Urteil des ArbG Dortmund vom 11.06.2008

ArbG Dortmund: vergütung, treu und glauben, chefarzt, arbeitsgericht, anwendungsbereich, aufgabenbereich, psychiatrie, tarifvertrag, psychotherapie, ersetzung

Arbeitsgericht Dortmund, 5 Ca 1015/08
Datum:
11.06.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Dortmund
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Ca 1015/08
Nachinstanz:
Landesarbeitsgericht Hamm, 16 Sa 1079/08 Berufung zurückgewiesen
22.01.09, 5 AZR 356/09 Vergleich und Kostenbeschluss 09.10.09
Schlagworte:
Eingruppierung eines Chefarztes nach BAG-KF
Normen:
BAT-KF; TV-Ärztinnen und Ärzte an diakonischen Einrichtungen im
Rheinland, Westfalen und Lippe
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass sich die Vergütung des Klägers als Chefarzt
der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie gemäß § 8 Abs. 1 des
Arbeitsvertrages ab dem 01.07.2007 nach der Entgeltgruppe Ä4, Stufe 3
des TV Ärztinnen und Ärzte an
diakonischen Einrichtungen im Rheinland, Westfalen und Lippe in der
jeweiligen Fassung berechnet wird.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.264,64 EUR brutto
nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus
jeweils 1.975,58 EUR seit dem 01.08.07, 01.09.07, 01.10.07, 02.11.07,
01.12.07, 02.01.08 zu zahlen sowie aus jeweils 2.205,58 EUR seit dem
01.02.08 und 01.03.08.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Der Streitwert wird auf 79.400,88 EUR festgesetzt.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten um eine zutreffende Vergütung/Eingruppierung
2
Der Kläger ist aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 16.03.1999 als Chefarzt
der Abteilung für psychologische Medizin des Evangelischen Krankenhauses L1
beschäftigt.
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§ 8 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages lautet auszugsweise
4
wie folgt:
"§ 8 Vergütung im dienstlichen Aufgabenbereich
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Der Arzt erhält für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich eine Vergütung
entsprechend der Vergütungsgruppe I der Anlage 1 a zum BAT-KF, d. h.
Grundvergütung nach § 27 BAT-KF, Ortszuschlag nach Maßgabe des § 29 BAT-
KF sowie Zulagen, eine Zuwendung und Urlaubsgeld entsprechend den tariflichen
Regelungen zum BAT-KF in der jeweils gültigen Fassung. Wird der BAT-KF durch
eine andere Regelung ersetzt, so tritt an die Stelle der vereinbarten BAT-KF-
Vergütungsgruppe die entsprechende Vergütungsgruppe der neuen Regelung
unter Berücksichtigung etwaiger Überleitungsbestimmungen …"
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Wegen des vollständigen Wortlauts des Arbeitsvertrages wird auf Blatt 10 ff. der Akte
Bezug genommen.
7
Im Zuge von Verhandlungen über eine Dynamisierung des kirchlichen Tarifwerks BAT-
KF konnten sich die Mitarbeiterverbände VKM-RWL sowie der Marburger Bund
einerseits und die Kirchen bzw. die Diakonischen Werke andererseits nicht einigen, so
dass die arbeitsrechtliche Schiedskommission zur Entscheidung als verbindliche
Schlichtung angerufen wurde, die am 22.11.2007 einen Änderungsbeschluss fasste. Mit
Wirkung zum 01.07.2007 ist der BAT-KF neu gefasst worden (im Folgenden: BAT-KF
neu), wobei für Ärzte und Ärztinnen sowie Zahnärzte und Zahnärztinnen die Anlagen 6
und 7 einen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte (TV-Ärzte KF) sowie einen Tarifvertrag
zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte in den TV-Ärzte KF (TVÜ-Ärzte- KF) enthalten.
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Mit der am 25. Februar 2008 beim Arbeitsgericht Dortmund eingegangenen Klage
begehrt der Kläger die Vergütung nach der Vergütungsgruppe Ä4 rückwirkend ab dem
01.07.2007 geltend.
