Urteil des ArbG Düsseldorf vom 16.03.2010

ArbG Düsseldorf (bag, satzung, versorgung, gesellschaft, juristische person, unternehmen, förderung, tätigkeit, bevölkerung, antragsteller)

Arbeitsgericht Düsseldorf, 5 BV 215/08
Datum:
16.03.2010
Gericht:
Arbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 BV 215/08
Schlagworte:
Tendenzunternehmen, karitative Bestimmung, Blutspendedienst,
Normen:
§ 118 BetrVG, §§ 1, 3 TFG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine gemeinnützige Gesellschaft, die die Förderung des
Blutspendewesens zum Gegenstand hat, ist nicht ohne weiteres ein
Tendenzunternehmen, das karitativen Bestimmungen dient. Die
Gemeinnützigkeit eines Unternehmens ist nach § 118 BetrVG nicht
ausreichend. Ein karitativer Zweck erfordert einen sozialen Dienst am
Einzelnen. Die Sicherstellung der allgemeinen Grundversorgung mit
Blutpräparten genügt nicht.
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 2) kein Tendenzunternehmen
im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist.
G r ü n d e
1
I.
2
Die Beteiligten streiten über die Tendenzeigenschaft der Beteiligten zu 2.
3
Bei der Beteiligten zu 2, der Arbeitgeberin, handelt es sich um eine gemeinnützige
GmbH (gGmbH), die 1951 gegründet worden ist. Sie ist kooperatives Mitglied des M.
des E. Das E. ist nach § 1 Abs. 3 seiner Satzung (Blatt 141 der Akte) ein Spitzenverband
der freien Wohlfahrtspflege. Aufgaben des E. sind nach § 2 seiner Satzung folgende
Aufgaben:
4
?Verbreitung der Kenntnisse des humanitären Völkerrechts sowie der Grundsätze
und Ideale der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung,
5
?Hilfe für die Opfer von bewaffneten Konflikten, Naturkatastrophen und anderen
Notsituationen,
6
?Verhütung und Linderung menschlicher Leiden, die sich aus Krankheit,
Verletzung, Behinderung oder Benachteiligung ergeben,
7
?Förderung der Gesundheit, der Wohlfahrt und der Jugend,
8
?Förderung der Entwicklung nationaler Rotkreuz- und Rothalbmond-
Gesellschaften.
9
Nach § 2 Abs. 6 Nummer 3 der Satzung des E.-M. e. V. verwirklicht der M. die
gemeinnützigen und mildtätigen Zwecke, insbesondere durch den Blutspendedienst.
10
Die Rechtstellung sowie die Aufgaben des E. sind auch im Gesetz über das E. und
andere freiwillige Hilfsgesellschaften im Sinne der H. (E.-Gesetz) vom 05.12.2008 (BGBl
I 2008, 2346) geregelt. Nach § 1 des E.-Gesetzes ist das E. die nationale Gesellschaft
des S. auf dem Gebiet der C. und freiwillige Hilfsgesellschaft der deutschen Behörden
im humanitären Bereich. Nach den Statuten des Internationalen S. verkörpert die
Rotkreuzbewegung die freiwillige und uneigennützige Hilfe ohne jedes Gewinnstreben.
11
Nach § 1 des Transfusionsgesetzes (TFG) ist Zweck dieses Gesetzes, nach Maßgabe
seiner Vorschriften zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen von Menschen und
zur Anwendung von Blutprodukten für eine sichere Gewinnung von Blut und
Blutbestandteilen und für eine gesicherte und sichere Versorgung der Bevölkerung mit
Blutprodukten zu sorgen und deshalb die Selbstversorgung mit Blut und Plasma auf der
Basis der freiwilligen und unentgeltlichen Blutspende zu fördern. Nach § 2 Nr. 3 TFG
sind Blutprodukte Blutzubereitungen im Sinne von § 4 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes.
Nach § 3 TFG haben Spendeeinrichtungen die Aufgabe, Blut und Blutbestandteile zur
Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten zu gewinnen. Nach § 3 Abs. 3 TFG
leisten die spendenden Personen einen wertvollen Dienst für die Gemeinschaft. Nach §
4 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Blutzubereitungen Arzneimittel, die aus
Blut gewonnene Blut-, Plasma- oder Serumkonserven, Blutbestandteile oder
Zubereitungen aus Blutbestandteilen sind oder als Wirkstoffe enthalten.
