Urteil des ArbG Dortmund vom 29.05.2008

ArbG Dortmund: vergütung, gegen die guten sitten, gegenleistung, stundenlohn, missverhältnis, urlaub, arbeitsgericht, verkäuferin, klageerweiterung, wirtschaftszweig

Arbeitsgericht Dortmund, 4 Ca 274/08
Datum:
29.05.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Dortmund
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 Ca 274/08
Schlagworte:
sittenwidriger Lohn, angemessene Vergütung, Discounthandel
Normen:
§§ 138, 612 Abs. 2 BGB
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.503,89 EUR brutto
abzüglich gezahlter 11.369,60 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2007 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.067,30 EUR brutto
abzüglich gezahlter 568,75 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.02.2008 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.067,30 EUR brutto
abzüglich gezahlter 202,80 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.04.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die die Klägerin zu 1/5 und die
Beklagte zu 4/5.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.335,39 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten um Entgeltansprüche der Klägerin.
2
Die 57 Jahre alte, verheiratete, Klägerin ist gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag vom
22.08.2001 (Bl. 10 – 13 d. A.) bei der Beklagten seit dem 01.07.2001 zu einem
Stundenlohn von zuletzt 5,20 EUR beschäftigt. In den Jahren 2004 bis 2007 erhielt die
Klägerin einen Stundenlohn von 5,00 EUR.
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In § 2 des Arbeitsvertrages heißt es:
4
"Der Arbeitnehmer wird mit Wirkung vom _______ (siehe Personalfragebogen) als
geringfügig Beschäftigter/Packer(in) für eine stundenweise Tätigkeit eingestellt."
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§ 3 Satz 1 des Arbeitsvertrages hat folgenden Wortlaut:
6
"Die vereinbarte Vergütung beinhaltet den Anspruch auf Urlaubs- und
Weihnachtsgeld.
7
Nur tatsächlich geleistete Arbeitsstunden werden vergütet."
8
In § 4 des Arbeitsvertrages ist unter Arbeitszeit geregelt:
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"Ein Arbeitseinsatz erfolgt nach Bedarf unter Berücksichtigung der betrieblichen
Notwendigkeiten des Arbeitgebers sowie nach vorheriger Absprache mit dem
zuständigen Vorgesetzten.
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Die wöchentliche Arbeitszeit kann daher durchaus differieren und dabei auch 10
Stunden unterschreiten.
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Ansonsten gestaltet sich die Arbeitszeit nach den gesetzlichen Voraussetzungen
für eine geringfügige Beschäftigung, d. h. 14,75 Stunden in der Woche bzw. 63,75
Stunden im Monat werden nicht überschritten. Eine Überschreitung der gesetzlich
vorgegebenen Stundengrenzen zieht eine entsprechende sozialversicherungs-
und steuerrechtliche Behandlung der Bezüge nach sich."
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Mit der vorliegenden, am 30.11.2007 bei Gericht eingegangenen Klage, begehrt die
Klägerin die Zahlung der geleisteten Arbeitsstunden im Jahre 2004 auf der Basis eines
Stundenlohns von 7,96 EUR brutto, im Jahre 2005 auf der Basis eines Stundenlohns
von 8,10 EUR brutto und 8,12 EUR brutto, im Jahre 2006 auf der Basis von zunächst
8,12 EUR brutto, ab September 2006 sowie für das Jahr 2007 auf der Basis eines
Stundenlohns von 8,21 EUR brutto, was insgesamt für die Zeit vom 01.01.2004 bis
30.09.2007 einen Betrag von 18.503,89 EUR brutto abzüglich gezahlter 11.369,60 EUR
netto ergibt.
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Mit ihrer am 14.02.2008 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung begehrt die
Klägerin die Zahlung von 130 Wochenstunden für die Monate Oktober bis Dezember
2007 mit einem Stundenlohn in Höhe von 8,21 EUR brutto, obwohl sie tatsächlich in
dem genannten Zeitraum nur 113,75 Stunden auf der Basis eines Stundenlohns von
5,00 EUR gearbeitet hat. Dies ergibt einen Betrag von 1.067,30 EUR brutto abzüglich
gezahlter 568,75 EUR netto.
