Urteil des ArbG Düsseldorf vom 15.07.2008

ArbG Düsseldorf: wirtschaftsprüfer, historische auslegung, betriebsrat, berechtigte person, systematische auslegung, juristische person, wählbarkeit, anwendungsbereich, angestellter, gleichstellung

Arbeitsgericht Düsseldorf, 11 BV 36/08
Datum:
15.07.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 BV 36/08
Schlagworte:
Wirtschaftsprüfer als leitender Angestellter
Normen:
§ 45 WPO
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Nach § 45 Satz 2 WPO gelten angestellte Wirtschaftsprüfer als leitende
Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG. Vom Anwendungsbereich
dieser Norm sind auch angestellte Wirtschaftsprüfer bei
genossenschaftlichen Prüfungsverbänden erfasst. Die Norm ist nicht
verfassungswidrig.
Tenor:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
G R Ü N D E :
1
I.
2
Der Beteiligte zu 2) ist ein genossenschaftlicher Prüfungsverband in der Rechtsform
eines eingetragenen Vereins. Die Mitarbeiter des Düsseldorfer Betriebs des Beteiligten
zu 2) haben am 10.03.2006 eine Betriebsratswahl durchgeführt. Der Beteiligte zu 1) ist
der ausweislich der Bekanntgabe des Wahlergebnisses vom selben Tag gewählte
Betriebsrat der Beteiligten zu 2). Auf den Inhalt der Bekanntmachung vom 10.03.2006,
Blatt 10 der Akte, wird verwiesen. Die Wahl wurde nicht angefochten. Der Beteiligte zu
2) hat den Beteiligten zu 3) zu dessen Vorsitzenden gewählt.
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Der Beteiligte zu 3) ist als Wirtschaftsprüfer für die Beteiligte zu 2) in einem
Arbeitsverhältnis tätig. Dabei hat er weder Vertretungsbefugnis für den Beteiligten zu 2)
noch personelle Kompetenzen, wie die Befugnis zur Einstellung und Entlassung von
Mitarbeitern.
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Mit Schreiben vom 19.12.2007 teilte der Beteiligte zu 2) gegenüber dem Beteiligten zu
1) mit, dass das Betriebsratsmandat des Beteiligten zu 3) durch die gesetzliche
Neuregelung in § 45 Satz 2 WPO beendet sei, wonach seit dem 3.09.2007 angestellte
Wirtschaftsprüfer als leitende Angestellte gelten.
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Der Beteiligte zu 1) hat den Beschluss zur Einleitung des vorliegenden
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Beschlussverfahrens sowohl unter Mitwirkung als auch vorsorglich ohne Mitwirkung des
Beteiligten zu 3. gefasst.
Der Beteiligte zu 1) ist der Ansicht, § 45 Satz 2 WPO sei dahingehend auszulegen, dass
angestellte Wirtschaftsprüfer von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit solchen
Kompetenzen auszustatten sind, dass sie die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG
erfüllen können. Ein anderes Verständnis von Satz 2 des § 45 WPO würde in
verfassungsrechtlich bedenklicher Weise dazu führen, dass die Rechte von
Betriebsräten und Arbeitnehmern eines Betriebes, die im BetrVG garantiert sind,
systemwidrig beschnitten würden. Die Sonderstellung "echter" leitender Angestellter
nach § 5 Abs. 3 BetrVG beruhe ausschließlich in der Funktionsfähigkeit des
Unternehmens. Nur mit Rücksicht hierauf sei die Ausklammerung der leitenden
Angestellten aus der Mitbestimmung auch mit dem Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1
GG vereinbar. Würde § 45 Satz 2 WPO fingieren, dass angestellte Wirtschaftsprüfer -
ungeachtet ihrer tatsächlichen Stellung, Aufgabengebiete bzw. Kompetenzen - leitende
Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG sind, führte diese Auslegung zur
Verfassungswidrigkeit der Norm.
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Die Anknüpfung von Satz 2 an Satz 1 von § 45 WPO gebiete zudem die Auslegung,
dass nur Angestellte Wirtschaftsprüfer von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vom
Anwendungsbereich erfasst werden könnten, nicht hingegen Wirtschaftsprüfer bei
genossenschaftlichen Prüfungsverbänden. Im Hinblick auf die grundlegenden
Unterschiede zwischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und genossenschaftlichen
Prüfungsverbänden und die unterschiedlichen Tätigkeiten von jeweils dort angestellten
Wirtschaftsprüfern sei diese Unterscheidung auch gerechtfertigt. Auf den umfangreichen
Sachvortrag des Beteiligten zu 1) im Hinblick auf die Besonderheiten bei
genossenschaftlichen Prüfungsverbänden wird verwiesen.
