfruchtbarkeit bis vor einigen Jahren nicht so wie heute möglich war. Daher fiel auch
keine Entgeltfortzahlung bei derartigen Behandlungen an. Gleiches gilt aber auch für
andere Behandlungsmethoden. Insoweit ist es richtig, dass der Arbeitgeber den
Fortschritt der Medizin finanziell mittragen muss. Er trägt aber auch die Vorteile daraus,
nämlich dass die Arbeitnehmer nicht nur länger leben, sondern auch länger
leistungsfähig bleiben. Dies gilt im Besonderen auch für eine Arbeitnehmerin, die eine
künstliche Befruchtung vornehmen lässt. Denn die Klägerin hat unbestritten darauf
hingewiesen, dass eine Frau mit Kinderwunsch, der dieser Wunsch von ihrem Körper
versagt wird, gefährdet ist, später wegen psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig zu
werden. Daher stellt die Behandlung in Form einer künstlichen Befruchtung in gewisser
Weise auch eine Prophylaxe gegen spätere Erkrankungen dar. Die Kammer ist daher
der Ansicht, dass der Arbeitgeber durch dieses Ergebnis des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG nicht
übermäßig belastet wird.
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c) Die Arbeitnehmerin traf an dieser Arbeitsunfähigkeit auch kein Verschulden.
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aa) Eine Leistung, die die Krankenversicherung als Krankenbehandlung nicht nur
anerkennt, sondern für die sie sogar die Kosten übernimmt, kann bei ihrer
Inanspruchnahme kein Verschulden des Arbeitnehmers iSd. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG
begründen. Dies würde einen Widerspruch der Rechtsordnung darstellen.
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bb) Als Verschulden wird aber auch nur eine solche Handlung angesehen, bei der der
Arbeitnehmer gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen verstößt
(ErfKo-Dörner, a.a.O., Rn. 23 m. Nw.). Davon kann aber bei Vornahme einer künstlichen
Befruchtung nicht ausgegangen werden. Denn eine ärztlich verordnete Behandlung, die
der Arbeitnehmer durchführen lässt, stellt keinen Verstoß gegen die eigenen Interessen
dar (BAG v. 5.4.1976, Az. 5 AZR 397/75, a.a.O.).
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cc) Ob und ggf. wann speziell eine künstliche Insemination ein Verschulden gegen sich
selbst iSd. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG darstellt, ist allerdings in Literatur und Rechtsprechung
umstritten.
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(1) Eine enge Ansicht (Staudinger-Oetker, a.a.O., Rn. 206), will das Verschulden nur
ausschließen, wenn der Inseminationsversuch erfolgreich verlaufen ist. Da die
Arbeitnehmerin infolge der im hier streitigen Zeitraum erfolgten Insemination schwanger
geworden ist, wäre ein Entgeltfortzahlungsanspruch hier ausgeschlossen. Ähnlich
argumentiert im Ergebnis eine andere Ansicht (Müller-Roden, NZA 1989, 129, 131), die
zwar die Entscheidung zur künstlichen Insemination nicht unter die Definition des
Verschuldens gegen sich selbst ziehen will, gleichzeitig aber Arbeitnehmer auffordert,
diese Behandlung innerhalb des Urlaubes durchzuführen, weil der Arbeitgeber diesen
privaten Wunsch nicht unterstützen müsse. Beide Ansichten überzeugen die Kammer
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indes nicht. Der zuletzt genannten fehlt ein an § 3 EFZG orientiertes Argument, warum
einerseits ein Verschulden nach allgemeinen Grundsätzen nicht zu begründen ist,
andererseits aber ein Anspruch gleichwohl ausscheiden muss. Der ersten Ansicht
mangelt ebenso ein Bezug zur Systematik des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Ein Verschulden
gegen sich selbst erst im Nachhinein festzustellen überzeugt nicht. Denkbar wäre
allenfalls, dass abhängig von der vorherigen Erfolgsaussicht des
Inseminationsversuches ein Verschulden angenommen werden könnte. Bei einem
Arbeitnehmer, der schon fünf erfolglose Versuche hinter sich hat, könnte danach eher
ein Verschulden angenommen werden, weil mit jedem erfolglosen Versuch die Chance
für einen künftigen Erfolg geringer wird. Von vornherein den Lohnanspruch von der erst
im Nachhinein zu beurteilenden Erfolglosigkeit abhängig zu machen, erscheint indes
wenig sachgerecht. Denn dies würde das Risiko, ohne Lohnanspruch dazustehen, ohne
Sachgrund auf den Arbeitnehmer verlagern, obwohl dieser als Laie weder vorab den
Erfolg vorhersehen kann, noch ihn beeinflussen kann. Bei dieser Sachlage aber von
einem Verschulden zu sprechen, kann die Kammer nicht teilen.
(2) Eine andere Ansicht (Schmitt, EFZG, a.a.O., § 3, Rn. 77; ArbG Arnsberg v. 20.8.1992,
Az. 2 Ca 469/92, AiB 1993, 466; wohl auch ErfKo-Dörner, a.a.O., Rn. 28) beantwortet
die Frage des Verschuldens aus § 27 a SGB V heraus. Sofern die Krankenkasse die
Kosten für die Behandlung übernehme, sei ein Verschulden nicht festzustellen. Sofern
dies nicht der Fall sei, gelte dies nicht mehr. Richtig an dem Ansatz ist wohl, dass der
Arbeitgeber nicht bei jahrelangen erfolglosen Inseminationsversuchen
Entgeltfortzahlung leisten muss. Ob diese Abgrenzung anhand der Voraussetzungen
des § 27 a SGB V erfolgen muss oder besser anhand anderer Kriterien, die
beantworten, ob die durchgeführte Behandlung Erfolg versprechend war, kann hier offen
bleiben. Denn jedenfalls lagen für die hier streitige Arbeitnehmerin nach Bewilligung der
Klägerin die Voraussetzungen des § 27 a SGB V vor.
