Urteil des ArbG Dortmund vom 30.01.2008

ArbG Dortmund: anpassung, allgemeine geschäftsbedingungen, arbeitsgericht, zusage, umdeutung, entwertung, konzern, altersrente, unterliegen, aufspaltung

Arbeitsgericht Dortmund, 5 Ca 4805/07
Datum:
30.01.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Dortmund
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Ca 4805/07
Schlagworte:
betriebliche Altersversorgung, ablösende Betriebsvereinbarung
Normen:
§ 30 c BetrVG
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 227,94 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus dem jeweiligen
monatlichen Teilbetrag in Höhe von 37,99 EUR für die Zeit vom
01.07.2007 bis 01.12.2007 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, bis auf weiteres an den Kläger ab dem
02.01.2008 monatlich 4.775,08 EUR brutto, jeweils fällig zum
Monatsende, zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Der Streitwert wird auf 1.367,64 EUR festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Höhe einer betrieblichen Altersrente.
2
Der am 30.07.1937 geborene Kläger war in der Zeit vom 01.11.1990 bis einschließlich
30.06.1997 Arbeitnehmer der R1 E1 AG und ist nach zwischenzeitlichen
Umstrukturierungen im Konzern derzeit der Beklagten als Versorgungsnehmer
zugeordnet.
3
Ausweislich des zwischen den Parteien geschlossenen Anstellungsvertrages
vereinbarten die Parteien unter Ziff. 6 folgende Ruhegeld- und
Hinterbliebenenversorgung:
4
"Sie erhalten eine Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe der
Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung der R1 E1 AG vom
19.12.1989 bzw. nach der Maßgabe der Richtlinien in der jeweils geltenden
Fassung. Als Beginn des Ruhegeld-Dienstalters gilt der 01.11.1990."
5
(Vgl. Bl. 101 d.A.).
6
Der Kläger schied aufgrund einer Vereinbarung vom 27.12.1995 / 29.01.1996 mit Ablauf
des 30.06.1997 aus dem Arbeitsverhältnis aus. In der Vereinbarung heißt es wiederum
wörtlich:"
7
"Nach Beendigung des Anspruchs auf Frühpensionierungsleistungen wird das
Ruhegeld- bzw. Hinterbliebenengeld nach Maßgabe der jeweils geltenden
Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenen-Versorgung der R1 E1 AG und
der Betriebsvereinbarung zur Frühpensionierung vom 05.05.1993 gezahlt."
8
(Vgl. Bl. 104 d.A.).
9
Seit dem 01.12.1999 bezieht der Kläger nunmehr das betriebliche Altersruhegeld.
10
Rechtsgrundlage für den Bezug dieser Rente war zunächst jedenfalls die Richtlinie vom
19.12.1989, die die Anpassung laufender Betriebsrenten in § 5 Abs. 5 – 9 RL 89 wie
folgt regelte:
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"(5.) Die R1 Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung wird für Pensionsfälle ab
1992 höchstens um die Inflationsrate angepasst, soweit diese zum Zeitpunkt einer
Rentenerhöhung unterhalt der Erhöhungen der Nettovergütung der aktiven
Mitarbeiter liegt. Übersteigt die Inflationsrate die Erhöhung der Nettovergütungen,
verbleibt es bei der Anhebung der Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung um
den Prozentsatz dieser Nettovergütungen.
12
… (9.) § 16 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung
vom 19.02.1974 bleibt unberührt. Dabei sind zwischenzeitlich nach den
vorstehenden Absätzen erfolgte Anhebungen der Betriebsrenten zu
berücksichtigen."
13
(Vgl. Bl. 7 ff. d.A.).
14
In den Jahren 2004 und 2005 war zunächst keine Rentenanpassung vorgenommen
worden. Mit Schreiben vom 16.02.2007 (vgl. Bl. 10 d.A.) informierte die Beklagte den
Kläger darüber, dass sie mit Wirkung zum 01.02.2007 rückwirkend eine
Rentenanpassung für die Jahre 2004 bis 2006 vorgenommen habe und zahlte
zusätzlich einen Einmalbetrag aus.
