Urteil des ArbG Dortmund vom 06.04.2005
ArbG Dortmund: kündigung, niederlassung, arbeitsgericht, maximum, angestellter, dienstalter, vergleich, arbeitsmarkt, aktiven, daten
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Schlagworte:
Normen:
Leitsätze:
Rechtskraft:
Tenor:
1
2
3
4
Aktenzeichen:
Arbeitsgericht Dortmund, 8 Ca 5138/04
06.04.2005
Arbeitsgericht Dortmund
8. Kammer
Urteil
8 Ca 5138/04
Stichwörter betriebsbedingte Kündigung, soziale Auswahl,
Punkteschema
Anzuwendende gesetzliche Betimmungen § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG
"Ein Punkteschema für die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers,
bei dem das Maximum an für das Lebensalter vergebenen Punkten mit
dem 57. Lebensjahr erreicht und bereits im 58. Lebensjahr auf die Hälfte
reduziert wird und bei dem ein 62jähriger oder älterer Arbeitnehmer für
sein Lebensalter weniger Punkte erhält als ein 19jähriger, berücksichtigt
das Lebensalter nicht ausreichend
Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei Berufung eingelegt
werden. Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel
gegeben.
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom
15.08.2004 nicht zum 31.08.2005 sein Ende finden wird.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Der Streitwert wird auf 15.498,00 EUR festgesetzt.
T a t b e s t a n d
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten
Beendigungskündigung.
Die Beklagte ist im Bauhauptgewerbe tätig und erstellt Dächer und Fassaden aus
Stahlblech. Sie beschäftigt bundesweit 76 Mitarbeiter, davon sieben in ihrer D5xxxxxxxx
Niederlassung. Ein Betriebsrat besteht nicht.
Der Kläger ist am 31.07.1943 geboren worden. Seine Ehefrau ist nicht berufstätig. Seit dem
01.01.1974 ist er als Verkaufsingenieur im Verkaufsbüro der Beklagten in D1xxxxxx
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
beschäftigt und nimmt überwiegend Kalkulationsaufgaben im Innendienst wahr. Er ist
außertariflicher Angestellter, sein Bruttomonatsgehalt beträgt 5.165,75 EUR.
In der D5xxxxxxxx Niederlassung ist ebenfalls der Verkaufsingenieur M2xxxxxxx
beschäftigt. Er ist am 07.07.1949 geboren worden und trat zum 20.10.1975 in das
Unternehmen der Beklagten ein. Wie der Kläger ist er außertariflicher Angestellter, seine
Lohnabrechnung erfolgt über die Steuerklasse III und er ist nicht unterhaltsverpflichtet für
Kinder.
Auch der Arbeitnehmer B3xxxxxxxxx ist in der D5xxxxxxxx Niederlassung beschäftigt. Er ist
32 Jahre alt und seit zwei Jahren im Betrieb der Beklagten tätig. Auch er ist als
Verkaufsingenieur eingestellt worden.
Die Beklagte legte für die soziale Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers ein
Punkteschema zugrunde, nach dem Arbeitnehmer für die Betriebszugehörigkeit 0 bis 75
Punkte erhalten sollten. Die hierfür maximale Punktzahl von 75 Punkten wurde mit 43
Jahren und mehr der Betriebszugehörigkeit erreicht. Für 30jährige Betriebszugehörigkeit
wurden 50 Punkte und für 28jährige Betriebszugehörigkeit 46 Punkte vergeben. Für das
Alter erhielten Arbeitnehmer 0 bis 43 Punkte. Bis einschließlich zum 14. Lebensjahr
wurden keine Punkte vergeben, danach stieg die Punktezahl an bis auf 43 Punkte für einen
57jährigen und fiel danach ab. Ein 58jähriger erhielt 22 Punkte, ein 59jähriger 17,6 Punkte,
ein 60jähriger 13,2 Punkte, ein 61jähriger 8,8 Punkte und ein 62-, 63- oder 64jähriger 4,4
Punkte. Ein 55jähriger erhielt 41 Punkte. Für die Steuerklassen I und II erhielten
Arbeitnehmer 5 Punkte, für die Steuerklasse III 8 Punkte und für alle übrigen Steuerklassen
keine Punkte. Je unterhaltsberechtigtem Kind erhielten Arbeitnehmer 5 Punkte. Für
Steuerklasse und Kinder wurden maximal 55 Punkte vergeben. Wegen der näheren
Einzelheiten wird auf das dem Schriftsatz der Beklagten vom 04.10.2004 beigefügte
tabellarische Punkteschema Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 25.08.2004, das dem Kläger am 28.08.2004 zuging, kündigte die
Beklagte dem Kläger zum 31.08.2005. Den Arbeitnehmern B3xxxxxxxxx und M2xxxxxxx
wurde nicht gekündigt.
