Urteil des ArbG Essen vom 24.10.2008

ArbG Essen: treu und glauben, juristische person, freiwillige leistung, betriebsstätte, tarifvertrag, zusage, entstehung, arbeitsgericht, bestandteil, stillschweigend

Arbeitsgericht Essen, 5 Ca 2250/08
Datum:
24.10.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Essen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Ca 2250/08
Normen:
§ 126 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Ein konstituives Schriftformerfordernis in einem Tarifvertrag verhindert
das Entstehen einer betrieblichen Übung. Dies gilt auch dann, wenn der
Tarifvertrag lediglich kraft arbeitsvertraglicher Verweisung gilt. Der
Verweis auf ein trarifliches Schriftformerfordernis kann zwar
stillschweigend abbedungen werden. Eine solche Abbedingung durch
eine betriebliche Übung liegt aber dann nicht vor, wenn davon
auszugehen ist, dass der Arbeitgeber tarifgebundene und
nichttarifgebundene Arbeitnehmer gleichbehandeln möchte.
Tenor:
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3.Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 926,-- € festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Essenszuschuss zusteht.
2
Der Kläger wurde von einer Rechtsvorgängerin der Beklagten zum 01.04.1995 als
Projektassistent für Hilfs- und Unterstützungsarbeiten eingestellt. Bis einschließlich
31.12.2007 war er in der Betriebsstätte in E. tätig. Zum 01.01.2008 erfolgte seitens der
Beklagten eine sog. Standortkonsolidierung, in deren Folge er gemeinsam mit 86
weiteren Mitarbeitern in die Betriebsstätte Essen versetzt wurde.
3
Am Standort in E. gab es keine Betriebsstättenkantine. Seit Beginn seiner
Beschäftigung erhielt der Kläger stattdessen - ebenso wie seine Kollegen - einen
Essensgutschein, den er zur Mittagszeit bei bestimmten Gaststätten/Einrichtungen
einlösen konnte. Grundlage war eine Regelung der Rechtsvorgängerin der Beklagten
vom 01.01.1986 über „Soziale Leistungen“, die den Mitarbeitern kundgetan worden ist.
Diese Regelung, wegen deren Einzelheiten auf die von der Beklagten überreichte
Anlage B 4 Bezug genommen wird, war aufgeteilt in „Gesetzliche soziale Leistungen“
und „Freiwillige soziale Leistungen“. Unter dem letztgenannten Abschnitt findet sich u.a.
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folgende Regelung:
„2.1 Essenszuschüsse
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Mitarbeiter, deren Arbeitszeit in den Geschäftsräumen der GEI eine Mittags-
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pause einschließt, haben Anspruch auf einen Essenszuschuss von 3,-- DM
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pro Tag und eingenommenes Essen unter folgenden Voraussetzungen:
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a)Ist in der Betriebsstätte eine Kantine vorhanden, so muss das Essen auf
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dem dafür vorgesehenen Aushang bis spätestens 11.00 Uhr angemeldet
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werden.
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b)Ist in der Betriebsstätte keine Kantine vorhanden, so erhält der Mitarbeiter
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Essensmarken, die in bestimmten Gaststätten/Einrichtungen eingelöst
13
werden können.
14
…“
15
Zu einem späteren Zeitpunkt wurde in der Betriebsstätte E. auf Essensgutscheine im
Wert von 2,- € umgestellt.
16
Unter dem 04.11.2004 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft „ver.di - Vereinte
Dienstleistungsgewerkschaft“ für ihr Unternehmen einen Manteltarifvertrag, der unter „§
2 Einstellung und Arbeitsvertrag“ folgende Bestimmung enthält:
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(1)…
19
(2)Der Arbeitsvertrag, Änderungen des Arbeitsvertrages und Nebenabreden
bedürfen der Schriftform. Der Arbeitsvertrag ist grundsätzlich vor Beginn,
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spätestens mit dem Tag der Arbeitsaufnahme abzuschließen. Dies gilt
sinngemäß auch für Änderungen im Sinne von Absatz 3 und für Nebenabreden.