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Schließlich ergebe sich aus der Überschrift "Prokuristen" von § 45 WPO, dass in dieser
Vorschrift nur Regelungen für diejenigen Wirtschaftsprüfer getroffen werden sollten, die
auch die Rechtsstellung von Prokuristen erlangen könnten. Dies gelte unstreitig nicht für
angestellte Wirtschaftsprüfer von genossenschaftlichen Prüfungsverbänden. Auch aus §
43 a WPO gehe hervor, dass der Gesetzgeber bewusst zwischen Angestellten von
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und solchen von genossenschaftlichen
Prüfungsverbänden unterschieden habe, weshalb § 45 WPO sich daher bewusst
ausschließlich auf Angestellte von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beziehe. Dies
gehe auch aus der Regierungsbegründung zur Einführung von Satz 2 von § 45 WPO
hervor, worin an die bisherige Regelung in Satz 1 angeknüpft werde.
9
Der Beteiligte zu 1) beantragt,
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festzustellen, dass der Beteiligte zu 1) entsprechend der Bekanntgabe des
Wahlergebnisses aus der Betriebsratswahl vom 10.03.2006 zusammengesetzt ist und
der Beteiligte zu 3) sein Vorsitzender ist.
11
Der Beteiligte zu 3. schließt sich diesem Antrag an.
12
Die Beteiligte zu 2. beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
14
Der Beteiligte zu 2) ist der Auffassung, dass der Antrag bereits unzulässig sei, da der
Beteiligte zu 3) als Vertreter des Beteiligten zu 1) auftrete und an der Beschlussfassung
zur Einleitung des Verfahrens mitgewirkt habe. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet,
da die gesetzliche Fiktion von § 45 Satz 2 WPO nur die zwei Voraussetzungen habe,
dass es sich um einen Wirtschaftsprüfer handele und dieser angestellt sein müsse. Da
diese beiden Voraussetzungen in der Person des Beteiligten zu 3. vorlägen, sei er seit
dem 03.09.2007 leitender Angestellter und damit gemäß § 24 Nr. 4 BetrVG nicht mehr
Mitglied des Beteiligten zu 1)
15
Sowohl der Wortlaut von § 45 Satz 2 WPO als auch eine systematische Auslegung der
Vorschrift ergäben, dass sie auch auf angestellte Wirtschaftsprüfer in
genossenschaftlichen Prüfungsverbänden anwendbar sei. § 45 Satz 2 WPO sei auch
mit höherem Recht vereinbar, wobei die Ungleichbehandlung im Anwendungsbereich
des § 5 BetrVG sich daraus rechtfertige, dass die Unabhängigkeit von Wirtschaftsprüfern
im Angestelltenverhältnis gestärkt und betont werden sollte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Anhörung vor der Kammer vom
15.07.2008 Bezug genommen.
17
II.
18
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
19
1.
20
Der Antrag ist zulässig.
21
a)Für die Zulässigkeit des Antrags kann es dahinstehen, ob der Beteiligte zu 3) bei der
Beschlussfassung zur Einleitung des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens mitwirken
durfte und noch Mitglied des Beteiligten zu 1) war, da der Beschluss vorsorglich auch
ohne Mitwirkung des Beteiligten zu 3) gefasst wurde.
22
Die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens und die Beauftragung
eines Rechtsanwalts bedarf eines ordnungsgemäßen Beschlusses des Betriebsrates.
Ist die Beschlussfassung unterblieben oder fehlerhaft erfolgt, ist der Betriebsrat in dem
Beschlussverfahren nicht wirksam vertreten und ein Prozessrechtsverhältnis kommt
nicht zustande. Der für den Betriebsrat gestellte Antrag ist dann als unzulässig
abzuweisen (BAG 18.02.2003 - 1 ABR 17/02 - AP BetrVG 1972 § 77
Betriebsvereinbarung Nr. 11). Wirkt an der Beschlussfassung des Betriebsrats eine
hierzu nicht berechtigte Person mit, führt dies in der Regel zur Nichtigkeit des
Beschlusses (BAG 03.08.1999 - 1 ABR 30/98 - AP BetrVG 1972 § 25 Nr. 7), es sei
denn, der Fehler hatte offensichtlich keinen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis (vgl.
hierzu Fitting BetrVG 24. Aufl. § 33 Rn. 56; ErfK/Eisemann 6. Aufl. § 33 BetrVG Rn. 6).
