Urteil des ArbG Dortmund vom 15.02.2007

ArbG Dortmund: einstweilige verfügung, betriebsrat, kündigung, unternehmen, arbeitsgericht, androhung, betriebsführung, druckerei, stillegung, maschine

Arbeitsgericht Dortmund, 9 Ga 10/07
Datum:
15.02.2007
Gericht:
Arbeitsgericht Dortmund
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 Ga 10/07
Schlagworte:
Teilbetriebsstillegung, Interessenausgleich, Entlassungssperre,
Beschäftigungsanspruch, einstweilige Verfügung
Normen:
§ 611 BGB, § 1 Abs. 2 KSchG, § 111 BetrVG
Tenor:
1. Der Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, den Verfügungskläger bis
zum 28.02.07 in ihrer Betriebsstätte Auf dem B1xxxxx x, xxxxx D1xxxxx
als Komplettierer zu unveränderten Vertragsbedingungen tatsächlich zu
beschäftigen.
2. Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Verfügungskläger zu 75 % und
die Verfügungs-beklagte zu 25 %.
4. Der Streitwert wird auf 9.800,- € festgesetzt.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten im Wege der Einstweiligen Verfügung über die tatsächliche
Beschäftigung des Klägers im ungekündigten Arbeitsverhältnis.
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Der Kläger ist am xx.xx.xxxx geboren, verheiratet und hat keine Kinder. Er ist seit dem
01.04.1981 bei der Beklagten als Komplettierer zu einem Bruttomonatsverdienst von ca.
4.900,- € im Betrieb Auf dem B1xxxxx x in D1xxxxx beschäftigt.
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Die Beklagte betreibt zumindest zusammen mit der D2xxx und M3xxx GmbH & Co. KG
(D2xxx und M3xxx) einen gemeinsamen Betrieb mit ca. 89 Arbeitnehmern, in dem
verschiedene Presseerzeugnisse gedruckt wurden. Für den Betrieb ist ein Betriebsrat
gewählt. Im Rahmen dieses gemeinsamen Betriebes obliegt der D2xxx und M3xxx mit
35 Arbeitnehmern die Druckereiverwaltung und –leitung, eine Service-Abteilung sowie
eine Buchbinderei und Akzidenzvorstufe. Der Beklagten war zumindest bis zum
30.09.2006 der Rotationsdruck mit zwei Colora- und einer Commander-
Rotationsdruckmaschinen zugeordnet. Abteilungsleiter der Rotation ist Herr K3xxxx,
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Abteilungsleiter "Komplettierung und Versand" ist Herr S2xxx.
Bis zum 31.12.2005 war der Kläger zumindest zeitweise an allen drei Druckmaschinen
der Beklagten eingesetzt. Ab dem 01.01.2006 setzte die Beklagte den Kläger und zehn
weitere Arbeitnehmer nur noch an der Commander-Druckmaschine ein. Die übrigen
Arbeitnehmer der Beklagten waren zwar zeitweilig noch an der Commander, aber der
Kläger und die weiteren zehn Arbeitnehmer nie an den Colora-Maschinen tätig.
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Mit Schreiben vom 25.09.2006 informierte die Beklagte die an der Colora-Maschinen
eingesetzten Mitarbeiter, dass im Wege eines Teilbetriebsübergangs der Betriebsteil
Colora von der LW-D2xxx GmbH & Co. KG (LW-D2xxx ) übernommen worden sei und
die Arbeitsverhältnisse übergegangen seien. Die LW-D2xxx habe die Colora-
Maschinen gekauft. Auf das von der Beklagten mit Schriftsatz vom 14.02.2007
vorgelegte Informationsschreiben wird Bezug genommen. Die LW-D2xxx führe zukünftig
den Betrieb gemeinsam mit der Beklagten und der D2xxx und M3xxx. Die an der Colora
eingesetzten Mitarbeiter stimmten dem Betriebsteilübergang überwiegend ausdrücklich
durch Unterschrift auf dem Informationsschreiben zu oder ließen die Widerspruchsfrist
verstreichen. Nur ein Mitarbeiter widersprach. Der Kläger und die zehn weiteren nur an
der Commander eingesetzten Mitarbeiter erhielten kein solches Informationsschreiben.