21
…“
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Mit Datum vom 29.11.2004 vereinbarten die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag,
wegen dessen Inhalts auf die von der Beklagten überreichte Anlage B 3 verwiesen wird.
Dieser Arbeitsvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:
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„ § 1 Fortführung des Arbeitsverhältnisses
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Ihr bisheriges Arbeitsverhältnis wird als tarifliches Arbeitsverhältnis zu den
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Bedingungen dieses Arbeitsvertrages fortgeführt. …
26
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§ 2 Inhalt des Arbeitsverhältnisses
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Für das Arbeitsverhältnis gelten die für die Gesellschaft geltenden Tarifver-
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träge in der jeweils gültigen Fassung sowie die Bestimmungen dieses Arbeits-
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vertrages. Ergänzend wird auf die gesetzlichen Regelungen sowie die jeweils
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gültigen betrieblichen Regelungen der Gesellschaft hingewiesen.
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§ 13 Schlussbestimmungen
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(1)Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer
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Wirksamkeit der Schriftform. Mündliche Vereinbarungen über die Aufhebung des
Schriftformerfordernisses sind unwirksam. Mündliche Nebenabreden bestehen
nicht.
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(2)…
37
(3)Dieser Vertrag ersetzt mit Wirkung ab dem 01.01.2005 soweit rechtlich
zulässig sämtliche frühere vertragliche Regelungen und Zusagen sonstiger Art.
38
…“
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In der Betriebsstätte Essen, in welcher die Mitarbeiter der Beklagten gemeinsam mit den
Arbeitnehmern der Muttergesellschaft der Beklagten untergebracht sind, befindet sich
eine Kantine. Seit der Versetzung in diese Betriebsstätte erhalten der Kläger und seine
Kollegen weder Essensmarken noch einen sonstigen Essenszuschuss.
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Mit der vorliegenden Klage begehrt er die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten
zur Gewährung eines solchen Essenszuschusses sowie eine Nachzahlung für
angeblich 85 eingenommene Mittagessen in der Zeit von Januar bis Juni 2008.
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Der Kläger ist der Ansicht, ein entsprechender Anspruch ergebe sich entweder aus
einer Gesamtzusage oder aber einer betrieblichen Übung. Durch Abschluss des neuen
Arbeitsvertrages sei der zu diesem Zeitpunkt bestehende Anspruch nicht abbedungen
worden, da es sich beim Essenszuschuss um eine betriebliche Regelung im Sinne von
§ 2 S.2 des Arbeitsvertrages gehandelt habe. Unerheblich sei insoweit die fehlende
Schriftform. Das Schriftformerfordernis im Arbeitsvertrag sei ohnehin unwirksam,
gegenüber der tariflichen Regelung gelte das Günstig-keitsprinzip. Jedenfalls verstoße
eine Berufung der Beklagten auf ein Schriftformerfordernis gegen den Grundsatz von
Treu und Glauben.
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Der Kläger beantragt,
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1.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm
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einen Essenszuschuss in Höhe von € 2,00 pro Tag und
eingenommenem Essen ab dem 01.01.2008 zu zahlen;
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2.die Beklagte zu verurteilen, an ihn 170,00 € brutto zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, sie subventioniere die Kantine in Essen. Sie ist der Ansicht,
schon deshalb bestehe kein Anspruch des Klägers, da ihm andernfalls ein doppelter
Vorteil zugute käme. Ohnehin habe es sich um eine freiwillige Leistung ohne
Rechtsanspruch für die Zukunft gehandelt. Jedenfalls scheitere aber ein Anspruch
daran, dass weder eine etwaige Gesamtzusage noch eine betriebliche Übung unter
Einhaltung des arbeitsvertraglichen und tarifvertraglichen Schriftformerfordernisses
erfolgt seien.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
51
I.
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken.
