Urteil des ArbG Duisburg vom 30.07.2008

ArbG Duisburg: fristlose kündigung, ordentliche kündigung, baustelle, unwirksamkeit der kündigung, juristische person, tatsächlicher schaden, abmahnung, kündigungsfrist, betriebsrat, ausschluss

Arbeitsgericht Duisburg, 3 Ca 1126/08
Datum:
30.07.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Duisburg
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Ca 1126/08
Schlagworte:
Verhaltensbedingte Kündigung, Betriebsrat
Normen:
§ 15 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
§ 15 KSchG schließt eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung
eines Betriebsratsmitglied aus.
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
durch die außerordentliche fristlose, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist
ausgesprochene Kündigung der beklagten Partei vom 02.05.2008, der
klagenden Partei am 02.05.2008 zugegangen, nicht aufgelöst ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten
Bedingungen als Maschinist entsprechend dem Arbeitsvertrag und der
bisherigen Übung weiterzubeschäftigen mit einer regelmäßigen
Arbeitszeit von 39 h/w bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den
Antrag zu 1).
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Der Streitwert beträgt 15.750,-- Euro.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.
2
Der 49-jährige, geschiedene, einer Tochter zum Unterhalt verpflichtete Kläger trat zum
1.3.1997 als Maschinist in die Dienste der Beklagten, einem Bauunternehmen mit mehr
als 10 Arbeitnehmern. Der Kläger ist Betriebsratsvorsitzender. Zuletzt verdiente der
Kläger monatlich ca. 3.000,00 Euro brutto sowie ein zusätzliches Weihnachtsgeld. Der
Kläger ist Betriebsratsvorsitzender.
3
In einem Beschlussverfahren zur Geschäftsnummer 4 BV 4/08 verlangten Arbeitnehmer
der Beklagten den Ausschluss des Klägers aus dem Betriebsrat. Das Arbeitsgericht E.
wies diesen Antrag mit Beschluss vom 26.06.2008 zurück.
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Die Beklagte hatte in der Vergangenheit mehrere Diebstähle von Gegenständen, die auf
den Baustellen zurückblieben, wie z.B. Verkehrslenkungstafeln, ein Felsmeißel,
Absperrzäune und Baustellenleuchten, zu beklagen.
5
Mit einer Information der Firmenleitung vom 12.7.2007, die im Betrieb ausgehängt
wurde, wies die Beklagte u.a. auf Folgendes hin:
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„Alle verladbaren Geräte und Materialien, die nicht eingebaut oder fest montiert
sind (Spindeln, Schilder, Baggerkübel, Felsmeißel usw.), müssen bei
Arbeitsbeendigung aufgeladen und mit zum Firmengelände gebracht werden.
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Die Firmenleitung behält sich vor, bei Zuwiderhandlungen Abmahnungen
einzuleiten.“
8
Die Beklagte erteilte dem Kläger am 20.11.2007 eine schriftliche Abmahnung mit dem
Vorwurf, der Kläger habe am Montag, dem 19.11.2007, nach Feierabend nicht mehr
benötigte Bauzäune und Spindeln nicht zum Bauhof zurück transportiert.
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Der Kläger ließ mit Schreiben vom 28.11.2007 eine Gegendarstellung zur Personalakte
reichen.
10
Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen B 3 und B 4 zur Klageerwiderung (Bl. 59
und 60 ff. d.A.) Bezug genommen.
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Am 23.1.2008 erteilte die Beklagte dem Kläger erneut eine Abmahnung mit dem
Vorwurf, er habe am 22.1.2008 auf einer Baustelle zwei Bauzäune stehen gelassen.
12
Mit Schreiben vom 30.1.2008 ließ der Kläger eine Gegendarstellung zur Personalakte
nehmen.
13
Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen B 6 und B 7 zur Klageerwiderung (vgl. Bl.
64 und 65 d.A.) Bezug genommen.