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Die eine Colora-Druckmaschine wurde durch eine Wifag-Maschine ersetzt. Der Ersatz
der zweiten Colora durch eine Wifag ist zum 01.07.2007 geplant.
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Mit Schreiben vom 08.01.2007 informierten die Arbeitgeber des Gemeinschaftsbetriebes
den Betriebsrat, dass eine Änderung der betrieblichen Verhältnisse beabsichtigt sei. Die
Beklagte werde zum 28.02.2007 aus dem Gemeinschaftsbetrieb ausscheiden, nachdem
der Geschäftsbesorgungsvertrag der Beklagten mit der Gebrüder L2xxxx GmbH & Co.
KG sowie der Verlag L2xxxx-W1xxxx GmbH & Co. KG über den Druck und die
Weiterverarbeitung von Tageszeitungen und Anzeigenblätter mit Wirkung zum
31.01.2007 ende.
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Die Beklagte legte die Commander-Druckmaschine mit Ablauf der Nachtschicht des
31.01.2007 still. Die Maschine wurde in der Folgezeit abgebaut. Ab dem 01.02.2007
stellte die Beklagte den Kläger von der Arbeitsleistung frei.
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Der Kläger macht seine tatsächliche Beschäftigung geltend.
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Der Kläger ist der Ansicht, es liege kein Teilbetriebsübergang vor. Sowohl sein
Arbeitsverhältnis als auch die der an den Colora-Maschinen beschäftigten
Arbeitnehmern bestehe mit der Beklagten fort. Die Beklagte dürfe einen
Stillegungsbeschluss nicht umsetzen, denn es bestehe ein Unterlassungsanspruch,
solange ein Interessenausgleich mit dem Betriebsrat nicht versucht worden ist. Die
Maßnahme sei interessenausgleichspflichtig, da bei der Beklagten mangels
Teilbetriebsübergangs mehr als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigt seien. Jedenfalls sei
im Rahmen des § 111 BetrVG entgegen des Wortlauts an den Gemeinschaftsbetrieb
und nicht nur an das Unternehmen anzuknüpfen.
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Der Kläger beantragt,
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1. Der Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, den Verfügungskläger in ihrer
Betriebsstätte Auf dem B1xxxxx x, xxxxx D1xxxxx als Komplettierer zu
unveränderten Vertragsbedingungen tatsächlich zu beschäftigen.
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2. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird der Verfügungsbeklagten ein
Ordnungsgeld bis zu 20.000,- € angedroht.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei zur Freistellung berechtigt, da sie den Kläger nicht
mehr beschäftigen könne. Die Beklagte habe nach Verlust ihres Druckauftrages zum
31.01.2007 die Stillegung ihres Betriebsteils Commander beschlossen und mit dem
Abbau der Druckmaschine Commander im Februar 2007 auch umgesetzt. Die
Liquidation der Beklagten sei beschlossen worden. Es sei beabsichtigt, denn elf
verbliebenen Arbeitnehmern betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.
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Die Beklagte bilde nur bis zum 28.02.2007 zusammen mit den Unternehmen D2xxx und
M3xxx und LW-D2xxx einen Gemeinschaftsbetrieb. Der gemeinsamen Betriebsführung
liege ein Vertrag zugrunde, welcher durch die Beklagte mit Wirkung zum 28.02.2007
gekündigt worden sei. Aber bereits heute sei sie tatsächlich und rechtlich nicht in der
Lage, den Kläger im Betrieb einzusetzen. Die Beklagte verfüge weder über einen
Betrieb noch über Betriebsmittel noch über einen Auftrag.