Der Kläger ist der Ansicht, das von der Beklagten genutzte Punkteschema sei nicht
geeignet, eine den gesetzlichen Anforderungen des § 1 Abs. 3 KSchG entsprechende
Sozialauswahl zu ermöglichen. Er sei sozial schutzbedürftiger als der Kollege M2xxxxxxx.
Auch sei er vergleichbar mit dem Kollegen B3xxxxxxxxx und sozial schutzbedürftiger als
dieser. Daneben bestreitet er den Wegfall des Arbeitsplatzes.
Er beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitverhältnis durch die
schriftliche Kündigung der Beklagten vom 25.08.2004 nicht zum 31.08.2005 sein Ende
finden wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, aufgrund der negativen Geschäftsergebnisse in der Vergangenheit habe die
Geschäftsführung am 16.08.2004 ein Restrukturierungsprogramm beschlossen, das im
Wege der Leistungsverdichtung einen Personalabbaubedarf von nahezu 20 % der aktiven
Belegschaft kurzfristig vorsehe. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Seiten 1 bis 2
15
16
17
18
19
20
21
22
23
des Schriftsatzes der Beklagten vom 04.10.2004 Bezug genommen.
Der Arbeitnehmer B3xxxxxxxxx werde in Abweichung von seinem Arbeitsvertrag seit April
2003 überwiegend mit den Aufgaben eines Projektleiters betraut. Nach Abschluss einer
Einarbeitungszeit könne er in einigen Monaten eigenverantwortlich Projekte abwickeln. Die
von Herrn B3xxxxxxxxx ausgeübten Funktionen könne der Kläger auch unter Einräumung
einer dreimonatigen Einarbeitungszeit in keiner Weise ausüben.
Die Kündigungsschutzklage ging am 07.09.2004 beim Arbeitsgericht Dortmund ein. Wegen
des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und
ihre Anlagen sowie auf die Terminsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Kündigung der Beklagten vom 25.08.2004 hat das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis nicht beendet, da sie rechtsunwirksam ist.
Auf das Arbeitsverhältnis ist das Kündigungsschutzgesetz anzuwenden. Das
Arbeitsverhältnis bestand zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung länger als sechs
Monate (§ 1 Abs. 1 KSchG) nämlich seit dem 01.01.1974. Der Betrieb der Beklagten
beschäftigt in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer (§ 23 Abs. 1 KSchG). Die D5xxxxxxxx
Niederlassung der Beklagten beschäftigt sieben Arbeitnehmer.
Es kann dahin stehen, ob die Beklagte den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für den
Kläger hinreichend substantiiert dargelegt hat (§1 Abs. 2 KSchG) oder ob der Kläger mit
dem sozial stärkeren Arbeitnehmer B3xxxxxxxxx vergleichbar ist (§ 1 Abs. 3 KSchG). Die
Kündigung ist rechtsunwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt ist, weil die Beklagte bei der
Auswahl des Arbeitnehmers das Lebensalter und die Dauer der Betriebszugehörigkeit
nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 1 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, 1. Halbsatz KSchG).
Der Kläger und der Arbeitnehmer M2xxxxxxx sind vergleichbar. Beide arbeiten als
Verkaufsingenieure in der D5xxxxxxxx Niederlassung der Beklagten.