54
Das für den Antrag zu 1) gemäß § 256 Abs.1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse
liegt vor. Hierdurch kann der zwischen den Parteien bestehende Streit über eine
Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines Essenszuschusses dauerhaft geklärt
werden. Die Möglichkeit der Erhebung einer grundsätzlich vorrangigen Leistungsklage
besteht nicht, da nicht im Vorhinein bestimmt werden kann, wie viele Mahlzeiten der
Kläger monatlich einnehmen wird. Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen
einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs.2 ZPO vor.
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2. Die Klage ist insgesamt unbegründet, da dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung
eines Essenszuschusses für die Zeit ab dem 01.01.2008 zusteht.
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a) Ein Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 611 BGB i.V.m. der Regelung
„Soziale Leistungen“. Ein hieraus resultierender Anspruch ist durch Abschluss des
Arbeitsvertrages vom 29.11.2004 aufgehoben worden.
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Gemäß § 13 Abs.3 des Arbeitsvertrages ersetzte dieser mit Wirkung ab dem 01.01.2005
sämtliche früheren vertraglichen Regelungen und Zusagen sonstiger Art. Hierunter fällt
auch die Regelung „Soziale Leistungen“, bei der es sich um eine sog. Gesamtzusage
handelte.
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Eine Gesamtzusage ist die an alle Arbeitnehmer des Betriebs oder eines nach
abstrakten Merkmalen bestimmten Teils von ihnen in allgemeiner Form gerichtete
ausdrückliche Erklärung des Arbeitgebers, bestimmte Leistungen erbringen zu wollen
(BAG v. 11.12.2007 - 1 AZR 869/06 - n.v.). Eine ausdrück-liche Annahme des in der
Erklärung enthaltenen Angebots iSv. § 145 BGB wird dabei nicht erwartet. Ihrer bedarf
es nicht. Das in der Zusage liegende Angebot wird gem. § 151 BGB angenommen und
ergänzender Inhalt des Arbeitsvertrags (BAG v. 11.12.2007 aaO; BAG v. 3..06.2006 -
10 AZR 385/05 - Rn. 31 mwN, BAGE 118, 360). Gesamtzusagen werden bereits dann
wirksam, wenn sie gegenüber den Arbeitnehmern in einer Form verlautbart werden, die
den einzelnen Arbeitnehmer typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung
Kenntnis zu nehmen. Auf dessen konkrete Kenntnis kommt es nicht an (BAG v.
11.12.2007 aaO, BAG v. 15.02.2005 - 9 AZR 116/04 - BAGE 113, 327, 340f. mwN).
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Von der seitens der Arbeitnehmer angenommenen, vorbehaltlosen Zusage kann sich
der Arbeitgeber individualrechtlich nur durch Änderungsvertrag oder wirksame
Änderungskündigung lösen (BAG v. 11.12.2007 aaO). Eine solche Ablösung der
Gesamtzusage ist hier durch Abschluss des neuen Arbeitsvertrages mit der
Ablösungsvereinbarung betreffend sämtlicher vorhergehender Zusagen erfolgt. Eine
solche Aufhebung der Zusage „Soziale Leistungen“ war nicht etwa durch § 2 S.1 des
Arbeitsvertrages ausgeschlossen, wonach betriebliche Regelungen unverändert gelten
sollten. Die Zusage „Soziale Leistungen“ war keine betriebliche Regelung.
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Dem steht schon der Geltungsbereich entgegen, denn die sozialen Leistungen sollten
nicht nur im Dortmunder Betrieb, sondern im ganzen Unternehmen gelten. Dies geht
zum einen darauf hervor, dass die Regelung nicht von der Betriebsleitung, sondern der
Unternehmensleitung stammt, wie der Angabe des Unternehmenssitzes auf der ersten
Seite „B., den ,,,“ zu entnehmen ist. Zum anderen lässt sich dies daraus schließen, dass
bezüglich des Essenszuschusses Regelungen für verschiedene Betriebsstätten
enthalten sind, nämlich für solche mit und für solche ohne Kantine.