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Auch für die Monate Januar bis März 2008 fordert die Klägerin mit ihrer am 01.04.2008
bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung die Zahlung von 130 Stunden á 8,21 EUR
brutto. In diesem Zeitraum hat die Klägerin tatsächlich lediglich 39 Stunden gearbeitet,
wofür die Beklagte 202,80 EUR netto zahlte, weshalb die Klägerin einen Anspruch in
Höhe von 1.067,30 EUR brutto abzüglich gezahlter 202,80 EUR netto errechnet.
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Schließlich verlangt die Klägerin auf der Basis des Stundenlohns von 8,21 EUR brutto
für die Jahre 2004 bis 2007 die Zahlung von Urlaubsentgelt für 4 Wochen pro Jahr unter
Berücksichtigung der in diesen Jahren durchschnittlich geleisteten Stunden, insgesamt
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1.837,05 EUR brutto (vgl. Berechnung Bl. 9 d. A.).
Die Klägerin meint, der von der Beklagten gezahlte Lohn sei sittenwidrig, da ein
auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliege. Da sie
tatsächlich nicht als Packerin sondern vielmehr ganz überwiegend mit den Tätigkeiten
einer klassischen Verkäuferin, z. B. Warenpräsentation, Kundenberatung,
Kassiervorgängen, einschließlich Abrechnen der Kasse, beschäftigt worden sei, habe
sie anstelle der sittenwidrigen Vergütung gem. § 612 Abs. 2 BGB die der vertraglich
geschuldeten Leistung angemessene Vergütung, nämlich die einer Verkäuferin der
Gehaltsgruppe I, 6. Berufsjahr, des Gehaltstarifvertrages für den Einzelhandel NRW zu
erhalten, wonach die Beklagte ab dem Jahre 2004 pro Stunde 11,93 EUR brutto, 12,15
EUR brutto, 12,18 EUR brutto und zuletzt ab 01.09.2006 12,30 EUR brutto zu zahlen
habe. Unter Abzug eines Drittels errechne sich der ihrer Berechnung für die Jahre 2004
bis 2007 zugrundegelegte Lohnanspruch. Aber auch wenn man von einer gewerblichen
Tätigkeit als Packerin ausgehe habe der Tariflohn nach Lohngruppe II, Staffel b) des
Lohntarifvertrages für den Einzelhandel NRW 10,96 EUR brutto betragen. Abzustellen
sei jedenfalls auf die Tarifverträge des Einzelhandels, wo deutlich über 50 % der
Unternehmen tarifgebunden seien. Bei den fünf großen Discounthändlern, die über 90
% dieses Marktsegments ausmachten, liege Tarifgebundenheit vor. Die Klägerin meint,
da im Arbeitsvertrag eine feste Arbeitszeit nicht vereinbart sei, sei von einer
wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden auszugehen, die die Beklagte auch zu
bezahlen habe wenn sie sie nicht zur Arbeit einsetze. Da sie im Übrigen in den Jahren
2004, 2005, 2006 und 2007 Urlaub entsprechend den Dienstplänen erhalten habe,
jedoch die Beklagte insoweit kein Urlaubsentgelt unter Hinweis auf den Arbeitsvertrag,
wonach nur tatsächlich geleistete Stunden zu bezahlen seien, abgelehnt habe, bestehe
ein Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts für die genannten Jahre. Dieses sei auf
der Basis der durchschnittlich geleisteten Stunden für einen Zeitraum von 4 Wochen zu
bezahlen und ergebe insgesamt bei einem Stundenlohn von 8,21 EUR brutto den
Betrag von 1.837,05 EUR brutto.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 20.341,94 EUR brutto abzüglich
gezahlter 11.369,60 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.067,30 EUR brutto abzüglich
gezahlter 568,75 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen.
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3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.067,30 EUR brutto abzüglich
gezahlter 202,80 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, die Klägerin sei bei ihr als Packerin beschäftigt und nicht als Verkäuferin.