15
Zum Anpassungsstichtag 01.07.2007 erhöhte die Beklagte die Betriebsrente des
Klägers um weitere 1 %.
16
Die Beklagte stützte diese 1 %-ige Anpassung auf die zwischen der Beklagten und
ihrem Gesamtbetriebsrat geschlossene BV 2006, die zum 01.07.2007 in Kraft treten
sollte und deren § 2 wie folgt lautet:
17
"Neufassung des § 5 Absätze 5 bis 9 RL 02/89
18
§ 5 Absätze 5 bis 9 RL 02/89 wird in allen bis zum Inkrafttreten dieser
Betriebsvereinbarung geltenden Fassungen durch folgende Regelung ersetzt: Das
19
Unternehmen verpflichtet sich, jeweils zum 01. Juli eines jeden Jahres die
laufenden Versorgungsleistungen um 1 % anzupassen. Steigen die
Verbraucherpreise in einem Jahr um 4,75 % oder mehr oder in drei aufeinander
folgenden Jahren um 11,5 % oder mehr, verpflichten sich die Betriebsparteien, über
eine einmalige Neuregelung der Anpassung zu verhandeln mit dem Ziel eine
Entwertung der Renten zu verhindern. Im Übrigen bleiben die Regelungen der RL
02/89 unberührt."
(Vgl. Bl. 110 d.A.).
20
Der Kläger bezieht seit Juli 2007 eine Betriebsrente in Höhe von 4.737,09 € brutto.
21
Mit der am 10.09.2007 beim Arbeitsgericht Dortmund eingegangenen Klage begehrt er
eine weitere Erhöhung um 0,81 %.
22
Der Kläger ist der Ansicht, die nach Maßgabe der BV 2006 vorgenommene, nur 1 %-ige
Erhöhung seiner Betriebsrente zum 01.07.2007 sei unwirksam.
23
Im Anpassungszeitraum Juni 2006 bis Juni 2007 sei der Verbraucherpreisindex um 1,81
% gestiegen, die Beklagte habe die Betriebsrente zum 01.07.2007 jedoch lediglich um 1
% erhöht, so dass dem Kläger eine weitere Erhöhung um 0,81 %, mithin 37,99 € brutto
zustünde.
24
Die BV 2006 könne für den Kläger aus mehreren Gründen keine Anwendung finden.
25
Die Neuregelung der Anpassung der Betriebsrente verstoße in Bezug auf den Kläger
gegen § 30 c Abs. 1 BetrVG.
26
Des Weiteren würde den Betriebsparteien hier auch die Regelungsmacht zur
Abänderung der Betriebsvereinbarung vom 09.02.1989 fehlen, da sich der Kläger im
Zeitpunkt der Neufassung im Jahr 2006 schon im Ruhestandsverhältnis befunden habe.
27
Die im Arbeitsvertrag und in der Vorruhestandsregelung befindliche Jeweiligkeitsklausel
sei einer Inhaltskontrolle sowie einer ergänzenden Auslegung zu unterziehen mit dem
Ergebnis, dass wiederum die Ruheständler von der Regelung der Anpassungsregelung
nicht erfasst würden.
28
Ungeachtet dessen seien durch die BV 2006 jedenfalls die Grenzen einer unterstellten
Regelungskompetenz auch überschritten worden, da die Neuregelung
unverhältnismäßig sei. Die Neuregelung der Anpassung könne zu einer Entwertung der
Betriebsrente führen, die den Kläger deshalb besonders hart treffe, da die hohe
betriebliche Altersrente einen wesentlichen Teil seiner Altersversorgung darstellt, auf
deren Werterhalt er berechtigt hätte vertrauen dürfen.