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Zudem wird eine Gesamtzusage Bestandteil des Arbeitsvertrages, ist also anders als
eine betriebliche Regelung nicht an einen bestimmten Betrieb gebunden. Die
Arbeitnehmer erwerben aus der Gesamtzusage vielmehr einen einzelvertraglichen
Anspruch auf die zugesagten Leistungen, wenn sie die betreffenden
Anspruchsvoraussetzungen erfüllen (BAG v. 11.12.2007 1 AZR 869/06 - n.v.; BAG v.
15.02.2005 - 9 AZR 116/04 - BAGE 113, 327, 340f. mwN).
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b) Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht nach den Grundsätzen der
betrieblichen Übung.
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Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter
Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer
schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer
eingeräumt werden (BAG v. 20.05.2008 - 9 AZR 382/07 - BB 2008, 2242). Dieses als
Vertragsangebot zu wertende Verhalten des Arbeitgebers wird von den Arbeitnehmern
durch widerspruchslose Inanspruchnahme der Leistung angenommen. Der Zugang der
Annahmeerklärung ist gem. § 151 Satz 1 BGB entbehrlich. Durch die betriebliche
Übung erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Eine
betriebliche Übung ist für jeden Gegenstand vorstellbar, der arbeitsvertraglich in einer
so allgemeinen Form geregelt werden kann (BAG v. 20.05.2008 aaO; BAG v.
20.01.2004 - 9 AZR 43/03 - AP Nr. 65 zu § 242 BGB). Entscheidend für die Entstehung
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eines Anspruchs ist jedoch nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der
Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und
Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen
musste und durfte (BAG v. 20.05.2008 aaO; BAG v. 20.01.2004 aaO; BAG v.
16. 01.2002 - 5 AZR 715/00 - AP Nr. 56 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).
aa) Vor dem Abschluss des neuen Arbeitsvertrages ist keine betriebliche Übung
entstanden.
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Bis zu diesem Zeitpunkt galt die Gesamtzusage „Soziale Leistungen“ vom 01.01.1986.
Betriebliche Übung und Gesamtzusage schließen sich wechselseitig aus, da es bei
einer betrieblichen Übung an einem ausdrück-lichen Erklärungstatbestand fehlt (vgl.
Küttner - Kreitner, Personalbuch, 15. Auflage 2008, 104 Betriebliche Übung Rn. 2).
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bb) Aber auch durch die Weitergewährung der Essensgutscheine nach der
Unterzeichnung des neuen Arbeitsvertrages ist keine betriebliche Übung entstanden.
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Die Entstehung einer betrieblichen Übung scheitert hier an § 2 Abs.2 des einschlägigen
Manteltarifvertrages, wonach Nebenabreden der Schriftform bedürfen.
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(1) Die Gewährung von Essensgutscheinen ist eine solche Nebenabrede.
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Leistungsabreden sind dann Nebenabreden, wenn sie keine Gegenleistung für die
vertraglich geschuldete Leistung betreffen, sondern solche, die aus sozialen oder
sonstigen Erwägungen gewährt werden (vgl. BAG v. 18.09.2002 - 1 AZR 477/01 - NZA
2003, 337, 338). Dies trifft bei der Gewährung von Essensgutscheinen zu, die als
Sozialleistung zu qualifizieren ist (vgl. BAG v. 09.12.1981 - 4 AZR 312/79 - AP Nr.9. zu §
4 BAT).
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(2) § 2 Abs.2 MTV enthält hinsichtlich der Nebenabreden ein konstitutives
Schriftformerfordernis.
