Urteil des ArbG Düsseldorf vom 29.09.2008

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Arbeitsgericht Düsseldorf, 2 Ca 4222/08
Datum:
29.09.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Ca 4222/08
Schlagworte:
Betriebsbedingte Kündigung; Selbstbindung des Arbeitgebers bei der
Berufung auf außerbetriebliche Gründe für die Kündigung
Normen:
§ 1 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Soweit sich der Arbeitgeber ausschließlich auf außerbetriebliche
Gründe beruft, beruft er sich auf eine unmittelbare Kausalkette zwischen
außerbetrieblichem Grund und Wegfall des Bedürfnisses zur
Beschäftigung einer bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern und muss
sich daran messen lassen.
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht
durch die Kündigung der Beklagten vom 14.7.2008 beendet werden
wird.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert beträgt 4.200,00 €.
T a t b e s t a n d:
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung vom
14.7.2008 zum 30.11.2008.
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Die Beklagte, die ständig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, betreibt eine
Druckerei mit vollstufiger Produktion. Sie verfügt über eine Vorstufe, einen Druck und
eine Verarbeitung.
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Die am 27.12.1950 geborene und verheiratete Klägerin, die niemandem gegenüber zum
Unterhalt verpflichtet ist, ist bei der Beklagten seit dem 8.7.1998 in der Vorstufe als
Druckvorlagenherstellerin beschäftigt. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 22 Stunden.
Die Einzelheiten der Beschäftigung regelt der Arbeitsvertrag vom 8.7.1998. Das
monatliche Bruttogehalt beträgt 1.879,05 €. Neben der Klägerin arbeitet ein weiterer
Mitarbeiter, I., geb. am 27.12.1950 in der Vorstufe. Auch seine wöchentliche Arbeitszeit
beträgt 22 Stunden. Er ist seit dem 17.7.1990 bei der Beklagten beschäftigt und einem
Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtet.
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Mit Schreiben vom 14.7.2008, der Klägerin zugegangen am gleichen Tage, kündigte die
Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 30.11.2008.
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Mit ihrer am 18.7.2008 bei Gericht eingereichten Klageschrift wendet sie sich gegen
diese Kündigung.
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Die Klägerin ist der Auffassung, die Kündigung sei unwirksam. Betriebsbedingte
Kündigungsgründe lägen nicht vor. Insbesondere bestreitet sie den Wegfall des Kunden
W. (im Folgenden: W.) ebenso mit Nichtwissen wie den Umfang des mit dem Kunden W.
erzielten Umsatzes in Höhe von 30%.
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Die Klägerin beantragt,
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es wird festgestellt, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten
vom 14.7.2008 beendet worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, die Kündigung der Klägerin sei aus dringenden
betrieblichen Erfordernissen gerechtfertigt. Im Jahre 2007 habe sie mit 14
Arbeitnehmern, davon 10 in Vollzeit und vier in Teilzeit einen Umsatz von 1,5 Mio. €
erzielt. Der Kunde W. habe am 4.7.2008 mitgeteilt, alle Aufträge künftig nur noch über
Pool-Lieferanten abzuwickeln. Da sie, die Beklagte, nicht zu diesen Lieferanten gehöre,
entfielen künftig sämtliche Aufträge der W., was 30% des Umsatzes ausmache. Sie
habe sich deshalb entschlossen, 30% der Mitarbeiter zu entlassen und die
Personalanpassungsmaßnahme über den gesamten Produktionsprozess
durchzuführen. Im Rahmen der Sozialauswahl sei der weitere Mitarbeiter in der
Vorstufe, I., angesichts seiner Unterhaltspflichten schutzwürdiger gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf sämtliche zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Ergebnis der mündlichen
Verhandlung Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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I.
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Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet. Das zwischen den Parteien
bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 14.7.2008
nicht mit Ablauf der Kündigungsfrist am 30.11.2008 beendet worden. Die Kündigung ist
sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam gem. § 1 Abs. 2
Kündigungsschutzgesetz (i.F. „KSchG“).