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Am 28.2.2008 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung mit dem
Vorwurf, der Kläger habe gegenüber dem Zeugen A. geäußert, die Beklagte sei
wirtschaftlich am Ende.
15
Mit Schreiben vom 7.3.2008 ließ der Kläger diesen Vorwurf zurückweisen.
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Am 21.4.2008 war der Kläger gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen B. auf einer
Baustelle Insel-/N. in P. eingeteilt.
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Auf der Baustelle verblieben u.a. mehrere Zaunelemente, Barken und Lampen.
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Die Beklagte erteilte dem weiteren Mitarbeiter B. wegen des Nichtaufräumens dieser
Baustelle eine Abmahnung.
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Mit Schreiben vom 29.4.2008 bat die Beklagte den Betriebsrat um Zustimmung zur
fristlosen Kündigung des Klägers.
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Am 30.4.2008 erteilte der Betriebsrat die Zustimmung zur fristlosen Kündigung.
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Mit Schreiben vom 2.5.2008, das der Kläger am 2.5.2008 erhielt, kündigte die Beklagte
das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise zum 30.9.2008 mit einer Auslauffrist.
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Mit bei Gericht am 13.5.2008 eingegangener Klage, die der Beklagten am 16.5.2008
zugestellt wurde, hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.
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Anlässlich zweier seitens des Klägers eingereichter Anträge auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung auf Weiterbeschäftigung bzw. Ausübung seines
Betriebsratsamtes vereinbarten die Parteien vergleichsweise in den Verfahren vor dem
erkennenden Gericht zu den Geschäftsnummern 3 Ga 14/08 und 3 BVGa 7/08, dass der
Kläger zunächst seine Betriebsratstätigkeit weiter ausüben könne.
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Der Kläger behauptet, er habe die Baustelle am Montagmorgen so vorgefunden,
jedenfalls im Hinblick auf die dort vorhandenen Materialien, insbesondere
Zaunelemente, Barken und Lampen, wie er sie am Abend verlassen habe. Er habe den
weiteren Mitarbeiter B., dem die Baustelle zugewiesen gewesen sei, auf das Abräumen
der Baustelle zum Schichtende angesprochen. Darauf habe er sinngemäß mitgeteilt
bekommen, dass der Bauführer erklärt habe, das Material bleibe auf der Baustelle. Er
sei für das Abräumen der Baustelle nicht zuständig gewesen, da er lediglich
Baumaschinist sei.
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Sämtliche anderen Baustellen am 24.4.2008 seien ebenfalls nicht abgeräumt gewesen.
Ein wirksamer Beschluss des Betriebsrates nach § 103 BetrVG liege nicht vor, da das
zunächst nachrückende Betriebsratsersatzmitglied T. am 30.4.2008
überraschenderweise erkrankt sei und deshalb an der Teilnahme und an der
nachfolgenden Beschlussfassung gehindert gewesen sei und das weitere
Ersatzmitglied, Frau L., der Minderheitsfraktion im Betriebsrat zuzurechnen sei.
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Die Beklagte habe dem Betriebsrat weder die Abmahnungen, auf die sie sich in der
Anhörung vom 29.4.2008 bezogen habe, noch die von ihm verfassten
Gegendarstellungen bekanntgegeben.
27
Der Kläger ist der Ansicht, die Anhörung sei zudem widersprüchlich, da auf Seite 2 es
im vorletzten Satz laute:
28
„Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist ist
unumgänglich.“
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Die Beklagte habe sich in ihrem Aushang vom 12.7.2007 auf den Ausspruch einer
Abmahnung beschränkt.
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Die Kündigung sei auch aufgrund des Maßregelungsverbotes gemäß § 612 a BGB
unwirksam.