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(3) Noch weitergehend wird vertreten abweichend von § 27 a SGB V könne auch eine
künstliche Befruchtung erfolgen, wenn die Samenzelle nicht vom Ehemann der
Arbeitnehmerin stamme (so ArbG Marburg v. 26.9.2006, Az. 2 Ca 155/06, DB 2006,
2298 unter I 2 der EntschGr., ähnlich wohl Kohte/Nebe, jurisPR-ArbR 21/2007, Anm. 2,
unter C), bzw. die Entscheidung zur künstlichen Insemination sei in keinem Fall ein
Verschulden gegen sich selbst (so ArbG Düsseldorf v. 5.6.1986, Az. 2 Ca 1567/86, NJW
1986, 2394; offenbar auch MüKo-BGB-Müller-Glöge, a.a.O., § 3 EFZG, Rn. 44,
allerdings unter Zitierung der Ansicht oben (2)).
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(4) Welche der beiden zuletzt genannten Ansichten vorzugswürdig ist, kann
dahinstehen, weil hier jedenfalls die Voraussetzungen des § 27 a SGB V in vollem
Umfang für die streitige Arbeitnehmerin erfüllt sind.
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Damit trifft die hier in Frage stehende Arbeitnehmerin kein Verschulden iSd. § 3 Abs. 1
S. 1 EFZG.
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d) Folge ist, dass die Arbeitnehmerin Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den
Arbeitgeber hat. Ein Fall des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG lag jedenfalls bis zum 28.3.2007
nicht vor. Hierauf hat sich auch die Beklagte nicht berufen. Gegen die Höhe des
Entgeltfortzahlungsanspruches hat sich die Beklagte ebenso wenig gewehrt. Der Betrag
für diesen Zeitraum gilt danach als unstreitig. Er war jedenfalls höher als das gewährte
Krankengeld, da dieses gemäß § 47 Abs. 1 S. 2 SGB V jeweils nicht höher ist als der
Nettolohnanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber.
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2. Der Entgeltfortzahlungsanspruch der Arbeitnehmerin gegen die Beklagte ist in der
hier geltend gemachten Höhe auf die Klägerin übergegangen.
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a) Der Anspruchsübergang folgt nach § 115 Abs. 1 SGB X. Soweit danach der
Arbeitgeber einen Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein
Leistungsträger Sozialleistungen erbringt, geht der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers
gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger über. Hier hat die Beklagte der
Arbeitnehmerin zu Unrecht die Entgeltfortzahlung im Zeitraum 8. bis 28.3.2007
verweigert. Die Klägerin ist deshalb mit der Leistung von Krankgeld in Vorleistung
getreten, damit die Arbeitnehmerin nicht ohne Entgelt bleibt. Der
Entgeltfortzahlungsanspruch ist auch von dem Begriff „Entgelt“ in § 115 Abs. 1 SGB X
umfasst, weil damit nicht nur direkte Lohn- oder Gehaltsansprüche sondern auch
Entgeltersatzansprüche gegen den Arbeitgeber umfasst sind (KassKomm-SozVersR-
Kater, Stand: 55. ErgL 2007, § 115 SGB X, Rn. 21). Dazu gehört auch der Anspruch auf
Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG. Folge ist danach, dass der
Entgeltfortzahlungsanspruch der Arbeitnehmerin auf die Klägerin übergegangen ist. Sie
kann daher den Entgeltanspruch aus übergegangenem Recht gegen die Beklagte
geltend machen.
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b) Der Anspruch geht nach § 115 Abs. 1 SGB X allerdings nur in der Höhe über, wie der
Leistungsträger Leistungen anstelle des Entgeltes gewährt. Die Klägerin hat unstreitig in
der hier verfolgten Höhe Krankengeld an die betreffende Arbeitnehmerin geleistet.
Hiergegen hat sich die Beklagte nicht gewehrt. Damit ist der
Entgeltfortzahlungsanspruch der Arbeitnehmerin in dieser Höhe auf die Klägerin
übergegangen.
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Der Klägerin steht also gegen die Beklagte ein Zahlungsanspruch in der verfolgten
Höhe zu.
46
II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. Die
Streitwertfestsetzung ergeht -auch für den Gerichtsgebührenstreitwert- nach §§ 61 Abs.
1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ff. ZPO, 42 Abs. 4 S. 1; 63 Abs. 2 GKG.
48
Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
50
B e r u f u n g
51
eingelegt werden.
52
Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
53
Die Berufung muss
54
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
55
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
56
(0211) 7770 - 2199 eingegangen sein.
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung
57
Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle
können Vertreter einer Gewerkschaft oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von
Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht
zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren
Mitglieder Partei sind. Die gleiche Befugnis haben Angestellte juristischer Personen,
deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten
Organisationen stehen, solange die juristische Person ausschließlich die
Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend
deren Satzung durchführt.
58
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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gez. Dr. Klein
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