12
Deutschlandweit gibt es 7 Blutspendedienste mit mehr als 30 Blutspendezentren. Das
E. trägt insgesamt ungefähr 75 % der Versorgung mit Blutkonserven in Deutschland.
13
Die Arbeitgeberin ist zuständig für das Blutspendewesen für die Bundesländer NRW,
Rheinland-Pfalz und das Saarland. Die Arbeitgeberin beschäftigt insgesamt 988
Arbeitnehmer. In § 2 ihrer Satzung heißt es:
14
" § 2 Gegenstand der Gesellschaft
15
Der Gegenstand der Gesellschaft ist die Förderung des Blutspendewesens und der
Transfusionsmedizin. Er wird insbesondere verwirklicht durch die Entnahme, Sammlung
und Aufbereitung von menschlichem Blut und Bestandteilen, die Versorgung mit
menschlichem Blut und Blutbestandteilen zum Zwecke der Heilung durch
Bluttransfusionen, die Mitwirkung an Maßnahmen der Hämotherapie, die Erbringung
von transfusionsmedizinischen Labor- und Serviceleistungen sowie die
wissenschaftliche Betätigung und Forschung zur Erreichung des Gesellschaftszweckes
und der Fortentwicklung des Blutspendewesens. Soweit mit dem Gesellschaftszweck
vereinbar, können sowohl Beteiligungen als auch Vereinsmitgliedschaften eingegangen
und Stiftungen errichtet werden."
16
§ 4 der Satzung der Arbeitgeberin lautet:
17
" § 4 Gemeinnützigkeit
18
1.Die Gesellschaft verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke
im Sinne der geltenden Rechtsvorschriften; sie ist selbstlos tätig und verfolgt nicht
in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke.
19
2.Die Gesellschaft strebt keine Gewinne an. Etwaige Überschüsse sind zur
Erfüllung der Gesellschaftszwecke zu verwenden. Keine Person darf durch
Verwaltungsausgaben, die den Zwecken der Gesellschaft fremd sind, oder durch
unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden.
20
Mittel der Gesellschaft dürfen nur für satzungsmäßige Zwecke verwendet werden.
Die Gesellschafter dürfen keine Gewinnanteile erhalten.Die Gesellschaft kann,
sofern es zur nachhaltigen Erfüllung ihres Zweckes gemäß § 2 erforderlich ist,
Rücklagen im Sinne von § 58 AO bilden..."
21
Die Arbeitgeberin erhält keine staatlichen Zuschüsse. Die Gemeinnützigkeit der
Arbeitgeberin wurde vom Finanzamt I. anerkannt (Anerkennung nach § 44 a EStG, vgl.
Blatt 208 der Akte). Sie ist nach § 4 Nr. 18 UStG von der Umsatzsteuer befreit (Blatt 209
der Akte).
22
Die Arbeitgeberin hat insgesamt fünf Zentren für Transfusionsmedizin eingerichtet. Zwei
Zentren werden als rechtlich selbständige Tochtergesellschaften geleitet. Die weiteren
drei Betriebe sind in N., I. und C.. Die dort eingerichteten Betriebsräte sind die Beteiligen
zu 3. bis 5.. Antragsteller ist der Gesamtbetriebsrat. In C. arbeiten 247 Arbeitnehmer, in I.
216 und in N. 240 Arbeitnehmer. Daneben werden weitere 113 Mitarbeiter zentral in I. in
den Bereichen Zentrallabor und zentrale Dienste beschäftigt. Insgesamt werden bei der
Arbeitgeberin 33.460,47 Arbeitsstunden pro Woche erbracht. Auf den unmittelbaren
Entnahmedienst fallen ca. 40 % der täglich anfallenden Arbeitszeit.
23
Der Blutspendedienst der Arbeitgeberin gewährt den Blutspendern keine finanziellen
Aufwandsentschädigungen, sondern eine kostenlose Verpflegung. Durchgeführt werden
die Blutspendedienste von freiwilligen Helfern der regionalen Untergliederungen des E..