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Der Kläger ist der Ansicht, § 8 seines Arbeitsvertrages sei so auszulegen, dass er
nunmehr die höchste Vergütungsgruppe nach dem TV-Ärzte-KF erhalte, da der BAT-
KF alt für ihn als Chefarzt durch diese Regelung ersetzt worden sei. Unstreitig sei der
TV-Ärzte-KF nicht unmittelbar auf sein Arbeitsverhältnis als Chefarzt anwendbar, dies
gelte aber ebenso für den BAT-KF insgesamt. Der zwischen den Parteien
geschlossene Arbeitsvertrag sei jedoch dahin gehend auszulegen, dass aufgrund der
dynamischen Klausel nunmehr auf den TV-Ärzte-KF Bezug genommen würde. Der
Kläger als Chefarzt sei nun einmal der Gruppe der Ärzte zuzuordnen, so dass dieses
spezielle Tarifwerk zur Anwendung kommen müsse. Auch wenn bei Abschluss des
Arbeitsvertrages wohl niemand mit der Ausgestaltung des BAT-KF neu in der
derzeitigen Form gerechnet habe, so lasse doch die Auslegung und die Ermittlung
des hypothetischen Parteiwillens keinen anderen Schluss zu.
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Der Kläger als Chefarzt sei in die höchst mögliche Vergütungsgruppe des kirchlichen
Tarifwerks eingruppiert, übertragen auf eine Vergütung nach dem TV-Ärzte-KF
bedeute dies die Entgeltgruppe Ä4. Nichts anderes ergebe sich im Übrigen auch aus
§ 4 des TVÜ-Ärzte-KF, der die Entgeltgruppe 4 für Ärzte vorsehe, die bisher nach der
Vergütungsgruppe I BAT-KF bezahlt worden seien.
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Für den Zeitraum Juli 2007 bis Dezember 2007 ergebe sich daher zugunsten des
Klägers eine monatliche Differenz von 1.975,58 Euro bzw. ab dem 01.01.2008 in Höhe
12
von 2.205,58 Euro.
Der Kläger beantragte,
13
1 . festzustellen, dass sich die Vergütung des Klägers als Chefarzt der Abteilung
Psychiatrie und Psychotherapie (gemäß § 8 Absatz 1 des Dienstvertrages) ab dem
01.07.2007 nach der Entgeltgruppe Ä4, Stufe 3 des Tarifvertrages für Ärztinnen und
Ärzte an Diakonischen Einrichtungen im Rheinland, Westfalen und Lippe (TV-
Ärzte/Diakonie) in der jeweiligen Fassung berechnet.
14
2.
15
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.264,64 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus 1.975,58 Euro seit dem
01.08.2007, aus 1.975,58 Euro seit dem 01.09.2007, aus 1.975,58 Euro seit dem
01.10.2007, aus 1.975,58 Euro seit dem 01.11.2007, aus 1.975,58 Euro seit dem
01.12.2007, aus 1.975,58 Euro seit dem 01.10.2008, aus 2.205,58 Euro seit dem
01.02.2008 und aus 2.205,58 Euro seit dem 01.03.2008 zu zahlen.
16
Die Beklagte beantragte,
17
die Klage abzuweisen.
18
Es sei nicht ersichtlich, dass der BAT-KF alt für den Kläger durch den TV-Ärzte-KF
ersetzt worden wäre. Für den Kläger gelte vielmehr der BAT-KF neu und die dortige
höchste Vergütungsgruppe 15 Ü.
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Es läge weder eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke im Arbeitsvertrag vor, noch
sei der Kläger nach Maßgabe eines hypothetischen Parteiwillens in die höchste
Entgeltgruppe des TV-Ärzte-KF einzugruppieren. Unstreitung fände der TV-Ärzte-KF auf
Chefärzte grundsätzlich keine Anwendung. Hintergrund für den TV-Ärzte-KF sei im
Übrigen, dass dieser eine wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden gegenüber früher
38,5 Stunden vorsehe. Bei Übernahme der Vergütung
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nach der Entgeltgruppe Ä4, die auf einer 42-Stunden-Woche basiere, würde das
Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig zugunsten des Klägers
durchbrochen. Bei dem Hinweis, der TV-Ärzte-KF sei das speziellere Regelungswerk
für den Kläger als Arzt, handele es sich nur um ein Scheinargument.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
22
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
23
Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg.