29
Schließlich streite auch die Veränderungssperre des § 2 Abs. 5 BetrVG für den Kläger.
30
Er beantragte zuletzt,
31
32
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 227,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem monatlichen Teilbetrag in Höhe
von 37,99 € für die Zeit vom 01.07.2007 bis 01.12.2007 zu zahlen,
33
2. die Beklagte zu verurteilen, bis auf Weiteres an den Kläger ab dem 02.01.2008
monatlich 4.775,08 € brutto, jeweils fällig zum Monatsende, zu zahlen.
34
35
Die Beklagte beantragte,
36
die Klage abzuweisen.
37
Sie ist der Ansicht, die Klage sei bereits unschlüssig, da die vom Kläger erstellte
Berechnung nicht nachvollziehbar sei. Der Kläger habe zum 01.02.2007 eine
Anpassung in Höhe von 2,26 % und zum 01.07.2007 eine Anpassung in Höhe von 1 %
erhalten, so dass die von ihm geltend gemachte Anpassung weit hinter der tatsächlich
erfolgten zurückbleibe.
38
Eine weitere Erhöhung stünde dem Kläger jedoch auch dem Grunde nach nicht zu.
39
Zunächst seien die Betriebsparteien berechtigt gewesen, die Richtlinie aus dem Jahr
1989 durch die BV 2006 abzulösen.
40
Sowohl der Arbeitsvertrag des Klägers als auch die Ausscheidensvereinbarung
enthielten eine sogenannte Jeweiligkeitsklauseln, die die Änderung auch während des
Bezugs der Rente zuließen. Es handele sich um eine Individualvereinbarung, die vor
der Schuldrechtsmodernisierung geschlossen worden sei, so dass eine Inhaltskontrolle
ohnehin nicht stattfände. Selbst wenn man eine solche jedoch durchführen würde, so
hielte die Klausel einer Wirksamkeitsprüfung stand.
41
Auch ungeachtet dieser Jeweiligkeitsklausel sprächen im Übrigen die besseren
Argumente dafür, die Regelungsmacht der Betriebsparteien auch auf die
Ruhestandsverhältnisse auszudehnen. Das BAG habe diese Frage in seinen jüngeren
Entscheidungen auch ausdrücklich offen gelassen.
42
§ 30 c BetrVG stünde der Neuregelung nicht entgegen. Entgegen der Ansicht des
Klägers handele es sich bei seiner Altersversorgung nicht um eine sogenannte
Altzusage. Der Wortlaut "laufende Leistungen" setze voraus, dass zum Stichtag
31.12.1998 bereits eine Betriebrente gezahlt werde. Auch Sinn und Zweck der
Übergangsvorschrift des § 30 c BetrVG sprächen für die Möglichkeit, Rentenleistungen
aufgrund älterer Versorgungsversprechen umstellen zu können.
43
Schlussendlich sei die Anpassungsregelung der BV 2006 gemessen an den Maßstäben
des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Die
44
Einführung einer vertraglichen Mindestanpassung verbessere den Wert einer
Versorgungszusage, da der Arbeitgeber seinerseits auf die Möglichkeit verzichte, bei
schlechter wirtschaftlicher Lage eine Anpassung zu unterlassen. Die Beklagte habe mit
der Neuregelung ein vereinfachtes, einheitliches Verfahren für die Vielzahl
unterschiedlicher Regelungswerke im R1 Konzern geschaffen, welches eine größere
Rechtssicherheit, Kalkulierbarkeit und Finanzierbarkeit gewährleiste.
Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgehen würde, es läge ein Verstoß gegen §
30 c BetrVG vor, so führe dies noch nicht automatisch zu der von dem Kläger
gewünschten Anpassung. Die von der Beklagten vorgenommene 1 %-ige Erhöhung sei
jedenfalls nicht zu beanstanden. Gegebenenfalls könne dann noch eine im 3-Jahres-
Rhythmus zu erfolgende Anpassungsentscheidung im Rahmen sogenannter
Altzusagen erforderlich sein. Sollte § 30 c BetrVG einschlägig sein, so sei (nur) die
Anpassungsprüfungspflicht des § 16 Abs. 1 BetrVG nicht wirksam abgelöst worden, so
dass diese neben der Regelung aus der BV 2006 fortbestünde.