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Ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Betriebsänderung bestehe nicht, da dieser
nur vom Betriebsrat, nicht aber von einem einzelnen Arbeitnehmer geltend gemacht
werden könne. Die Maßnahme sei nicht interessenausgleichspflichtig, da das
Unternehmen der Beklagten nach dem Teilbetriebsübergang auf die LW-D2xxx nur
noch elf Arbeitnehmer beschäftige. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 111 BetrVG
sei an das Unternehmen und damit gerade nicht an den (Gemeinschafts-) Betrieb
anzuknüpfen.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen und die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen
ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Der zulässige Antrag des Klägers hat nur hinsichtlich einer Beschäftigung bis zum
28.02.2007 Erfolg und war im übrigen zurückzuweisen.
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1.
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Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Beschäftigungsverfügung
bis zum 28.02.2007 zu, §§ 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 936 ff. ZPO. Dem Kläger steht sowohl
der materielle Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund zur Seite, denn eine
Entscheidung ist eilbedürftig.
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a.
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Der Verfügungsanspruch auf tatsächliche Beschäftigung folgt aus dem ungekündigten
Arbeitsvertrag der Parteien in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des
Klägers, Art. 2, 12 GG, § 611 BGB (vgl. BAG, AP Nr. 2, 3, 4 zu § 611 BGB
Beschäftigungspflicht. Dem Arbeitnehmer steht aus dem Arbeitsvertrag nicht nur ein
Anspruch auf Zahlung der Vergütung zu, sondern auch ein Recht auf die tatsächliche
Beschäftigung.
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Diesem Anspruch steht zumindest bis zum 28.02.2007 auch nicht die Unmöglichkeit der
tatsächlichen Beschäftigung entgegen, denn nach dem Vortrag der Beklagten besteht
die Betriebsführungsvereinbarung noch bis zum 28.02.2007 fort. Verbinden sich mehrer
Arbeitgeber zur Führung eines gemeinsamen Betriebes, so setzen sie gemeinsam
Arbeitnehmer und Betriebmittel zur Erreichung des Betriebszwecks ein.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten folgt vorliegend nicht aus einer Abwägung der
Interessen der Parteien, dass der Beklagten ab dem 01.02.2007 ein anerkennenswerter
Grund zur Freistellung zusteht. Ein solcher mag zwar gegeben sein, wenn der
Arbeitgeber wegen Beschäftigungsmangel über keine Arbeit verfügt (vgl. Schaub,
Arbeitsrechtshandbuch, § 110 Rn. 11). Vorliegend verfügt die Beklagte aber noch bis
zum 28.02.2007 im Gemeinschaftsbetrieb über Beschäftigungsbedarf in der Druckerei.
Dabei obliegt es ihr, den Betrieb so zu organisieren, dass der Beschäftigungsanspruch
des Klägers erfüllt werden kann. Da noch an zwei Maschinen im Schichtbetrieb
gedruckt wird, kann dem Kläger eine sinnvolle Tätigkeit zugewiesen werden. Die
Möglichkeit der Beklagten zur Einflussnahme auf die Betriebsführung folgt aus der
fortbestehenden Betriebsführungsvereinbarung.
30
b.
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Dem Kläger steht auch ein Verfügungsgrund zur Seite, der die besondere
Eilbedürftigkeit begründet, denn die Durchsetzung der tatsächlichen Beschäftigung wird
durch Zeitablauf unmöglich. Bereits ab März 2007 besteht, wie unten darzulegen ist,
kein Beschäftigungsanspruch mehr.