31
Der Kläger beantragt,
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1)festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
außerordentliche fristlose, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist
ausgesprochene Kündigung der beklagten Partei vom 02.05.2008, der
klagenden Partei am 02.05.2008 zugegangen, nicht aufgelöst ist;
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2)die beklagte Partei zu verurteilen, die klagende Partei zu unveränderten
Bedingungen als Maschinist entsprechend dem Arbeitsvertrag und der
bisherigen Übung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zu
1) weiterzubeschäftigen, und zwar mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von
39 h/w.
34
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, da der Kläger bereits mehrfach denselben Verstoß begangen
habe, sei er gekündigt worden. Sie wisse nicht, ob sich die Baustelle bereits am
21.4.2008 um 7.15 Uhr in dem Zustand dargestellt habe, wie die im einstweiligen
Verfügungsverfahren vorgelegten Lichtbilder zeigen sollen. Selbst wenn die Baustelle
allerdings bei Übernahme durch den Kläger nicht aufgeräumt gewesen sein sollte,
würde dies auch nichts an der Berechtigung zur Kündigung ändern, da der Antragsteller
verpflichtet sei, bei Arbeitsende am 21.4.2008 die Baustelle aufzuräumen. Sie
kontrolliere nicht täglich sämtliche Baustellen, so dass ihr nicht bekannt sei, in welchem
Zustand sich die Baustelle bei Dienstantritt am 21.4.2008 befunden habe. Auch am
22.4.2008 sei die Baustelle nicht aufgeräumt gewesen.
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Auch der Kläger sei für das Abräumen der Baustelle zuständig. Er sei nicht
verschiedenen Baustellen zugeordnet gewesen. Nicht zutreffend sei es, dass am
24.4.2008 nach Schichtende noch weitere Baustellen nicht abgeräumt gewesen seien.
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Die Baustellen seien aufgeräumt gewesen. Stichproben der Bauführer hätten keine
Verstöße ergeben. Soweit arbeitsrechtliche Verstöße begangen worden seien, seien
diese auch bei anderen Arbeitnehmern abgemahnt worden. In der Zeit vor dem
Aushang am schwarzen Brett seien Gegenstände im Gesamtwert von 42.810,-- Euro
gestohlen worden. Die Werte der Gegenstände, die der Kläger auf den verschiedenen
Baustellen, die in den Abmahnungen bzw. in der Kündigung genannt wurden,
zurückgelassen habe, beliefen sich auf 1.710,10 Euro.
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An der Sitzung des Betriebsrates, in der der Kündigung zugestimmt worden sei, hätten
die Betriebsratsmitglieder Herr J., Frau L., Herr T., Herr M. und Herr A. teilgenommen.
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Der Betriebsrat sei ausreichend und ordnungsgemäß unterrichtet worden. Sämtlichen
Mitgliedern des Betriebsrates, die über die Kündigung zu entscheiden hatten, sei der
gesamte Fall mit sämtlichem Hintergrund bekannt gewesen. Der Kläger habe bereits im
Vorfeld sämtliche Mitglieder des Betriebsrats über sämtliche Abmahnungen informiert
und auch über seine Gegendarstellungen. Hierüber sei mehrfach mit den übrigen
Mitgliedern des Betriebsrates diskutiert worden. Mit der Formulierung im Aushang habe
sie lediglich deutlich machen wollen, dass bei einem Verstoß gegen die klare
Anweisung nicht direkt gekündigt werde, sondern dem Arbeitnehmer zuvor durch eine
Abmahnung noch die Möglichkeit eingeräumt werde, sich vertragsgemäß zu verhalten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung Bezug
genommen.
42
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
43
I.
44
Die Klage ist begründet.
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1. Die Kündigung vom 2.5.2008 hat das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch
außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.9.2008 beendet.
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a) Gemäß § 626 BGB kann das Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber aus wichtigem Grund
ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen,
aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles
und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des
Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten
Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung des
Vorliegens eines wichtigen Kündigungsgrundes erfolgt in zwei Stufen: Zunächst ist zu
prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls
an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein an sich
geeigneter Kündigungsgrund vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung
des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des
Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar sei (vgl.