45
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
46
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
47
Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg.
48
I.
49
Der Kläger hat einen Anspruch auf die von ihm begehrte erhöhte Betriebsrente für die
Zeit seit dem 01.07.2007.
50
1.
51
Der Anspruch folgt dem Grunde nach aus Ziff. 6 des zwischen den Parteien
geschlossenen Arbeitsvertrages i.V.m. § 5 Abs. 5 der RL 02/89.
52
Diese ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht wirksam durch die BV 2006
abgeändert worden.
53
a)
54
Aus Sicht der Kammer konnte die vom Bundesarbeitsgericht zuletzt offen gelassene
Frage, ob den Betriebsparteien überhaupt die Regelungsmacht für eine (Gesamt-)
Betriebsvereinbarung mit Wirkung auch für Ruhestandverhältnisse zusteht, dahinstehen
(dafür noch LAG Hamm, Urteil vom 01.02.2006, 3 Sa 723/05; die
Revisionsentscheidung des BAG vom 13.01.2007, 3 AZR 458/06 liegt mit
Entscheidungsgründen noch nicht vor).
55
b)
56
Letztendlich dahinstehen konnte auch die Frage der Wirksamkeit und Reichweite der
zwischen den Parteien unter Ziff. 6 des Arbeitsvertrages sowie nochmals unter Ziff. 5 der
Frühpensionierungsregelung vereinbarten Jeweiligkeitsklausel.
57
Der Vollständigkeit halber sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Kammer hier davon
ausgeht, dass es sich bei der Klausel um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne
der §§ 305 Abs, 1, 310 Abs. 3 BGB handelt, die einer Inhaltskontrolle zugänglich sind.
58
Aus Sicht der Kammer ist die Regelung jedoch weder unklar im Sinne des § 305 c BGB
noch benachteiligt sie die Betriebsrentner unangemessen im Sinne des § 307 BGB.
59
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt,
gelten die Jeweiligkeitsklauseln auch über den Eintritt des Arbeitnehmers in den
Ruhestand hinaus, da der Arbeitgeber im Regelfall Ruhestandsleistungen nach
einheitlichen Regeln erbringen will. Die Betriebsrentner sind in diesem Zusammenhang
selbstverständlich nicht völlig rechtlos gestellt. Die abändernde Betriebsvereinbarung
wird schließlich ihrerseits nicht nur auf Rechtsmäßigkeit, sondern nach der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer ebenfalls anschließt,
hinsichtlich der allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des
Vertrauensschutzes überprüft (vgl. BAG Urt. v. 23. 09. 1997, 3 AZR 329/96 = DB 1998,
318).
60
Insoweit scheidet also eine unangemessene Benachteiligung der Arbeitnehmer allein
aufgrund der Vereinbarung einer Jeweiligkeitsklausel aus (vgl. in diesem
Zusammenhang auch BAG Urt. v. 28.07.2005, 3 AZR 549/04 = Juris; BAG Urt. v.
27.06.2006, 3 AZR 255/05 = DB 2007, 118).
61
c)
62
Die BV 2006 konnte nach Auffassung der erkennenden Kammer den § 5 Abs. 5 – 9 RL
02/89 jedoch deshalb nicht wirksam ablösen, da hier ein Verstoß gegen § 30 c BetrVG
vorliegt.
63
Unstreitig zielt die BV 2006 darauf ab, nach Maßgabe des § 16 Abs. 3 Nr. 1 durch die
jährliche Anpassung um 1 % die Anpassungsprüfungspflicht des § 16 Abs. 1 BetrVG
auszuschalten.