Die Termine werden so ausgerichtet, dass einer möglichst großen Anzahl von
Spendewilligen ermöglicht wird, den Termin wahrzunehmen, insbesondere abends und
am Wochenende. Die Untergliederungen des E. stellen dabei die Verpflegung zur
Verfügung. Dafür zahlt die Arbeitgeberin eine Aufwandspauschale in Höhe von 7,40 €
pro Spende. Weitere Kosten, etwa für Räumlichkeiten, trägt die Arbeitgeberin.
24
Zu den Tätigkeiten der Arbeitgeberin zählen:
25
?Organisation und Durchführung von Blutspendeterminen in Zusammenarbeit mit
den regionalen Untergliederungen des E..
26
?Untersuchung, Aufbereitung, Erfassung und Lagerung gesammelter Blutspenden,
Test und Aufteilung von Vollblutspenden.
27
?Weitergabe an Ärzte und Krankenhäuser nach spezifischen medizinischen
Anforderungen; Vorhalt von Blutkonserven in Transfusionszentren. Krankenhäuser
bestellen dabei grundsätzlich tagesaktuelle Konserven nach entsprechenden
Kriterien (Krankenhäuser selbst halten nur eine geringe Anzahl von Blutkonserven
28
vor, in der Regel der neutralen Blutgruppe 0).
?Unterhalt an allen drei Standorten von sogenannten "Kreuzprobenlaboren", um
vorhandene Blutkonserven mit Blutproben eines Patienten abgleichen zu können
und passende Blutkonserven zu ermitteln.
29
?Labordienste zur Vorbereitung von Bluttransfusionen im Zusammenhang mit der
Vergabe von Blutkonserven.
30
?Serologischer Dienst wegen besonderer Expertise bzgl. des Stoffes "Blut".
31
?Betreuung von Leukämiepatienten (Untersuchung für Auswahl geeigneter
Thrombozytenkonzentrate, gezielte Einstellung von Spendern).
32
?Aktive Forschung zur Weiterentwicklung des Blutspendewesens einschließlich
Beratung der Ärzte und Krankenhäuser.
33
Der Antragsteller hatte bislang einen Wirtschaftsausschuss gem. §§ 106 ff BetrVG
gebildet. Mit Schreiben vom 28.03.2008 (Blatt 6 ff der Akte) wandte sich der
Antragsteller an die Arbeitgeberin und bat um die Beantwortung einiger Fragen. Unter
dem 29.05.2008 teilte der Prozessbevollmächtigte der Arbeitgeberin mit, dass die §§
106 ff BetrVG auf die Arbeitgeberin keine Anwendung fänden, da es sich um ein
Tendenzunternehmen handele.
34
Der Antragsteller meint, die Arbeitgeberin sei kein Tendenzunternehmen. Sie diene
nicht unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen. Sie versorge nicht
hilfsbedürftige Menschen, sondern Krankenhäuser. Zudem verkaufe sie die
Blutpräparate, was unstrittig ist. Sie finanziere damit die Untergliederungen des E. im
Sinne von Quersubventionen. Es komme auf die Tätigkeit an, nicht auf die
dahinterstehende Motivation der beteiligten ehrenamtlichen Helfer. Es komme auch
nicht auf den Zweck des E. an. Die mittelbare Förderung einer Tendenz reiche nicht
aus.
35
Der Antragsteller sowie die Beteiligten zu 3. und 5. beantragen
36
festzustellen, dass die Beteiligte zu 2. kein Tendenzunternehmen im Sinne von §
118 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG ist.
37
Die Arbeitgeberin beantragt,
38
den Antrag zurückzuweisen.
39
Sie ist der Auffassung, sie sei ein Tendenzunternehmen im Sinne des § 118 Abs. 1
BetrVG. Sie diene karitativen Bestimmungen. Es sei anerkannt, dass das E. eine
Einrichtung in diesem Sinne sei. Eine Aufgabe des E. sei auch das Blutspendewesen.
Zur Erfüllung dieses Zweckes sei sie gegründet worden, was unstreitig ist. Ihr Ziel sei
es, die Sicherung der Grundversorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten
sicherzustellen, was ebenfalls unstreitig ist. Sie leiste damit einen Beitrag zur
Daseinsfürsorge. Die gesamte Organisation des Blutspendewesens basiere auf dem
Prinzip der Fürsorge für notleidende Menschen. Auch die vorbeugende Abwehr von
Nöten sei in diesem Sinne anerkannt und die Arbeitgeberin verweist insoweit auf eine
40
Entscheidung des BAG vom 08.12.1970.