BAG v. 17.5.1984, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14, v. 2.3.1989, AP
BGB § 626 Nr. 101).
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Ein Betriebsratsmitglied steht hinsichtlich der Beurteilung des wichtigen Grundes
grundsätzlich jedem anderen Arbeitnehmer gleich; seine Eigenschaft als Amtsträger im
Sinne des § 15 KSchG darf weder zu seinen Gunsten noch zu seinen Ungunsten
berücksichtigt werden (vgl. LAG Köln v. 28.11.2006, LAGE § 15 KSchG Nr. 14). Um
Wertungswidersprüche zu vermeiden, ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer
Weiterbeschäftigung bei Betriebsratsmitgliedern auf die fiktive Kündigungsfrist des §
622 BGB abzustellen. Demnach kann ein Betriebsratsmitglied nach § 626 BGB nur
dann fristlos gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren
Arbeitnehmer ohne betriebsverfassungsrechtliche Funktion dessen Weiterbeschäftigung
bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (vgl.
BAG v. 10.2.1999, AP § 15 KSchG 1969 Nr. 42; BAG v. 27.9.2001, 2 AZR 487/00, EzA §
15 KSchG Nr. 54).
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Nach diesen Grundsätzen scheidet der Ausspruch einer fristlosen Kündigung ohne
Auslauffrist von vorneherein aus.
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Selbst wenn dem Kläger die in den Abmahnungen vorgeworfenen Pflichtverletzungen
zur Last fallen und er es auch pflichtwidrig versäumt hat, am 21.4.2008 und am
22.4.2008 die Baustelle aufzuräumen, kommt eine fristlose Kündigung nicht in Betracht.
Der Kläger hätte jeweils eine ihm obliegende Leistungspflicht verletzt. Ein konkreter
Schaden ist der Beklagten an den von ihr genannten Tagen nicht entstanden. Es ist
unerheblich, dass es in der Vergangenheit bereits zu Diebstählen gekommen ist. Dies
mag Anlass genug gewesen sein, eine klare Anweisung an die Mitarbeiter zu erteilen.
Selbst wenn ein Mitarbeiter sich wiederholt nicht an diese Mitteilung hält, so ist es der
Beklagten jedoch nicht unzumutbar, diesen Mitarbeiter jedenfalls bis zum Ende der
Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass der
Kläger jeweils allein auf den Baustellen tätig war. Soweit weitere Mitarbeiter tätig sind,
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können auch diese - bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist - ihr Augenmerk darauf
legen, dass die Baustelle abgeräumt wird. Insoweit ist der Kläger nicht allein
verantwortlich. Selbst wenn der Kläger als Maschinist gelegentlich alleine auf
Baustellen zum Dienstschluss tätig sein sollte, so ist der Beklagten auch das Risiko
zuzumuten, dass im Einzelnen eine Baustelle nicht aufgeräumt ist. Ggfls. könnte sie
dies durch eine Überwachung feststellen. Wie die von ihr durchgeführten Stichproben
zeigen, ist es ihr nicht unmöglich, solche Überwachungsmaßnahmen zu ergreifen.
b) Die Kündigung ist auch nicht als verhaltensbedingte fristlose Kündigung mit
Auslauffrist gerechtfertigt.
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aa) Es ist umstritten, ob dem Betriebsratsmitglied, dem allein aufgrund des Umstandes,
dass für ihn die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, nicht verhaltensbedingt
ordentlich gekündigt werden kann, zumindest verhaltensbedingt außerordentlich mit
Gewährung einer Auslauffrist gekündigt werden kann (bejahend: Fitting u.a., BetrVG, 24.
Aufl., § 103 Rnr. 28, KR-Etzel, § 15 KSchG, Rnr. 22 - ablehnend: LAG Köln AiB 2002, 69
- offen gelassen vom BAG v. 10.2.1999, AP § 15 KSchG 1969 Nr. 42; BAG v. 27.9.2001,
AiB 2002, 446).