23
Die Unwirksamkeit eines Betriebsratsbeschlusses über die Einleitung eines
Beschlussverfahrens und die Beauftragung eines Rechtsanwalts kann jedoch durch
einen weiteren ordnungsgemäßen Beschluss geheilt werden, wenn dieser noch vor
Erlass einer den Antrag als unzulässig zurückzuweisenden Prozessentscheidung
gefasst wird (BAG 18.02.2003 - 1 ABR 17/02 - AP BetrVG 1972 § 77
Betriebsvereinbarung Nr. 11).
24
Auf das Bestreiten einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung durch den Arbeitgeber
hat der Betriebsrat unwidersprochen vorgetragen, dass er vorsorglich auch einen
Beschluss zur Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens ohne Mitwirkung des
Beteiligten zu 3) gefasst hat. Wenn schon die Unwirksamkeit eines
Betriebsratsbeschlusses über die Einleitung eines Beschlussverfahrens durch einen
späteren Beschluss geheilt werden kann, gilt dies erst recht, wenn der Betriebsrat
vorsorglich einen zusätzlichen Beschluss ohne Mitwirkung desjenigen
Betriebsratsmitgliedes fasst, um dessen Zugehörigkeit zum Betriebsrat es in dem
Beschlussverfahren geht. Dass dieser vorsorgliche weitere Beschluss des Beteiligten
zu 1) ohne Mitwirkung des Beteiligten zu 3) wirksam gefasst wurde, hat der Beteiligte zu
2) nicht mehr bestritten.
25
b)Der Antrag bedarf der Auslegung.
26
Nach §§ 80 Abs. 2, 46 Abs. 2 ArbGG, § 256 ZPO bedarf ein auf Feststellung des
Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichteter Antrag eines
Feststellungsinteresses. Dieses Feststellungsinteresse haben der Beteiligte zu 1) und
der Beteiligte zu 3) lediglich hinsichtlich der Frage, ob der Beteiligte zu 3) über den
03.09.2007 hinaus noch Betriebsratsmitglied des Beteiligten zu 1) ist.
27
Entsprechend ausgelegt ist der Antrag zulässig.
28
Denn die Beteiligten sind nur unterschiedlicher Auffassung darüber, ob die
Mitgliedschaft des Beteiligten zu 3) im Betriebsrat gemäß § 24 Nr. 4 BetrVG durch die
Einführung von § 45 S. 2 WPO mit Wirkung zum 03.09.2007 erloschen ist. Die
Bekanntgabe des Wahlergebnisses und die Zusammensetzung des Betriebsrates bis
zum 03.09.2007 steht zwischen den Beteiligten nicht in Streit. Genauso wenig bedarf es
einer gerichtlichen Feststellung, ob der Beteiligte zu 3) zum Vorsitzenden des
Beteiligten zu 1) wirksam gewählt wurde.
29
2.
30
Der Antrag ist unbegründet.
31
Der Beteiligte zu 3) ist seit Inkrafttreten des § 45 Satz 2 WPO am 03.09.2007 nicht mehr
Mitglied des Beteiligten zu 1) und nach § 24 Nr. 4 BetrVG wegen des Verlustes der
Wählbarkeit aus dem Betriebsrat ausgeschieden.
32
Nach § 24 Nr. 4 BetrVG erlischt die Mitgliedschaft im Betriebsrat durch Verlust der
Wählbarkeit. Fehlte die Wählbarkeit schon im Zeitpunkt der Wahl, ist dieser Mangel
entweder durch eine Wahlanfechtung oder nach Ablauf der Anfechtungsfrist in einem
gesonderten gerichtlichen Verfahren zur Feststellung der Nichtwählbarkeit geltend zu
machen. Während die fehlende Wählbarkeit im Zeitpunkt der Wahl durch eine
gerichtliche Entscheidung festgestellt werden muss, führt der nachträgliche Verlust der
Wählbarkeit von Gesetzes wegen zu einem Amtsverlust.