Im Übrigen entspreche die der Klägerin gewährte Vergütung dem allgemeinen
Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet. Die Beklagte behauptet, für geringfügig beschäftigte
Mitarbeiter im Discount-Einzelhandel betrage das allgemeine Lohnniveau bundesweit
4,- EUR bis 7,- EUR pro Stunde und verweist auf diverse Berichterstattungen (Bl. 103 –
107 d. A.). Der Tarifspiegel 2007 (Bl. 106 – 111 d. A.) sehe für eine ungelernte
Verkäuferin im Einzelhandel ein Bruttomonatsgehalt von 1.199,- EUR vor. Im Übrigen
sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin eine Vergütung von 5,- EUR netto pro Stunde
erhalte. Gehe man von dem Tariflohn für Packerinnen von 10,96 EUR brutto aus,
verbliebe auch hier nach Abzug der Sozialabgaben ein Nettostundenlohn von 6,16
EUR, der nicht sittenwidrig sei. Etwaige Zahlungsansprüche seien auch gemäß § 24
MTV Einzelhandel NRW, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages im
Jahr 2001 allgemeinverbindlich war, verfallen. Die Beklagte meint, die Klägerin habe
auch keinen Anspruch auf Zahlung der Vergütung von 10 Wochenstunden für die
Monate ab Oktober 2007, da nach dem Arbeitsvertrag die wöchentliche Arbeitszeit
differiere und auch 10 Stunden unterschreiten könne. Die Urlaubsansprüche der
Klägerin seien bis einschließlich 2006 verfallen, da sie in der Vergangenheit keinen
Urlaub geltend gemacht habe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und der von ihnen geäußerten
Rechtsauffassungen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
29
Die Klage ist nur zum Teil begründet.
30
I.
31
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 18.503,89 EUR brutto abzüglich von
der Beklagten gezahlter 11.369,60 EUR netto für die Zeit vom 01.01.2004 bis
30.09.2007.
32
Die Beklagte hat die von der Klägerin geleistete Arbeitszeit in Höhe von 7,96 EUR
brutto, bzw. 8,10 EUR brutto sowie 8,12 EUR brutto und ab 01.09.2006 mit 8,21 EUR
brutto pro Stunde zu vergüten. Dieser Anspruch folgt aus §§ 612 Abs. 2, 138 BGB, denn
die Vergütungsvereinbarung der Parteien im Vertrag von 22.08.2001 verstößt gegen die
guten Sitten und ist deshalb nichtig.
33
Eine arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung kann wegen Lohnwucher oder wegen
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eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nichtig sein. Sowohl der strafrechtliche
Wuchertatbestand des § 291 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StGB als auch der zivilrechtliche
Lohnwucher nach § 138 Abs. 2 BGB und das wucherähnliche Rechtsgeschäft nach §
138 Abs. 1 BGB setzen dabei ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung voraus (BAG vom 24.03.2004 – 5 AZR 303/03 – mwN). Nach der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist zur Feststellung, ob ein auffälliges
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt, der Wert der Leistung des
Arbeitnehmers nach ihrem objektiven Wert zu beurteilen (BAG vom 24.03.2004 - 5 AZR
303/03 -; BAG vom 23.05.2001 - 5 AZR 527/99 -). Ausgangspunkt zur Feststellung des
Wertes der Arbeitsleistung sind dabei in der Regel die Tariflöhne des jeweiligen
Wirtschaftszweiges. Das gilt jedenfalls dann, wenn in dem Wirtschaftsgebiet
üblicherweise der Tariflohn gezahlt wird. Denn dann kann grundsätzlich davon
ausgegangen werden, dass Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt nur zu den
Tariflohnsätzen gewonnen werden können. Entspricht der Tariflohn indessen nicht der
verkehrsüblichen Vergütung, sondern liegt diese unterhalb des Tariflohns, ist zur
Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung von dem allgemeinen Lohnniveau im
Wirtschaftsgebiet auszugehen. Das Bundesarbeitsgericht hat bisher keine Richtwerte
zur Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und
Gegenleistung entwickelt, allerdings ausgeführt, dass zur Feststellung des auffälligen
Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung nicht auf einen bestimmten
Abstand zwischen dem Arbeitsentgelt und dem Sozialhilfesatz abgestellt werden kann
und auch aus den Pfändungsgrenzen des § 850 c ZPO nicht auf ein Missverhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung geschlossen werden kann (BAG vom 24.03.2004
- 5 AZR 303/03 -). Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Fall der
strafrechtlichen Beurteilung des Lohnwuchers die tatrichterliche Würdigung des
Landgerichts, ein auffälliges Missverhältnis liege bei einem Lohn vor, der 2/3 des
Tariflohns betrage, revisionsrechtlich gebilligt (BGH vom 22.04.1997 - 1 StR 701/96 -).