64
Dem steht für sogenannte Altzusagen, zu denen nach Auffassung der Kammer auch die
mit dem Kläger getroffene Vereinbarung zählt, § 30 c BetrVG entgegen. Nach dieser
Vorschrift gilt § 16 Abs. 3 Nr. 1 nur für laufende Leistungen, die auf Zusagen beruhen,
die nach dem 31.12.1998 erteilt wurden.
65
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Wortlaut dieser Vorschrift nach Auffassung
der Kammer eindeutig dahingehend zu verstehen, dass es allein darauf ankommt, dass
die Zusage vor dem 31.12.1998 gegeben wurde, nicht aber, dass zum Stichtag bereits
Renten gezahlt wurden.
66
Der Hinweis auf die "laufenden Leistungen" in § 30 c Abs. 1 BetrVG ergibt sich aus
Sicht der Kammer allein daraus, dass nur bereits gewährte Rentenzahlungen überhaupt
einer Anpassungspflicht des § 16 BetrVG unterliegen. Darüber hinaus ist es eindeutig,
dass die Vorschrift nicht auf den Rentenbezug an sich, sondern auf die Zusage der
Leistungen der betrieblichen Altersversorgung abstellt (vgl. dazu Erfkomm-Steinmeyer,
§ 30 c BetrVG, Rn. 1; Blomeyer/Otto, § 16 BetrVG, Rn. 298 ff.).
67
Darüber hinaus zeigt ein Wortlautvergleich mit § 30 g Abs. 2 BetrVG, dass der
Gesetzgeber das Wort "gezahlt" benutzt, sofern er tatsächlich auf eine solche Zahlung
abstellen will.
68
Auch Sinn und Zweck des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG sowie der Übergangsregelung des
§ 30 c Abs. 1 BetrVG sprechen für das hier gefundene Auslegungsergebnis, da durch
die Vereinfachung der Anpassung Neuzusagen gefördert werden sollten, ohne dass
dies einen Rückschluss auf die Altzusagen zuließe und darüber hinaus Steuerausfälle
möglichst gering gehalten werden sollten.
69
Da die BV 2006 ohne Rücksicht auf § 30 c Abs. 1 BetrVG und ohne Differenzierung
zwischen sogenannten Altzusagen und Neuzusagen erfolgte, ist diese unwirksam. Dies
ergibt sich schon unmittelbar aus § 17 Abs. 3 S. 3 BetrVG.
70
Rechtsfolge dieser Unwirksamkeit ist jedoch aus Sicht der Kammer, dass die
ursprüngliche Zusage aus § 5 Abs. 5 bis 9 der RL 02/89 bestehen bleibt, da diese
Anspruchsgrundlage gerade nicht wirksam abgelöst worden ist.
71
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die BV 2006 nicht dahingehend erhalten
bleiben, dass eine Aufspaltung erfolgt zwischen der Frage der Wirksamkeit /
Verhältnismäßigkeit der jährlichen 1 %-igen Anpassung einerseits und der Frage nach
der dreijährigen Prüfungspflicht des § 16 Abs. 1 BetrVG andererseits.
72
Gemäß § 139 BGB hat die Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts dessen
Gesamtnichtigkeit zur Folge, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den
nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Diese Vorschrift ist ihrem Rechtsgedanken
nach auch auf Betriebsvereinbarungen anzuwenden (vgl. BAG, Urteil vom 24.08.2004, 1
ABR 23/03 = NZA 2005, 302).
73
Vorliegend verhält sich die BV 2006 lediglich über die zuvor in § 5 Abs. 5 – 9 der RL
02/89 geregelte Anpassung. Aufgrund der Nichtbeachtung des § 30 c Abs. 1 BetrVG
kann nur die Gesamtnichtigkeit angenommen werden, da ansonsten keine sinnvolle und
in sich geschlossene Anpassungsregelung mehr verbleibt.