Ihr Gesellschaftszweck sei auf die Heilung, zumindest aber auf die Mitwirkung zur
Heilung körperlich leidender Menschen gerichtet. Auf den Grad der Hilfsbedürftigkeit
komme es nicht an. Bei der Behandlung von Leukämiepatienten sei sie für die
individuelle Versorgung mit Blutpräparaten zuständig, was unstreitig ist.
41
Die Arbeitgeberin macht geltend, sie sei auf die dauerhafte Mitwirkung einer großen
Anzahl freiwilliger Spender angewiesen. Motiviert seien die Spender durch das
menschliche Miteinander. Sie befürchte, dass die Motivation der Spender beeinträchtigt
werden könnte, sollte ihre Tätigkeit als kommerziell wahrgenommen werden. Sie müsse
glaubhaft vermitteln können, dass ihre Tätigkeit humanitären Zielen diene.
42
Die Arbeitgeberin behauptet, sie strebe keine Gewinne an und nutze solche auch nicht
zu Quersubventionen. Sie arbeite allein nach dem Prinzip der Kostendeckung. Etwaige
Gewinne würden nach § 4 Abs. 2 der Satzung in Investitionen für Forschung und
Entwicklung des Blutspendewesens sowie zur Abdeckung von Reserven zur
Risikoabdeckung genutzt. Ihre Verkaufspreise lägen sowohl national als auch
international unter den üblichen Marktpreisen für Blutkonserven. Sie sorge dafür, dass
die Versorgung mit Blutkonserven nicht marktwirtschaftlichen Mechanismen überlassen
werde. Karitativ im Sinne des § 118 BetrVG bedeute nicht, dass die Hilfeleistung
unentgeltlich erfolgen müsse.
43
Die Arbeitgeberin meint, sie diene auch unmittelbar karitativen Zwecken. Entscheidend
sei, dass der Tendenzzweck im Unternehmen selbst verwirklicht werde. Es käme auch
nicht auf die ausgeübte Tätigkeit, sondern vielmehr auf die Zielsetzung an. Diese sei
anhand der Satzung zu bestimmen. Bei ihr diene alles unmittelbar dem einzigen
Satzungszweck, dem Blutspendewesen. Ihre Zielsetzung komme direkt hilfsbedürftigen
Menschen zugute. Der Blutspendedienst lebe durch das Bewusstsein des
menschlichen Miteinanders und er sei allein aufgrund des sozialen Bewusstseins
zahlreicher freiwilliger Blutspender durchführbar.
44
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Beteiligtenschriftsätze sowie den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
45
II.
46
Der zulässige Antrag ist begründet.
47
1. Der Antrag ist zulässig. Das BAG hat seine frühere Rechtsprechung, wonach ein
Antrag auf Feststellung, dass ein Arbeitgeber kein Tendenzunternehmen sei, unzulässig
ist (BAG 13.07.1955 AP Nr. 2 zu § 81 BetrVG 1952), aufgegeben. Nach der
nunmehrigen Auffassung des BAG (BAG 21.07.1998 - 1 ABR 2/98; BAG 23.03.1999 - 1
ABR 28/98) liegen die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO vor. Mit einer
Entscheidung darüber, ob es sich beim Arbeitgeber um ein Tendenzunternehmen
handelt, werde zugleich die Art des zwischen ihm und dem Betriebsrat bestehenden
betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO
bestimmt. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Das erforderliche
Feststellungsinteresse liegt ebenfalls vor. Die Arbeitgeberin hat unter dem 29.05.2008
erklärt, sie sei kein Tendenzunternehmen. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der
Gesamtbetriebsrat einen Wirtschaftsausschuss gem. §§ 106 ff BetrVG bilden kann.
48
49
2. Der Antrag ist auch begründet. Die Arbeitgeberin ist kein Tendenzunternehmen im
Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG.
50
a) Tendenzunternehmen sind nach § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG u. a. solche, die
unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dienen. Zweck des
gesetzlichen Tendenzschutzes ist es, dem Arbeitgeber die Verwirklichung seiner
Ziele nach eigener Vorstellung zu ermöglichen (BAG 05.10.2000 - 1 ABR 14/00).