Von diesem Richtwert gehen auch einige Arbeitsgerichte und das Schrifttum aus (LAG
Berlin, 20.02.1998 - 6 Sa 145/97 -; LAG Berlin, 28.02.2007 – 15 Sa 1363/06 -; Reineke
NZA 2000, Beilage zu Heft 3, Seite 23, 32;).
Vorliegend ist von einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung auszugehen.
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Tarifverträge kommen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zur Anwendung. In
diesem Fall ist es zunächst Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung
festzulegen. Sie haben einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur
darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die noch als
angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter
Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des
Einzelfalles festzustellen. Maßgeblich ist die Verkehrsanschauung. Wichtigster
Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind dabei die einschlägigen Tarifverträge.
Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen
beider Seiten hinreichend berücksichtigt (BAG vom 19.02.2008 - 9 AZR 1091/06 - zur
Angemessenheit einer Ausbildungsvergütung).
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Selbst wenn man im vorliegenden Fall davon ausgeht, die Klägerin sei bei der
Beklagten entsprechend § 1 des zwischen den Parteien abgeschlossenen
Arbeitsvertrages vom 22.08.2001 als Packerin beschäftigt, so entspräche diese Tätigkeit
(mindestens) der Lohngruppe II, Staffel a), des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel
NRW, wonach die Klägerin einen Lohnanspruch von 9,39 EUR brutto, 9,72 EUR brutto
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und ab 01.09.2006 von 9,82 EUR brutto gehabt hätte. Der räumlich und fachlich
einschlägige Gehalts- oder Lohntarifvertrag des Einzelhandels NRW gibt die
verkehrsübliche Vergütung wider. Es ist nicht ersichtlich, dass die genannten
Tarifverträge mit ihren Vergütungsregelungen nicht als Maßstab für die üblicherweise in
NRW im Einzelhandel gezahlte Vergütung zugrunde zu legen sind. Die Beklagte trägt
hierzu auch lediglich vor, dass für geringfügig beschäftigte Mitarbeiter im Discount-
Einzelhandel eine Vergütung bundesweit in Höhe von 4,- EUR bis 7,- EUR pro Stunde
gezahlt wird. Dies ist jedoch insofern unerheblich, als es zum Einen nichts über die im
gesamten Bereich des Einzelhandels in NRW insgesamt gezahlte übliche Vergütung
aussagt, zum Anderen, weil eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitkräften und
Vollzeitkräften im Hinblick auf die Entlohnung gem. § 4 TzBfG ungerechtfertigt wäre. Die
Beklagte kann sich daher nicht darauf zurückziehen, auch andere Discount-
Einzelhändler zahlten unter Verstoß gegen § 4 TzBfG eine Vergütung, die erheblich
unter der tariflichen üblichen Vergütung liege, denn entscheidend ist abzustellen auf
den entsprechenden Wirtschaftszweig, den Einzelhandel, in welchem die Klägerin tätig
ist, und nicht auf einen bestimmten Teilbereich, in dem im großen Umfang geringfügig
beschäftigte Frauen mit entsprechend niedriger Entlohnung eingesetzt werden. Dass
der Discount-Einzelhandel einen eigenen Wirtschaftszweig bildet und sich insofern von
der Einzelhandelsbranche unterscheidet, ist nicht erkennbar. Vergleichsmaßstab zur
Ermittlung eines auffälligen Missverhältnisses des vertraglich vereinbarten Lohns einer
Packerin zu deren Arbeitsleistung ist damit der im Einzelhandel maßgebliche Tariflohn
(zur Frage des Vergleichsmaßstabs, BAG, 24.03.2004 - 5 AZR 303/03 -).