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Der Beteiligte zu 3) ist aus dem persönlichen Geltungsbereich des BetrVG durch
Inkrafttreten von § 45 S. 2 WPO am 03.09.2007 nach der Betriebsratswahl
ausgeschieden und hat dadurch seine Wählbarkeit verloren.
34
§ 45 WPO trifft in Satz 1 und 2 folgende Regelungen:
35
"Wirtschaftsprüfer sollen als Angestellte von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften die
Rechtsstellung von Prokuristen haben. Angestellte Wirtschaftsprüfer gelten als leitende
Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes."
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Durch die gesetzliche (unwiderlegliche) Vermutung von Satz 2 ist der Beteiligte zu 3)
am 03.09.2007 zum leitenden Angestellten geworden. Ein Betriebsratsmitglied, das zum
leitenden Angestellten gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG wird, kann dem Betriebsrat nicht mehr
angehören (Fitting BetrVG, 24. Aufl., § 24 Rn. 33).
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a)Vom Anwendungsbereich von § 45 Satz 2 WPO sind auch angestellte
Wirtschaftsprüfer bei genossenschaftlichen Prüfungsverbänden erfasst. Dieses
Ergebnis ergibt sich aus der Auslegung der Norm.
38
aa)Der Wortlaut der Norm spricht unzweifelhaft für eine Anwendbarkeit der Vorschrift auf
genossenschaftliche Prüfungsverbände.
39
Bei der Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift ist zunächst von dem Wortlaut des
Gesetzes auszugehen. Das entscheidungserhebliche Tatbestandsmerkmal des § 45
Satz 2 WPO ist das des angestellten Wirtschaftsprüfers. Dabei sind vom
Regelungsgehalt diejenigen Personen erfasst, die Wirtschaftsprüfer sind und angestellt
sind. Eine Ausgrenzung von Wirtschaftsprüfern bei genossenschaftlichen
Prüfungsverbänden ist dem Wortlaut von § 45 Satz 2 WPO nicht zu entnehmen.
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bb)Ein von dem Wortlaut abweichendes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus der
systematischen Auslegung der Norm. Nach dieser Auslegungsmethode sind rechtliche
Vorschriften sowohl auf ihre formale, als auch auf ihre materielle Stimmigkeit mit den
umgebenden und übergeordneten Rechtsnormen zu überprüfen und entsprechend
auszulegen, um eine möglichst widerspruchsfreie Gesamtrechtsordnung
herbeizuführen.
41
Der dritte Teil der WPO, in der sich § 45 WPO befindet, ist überschrieben mit: "Rechte
und Pflichten der Wirtschaftsprüfer". In § 43 a Abs. 1 WPO werden unter der Überschrift
"Regeln der Berufsausübung" sowohl Wirtschaftsprüfer als Angestellte bei
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als auch bei genossenschaftlichen
Prüfungsverbänden gleichrangig nebeneinander genannt. Da sich diese Norm auch im
dritten Teil der WPO befindet, spricht die Gesetzessystematik für eine Anwendbarkeit
von § 45 Satz 2 WPO auch auf genossenschaftliche Prüfungsverbände. Anderenfalls
hätte eine Einschränkung des Anwendungsbereiches, wie in Satz 1 von § 45 WPO,
erfolgen müssen. Denn wie sich aus § 43 a WPO ergibt, sind Anstellungsverhältnisse
mit genossenschaftlichen Prüfungsverbänden bewusst gleichrangig
Regelungsgegenstand, falls nicht durch die WPO selbst im Einzelfall eine
Unterscheidung vorgenommen wird. Die von dem Beteiligten zu 1) unterstellte
Anknüpfung an Satz 1 ist daher gerade nicht erkennbar. Eine solche hätte nur durch
eine Bezugnahme auf Satz 1 erfolgen können (z. B. durch die Formulierung: "Sie gelten
als leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG.").
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Schließlich hätte § 45 S. 2 WPO nur einen äußerst eingeschränkten Regelungsgehalt,
wenn sich die Vorschrift nicht auf genossenschaftliche Prüfungsverbände erstreckt.
Denn nach § 45 S. 1 WPO sollen Wirtschaftsprüfer eine Prokuristenstellung erhalten.
