Urteil des ArbG Essen vom 21.07.2000

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Arbeitsgericht Essen, 2 Ca 3504/99
Datum:
21.07.2000
Gericht:
Arbeitsgericht Essen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Ca 3504/99
Schlagworte:
Tarifvertragliche Urlaubsabgeltung "wegen Erreichung der Altersgrenze"
Normen:
Gesetz : § 7 Abs. 4 BUrlG, § 36 Abs. 11 BMT-AW II.
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine Arbeitnehmerin, die nach Erreichen des 60. Lebensjahres in der
ersten Hälfte des Kalenderjahres per Aufhebungsvertrag aus dem
Arbeitsverhältnis ausscheidet, weil sie Altersrente bezieht, hat keinen
Anspruch auf den vollen Erholungsurlaub gemäß § 36 Abs. 11 BMT-AW
II.
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.165,16 DM festgesetzt.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten über die Abgeltung von Resturlaub.
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Die am 09. Februar 1939 geborene Klägerin war von 1972 bis zum 28. Februar 1999 in
den Diensten der Beklagten als Wäscherin zu einem Bruttomonatslohn von 2.653,57
DM bei einer 28,875-Stunden-Woche beschäftigt.
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Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fand kraft einzelvertraglicher Verein-
barung der „Bundes-Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der
Arbeiterwohlfahrt vom 01. November 1977“ (i. d. F.: BMT-AW II) in seiner jeweils
geltenden Fassung Anwendung.
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Das Arbeitsverhältnis endete durch einen zwischen den Parteien unter dem 09. Juli
1998 abgeschlossenen Aufhebungsvertrag zum 28. Februar 1999, da die Klägerin ab
dem 01. März 1999 Altersrente erhält. Der Gesamtjahresurlaubsanspruch der Klägerin
betrug 32 Arbeitstage; 6 Urlaubstage hatte sie bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Be-
trieb der Beklagten genommen.
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Mit ihrer am 14. Oktober 1999 bei Gericht eingegangenen Zahlungsklage nimmt die
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Klägerin den beklagten Verein auf Urlaubsabgeltung in Anspruch. Zur Begründung trägt
sie vor, gemäß § 36 Abs. 11 BMT-AW II habe derjenige Arbeitnehmer, der wegen
Rentenbezugs ausscheide, Anspruch auf den vollen Urlaubsanspruch für das laufende
Jahr. Da die Klägerin im Jahre 1999 ausgeschieden sei, stehe ihr somit der gesamte
Jahresurlaub, abzüglich der von ihr in Anspruch genommenen sechs Urlaubstage, mit-
hin eine Urlaubsabgeltung für weitere 26 Tage, zu.
Die Klägerin beantragt,
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den beklagten Verein zu verurteilen, an die Klägerin
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DM 3.165,16 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich
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hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 26. Okto-
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ber 1999 zu zahlen.
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Der beklagte Verein beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung macht der beklagte Verein geltend, die Klägerin sei nicht wegen Er-
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reichens der Altersgrenze im Sinne von § 36 Abs. 11 BMT-AW II ausgeschieden. Die
Altersgrenze sei nämlich in § 39 Abs. 3 BMT-AW II in Verbindung mit Absatz 1 c de-
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finiert als das Erreichen des 65. Lebensjahres. Der Tarifvertrag regele also in seinem
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§ 36 Abs. 11 das „Erreichen der Altersgrenze“ und nicht den „Bezug einer Altersrente“.
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Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien den
Bezug des vollen Erholungsurlaubs davon hätten abhängig machen wollen, mit wel-
chem Lebensjahr der Gesetzgeber den Bezug der Altersrente ermögliche. Jedenfalls
beziehe die Klägerin seit dem 01. März 1999 Altersrente für Frauen. Durch das Stellen
eines entsprechenden Antrages bei der LVA Rheinprovinz habe sie auf den „Bezug
einer Altersrente“ auch selber Einfluss genommen.
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Es sei im übrigen darauf hinzuweisen, dass bei anderen Rentenbezugsarten gemäß
den §§ 36, 37 BMT-AW II sowie § 39 SGB VI die betroffenen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer das bestehende Arbeitsverhältnis unter Wahrung der vorgegebenen
Kündigungsfristen gemäß § 39 BMT-AW II schriftlich kündigen oder es durch einen
Aufhebungsvertrag beenden müssten. Für diese Fälle sehe § 36 Abs. 9 BMT-AW II eine
entsprechende Zwölftelung des Jahresurlaubs vor. Entsprechend § 36 Abs. 9 BMT-AW
II habe im vorliegenden Fall der beklagte Verein der Klägerin zwei Zwölftel (= 6
Urlaubstage) ihres Gesamturlaubsanspruchs berechnet und ihr in der Zeit vom 05. bis
12. Februar 1999 in natura gewährt.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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I.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe von DM 3.165,00
brutto.
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1. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus § 7 Abs. 4 BUrlG, da der Klägerin nur
ein Teilurlaub in Höhe von zwei Zwölfteln zugestanden hat (§ 5 Abs. 1 lit. c BUrlG).
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Diesen Teilurlaub hat sie unstreitig von dem beklagten Verein erhalten.
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2. Der von der Klägerin verfolgte Anspruch ergibt sich nicht aus § 36 Abs. 11 BMT-AW II.
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a) Danach hat ein Arbeitnehmer, der „wegen Erreichung der Altersgrenze aus dem Ar-
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verhältnis ausscheidet, Anspruch auf den vollen Erholungsurlaub“.