Dabei ist zu beachten, dass die meisten Tendenzunternehmen der Verwirklichung
bestimmter Grundrechtspositionen dienen, etwa politischen, konfessionellen oder
wissenschaftlichen Bestimmungen (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG). Die
Vorschrift dient einer ausgewogenen Regelung zwischen dem Sozialstaatsprinzip
und den Freiheitsrechten der Tendenzträger (BT-Drs. VI/2729,17; Hess in:
Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai, § 118 BetrVG Rdn. 2; Fitting § 118 BetrVG
Rdn. 2). Dieser Grundrechtsbezug, also die Konkordanz zwischen den
grundgesetzlichen Freiheitsrechten und den sozialstaatlichen Anforderungen einer
Mitbestimmung, fehlt bei karitativen oder erzieherischen Zielsetzungen (Fitting § 118
BetrVG Rdn. 2). Das BAG (BAG 05.10.2000 - 1 ABR 14/00; BAG 31.01.1995 - 1 ABR
35/94) hat insoweit bereits entschieden, dass eine Arbeitgeberin mit karitativen oder
erzieherischen Zwecksetzungen auf den Tendenzschutz verzichten kann, da
Grundrechtsbezüge nicht ersichtlich seien, die einen so weit gehenden Schutz
erfordern könnten (zustimmend Beck OK/Werner § 118 BetrVG Rdn. 2).
51
aa) Nach Auffassung des BAG (vgl. etwa BAG 15.03.2006 - 7 ABR 24/05) dient ein
Unternehmen karitativen Bestimmungen, wenn es sich den sozialen Dienst an
körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel gesetzt hat und seine
Tätigkeit auf die Heilung oder Milderung oder die vorbeugende Abwehr von inneren
oder äußeren Nöte solcher hilfsbedürftiger gerichtet ist, sofern diese Betätigung ohne
die Absicht der Gewinnerzielung erfolgt und das Unternehmen selbst nicht von
Gesetzes wegen unmittelbar zu derartiger Hilfeleistung verpflichtet ist. Karitatives
Handeln in diesem Sinne setzt keine besonders schwerwiegende Hilfsbedürftigkeit
voraus. Entscheidend ist allein, ob die Menschen, denen die Hilfe dienen soll,
überhaupt in dem beschriebenen Sinne hilfsbedürftig sind. Auf den Grad der
Hilfsbedürftigkeit kommt es nicht an (BAG 15.03.2006 - 7 ABR 24/05). Das Ziel der
Betätigung des Unternehmens muss sich in der Hilfe an bedürftigen Menschen
erschöpfen (BAG 24.05.1995 - 7 ABR 48/94; BAG 29.06.1988 - 7 ABR 15/87). Die
Gemeinnützigkeit eines Unternehmens vermag hingegen die Tendenzeigenschaft
nicht zu begründen (BAG 21.06.1989 - 7 ABR 58/87).
52
Das E. ist aufgrund der karitativen Zielbestimmung vom BAG als Tendenzträger
anerkannt (vgl. etwa BAG 12.011.2002 - 1 ABR 60/01; Hess a.a.O. § 118 BetrVG
Rdn. 17, Werner a.a.O. § 118 BetrVG Rdn. 9; Wedde in: Däubler/Kittner/Klebe, § 118
BetrVG Rdn. 29).
53
bb) Fehlende Gewinnerzielungsabsicht bedeutet nicht, dass die Hilfeleistung für
leidende Menschen unentgeltlich oder allenfalls zu einem nicht kostendeckenden
Entgelt geschieht. Es genügt, dass der Träger des Unternehmens seinerseits mit
seiner Hilfeleistung keine eigennützigen Zwecke im Sinne einer
Gewinnerzielungsabsicht verfolgt. Das ist auch dann der Fall, wenn er bis zur Höhe
54
der Kostendeckung Einnahmen aus der Betätigung erzielt (BAG 15.03.2006 - 7 ABR
24/05).