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Im Einzelnen:
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1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet das KSchG gem. § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1
Satz 2 KSchG Anwendung, da im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der
Kündigungserklärung das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestand und die
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Beklagte ständig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigte. Die Klägerin hat gem. § 4
KSchG rechtzeitig Klage erhoben, da die dreiwöchige Frist zwischen Zugang der
Kündigung und Klageerhebung gewahrt ist.
2. Gem. § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht
durch Gründe, die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch
dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers
in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung der Klägerin ist hier nicht
durch das Bestehen eines von der Beklagten behaupteten dringenden betrieblichen
Erfordernisses gerechtfertigt.
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a) Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2
KSchG können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen
wie z.B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion)
oder außerbetrieblichen Gründen (z.B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben.
Diese betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im
Interesse des Betriebes notwendig machen. Diese weitere Voraussetzung ist erfüllt,
wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der betrieblichen Lage durch andere
Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet als durch
eine Kündigung zu entsprechen. Die Kündigung muss wegen der betrieblichen Lage
unvermeidbar sein, (BAG, Urt. v. 17.06.1999 - 2 AZR 456/98, AP Nr. 103 zu § 1 KSchG
1969 betriebsbedingte Kündigung).
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aa) In diesem Zusammenhang ist eine Kündigung aus innerbetrieblichen Gründen
gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber im Unternehmensbereich zu einer
organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das
Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt, (zuletzt
BAG, Urt. v. 18.10.2006 - 2 AZR 434/05, NZA 2007, 552). Dabei muss der Arbeitgeber
darlegen, welche organisatorischen und technischen Maßnahmen er angeordnet hat
und wie sich die von ihm behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf die
Beschäftigungsmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirken. Der Vortrag
muss erkennen lassen, ob durch eine innerbetriebliche Maßnahme das Bedürfnis für die
Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entfällt, (BAG, Urt. v. 17.06.1999 -
2 AZR 456/98, a.a.O.; BAG, Urt. v. 17.06.1999 - 2 AZR 522/98 AP Nr. 102 zu § 1 KSchG
1969 betriebsbedingte Kündigung; BAG, Urt. v. 17.06.1999 - 2 AZR 141/99, AP Nr. 101
zu § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung). Dabei unterliegt es der vollen
Nachprüfung durch die Gerichte ob eine entsprechende unternehmerische
Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das
Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die
unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre
Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich,
unvernünftig oder willkürlich ist, (BAG, Urt. v. 18.10.2006 - 2 AZR 434/05, NZA 2007,
552; BAG, Urt. v. 17.06.1999 - 2 AZR 522/98, a.a.O.).
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bb) Dem gegenüber sind unter außerbetrieblichen Gründen von der Betriebsgestaltung
und Betriebsführung unabhängige Umstände zu verstehen, die einen konkreten Bezug
zu dem Betrieb des Arbeitgebers haben und sich speziell auf bestimmte Arbeitsplätze
auswirken, z.B. Auftragsmangel, Rohstoffmangel, Umsatzrückgang. Liegt ein
außerbetrieblicher Grund vor, ist er nur dann als betriebsbedingter Kündigungsgrund
geeignet, wenn durch ihn ein Überhang an Arbeitskräften herbeigeführt wird, durch den
mittelbar oder unmittelbar das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer
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Arbeitnehmer entfällt, (BAG vom 30.5.1985 EzA Nr. 36 zu § 1 KSchG betriebsbedingter
Kündigung). Soweit sich der Arbeitgeber auf diesen außerbetrieblichen Grund beruft,
beruft er sich auf eine unmittelbare Kausalkette zwischen außerbetrieblichem Grund und
Wegfall des Bedürfnisses zur Beschäftigung einer bestimmten Anzahl von
Arbeitnehmern und muss sich daran messen lassen, (vgl. BAG vom 15.6.1989, AP Nr.