Vergleicht man die Stundenlöhne von 9,39 EUR brutto, 9,72 EUR brutto und 9,82 EUR
brutto gemäß der Lohngruppe II, Lohnstaffel a), des Lohntarifvertrages für den
Einzelhandel NRW mit der vertraglich vereinbarten Vergütung von 5,- EUR pro Stunde,
so ist bei der Vergleichsrechnung jeweils von Bruttobeträgen auszugehen, denn der
Arbeitsvertrag der Parteien enthält insoweit keine Nettolohnvereinbarung, was sich
schon aus der Regelung in § 4 des Arbeitsvertrages vom 22.08.2001 ergibt. Dass die
Beklagte im Falle des Überschreitens der Einkommensgrenzen von zuletzt 400,- EUR
monatlich auch eine Vergütung von 5,- EUR netto gezahlt hätte, ist nicht ersichtlich (vgl.
dazu Arbeitsgericht Bremen/Bremerhaven vom 12.12.2007 - 9 Ca 9331/07 -).
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Angesichts dessen ist der vertraglich vereinbarte Stundenlohn als Bruttolohn zu
vergleichen mit den tarifvertraglich festgelegten Bruttostundenlöhnen. Der vertraglich
vereinbarte Stundenlohn liegt um ca. 48 % unter der tarifvertraglichen üblichen
Vergütung und wird damit insoweit um mehr als 1/3 unterschritten. Es liegt daher ein
auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor. Eine
arbeitsvertragliche Abrede, nach der die arbeitnehmerische Leistung mit nur etwas mehr
als der Hälfte der üblichen Vergütung entlohnt werden soll, ist mit den guten Sitten nicht
zu vereinbaren und stellt ein unangemessenes, der Korrektur bedürfendes
Ungleichgewicht der gegenseitigen Leistungsverpflichtung dar (vgl. Arbeitsgericht
Bremen/Bremerhaven vom 12.12.2007 - 9 Ca 9331/07 -).
39
Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 138 BGB ist ein Anspruch der Klägerin auf die
übliche Vergütung gemäß § 612 Abs. 2 BGB. Die übliche Vergütung ergibt sich, wie
ausgeführt, aus dem Lohntarifvertrag des Einzelhandels NRW. Danach hätte die
Beklagte die von der Klägerin geleistete Arbeitszeit, geht man tatsächlich von einer
Tätigkeit der Klägerin als Packerin aus, mit einem Stundenlohn von mindestens 9,39
EUR brutto, 9,72 EUR brutto und ab 01.09.2006 von 9,82 EUR brutto vergüten müssen.
Da die Klägerin für die genannten Zeiträume ab dem 01.01.2004 lediglich 7,96 EUR
40
brutto, 8,10 EUR brutto und 8,12 EUR brutto sowie 8,21 EUR brutto verlangt, und die
Berechnungen der Klägerin zur Höhe der ausgezahlten Beträge, die sich die Klägerin
netto anrechnen lässt, nicht bestritten worden sind, war dem Anspruch der Klägerin auf
Zahlung von 18.503,89 EUR brutto abzüglich gezahlter 11.369,60 EUR netto zu
entsprechen.
Die Ansprüche der Klägerin auf Vergütung auf der Basis der genannten Stundenlöhne
für die Zeit vom 01.01.2004 bis einschließlich 30.09.2007 sind auch nicht gemäß § 24
MTV des Einzelhandels NRW verfallen. Allerdings ist der Manteltarifvertrag des
Einzelhandels NRW vorliegend nachwirkend gemäß § 4 Abs. 5 TVG auf das zwischen
den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis anwendbar. Die Berufung der Beklagten auf
die Ausschlussfrist stellt sich jedoch nach Auffassung der Kammer als
rechtsmissbräuchliches Verhalten gemäß § 242 BGB dar.
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Zwar geht das BAG davon aus, dass allein der Verstoß gegen die aus § 2 Abs. 1
NachwG folgende Verpflichtung nicht den Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens
begründet (BAG 29.05.2002 - 5 AZR 105/01 -; BAG 05.11.2003 - 5 AZR 676/02 -).