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Nach § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BetrVG führt eine solche Prokuristenstellung aber
grundsätzlich bereits zu einem Status als leitender Angestellter. Ohne die Erstreckung
auf genossenschaftliche Prüfungsverbände hätte § 45 Satz 2 WPO daher den größten
Teil seines Anwendungsbereiches verloren, da in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften die
Wirtschaftsprüfer aufgrund der Rechtsform der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Prokuristen sein können und bereits deshalb leitende Angestellte sind, sofern es sich
nicht um reine Titularprokuristen handelt. Die Tatsache, dass andernfalls faktisch kein
Anwendungsbereich der Vorschrift bestehen bleibt, spricht für die Auslegung, dass auch
angestellte Wirtschaftsprüfer von genossenschaftlichen Prüfungsverbänden vom
Anwendungsbereich erfasst sind.
Auch § 43 Abs. 1 WPO, eine Vorschrift über Eigenständigkeit und Weisungsfreiheit des
Wirtschaftsprüfers, unterscheidet nicht nach der Art des Anstellungsverhältnisses. Weil
die Kriterien der Eigenständigkeit und Weisungsfreiheit jedoch auch bei der
Charakterisierung des leitenden Angestellten nach § 5 Abs. 3 BetrVG, auf den § 45 Satz
2 WPO verweist, entscheidend sind, spricht dies auch für die weite Auslegung von § 45
Satz 2 WPO.
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Zutreffend weist der Beteiligte zu 1) zwar darauf hin, dass die Überschrift von § 45 WPO
bei einer Erstreckung von Satz 2 auch auf berufsgenossenschaftliche Prüfungsverbände
unpassend ist, da letztere gemäß § 63 GenG als Vereine organisiert sind und eine
Prokuraerteilung damit ausscheidet. Das liegt jedoch offensichtlich allein daran, dass
Satz 2 nachträglich durch Gesetz vom 03.09.2007 als eine Regelung für alle
angestellten Wirtschaftsprüfer angefügt wurde. Die Überschrift des § 45 WPO
(Prokuristen) zielt auf den Regelungsinhalt des bisherigen Satzes 1 ab, der eben nur für
Wirtschaftsprüfer als Angestellte von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gilt, die
gesellschaftsrechtlich so organisiert sind, dass eine Prokuraerteilung möglich ist.
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cc)Die historische Auslegung unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung führt zu
keinem anderen Ergebnis. § 45 Satz 2 WPO geht auf die Beschlussempfehlung des
Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Technologie zurück:
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"§ 45 bestimmt bisher lediglich, dass Wirtschaftsprüfer als Angestellte von
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften die Rechtsstellung von Prokuristen haben sollen.
Damit wird die eigenverantwortliche Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers auch im
Angestelltenverhältnis nicht hinreichend betont. Der neu angefügte Satz 2 stellt
nunmehr klar, dass Wirtschaftsprüfer leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3
Betriebsverfassungsgesetz sind."
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Angesichts dieser starken Anlehnung der Gesetzesbegründung an den Wortlaut von §
45 Satz 2 als eigentlicher Norm kann kaum eine Schlussfolgerung aus den Materialien
zur Beantwortung der hier streitentscheidenden Frage gezogen werden. In der
Begründung ist lediglich festgehalten, dass Wirtschaftsprüfer als Angestellte von
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften die Rechtsstellung von Prokuristen haben sollen und
im nächsten Satz wird dann kritisiert, dass damit die eigenverantwortliche Tätigkeit im
Anstellungsverhältnis - nunmehr mit Verzicht auf das Merkmal des Angestellten bei
einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft - nicht hinreichend betont wird. Einen näheren
Sinn ergibt dies nur dann, wenn auch die Unabhängigkeit in einem
Anstellungsverhältnis bei einem Arbeitgeber, der nicht Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
ist, gestärkt werden soll ( so auch Thüsing in einem unveröffentlichten Gutachten vom
08.05.2008 zur Frage der Anwendbarkeit von § 45 Satz 2 WPO auf genossenschaftliche
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Prüfungsverbände). Die historische Auslegung spricht daher für die Anwendung des §
45 Satz 2 WPO auch auf genossenschaftliche Prüfungsverbände.
Aufgrund der Tatsache, dass in zahlreichen neueren gesetzlichen Vorschriften der Wille
des Gesetzgebers nur schwerlich zu ermitteln ist und Formulierungen nicht eindeutig
und präzise erfolgen, misst die Kammer der historischen Auslegung nur eine
untergeordnete Bedeutung zu. Zudem kommt nach der Rechtsprechung des BVerfG
(BVerfG 17.05.1960 - 2 BvL 11/59, BvL 11/60) der historischen Auslegung nur eine
Komplementärfunktion zu, die hilfsweise zum Tragen kommt, wenn es gilt, die
Richtigkeit eines Ergebnisses zu bestätigen oder Zweifel zu beseitigen.