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An die Darlegung des Verfügungsgrundes stellt die Kammer (entgegen LAG Hamm,
18.02.1998 - 3 Sa 297/98) keine hohen Anforderungen, da vorliegend der
Beschäftigungsanspruch des Klägers im unstreitig ungekündigten Arbeitsverhältnis
ohne weiteres besteht und nur im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes überhaupt
durchgesetzt werden kann. Nur so ist die Gewährung effektiven Rechtsschutzes
überhaupt möglich (vgl. hierzu und zu der Gegenansicht: Korinth, Einstweiliger
Rechtsschutz, 2. Auflage, I Rn. 94; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch § 110).
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2.
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Im übrigen war der Antrag zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist nicht zur Beschäftigung des Klägers über den 28.02.2007 hinaus
verpflichtet, denn die Beschäftigung wird ihr durch die Kündigung der
Betriebsführungsvereinbarung unmöglich.
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Die Kammer sieht nach Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers
M1xxx C1xxx und unter Würdigung aller vorgetragenen Umstände die Beendigung der
Betriebsführungsvereinbarung zum 28.02.2007 als hinreichend glaubhaft gemacht an.
Der Kläger hat diese zwar zu Recht mit Nichtwissen bestreiten können. Die Darlegungs-
und Beweislast für die Unmöglichkeit der Beschäftigung trifft die Beklagte (vgl. Korinth, I
Rn. 77). Die Beklagte hat zwar die Umstände der Kündigung nicht umfassend
vorgetragen. Dennoch hat die Kammer keinen Zweifel am Vorliegen der Kündigung,
denn diese unternehmerische Maßnahme ist offensichtlich schon langfristig und
mangels vorgetragener anderen Umstände nur zum Zwecke der Stillegung der
Beklagten geplant worden.
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Nach der Kündigung der Betriebsführungsvereinbarung kann die Beklagte keinen
Einfluss mehr auf die Arbeitsplätze in der Druckerei nehmen und den Kläger dort nicht
mehr beschäftigen. Die Beklagte verfügt selbst nach dem 01.03.2007 weder über einen
Betrieb noch über einen Druckmaschine noch ist ersichtlich, dass noch Druckaufträge
vorliegen. Damit ist es der Beklagten unmöglich geworden, den Kläger tatsächlich zu
beschäftigen. Eine Verurteilung zu einer unmöglichen Leistung kam nicht in Betracht.
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Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Unterlassung einer etwaigen
Betriebsänderung oder Betriebsstillegung zu. Zwar erkennt das Landesarbeitgericht
Hamm das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats an (vgl. LAG
Hamm, 28.08.2003 – 13 TaBV 127/03). Allerdings vermag der Kläger diesen
betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch nicht selbst geltend zu machen. Der einzelne
Arbeitnehmer ist ggf. auf die individualrechtliche Geltendmachung des
Nachteilsausgleichs gem. § 113 Abs. 4 BetrVG beschränkt, kann aber keine kollektiven
Rechte verfolgen.
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3.
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Auch hinsichtlich der Androhung eines Ordnungsgeldes war der Antrag
zurückzuweisen.
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Ein Ordnungsgeld scheidet aus, denn ein Vollstreckung käme vorliegend nur nach §
888 ZPO durch Zwangsgeld oder Zwangshaft in Betracht. Eine Androhung bereits im
Erkenntnisverfahren scheidet aufgrund einer unzulässigen Vermischung des
Erkenntnisverfahrens mit der Zwangsvollstreckung aus (Korinth, I Rn. 101, LAG Hessen,
26.11.1993 – 9 SaGa 539/93). Es ist derzeit nicht absehbar, ob die Beklagte den Kläger
nach Zustellung der vorliegenden Entscheidung nicht beschäftigen wird.
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4.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 1 S. 1 2. Alt. ZPO. Die
Kosten waren im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens zu teilen.
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Der Streitwert war gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Für die Beschäftigung
waren zwei Bruttomonatsverdienste des Klägers zugrunde zulegen.
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Dortmund, den 15.02.2007
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Der Vorsitzende der 9. Kammer
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i. V. gez. Wolkenhauer
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Richter
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