Die Beklagte hat bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers das höhere
Dienstalter und die längere Betriebszugehörigkeit des Klägers im Vergleich zu dem
Arbeitnehmer M2xxxxxxx nicht ausreichend berücksichtigt (§ 1 Abs. 3 S. 1, 1. Halbsatz
KSchG). Zwar müssen die in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG genannten Kriterien Dauer der
Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung des
Arbeitnehmers nur ausreichend berücksichtigt werden; der Arbeitgeber hat diesbezüglich
einen Wertungsspielraum (BAG vom 05.12.2002, 2 AZR 549/01, AP-Nr. 59 zu § 1 KSchG
1969 soziale Auswahl). Auch bei Berücksichtigung des Wertungsspielraums wird das von
der Beklagten verwendete Punkteschema den Anforderungen an eine ausreichende
soziale Auswahl jedoch nicht gerecht. Die Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers steigt
grundsätzlich mit zunehmendem Lebensalter (BAG vom 08.08.1985, 2 AZR 464/84, NZA
1986, 679, 682 und 683; KR / Etzel, 7. Aufl. 2004, § 1 KSchG, Rd-Nr. 673; APS / Kiel, 2.
Aufl. 2004, KSchG § 1 Rd-Nr. 710), da es älteren Arbeitnehmern schwerer fällt, auf dem
Arbeitsmarkt eine neue Stelle zu erhalten. Zwar wird verschiedentlich vertreten, dass mit
zeitlicher Nähe zum Renteneintritt die Bedeutung des Lebensalters wieder abnehme, was
jedoch voraussetze, dass ein nahtloser Übergang in die Sozialversicherungen möglich ist
(APS / Kiel a. a. O. Rd-Nr. 713 m. w. N.). Auch bei Berücksichtigung dessen genügt das
24
25
26
27
28
29
Punkteschema den Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG jedoch nicht, da die für das Alter
vergebenen Punkte bereits ab dem 58. Lebensjahr einschließlich zurückgehen und damit
kein nahtloser Übergang in Arbeitslosen- und Rentenversicherung möglich ist. Des
weiteren ist der Rückgang zu drastisch. Nach dem verwendeten Punkteschema wurde das
Maximum an Punkten für das Lebensalter mit dem 57. Lebensjahr erreicht (43 Punkte).
Bereits im 58. Lebensjahr halbierten die Punkte sich auf 22 Punkte, was nach dem
verwendeten Schema einem 36jährigen entspricht, und reduzierten sich bis auf 4,4 Punkte
für 62 Jahre und älter, was zwischen einem 18- und einem 19jährigen bei dem
verwendeten Punkteschema liegt.
Die vorgenommene soziale Auswahl stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig
dar.
Nicht nur das von der Beklagten verwendete Punkteschema genügt nicht den
Anforderungen des § 1 Abs. 3 S. 1, 1. Halbsatz KSchG, sondern die Auswahl des Klägers
berücksichtigt auch im Ergebnis nicht ausreichend die Betriebszugehörigkeit und das
Lebensalter. Bei Betrachtung des Lebensalters ist der zum Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung 61jährige Kläger mindestens ebenso schutzbedürftig wie der 55jährige
Arbeitnehmer M2xxxxxxx. Unter dem Gesichtspunkt der Betriebszugehörigkeit ist der
Kläger schutzwürdiger als Herr M2xxxxxxx. Der Kläger ist zum Zeitpunkt des Ausspruchs
der Kündigung 30 Jahre und Herr M2xxxxxxx 28 Jahre bei der Beklagten beschäftigt
gewesen. Die übrigen sozialen Daten sind, soweit vorgetragen, identisch.
Gründe für die Herausnahme aus der sozialen Auswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 2
KSchG sind hinsichtlich des Arbeitnehmers M2xxxxxxx nicht vorgetragen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 S.
1 ArbGG).
Der Streitwert entspricht dem Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden
Arbeitsentgelts (§ 42 Abs. 4 GKG).
Kühl