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Tarifvertragliche Schriftformerfordernisse fallen wegen ihrer normativen Wirkung unter
die Regelung der gesetzlichen Schriftform des § 126 BGB (vgl. BAG v. 18.09.2002 - 1
AZR 477/01 - NZA 2003, 337, 338; BAG v. 09.07.1985 - 1 AZR 631/80 - AP Nr. 16 zu §
75 BPersVG; BAG v. 07.09.1982 - 3 AZR 5/80 - AP Nr. 1 zu § 3 TV Arbeiter
Bundespost). Gemäß § 125 S.1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz
vorgeschriebenen Form ermangelt, nichtig. Ein solches tarifliches Schriftformerfordernis
verhindert die Entstehung einer betrieblichen Übung (BAG v. 18.09.2002 - 1 AZR
477/01 - NZA 2003, 337 ff.; BAG v. 27.03.1987 - 7 AZR 527/85 - AP Nr. 29 zu § 242
BGB; BAG v. 09.12.1981 - 4 AZR 312/79 - AP Nr.9. zu § 4 BAT).
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(3) Der Kläger kann sich nicht nach dem Günstigkeitsprinzip auf das Fehlen eines
wirksamen Schriftformerfordernisses im Arbeitsvertrag berufen.
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Auch wenn man zu seinen Gunsten unterstellt, dass der Arbeitsvertrag selbst kein
wirksames Schriftformerfordernis enthält, weil die in § 13 Abs.1 des Arbeitsvertrages
enthaltene Schriftformklausel aufgrund einer unangemessenen Benachteiligung im
Sinne des § 307 Abs.1 BGB unwirksam ist (vgl. hierzu BAG v. 20.05.2008 - 9 AZR
382/07 - BB 2008, 2242), führt dies nicht zu einer Anwendung des Günstigkeitsprinzips
gemäß § 4 Abs.3 Alt. 2 TVG.
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Erstens fehlt es an einer anderweitigen Abmachung im Sinne der vorgenannten Norm.
Auch wenn § 13 Abs.1 des Arbeitsvertrages unwirksam ist, enthält der Vertrag keine von
§ 2 Abs.2 MTV abweichende Regelung.
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Zweitens gilt im Fall einer fehlenden Tarifbindung des Klägers - zu der nichts
vorgetragen worden ist - auch der MTV nur kraft arbeitsvertraglicher Verweisung mit der
Folge, dass es an der für die Anwendung des Günstigkeits-prinzips vorausgesetzten
Kollision zweier Normen auf unterschiedlicher Regelungsebene fehlt.
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(4) Das Schriftformerfordernis des § 2 Abs.2 MTV ist von den Parteien nicht
stillschweigend aufgehoben worden.
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Allerdings kann ein gewillkürtes Schriftformerfordernis durch eine betriebliche Übung
formlos abbedungen werden (vgl. BAG v. 24.06.2003 - 9 AZR 302/02 - NZA 2003, 1145;
BAG v. 27.03.1987 - 7 AZR 527/85 - AP Nr. 29 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Das
Bundesarbeitsgericht hat diese Folge aber dann nicht angenommen, wenn die
Schriftformklausel Bestandteil einer tariflichen Regelung ist, die für einen nicht
tarifgebundenen Arbeitnehmer einzel-vertraglich übernommen worden ist (BAG v.
27.03.1987 - 7 AZR 527/85 - AP Nr.29 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG v.
09.12.1981 - 4 AZR 312/79 - AP Nr.9. zu § 4 BAT). Dies wurde im Wesentlichen damit
begründet, dass der Sinn und Zweck einer einzelvertraglichen Verweisung auf den
Tarifvertrag darin bestehe, tarifgebundene und nicht tarifgebundene Arbeitnehmer gleich
zu behandeln.