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bb) Die Entscheidung dieser Streitfrage kann hier dahinstehen, da auch eine ordentliche
verhaltensbedingte Kündigung vorliegend nicht gerechtfertigt wäre.
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Ein die Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG aus Gründen des Verhaltens des
Arbeitnehmers rechtfertigender Grund liegt vor, wenn das dem Arbeitnehmer
vorgeworfene Verhalten eine Vertragspflicht verletzt, das Arbeitsverhältnis dadurch
konkret beeinträchtigt wird, keine zumutbare Möglichkeit anderweitiger Beschäftigung
besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider
Parteien billigenswert und angemessen erscheint (vgl. BAG v. 16.9.2004, AP KSchG
1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50).
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Die verhaltensbedingte Kündigung des Klägers wäre aufgrund der soeben zuletzt
genannten Interessenabwägung in jedem Fall ungerechtfertigt, selbst wenn dem Kläger
die Vertragspflichtverletzungen, wie von der Beklagten behauptet, zur Last fallen.
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Spezifische Abwägungskriterien aus der Sicht des Arbeitgebers sind insbesondere die
Intensität und die Beharrlichkeit der Vertragspflichtverletzung und die Bedeutung der
verletzten Vertragspflicht im Gefüge des Arbeitsverhältnisses (Art, Schwere und
Häufigkeit der Pflichtwidrigkeit) sowie die durch die Pflichtverletzung hervorgerufenen
Störungen im Betriebsablauf (vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 28.11.2006, NZA-RR
2007, 129). Aus der Sicht des Arbeitnehmers entlastend zu berücksichtigen sind eine
etwaige Mitverantwortlichkeit des Arbeitgebers, der z.B. durch unklare oder verwirrende
Arbeitsanweisungen beim Arbeitnehmer Zweifel über den Inhalt seiner Pflichten
verursacht hat (vgl. BeckOK RGKU/Rolfs, § 1 KSchG, Rnr. 233). Zunächst ist
festzuhalten, dass Gegenstand der Kündigung vorliegend allein das Nichtbeachten von
Verhaltenspflichten ist. Ein tatsächlicher Schaden ist der Beklagten nicht entstanden. In
keinem der drei genannten Fälle ist es tatsächlich zu einem Schaden gekommen.
Gleichwohl kann selbstverständlich auch ohne den Eintritt des Schadens eine
verhaltensbedingte ordentliche Kündigung bei wiederholter Pflichtverletzung in Betracht
kommen.
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Dies gilt jedoch aufgrund der Abwägung der beiderseitigen Interessen im vorliegenden
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Fall nicht. Die Beklagte verhält sich widersprüchlich. Einerseits kündigt sie dem Kläger
wegen des Nichtaufräumens der Baustelle am 21.4.2008 und 22.04.2008. Andererseits
ist nicht zu erkennen, dass die Beklagte das Nichtaufräumen der Baustelle als derart
gravierend empfunden hätte, dass sie die Hinweise des Klägers, dass sich die Baustelle
schon bei Beginn der Tätigkeit des Klägers auf der Baustelle in dem gleichen Zustand
befunden habe, wie er sich auch am Abend dargestellt habe, nachgegangen wäre. Die
Beklagte lässt es gemäß ihrer Ausführung auf Seite 8 der Klageerwiderung (Bl. 43 d.A.)
hingegen ausdrücklich offen, ob die Baustelle bei Übernahme durch den Kläger
aufgeräumt gewesen ist.
Die Beklagte hat sodann lediglich Abmahnungen vorgelegt für insgesamt vier Vorfälle.
An diesen vier Vorfällen war dreimal der Kläger beteiligt. Es gibt noch einen Vorfall, bei
dem zwei Kollegen abgemahnt wurden, mit denen der Kläger am jeweiligen Tag nicht
zusammengearbeitet hat.