45 zu § 1 KSchG betriebsbedingte Kündigung).
c) Hier beruft sich die Beklagte auf außerbetriebliche Gründe. Denn sie behauptet, der
Kunde W., mit dem sie ca. 30% ihres Umsatzes erzielt habe, sei weggefallen. Dem
entsprechend habe sie sich entschlossen, ihr Personal um 30% anzupassen. Sie, die
Beklagte habe die Personalanpassungsmaßnahme über den gesamten
Produktionsprozess durchgeführt und in allen drei Produktionsbereichen Kündigungen
ausgesprochen. Dieser Sachvortrag ist substanzlos. Die Kammer vermochte beim
besten Willen nicht zu erkennen, wie, warum und weshalb der Arbeitsbereich der
Klägerin vom behaupteten Wegfall des Kunden W. betroffen sein soll.
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Kennzeichnend für einen außerbetrieblichen Kündigungsgrund ist die unmittelbare
Kausalkette zwischen außerbetrieblichem Grund und Wegfall des Bedürfnisses zur
Beschäftigung einer bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern, an der sich der Arbeitgeber
messen lassen muss, (vgl. BAG vom 15.6.1989, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG
betriebsbedingte Kündigung). Erforderlich ist also die Darlegung einer unmittelbaren
oder mittelbaren Relation zwischen Kündigungsgrund und Wegfall des Arbeitsplatzes,
hier der Wegfall der Tätigkeiten für den Kunden W. und dem Arbeitsplatz der Klägerin.
Die unmittelbare Relation scheitert jedoch schon daran, dass die Klägerin unstreitig
nicht nur für den Kunden W. tätig war. Ihr oblagen auch weitere Arbeiten. Auch nach
dem Vortrag der Beklagten ist es also nicht so, dass die Tätigkeiten der Klägerin durch
den Weggang des Kunden W. vollständig entfallen. Vielmehr verbleibt ein Rest, der
nicht als völlig untergeordnet bezeichnet werden kann. Dies aber wäre für die
Darlegung des außerbetrieblichen Kündigungsgrundes Wegfall von 30% des Umsatzes
durch den Verlust des Kunden W. erforderlich.
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Auch eine mittelbare Relation kann nicht hergestellt werden. Die Beklagte verfügt über
zwei Mitarbeiter in Teilzeit in der Vorstufe der Druckvorlageherstellung. Wie sich hier ein
Rückgang von 30% zum Wegfall eines Arbeitsplatzes im diesem Bereich verdichten
soll, bleibt schon rechnerisch ein Geheimnis der Beklagten. Denn auch bei
Einbeziehung des zweiten Vorstufenmitarbeiters entfallen die Arbeiten für einen
Mitarbeiter nicht vollständig. Dies aber wäre jedenfalls für eine mittelbare Relation
unerläßlich.
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Richtigerweise wären hier etwaige außerbetriebliche Gründe erst durch andere
Maßnahmen umzusetzen, die sich auf die Beschäftigungsmöglichkeiten auswirken,
(ErfKomm/Oetker, § 1 KSchG Rz. 228). Ein derartiger weiterer Kündigungsgrund, etwa
eine durchaus möglich erscheinende organisatorische Entscheidung über die
Umverteilung von vorhandenen Aufgaben im Arbeitsbereich der Klägerin mit einer
Verlagerung von Arbeiten auf den Mitarbeiter Rick, hat die Beklagte nicht behauptet, so
dass darüber nicht entschieden werden konnte.
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II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Da die
Beklagte in vollem Umfange unterliegt, hat sie die gesamten Kosten des Rechtsstreits
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zu tragen.
III.
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Der Streitwert ist gem. § § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Er beträgt gem. § 12
Abs. 7 ArbGG ein Bruttovierteljahresgehalt der Klägerin.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei
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B e r u f u n g
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eingelegt werden, weil es sich um eine Bestandsschutzstreitigkeit handelt.
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Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Berufung muss
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innerhalb einer N o t f r i s t * von einem Monat
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beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
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Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1. Rechtsanwälte,
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2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich
die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder
eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung
entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der
Bevollmächtigten haftet.
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Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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