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Bestätigend spricht die historische Auslegung jedenfalls für das nach den anderen
Auslegungsmethoden gefundene Ergebnis, wonach § 45 Satz 2 WPO auch für
angestellte Wirtschaftsprüfer von genossenschaftlichen Prüfungsverbänden gilt.
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b)Entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1) ist die Vorschrift des § 45 Satz 2 WPO
unter Berücksichtigung des Auslegungsergebnisses verfassungskonform. In der
Gleichstellung von leitenden Angestellten im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG und
angestellten Wirtschaftsprüfern liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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Die Prüfung der Verfassungsgemäßheit orientiert sich an dem gefundenen
Auslegungsergebnis. Die Auslegung und Ermittlung des Inhalts von § 45 Satz 2 WPO
haben ergeben, dass vom Regelungsgehalt sowohl angestellte Wirtschaftsprüfer bei
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als auch bei genossenschaftlichen
Prüfungsverbänden erfasst sind. Die Gleichstellung von allen angestellten
Wirtschaftsprüfern (gleich ob bei genossenschaftlichen Prüfungsverbänden oder
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften) und leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3
BetrVG stellt keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar.
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In einem unveröffentlichten Gutachten vom 08.05.2008 zur Frage der Anwendbarkeit
von § 45 Satz 2 WPO auf genossenschaftliche Prüfungsverbände führt Thüsing dabei
wie folgt aus:
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"Die Anwendung von Artikel 3 Abs. 1 GG auf die vorliegende Norm ergibt sich aus
folgender Überlegung: Grundsätzlich ist die Gleichstellung von wesentlich Ungleichem
verfassungsrechtlich nicht zulässig. ...
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Insbesondere könnte in der Gleichstellung von leitenden Angestellten im Sinne von § 5
Abs. 3 BetrVG und angestellten Wirtschaftsprüfern ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1
GG liegen. Auch hier ist zu ermitteln, ob diese wesentlich gleich sind oder nicht. Wäre
die Norm verfassungswidrig, bräuchte sie von den Gerichten nicht angewandt zu
werden. Als untergesetzliche Norm bedürfte es hierfür nicht der konkreten
Richtervorlage nach Artikel 100 GG. Prägende Merkmale für leitende Angestellte im
Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG sind die weitgehende Weisungsfreiheit, das Bestehen von
Entscheidungsspielräumen, sowie eine gewisse Bedeutung der Tätigkeit für Bestand
und Entwicklung eines Unternehmens. Ein Rückgriff auf die einfach gesetzlichen
Merkmale des leitenden Angestellten ist hier aufgrund der Normgeprägtheit des Begriffs
verfassungsrechtlich zulässig. Wie sich aus § 43 Abs. 1 WPO ergibt, handelt auch der
angestellte Wirtschaftsprüfer eigenverantwortlich, somit frei von Weisungen und mit
eigenen Entscheidungskompetenzen versehen. Auch haben angestellte
Wirtschaftsprüfer durch ihre Prüfaufgaben eine wichtige Funktion bei der Verwirklichung
55
der jeweiligen Unternehmens- und Verbandsziele inne.
Eine Einordnung der beiden Vergleichsgruppen als wesentlich gleich ist daher
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden."
56
Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an.
57
Rechtsmittelbelehrung
58
Gegen diesen Beschluss kann von den Beteiligten zu 1. und 3.
59
B e s c h w e r d e
60
eingelegt werden.
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Für den Beteiligten zu 2. ist gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel gegeben.
62
Die Beschwerde muss
63
innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
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beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf
Monaten nach Verkündung des Beschlusses.
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Die Beschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1.Rechtsanwälte,
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2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich
die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder
eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung
entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der
Bevollmächtigten haftet.
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Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden
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( L. )
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