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Angesichts dessen erscheint es bereits aufgrund des Vortrags der Beklagten zufällig,
dass der Kläger bereits dreimal angetroffen wurde. Wenn die Beklagte das
Nichtaufräumen der Baustelle als derart gravierend ansieht, dass sie bei dreimaliger
Wiederholung gedenkt, die Arbeitsverhältnisse zu den jeweiligen betroffenen
Mitarbeitern zu beenden, so ist dies unter Berücksichtigung der Interessen der
Arbeitnehmer an dem Erhalt ihrer Arbeitsplätze nur dann plausibel und nachvollziehbar,
wenn die Beklagte zusätzlich Maßnahmen ergreift, um eine einigermaßen gleichmäßige
Überwachung vorzunehmen. Beschränkt sich die Beklagte hingegen auf Stichproben,
sind weitere Ausführungen dazu erforderlich, warum es nicht gerade zufällig ist, dass
der einzelne Arbeitnehmer im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern dreimal dabei
beobachtet wurde, eine Baustelle nicht aufgeräumt zu haben.
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cc) Richtiger Ansicht nach ist zudem die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung von
vorneherein gegenüber dem Kläger ausgeschlossen. Aus diesem Grund kommt eine
verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist bereits prinzipiell nicht
in Betracht. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung kann nicht zum Nachteil des
Klägers gereichen und die härtere Sanktion der außerordentlichen Kündigung mit
Auslauffrist rechtfertigen (vgl. LAG Köln v. 24.8.2001, 4 Sa 377/01, AiB 2002, 639 - 640).
Hierfür spricht, dass nach § 15 KSchG die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung
nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ausgeschlossen ist. Dieser Wille
des Gesetzgebers würde umgangen, wenn man gleichwohl in den Fällen, in denen eine
ordentliche verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommt, statt dessen eine
außerordentliche Kündigungsfrist mit Auslauffrist gelten lassen wollte. Sofern einzelne
Äußerungen in der Literatur dahingehend zu verstehen sein sollten, dass gleichwohl
eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung mit Auslauffrist in Betracht kommt (vgl.
Fitting u.a., BetrVG 24. Aufl. § 103 Rnr. 28), so überzeugt dies nicht. Die
verhaltensbedingte Kündigung ist von der Natur der Sache her von der
betriebsbedingten bzw. der personenbedingten Kündigung zu unterscheiden.
Besondere Härten entstehen für den Arbeitgeber nur dann, wenn auch die
betriebsbedingte bzw. personenbedingte Kündigung in jedem Fall ausgeschlossen ist.
Dies folgt daraus, dass eine verhaltensbedingte Kündigung in besonders dramatischen
Fällen immer zulässig ist, wie sich aus § 626 BGB ergibt. Aufgrund dessen ist eine
Sonderregelung über den Gesetzeswortlaut hinaus für eine verhaltensbedingte
Kündigung nicht erforderlich. Bereits § 626 BGB ordnet an, dass unabhängig von
etwaigen Vereinbarungen der Parteien über einen Kündigungsausschluss bzw.