24
A.
25
Die Klageanträge sind zulässig.
26
Dies gilt insbesondere auch für den Klageantrag zu 1., der als
27
Eingruppierungsfeststellungsklage von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,
der sich die Kammer anschließt, anerkannt ist (vgl. BAG, Urteil vom 16.04.2003, 4 AZR
373/02 = JURIS).
B.
28
Die Klageanträge waren auch in vollem Umfang begründet.
29
I.
30
Die Beklagte ist verpflichtet, die Vergütung des Klägers seit dem 01.07.2007 nach der
Entgeltgruppe Ä4 Stufe 3 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an diakonischen
Einrichtungen (TV-Ärzte-KF) zu berechnen.
31
Der Anspruch folgt aus § 8 Absatz 1 des zwischen den Parteien geschlossenen
Arbeitsvertrages.
32
Danach erhält der Kläger für seine Tätigkeit eine Vergütung nach Maßgabe der
Vergütungsgruppe I der Anlage 1 a zum BAT-KF neu, wobei zum einen auf die
tariflichen Regelungen zum BAT-KF in der jeweils gültigen Fassung Bezug genommen
wird, sowie zum anderen für den Fall der Ersetzung des BAT-KF die entsprechende
Vergütungsgruppe der neuen Regelung zur Anwendung kommen soll.
33
Unstreitig ist der BAT-KF alt nebst Anlage 1 a, nach dessen Vergütungsgruppe I der
Kläger ursprünglich bezahlt wurde, nunmehr durch ein neues Regelungswerk abgelöst
worden.
34
Seit dem 01.07.2007 gilt der BAT-KF neu, der in seinen Anlagen 6 und 7 jedoch
spezielle Regelungen für Ärzte enthält.
35
Aus Sicht der Kammer galt es die Frage zu klären, ob § 8 Absatz 1 des zwischen den
Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages sich nunmehr auf den BAT-KF neu als
"Grundregelungswerk" oder aber den speziellen TV-Ärzte-KF nebst Überleitung bezieht.
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Nach §§ 133, 157 BGB sind die Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu
und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist
zunächst vom Wortlaut auszugehen, aber zur Ermittlung des wirklichen Willens der
Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände
einzubeziehen, soweit sie den Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Dies
gilt auch für dynamische Verweisungsklauseln (vgl. BAG, Urteil vom 18.04.2007 = NZA
2007, 965).
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Unstreitig liegt mit § 8 des Arbeitsvertrages eine dynamische Verweisungsklausel vor.
38
Gegenstand der Auslegung ist nunmehr die Frage, durch welche Vergütungsgruppe die
ursprüngliche Vergütungsgruppe I der Anlage 1 a zum BAT-KF nunmehr durch das
neue Regelungswerk ersetzt wird.
39
Der Wortlaut des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages hilft hier bei
der Auslegung nicht weiter.
40
Die Begleitumstände zur Wortwahl des § 8 des Arbeitsvertrages sprechen aus Sicht der
Kammer eher für die vom Kläger vertretene Rechtsansicht. Der Kläger als Chefarzt
unterfiel zu keiner Zeit dem Anwendungsbereich des BAT-KF alt und gehört nunmehr
auch nicht in den Anwendungsbereich des BAT-KF neu oder aber des TV-Ärzte-KF.
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Die Parteien haben aber auch zu keiner Zeit das gesamte Regelungswerk des BAT-KF
in Bezug genommen, sondern lediglich hinsichtlich der Festvergütung des Klägers
konstitutiv auf eine bestimmten Vergütungsgruppe aus dem BAT-KF verwiesen, deren
Merkmale er jedoch weder erfüllte noch erfüllen sollte. Aus Sicht der Kammer stellte es
sich so dar, dass für den Chefarzt die höchste Tarifvergütung pauschal festgelegt wurde
und hinsichtlich zukünftiger etwaiger Lohnsteigerungen nicht zuletzt der Einfachheit
halber die tarifliche Entwicklung mitgegangen werden sollte. Eine Relation zu der
seinerzeit geltenden 38,5-Stunden-Woche ist aus Sicht der Kammer hingegen nicht
erkennbar.