Das BAG hat bei der Herausarbeitung des Kriteriums Unentgeltlichkeit ausgeführt,
dass der ursprüngliche Begriff des karitativen kirchlich geprägt war. Der Gesetzgeber
hat aber in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG einerseits und in Abs. 2 andererseits
zwischen den karitativen Einrichtungen der Religionsgemeinschaften und nicht von
ihnen getragenen karitativen Unternehmen und Betrieben unterschieden (BAG
29.06.1988 - 7 ABR 15/87). Vor diesem Hintergrund verbietet es sich, den historisch,
kirchlich geprägten Begriff der D. für das Verständnis von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BetrVG zugrunde zu legen.
55
cc) Das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit in § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG
bedeutet, dass der Tendenzzweck in dem Unternehmen oder Betrieb selbst
verwirklicht werden muss. Es genügt nicht, dass der Unternehmenszweck nach
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geeignet ist, ein Tendenzunternehmen oder einen
Tendenzbetrieb zu unterstützen (BAG 15.03.2006 - 7 ABR 24/05).
56
b) Vor diesem Hintergrund ist die Kammer der Auffassung, dass die Voraussetzungen
des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht vorliegen. Die Arbeitgeberin dient nicht
karitativen Bestimmungen. Die Förderung des Blutspendewesens und der
Transfusionsmedizin ist kein karitativer Zweck in diesem Sinne. Karitativ im Sinne
des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bedeutet nach Auffassung des Gerichts den sozialen
Dienst am Einzelnen, also an der konkreten hilfsbedürftigen Person und nicht ein
Dienst für die Gemeinschaft. Eine karitative Zweckbestimmung erfordert einen
unmittelbaren sozialen Dienst am leidenden Menschen, d. h. eine konkrete Hilfe für
Menschen in Not. Nicht ausreichend ist die Sicherstellung der allgemeinen
Grundversorgung mit Blutpräparaten. Dies ergibt eine Auslegung des § 118 Abs. 1
Satz 1 BetrVG.
57
aa) Das BAG hat, wie bereits ausgeführt, darauf hingewiesen, dass der Begriff der D.
ursprünglich christlich geprägt ist. D. bedeutet letztlich praktizierte Nächstenliebe im
christlichen Sinne. Bereits hieraus ergibt sich, dass es sich um die Hilfe am Einzelnen
und nicht um das Gemeinwohl geht.
58
Nach der Präambel des Leitbildes des E. ist D. die konkrete Hilfe in Not. Hiervon
abzugrenzen sind Einrichtungen, die der Daseinsfürsorge oder Grundversorgung
dienen, zu denen nach Auffassung des Gerichts auch die Arbeitgeberin zählt. So ist
etwa Zweck des Transfusionsgesetzes nach § 1 TFG eine gesicherte und sichere
Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten. Nach § 3 TFG haben die
Spendeeinrichtungen, zu denen die Arbeitgeberin zu zählen ist, die Aufgabe, Blut
und Blutbestandteile zur Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten zu
gewinnen. Damit geht es nicht um einen sozialen Dienst am Einzelnen, sondern um
einen Dienst für die Gemeinschaft. § 3 Abs. 3 TFG bescheinigt den spendenden
Personen, dass sie einen wertvollen Dienst für die Gemeinschaft leisten.
59
Gegen diese Auffassung spricht nicht, dass das BAG in der bereits aufgeführten
Entscheidung vom 29.06.1988 (7 ABR 15/87) klargestellt hat, dass es auf die
christliche Herkunft des Begriffes nicht ankommt. Der Hinweis des BAG erfolgte im
Rahmen der Frage, ob Einnahmen zur Kostendeckung gegen eine karitative
Bestimmung sprechen. Zu der Frage, ob die karitative Bestimmung einen Dienst am
60
Einzelnen erfordert, hat das BAG ausdrücklich nicht Stellung genommen. Im
vorliegenden Fall geht es um die eigentliche Bedeutung des Begriffes, was also den
karitativen Dienst seinem Wesen nach ausmacht. Dies kann nicht ohne die
ursprüngliche Bedeutung bestimmt werden. Soweit ersichtlich betreffen die
Entscheidungen, in denen das BAG karitative Tendenzunternehmen angenommen
hat, Unternehmen, die auch Dienst am einzelnen Menschen leisten.