74
Auch eine Umdeutung gemäß § 140 BGB mit der Maßgabe, dass einerseits die
jährliche Anpassung um 1 % erfolgt und andererseits es bei der ohnehin geltenden
gesetzlichen Regelung des § 16 Abs. 1 BetrVG verbleibt, kommt nicht in Betracht. Die
Umdeutung gemäß § 140 BGB setzt voraus, dass sie auch dem mutmaßlichen Willen
der Parteien zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts entspricht. Entscheidend ist,
ob die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit das Ersatzrechtsgeschäft im Hinblick auf die
von ihnen verfolgten wirtschaftlichen Ziele vernünftigeR1ise vorgenommen hätten.
75
Vorliegend wurde die BV 2006 auch vom Gesamtbetriebsrat getragen. Es ist nicht
ausgeschlossen, dass bei Berücksichtigung des § 30 c Abs. 1 BetrVG die
Betriebsparteien gleichwohl eine Regelung dahingehend getroffen hätten, dass die
jährliche Anpassung abändern zu § 5 Abs. 5 der RL 02/89 zukünftig 1 % betragen soll
und darüber hinaus die 3-jährige Anpassungsprüfungspflicht des § 16 Abs 1 BetrVG
jedenfalls für Altzusagen ausdrücklich ausgenommen hätten.
76
Dies ist jedoch aus Sicht der Kammer keineswegs gesichert. Es ist offen, ob die
Betriebsparteien überhaupt die Problematik des § 30 c Abs. 1 BetrVG erkannt und
77
bedacht haben. Gegebenenfalls hätten sie die Altzusagen gänzlich außen vor gelassen
und der Stichtagsregelung des § 30 c Abs. 1 BetrVG folgend eine Veränderung der
Anpassung lediglich für die Neuzusagen vorgenommen. Eine Umdeutung durch das
Gericht ist nicht immer schon dann vorzunehmen, wenn das andere Geschäft objektiv
vernünftig ist.
Nach alledem geht die Kammer hier von der Unwirksamkeit der BV 2006 mit der Folge
aus, dass zugunsten des Klägers die ursprüngliche Anspruchsgrundlage aus § 5 Abs. %
der RL 02/89 erhalten bleibt.
78
d)
79
Auf die Frage der Verhältnismäßigkeit der BV 2006 sowie der Beachtung des
Grundsatzes des Vertrauensschutzes kam es daher ebenso wenig an wie auf die Frage
des Verstoßes gegen § 2 Abs. 5 BetrVG.
80
2)
81
Die von dem Kläger geltend gemachte Höhe seiner Betriebsrentenanpassung ist aus
Sicht der Kammer ebenfalls nicht zu beanstanden.
82
Es ist unerheblich, welche Erhöhungen die Beklagte zum 01.02.2007 rückwirkend für
die Anpassungsstichtage 01.07.2004, 01.07.2005 sowie 01.07.2006 vorgenommen hat,
da diese seitens des Klägers nicht angegriffen werden.
83
Zum Anpassungsstichtag 01.07.2007 hat die Beklagte jedenfalls nur – nach Maßgabe
der aus ihrer Sicht einschlägigen BV 2006 – eine Erhöhung um 1 % vorgenommen. Der
Verbraucherpreisindex ist jedoch in dem maßgeblichen Jahr vor dem
Anpassungsstichtag 01.07.2007 um 1,81 % gestiegen. Somit erfolgte die letzte
vorgenommene und hier streitgegenständliche Erhöhung um lediglich 1 % statt 1,81 %,
so dass der Kläger eine Erhöhung um 0,81 % - wie geschehen- geltend machen konnte.
84
II.
85
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V. mit § 91 Abs. 1 ZPO.
86
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG i.V. mit § 42 GKG, wobei der 36-
fache Differenzbetrag von 37,99 € in Ansatz zu bringen war.
87
Kröner
88