78
Ob diese Begründung auch nach der im Hinblick auf die Schuldrechtsreform erfolgten
Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung von
Bezugnahmeklauseln unverändert aufrecht erhalten bleiben kann, erscheint allerdings
fraglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt für Verträge, die ab
dem 01.01.2002 geschlossen worden sind, dass eine Verweisung auf das einschlägige
Tarifwerk nicht als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden kann, sofern sich nicht aus
dem Vertragswortlaut und den Umständen des Vertragsschlusses hierfür konkrete
Anhaltspunkte ergeben (vgl. BAG v. 22.10.2008 - 4 AZR 793/07 - Pressemitteilung; BAG
v. 18.04.2007 - 4 AZR 652/05 - AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag;
BAG v. 14.12.2005 - 4 AZR 536/04 - AP Nr.39 zu § 1 TVG Bezugnahme auf
Tarifvertrag). Auch wenn hiernach eine vertragliche Verweisungsklausel nicht mehr
ohne Weiteres als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden kann, so folgt daraus aber
nicht zwangsläufig, dass die Arbeitsvertragsparteien im Rahmen einer betrieblichen
Übung formlos die Verweisung auf ein tarifvertragliches Schriftformerfordernis aufheben
wollten. Hinsichtlich der Auslegung des objektiven Erklärungswerts stillschweigender
Erklärungen gelten nämlich nicht die Einschränkungen der Unklarheitenregel des §
305c Abs.2 BGB, da sie keine vorformulierten Vertragsbedingungen beinhalten. Es
bleibt damit bei den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen. Eine Aufhebung des kraft
arbeitsvertraglicher Verweisung geltenden tariflichen Schriftformerfordernisses durch
eine betriebliche Übung kann unverändert nur dann angenommen werden, wenn davon
auszugehen ist, dass sich der Arbeitgeber gegenüber den nicht tarifgebundenen
Arbeitnehmern auf jeden Fall binden wollte, selbst wenn dies zu einer Begünstigung
gegenüber tarifgebundenen Mitarbeitern führt. Hierfür fehlen im Streitfall Anhaltspunkte.
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(5) Es ist der Beklagten auch nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß §
242 BGB verwehrt, sich auf den Formmangel zu berufen.
80
Die Berufung auf die Schriftform ist bei Gewährung eines Essenszuschusses dann
treuwidrig, wenn der Arbeitgeber den Eindruck erweckt, er halte sich hierzu ohne
Rücksicht auf eine schriftliche Vereinbarung für verpflichtet (vgl. BAG 09.12.1981 - 4
AZR 312/79 - AP Nr.9. zu § 4 BAT). Hierfür genügt die bloße Zahlung eines
Essenszuschusses trotz Fehlens einer schriftlichen Vereinbarung nicht (BAG v.
09.12.1981 aaO). Es bedarf vielmehr sonstiger Umstände, die den Schluss auf einen
Bindungswillen zulassen (BAG v. 09.12.1981 aaO). Solche Umstände hat der Kläger
nicht vorgetragen.
81
cc) Selbst wenn aber entgegen den obigen Ausführungen eine wirksame betriebliche
Übung entstanden wäre, hätte der Kläger keinen Anspruch auf Auszahlung eines
Essensgeldzuschusses.
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Dem steht entgegen, dass weder der Kläger noch seine Kollegen im Dortmunder
Betrieb in der Vergangenheit einen solchen Essensgeldzuschuss erhalten haben.
Stattdessen haben sie Essensgutscheine erhalten, die in bestimmten
Gaststätten/Einrichtungen eingelöst werden konnten. Wenn überhaupt, so könnte sich
eine betriebliche Übung nur hierauf beziehen. Sofern das Verhalten der Beklagten
einen diesbezüglichen Verpflichtungswillen hat erkennen lassen, so besteht jedenfalls
kein Anlass, aus der Ausgabe von Essensgutscheinen auf einen Verpflichtungswillen
für die hier eingeklagte Zahlung eines Essensgeldzuschusses zu schließen.
83
II.
84
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO.
85
III.
86
Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Für den Antrag zu
2) wurde unter Heranziehung der Grundsätze des § 42 Abs.3 S.1 GKG errechnet,
welcher Wert sich bei einer dreijährigen Zahlung des Essensgeldzuschusses ergibt.
Hiervon wurde ein Abschlag von 50% vorgenommen, da es sich um eine
Feststellungsklage handelt.
87
Rechtsmittelbelehrung
88
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
89
B e r u f u n g
90
eingelegt werden.
91
Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
92
Die Berufung muss
93
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
94
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
95
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
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Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1.Rechtsanwälte,
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2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
100
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
102
- Barth -
103