entsprechende Gesetze die verhaltensbedingte Kündigung in gravierenden Fällen
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immer zulässig ist. Nur für den Bereich der betriebsbedingten bzw. personenbedingten
Kündigung gibt es eine solche Anordnung nicht. Dies hat das Bundesarbeitsgericht zu
Recht dazu bewogen, auch insoweit eine fristlose Kündigung in Betracht zu ziehen,
diese jedoch zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen mit einer Auslauffrist
auszustatten. Diese Systematik kann jedoch auf verhaltensbedingte Kündigungsgründe
nicht ohne weiteres übertragen werden. Denn hierdurch liefe der gesetzliche
Kündigungsschutz leer. Dies kann auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass ein
Verstoß gegen § 78 Satz 2 BetrVG, also dem Verbot der Besserstellung von
Betriebsratsmitgliedern gegenüber anderen Arbeitnehmern, erblickt wird. Ein Verstoß
liegt schon deshalb nicht vor, weil der Ausschluss der verhaltensbedingten Kündigung
unmittelbar aus dem Gesetz, nämlich aus § 15 KSchG, erfolgt. § 15 KSchG ist lex
specialis zu § 78 BetrVG (BeckOK RGKU/Leder § 15 KschG Rn. 57). Insoweit ist das
Betriebsratsmitglied in diesen Fällen von Gesetzes wegen besser gestellt als der
sonstige Arbeitnehmer. Es handelt sich zudem um keine ungerechtfertigte
Besserstellung der Betriebsratsmitglieder. Vielmehr ist der Ausschluss der
verhaltensbedingten Kündigung gem. § 15 KSchG erforderlich, um die
Betriebsratsarbeit effizient zu gestalten und zu schützen. Wäre die verhaltensbedingte
Kündigung nicht ausgeschlossen, so wäre ein Arbeitgeber frei, gerade bei
Betriebsratsmitgliedern in besonderer Weise darauf zu achten, inwieweit sie ihre
Leistungs- und Verhaltenspflichten wahrnehmen, um dann ggfls. eine
verhaltensbedingte Kündigung auszusprechen. In diesen Fällen wäre nicht überprüfbar,
ob andere Arbeitnehmer sich ggf. genauso verhalten, nur seltener kontrolliert werden.
d) Mangels Vorliegens eines Kündigungsgrundes kann es dahinstehen, ob die
Kündigung bereits gemäß §§ 102, 103 BetrVG unwirksam ist, weil die Arbeitgeberin in
der Betriebsratsanhörung nicht auf die Abmahnungen und auf die Gegendarstellungen
ausdrücklich verwiesen hat.
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e) Weiter kann dahinstehen, ob sich die Beklagte tatsächlich in ihrem Aushang
dahingehend binden wollte, dass bei Verstoß gegen die Aufräumpflicht ausschließlich
eine Abmahnung in Betracht kommt. Dies erscheint eher fernliegend, ist jedoch nicht
mehr entscheidungsrelevant.
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f) Schließlich kommt es nicht mehr darauf an, ob die Kündigung als Maßregelung
unwirksam ist. Wie ausgeführt, fehlt es vorliegend bereits an einem verhaltensbedingten
Kündigungsgrund.
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2. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu
den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinist bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über den Rechtsstreit zu. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung
nicht beendet worden. Schutzwerte Interessen des Arbeitgebers, die einer
Weiterbeschäftigung entgegenstehen, sind nicht erkennbar. Der Anspruch auf
Weiterbeschäftigung entsteht bereits vor Rechtskraft des Verfahrens mit der Feststellung
des erstinstanzlichen Gerichts, dass die Kündigung unwirksam ist (vgl. BAG (GS) vom
27.02.1985 - GS 1/84 - NZA 1985, 702, 709). Dem Antrag war wie beantragt zu
entsprechen. Soweit ergänzend auf die Bedingungen des Arbeitsvertrages sowie der
bisherigen Übung und auf die Arbeitszeit Bezug genommen wird, handelt es sich um -
nicht bestrittene - Selbstverständlichkeiten, die einer Bestimmtheit und damit
Vollstreckbarkeit des Antrags nicht entgegenstehen.
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3. Die Beklagte hat dem Kläger weiterhin ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.
65
Dieser Anspruch kann bereits nach Ausspruch einer Kündigung geltend gemacht
werden (vgl. BeckOK RGKU/Tillmanns, § 109 GewO Rn. 10).
II.
66
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG.
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Der Streitwert ist gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO, 42 Abs. 4, 63 Abs. 2 GKG im Urteil
festzusetzen.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
70
B e r u f u n g
71
eingelegt werden.
72
Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
73
Die Berufung muss
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innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
75
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
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Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1.Rechtsanwälte,
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2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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- I. -
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