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b) Diese Voraussetzungen haben im vorliegenden Fall nicht vorgelegen.
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Tarifverträge sind wie Gesetze auszulegen (vgl. BAG vom 29. Januar 1992 - 5 AZR
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518/90 - NZA 1992, 1037). Zunächst ist vom Tarifwortlaut auszugehen und dann der
Wille der Tarifvertragsparteien im Gesamtzusammenhang zu ermitteln (vgl. BAG, a. a.
O.).
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aa) Für den Geltungsbereich des BMT-AW II haben die tarifschließenden Parteien in der
Regelung des § 39 BMT-AW II selbst definiert, was sie unter dem Begriff „Errei-chung
der Altersgrenze“ verstehen. Diesbezüglich definiert § 39 Abs. 3 BMT-AW II:
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„Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf,
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mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer das fünfundsechzigste Lebensjahr
vollendet hat.“
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Nach dieser klaren Definition, die auch für den Anwendungsbereich der Norm des
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§ 36 Abs. 11 BMT-AW II heranzuziehen ist, ist die „Erreichung der Altersgrenze“ etwas
ganz anderes als der „Bezug der Altersrente“. Die Kammer hat auch keinen Zweifel da-
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ran, dass die Tarifvertragsparteien sich dieses Unterschieds auch durchaus bewusst
gewesen sind, als sie die Regelung in § 36 Abs. 11 BMT-AW II vereinbart und formu-
liert haben.
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Der Wortlaut der Tarifnorm spricht also deutlich dagegen, dass mit „Bezug der Alters-
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rente“ das gleiche gemeint sein soll, wie mit „Erreichung der Altersgrenze“.
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bb) Die Systematik des Tarifvertrages spricht ebenfalls dafür, dass mit Altersgrenze das
Erreichen des 65. Lebensjahres gemeint ist.
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Die Tarifvertragsparteien haben in § 39 Abs. 1 c BMT-AW II den Beendigungstatbe-
stand „Erreichung der Altersgrenze“ eingeführt und selbst in Abs. 3 dieses Paragra-phen
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definiert (Erreichung des 65. Lebensjahres). Es ist nicht erkennbar, dass der Begriff
„wegen Erreichung der Altersgrenze“ vier Paragraphen vorher in einem ande-ren,
nämlich im Sinne des Bezuges der Altersrente verstanden werden sollte.
cc) Nach Auffassung der Kammer entspricht es auch nicht dem Sinn und Zweck des
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§ 36 Abs. 11 BMT-AW II, die Ausnahme (voller Erholungsurlaub auch bei Ausscheiden
in der ersten Jahreshälfte) auch auf Fälle wie den vorliegenden auszudehnen.
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Zweck des § 36 Abs. 11 BMT-AW II ist es nämlich - wie sich aus dem Zusammen-hang
mit den Merkmalen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit ergibt - dass der
Arbeitnehmer, der aufgrund von Merkmalen ausscheidet, auf die er selbst keinen Ein-
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fluss hat, gegenüber denjenigen, die die Beendigung durch Kündigung beeinflussen
können, keinen Nachteil erleidet. Es sollen die Arbeitnehmer, deren Berufs- oder Er-
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werbsunfähigkeit Anfang des Jahres festgestellt wird, hinsichtlich des Urlaubs nicht
schlechter gestellt werden als diejenigen, bei denen die Voraussetzungen hierfür erst im
Herbst festgestellt werden. Genauso verhält es sich mit der Altersgrenze. Der volle
Jahresurlaub soll unabhängig davon erreicht werden, wann der Arbeitnehmer die Al-
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tersgrenze, d.h. das 65. Lebensjahr, erreicht.
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Es kann außerdem nicht davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien
den Bezug des vollen Erholungsurlaubs davon haben abhängig machen wollen, mit
welchem Lebensjahr der Gesetzgeber den Bezug der Altersrente bei Männern und/ oder
Frauen ermöglicht.
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c) Die Auslegung des BMT-AW II führt also zu dem Ergebnis, dass Fälle wie der vor-
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liegende - die Klägerin ist nicht wegen Erreichen des 65. Lebensjahres ausgeschie-den,
sondern weil sie im Hinblick auf den zum 01. März 1999 möglichen Bezug der
Altersrente die Aufhebung ihres Arbeitsverhältnisses mit dem beklagten Verein verein-
bart hat - nicht unter die Sondernorm des § 36 Abs. 11 BMT-AW II fallen, in denen der
ausscheidende Arbeitnehmer Anspruch auf den vollen Erholungsurlaub hat.
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Nach allem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
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II.
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1. Die Kosten des Rechtsstreits hat gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO in Verbindung mit
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§ 46 Abs. 2 ArbGG die Klägerin zu tragen.
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2. Den Wert des Streitgegenstandes hat die Kammer gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG,
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§ 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit den §§ 3 ff ZPO in Höhe der Klageforderung
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festgesetzt.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin Berufung eingelegt werden, soweit mit ihr
eine Beschwer von mehr als 1.200,-- DM verfolgt wird.
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Für den beklagten Verein ist gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichnet sein; an seine Stelle können Vertreter von Gewerkschaften
oder von Vereinigungen von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher
Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und
der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind.
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Die Berufungsschrift muss
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binnen einer Notfrist * von einem Monat
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nach Zustellung dieses Urteils bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-
Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, eingegangen sein.
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Die Berufung ist gleichzeitig oder innerhalb eines weiteren Monats nach Eingang der
Berufung beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf in gleicher Form schriftlich zu
begründen.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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gez. B a c h l e r
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