Vorliegend haben die Parteien jedoch in einem schriftlichen Arbeitsvertrag vom
22.08.2001 dezidiert die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien niedergelegt, ohne
gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG einen Hinweis auf den Manteltarifvertrag für den
Einzelhandel NRW aufzunehmen. Sie haben alle Punkte, die gemäß § 2 Abs. 1 S. 2
NachwG in die Niederschrift des Arbeitsvertrages aufgenommen werden müssen,
geregelt, nur diesen einen Punkt gerade nicht. Angesichts dessen musste die Klägerin
in dem Glauben sein, alle wesentlichen Vertragspunkte seien schriftlich festgelegt und
mündliche Nebenabreden seien nicht getroffen, obwohl tatsächlich zusätzlich zu den im
Arbeitsvertrag vom 22.08.2001 getroffenen Vereinbarungen noch die Regelungen des
Manteltarifvertrages für den Einzelhandel NRW hinzutraten. Da die Beklagte selbst über
einen Zeitraum von 6 Jahren den Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW nicht
angewendet hat, setzt sie sich mit ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn sie
sich, ohne dass insoweit eine arbeitsvertragliche Niederschrift vorliegt, nunmehr auf die
Verfallfrist in § 24 MTV für den Einzelhandel NRW beruft. Dieses widersprüchliche
Verhalten stellt sich als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB dar. Von einem
Verfall der Ansprüche der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.09.2007 ist
deshalb nicht auszugehen.
42
II.
43
Für die Monate Oktober bis Dezember 2007 sowie Januar bis März 2008 hat die
Beklagte der Klägerin auf der Basis einer 10-Stunden-Woche und einem Stundenlohn
von 8,21 EUR brutto jeweils 1.067,30 EUR brutto abzüglich der geleisteten
Nettolohnzahlungen von 568,75 EUR, bzw. 202,80 EUR Vergütung zu zahlen. Da
zwischen den Parteien eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen
Arbeitszeit nicht vereinbart ist, vielmehr in § 4 des Arbeitsvertrages vom 22.08.2001
festgelegt ist, dass die wöchentliche Arbeitszeit differieren und auch 10 Stunden
unterschreiten könne, gilt gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 TzBfG eine Arbeitszeit von 10
Stunden pro Woche als vereinbart. Die Beklagte hat daher der Klägerin trotz fehlender
Arbeitsleistung die Vergütung für 10 Stunden pro Woche, mithin 260 Stunden für 6
Monate auf der Basis des Stundenlohns von 8,21 EUR brutto zu zahlen.
44
III.
45
Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf Urlaubsentgelt für die Jahre 2004 bis
2007. Hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2006 bestehen insoweit schon Bedenken, ob nicht
der Urlaub, lässt man die Anwendbarkeit des MTV für den Einzelhandel NRW außer
Betracht, nach den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes spätestens mit dem 31.03.
des Folgejahres verfallen ist. Jedenfalls aber kommt ein Anspruch der Klägerin auf
Zahlung von Urlaubsentgelt für die Jahre 2004 bis 2007 schon deshalb nicht in Betracht,
weil die Klägerin sich noch in einem Arbeitsverhältnis befindet. Sofern die Klägerin
daher, wie sie behauptet, bezahlten Erholungsurlaub gegenüber der Beklagten geltend
gemacht und diese der Klägerin den Urlaub zu Unrecht verweigert hat, käme als
Schadensersatzanspruch nur ein Anspruch auf Gewährung von Urlaub für die
vergangenen Jahre in Betracht. Eine Abgeltung von Urlaub ist im bestehenden
Arbeitsverhältnis ausgeschlossen. Nur wenn der Urlaub wegen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, so ist er
abzugelten, § 7 Abs. 4 BUrlG. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Klägerin könnte,
sofern ihr tatsächlich noch ein Urlaubsanspruch für die Vergangenheit zustehen sollte,
diesen noch in Natur nehmen.
46
IV.
47
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 S. 2, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet
sich jeweils seit Erhebung der Klage mit den Lohnzahlungen an die Klägerin in Verzug.
48
V.
49
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 92 Abs. 1 ZPO. Die Kosten
waren verhältnismäßig zu teilen. Die Entscheidung über den Streitwert gründet sich auf
§§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, § 3 ZPO. Der Streitwert wurde in Höhe der
eingeforderten Zahlungsbeträge festgesetzt.
50
Schmidt-Hense
51