Gegen die Auffassung der Kammer spricht auch nicht die Entscheidung des BAG
vom 08.12.1970 (1 ABR 20/70). Im Rahmen dieses Beschlusses hat das BAG den
Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge e. V. als ein Tendenzunternehmen
angesehen. Eine konkrete Begründung erfolgte allerdings nicht. Vielmehr
beschränkte sich das BAG darauf, dass es keinen begründeten Zweifel geben könne,
dass es sich bei diesem Verein um ein Tendenzunternehmen handele. Ausdrücklich
hat das BAG allerdings in seiner Entscheidung aufgeführt, dass der Verein nicht mit
dem E. und sonstigen ähnlichen Wohlfahrtsverbänden verglichen werden könne.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nach der Satzung des Volksbundes
Deutscher Kriegsgräberfürsorge e. V. auch die Betreuung der Angehörigen der
Kriegstoten zählte und damit auch ein sozialer Dienst am konkreten hilfsbedürftigen
Menschen geleistet worden ist.
61
Die Zielsetzung der Arbeitgeberin ist hiermit nicht vergleichbar. Die Förderung des
Blutspendewesens und der Transfusionsmedizin dient nicht dem konkret einzelnen
Hilfsbedürftigen. Die Arbeitgeberin nimmt vielmehr eine Aufgabe der
Grundversorgung der Bevölkerung wahr, wie sich dies auch aus §§ 1, 3 Abs. 1 TFG
ergibt. Das Gericht stimmt auch dem Antragsteller bei der Kontrollüberlegung zu, dass
ein Pharmaunternehmen, das nach seiner Satzung keine Gewinnerzielungsabsicht
hat, kein karitatives Unternehmen ist. Die Unentgeltlichkeit ist nur ein Kriterium.
62
Auf die konkrete Betreuung der Spendewilligen ist nicht abzustellen. Hierbei handelt
es sich nicht um notleidende Menschen.
63
bb) Ebenso wenig ist entscheidend, dass das E. selbst ein Tendenzunternehmen im
Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist. Entscheidend ist auf die satzungsgemäße
Zielbestimmung der Arbeitgeberin, also der Beteiligten zu 2. abzustellen.
64
Eine Ausnahme besteht bezüglich der konkreten Betreuung und Behandlung von
Leukämiepatienten. Dabei handelt es sich aber nicht um die überwiegende
Zielsetzung der Arbeitgeberin.
65
cc) Letztlich kann der Arbeitgeberin auch nicht darin gefolgt werden, dass den
Spendewilligen nicht zu erklären sei, wenn sie nicht als karitative Einrichtung
angesehen werde. Vorliegend geht es allein um eine Einschränkung der
Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bzw. des Gesamtbetriebsrates. Es geht nicht
um die Frage, ob die Arbeitgeberin gemeinnützig ist. Dies ist sie. Mit der
Entscheidung spricht die Kammer der Arbeitgeberin dies nicht ab. Gemeinnützigkeit
allein ist aber nicht für die Tendenzeigenschaft ausreichend (BAG a.a.O.). Ebenfalls
spricht die Kammer mit ihrer Entscheidung der Arbeitgeberin nicht ab, dass sie
humanitäre Ziele verfolgt. Der Gesetzgeber hat bereits in §§ 1, 3 TFG festgehalten,
dass die Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten ein wertvoller Dienst für die
Gemeinschaft ist. Gegenstand der Entscheidung ist allein die Frage, ob die
Arbeitgeberin ein karitatives Tendenzunternehmen ist, so dass die
66
Mitbestimmungsrechte nach §§ 118 BetrVG eingeschränkt sind.
c) Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Voraussetzung der
Unentgeltlichkeit der Dienste vorliegt. Es wird insoweit darauf hingewiesen, dass dies
nur dann zu verneinen wäre, wenn die an die Untergliederungen gezahlten
Aufwandspauschalen offensichtlich überdimensioniert wären.
67
Rechtsmittelbelehrung
68
Gegen diesen Beschluss kann von der Arbeitgeberseite / Beteiligte zu 2.
69
B e s c h w e r d e
70
eingelegt werden.
71
Für die Betriebsräte ist gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel gegeben.
72
Die Beschwerde muss
73
innerhalb einer N o t f r i s t* von zwei Wochen nach Zustellung des in
vollständiger Form abgefassten Beschlusses
74
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen und begründet worden sein.
75
Die Beschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
76
1.Rechtsanwälte,
77
2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
78
3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
79
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
80
* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
81
gez. E.
82