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Durch die Neuregelungen gibt es neben dem eigentlichen BAT-KF nunmehr mit den
Anlagen 6 und 7 speziellere Regelungen für Ärzte.
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Aus Sicht der Kammer ist es zunächst ein nahe liegender Schluss schon aufgrund des
Spezialitätsgrundssatzes davon auszugehen, dass der Kläger als Chefarzt dem TV-
Ärzte inhaltlich eher zuzuordnen ist als dem übrigen BAT-KF neu. Aufgrund seiner
hierarchischen Position kann dann allerdings nur die höchste Vergütungsgruppe für ihn
in Betracht kommen. Der Aspekt, dass die sich für die nachgeordneten Ärzte ergebende
Grundvergütungssteigerung darauf beruht, dass bei diesen nunmehr von 42
Wochenarbeitsstunden statt ursprünglich 38,5 ausgegangen wird, wo hingegen die
Arbeitszeit des Klägers als Chefarzt naturgemäß unverändert bleibt und somit kein
tatsächlicher Grund für eine Erhöhung seiner Vergütung besteht, musste jedoch aus
Sicht der Kammer sowohl bei der Berücksichtigung der Begleitumstände als auch bei
der Frage nach der bestehenden Interessenlage und dem mit dem Rechtsgeschäft
verfolgten Zweck zurückstehen. Sicherlich ist es gerade in der heutigen Zeit auch ein
finanzielles Problem eines Krankenhauses, ohne weiteres eine recht ansehnliche
Vergütungserhöhung ihrer Chefärzte zu schultern, die Auslegung des Arbeitsvertrages
muss indes unter Ausblendung der konkreten Zahlen erfolgen.
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Da grundsätzlich bei der Beklagten der BAT-KF angewendet wird, erfolgte die
Festlegung des Klägers mit Bezug auf dieses Regelungswerk, aufgrund seiner Position
wurde selbstverständlich die höchste Vergütungsgruppe festgelegt. Hätte es schon bei
Vertragsabschluss ein spezielleres Regelungswerk für Ärzte gegeben, so geht die
Kammer nicht davon aus, dass hinsichtlich der Vereinbarung der Festvergütung dann
auf irgendeine Vergütungsgruppe des übrigen BAT-KF Bezug genommen worden wäre,
sondern die Festlegung der Vergütung hätte sich dann schon aufgrund der Sachnähe
ebenfalls nach dem spezielleren Regelungswerk für Ärzte gerichtet. Innerhalb dortiger
Vergütungsstufen wäre wiederum nichts nahe liegender, als dass der Chefarzt die
höchste Vergütungsgruppe erhält. Dieses so von der Kammer gefundene
Auslegungsergebnis gilt unabhängig davon, ob die von der Beklagten gezahlte
Vergütungsgruppe und der Gruppe 15 Stufe 5 oder aber die vom Kläger in Aussicht
genommene Entgeltgruppe Ä4 Stufe 3 im Ergebnis höher ist oder aber beide Gruppen
identisch wären.
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Das Ergebnis ergibt sich unmittelbar durch Auslegung des Vertrages, der Beklagten ist
insoweit zuzustimmen, dass hier keine planwidrige Regelungslücke vorliegt, die einer
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ergänzenden Vertragsauslegung bedürfte. § 8 des zwischen den Parteien
geschlossenen Arbeitsvertrages wurde aus Sicht der Kammer nicht dadurch
nachträglich lückenhaft, dass sich einer bei Abschluss des Vertrages nicht
vorhersehbare Aufsplittung des BAT-KF ergeben würde.
Nach alledem war dem Klageantrag zu 1) stattzugeben.
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II.
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Auch der Klageantrag zu 2) hatte in vollem Umfang Erfolg.
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Die Beklagte war zu verurteilen, dem Kläger die seit Inkrafttreten des TV-Ärzte-KF
rückständigen Differenzbeträge zu zahlen, deren Höhe zwischen den Parteien nicht im
Streit steht.
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Die Zinsforderung ergibt sich aus § 288 Absatz 1 ZPO.
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III.
52
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Absatz 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 Absatz 1
ZPO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 ArbGG in Verbindung mit § 42 GKG, wobei auf
den 36fachen ab 2008 maßgeblichen Differenzbetrag abzustellen war.
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