Urteil des ArbG Dortmund vom 20.06.2005

ArbG Dortmund: betriebsrat, arbeitsgericht, direktor, mitbestimmungsrecht, zahl, rechtsmittelbelehrung, gestaltung, anschluss, gesetzestext, rahmenfrist

Arbeitsgericht Dortmund, 5 BV 48/05
Datum:
20.06.2005
Gericht:
Arbeitsgericht Dortmund
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 BV 48/05
Schlagworte:
Für den Regelungsgegenstand "Betriebliches
Eingliederungsmanagement nach § 84 SGB IX" ist die Einigungsstelle
nicht offensichtlich unzuständig. Das Vorliegen eines
Mitbestimmungsrechts nach § 87 BetrVG kann offen bleiben. § 87 Abs. 1
BertrVG , § 84 Abs. 2 SGB IX
Normen:
§ 87 Abs. 1 BertrVG , § 84 Abs. 2 SGB IX
Rechtskraft:
Gegen diesen Beschluss kann von der Arbeitgeberseite Beschwerde
eingelegt werden. Für ist gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel
gegeben.
Tenor:
1. Zum Vorsitzenden einer im Betrieb des Arbeitgebers zu bildenden
Einigungsstellungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "betriebliches
Eingliederungsmanagement" wird der Direktor am Arbeitsgericht Herne,
Herr Thomas Gerretz, bestellt.
2. Die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer wird auf zwei
festgesetzt.
Gründe
1
A.
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Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle.
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Der Antragsteller ist der neunköpfige Betriebsrat im Betrieb der Antragsgegnerin (im
Folgenden Arbeitgeberin).
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Am 13.01.2005 informierte die Arbeitgeberin die Betriebsratsvorsitzende darüber, dass
die Arbeitgeberin die Absicht habe, ein betriebliches Eingliederungsmanagement
einzuführen. Zu diesem Zweck sollten die Arbeitnehmer, die am Stück oder innerhalb
der Rahmenfrist länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt sind, mit einem Brief,
der im wesentlichen den Inhalt des § 84 SGB IX wiedergibt, angeschrieben werden.
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In dieser Sitzung vom 19.01.2005 fasste der Betriebsrat den Beschluss, mit der
Arbeitgeberin in Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum
Regelungsgegenstand "Betriebliches Eingliederungsmanagement" einzutreten und
forderte die Arbeitgeberin auf, bis zum Abschluss einer solchen Betriebsvereinbarung
keine Informations- bzw. Beratungsgespräche mit Langzeitkranken zu führen und die
Mitarbeiter ohne Zustimmung des Betriebsrats auch nicht anzuschreiben.
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In einem weiteren Gespräch vom 27.01.2005 wurde nochmals die
Verhandlungsbereitschaft erklärt.
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Da die Arbeitgeberin dennoch die erkrankten Mitarbeiter anschrieb, leitete der
Betriebsrat zunächst ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht
Dortmund mit dem Ziel ein, der Arbeitgeberin das Versenden der Schreiben zu
untersagen. Das Verfahren hatte jedoch keinen Erfolg.
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Die Arbeitgeberin schrieb weiter langzeiterkrankte Arbeitnehmer an. Wegen der
Einzelheiten eines solchen Anschreibens wird auf Bl. 5 und 6 d. A. Bezug genommen.
Mit diesem Anschreiben wich die Arbeitgeberin zudem noch von dem Text ab, den sie
im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens angekündigt hatte.
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In seiner Sitzung vom 04.05.2005 fasste der Betriebsrat daraufhin den Beschluss, dass
die Verhandlung über eine Betriebsvereinbarung "Betriebliches
Eingliederungsmanagement" gescheitert seien, und die Angelegenheit durch eine
Einigungsstelle entschieden werden sollte.
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Das vorliegende Beschlussverfahren zu Einsetzung einer Einigungsstelle ist am
08.06.2005 beim Arbeitsgericht Dortmund eingegangen.
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Der Betriebsrat ist der Ansicht, bei dem geplanten betrieblichen
Eingliederungsmanagement handele es sich um eine mitbestimmungspflichtige
Angelegenheit nach § 87 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG.
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Der Betriebsrat beantragte,
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1. zum Vorsitzenden einer im Betrieb der Arbeitgeberin zu bildenden
Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "betriebliches
Eingliederungsmanagement" wird der Direktor am Arbeitsgericht Herne, Herr
Thomas Gerretz, bestellt,
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2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer wird auf zwei
festgesetzt.
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Die Arbeitgeberin beantragte,
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die Anträge abzuweisen.
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Sie ist zunächst der Ansicht, das Anschreiben an die erkrankten Mitarbeiter sei
mitbestimmungsfrei, da es nur den Gesetzestext wiedergebe.
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Darüber hinaus habe der Betriebsrat schlichtweg die Gespräche abgebrochen. Die
Arbeitgeberin wisse überhaupt nicht, welches Ziel der Betriebsrat verfolge. Bei dem
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betrieblichen Eingliederungsmanagement handele es sich darüber hinaus um eine
Maßnahme, die sich unmittelbar aus § 84 SGB IX ableite, so dass eine Mitbestimmung
nicht in Betracht käme.
B.
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Die Anträge hatten Erfolg.
21
I.
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Gemäß § 98 ArbGG i. V. m. § 76 BetrVG war der Direktor am Arbeitsgericht Herne, Herr
Thomas Gerretz, zum Vorsitzenden der Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand
"Betriebliches Eingliederungsmanagement" zu bestellen.
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Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG kann die Einigungsstelle wegen fehlender
Zuständigkeit nur zurückgewiesen werden, wenn sie offensichtlich unzuständig ist.
Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle, wenn bei fachkundiger Beurteilung
durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates
in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt infrage kommt
und sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar
nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des
Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lässt (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom
07.07.2003,10 TaBV 85/03= NZA-RR 2003, 637).
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1.
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Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Das Bestehen eines
Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG scheidet nicht
von vornherein aus; ob es im Ergebnis besteht, muss im vorliegenden Verfahren nicht
geklärt werden.
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Dabei kann ebenfalls dahinstehen, ob das Anschreiben an die erkrankten Mitarbeiter für
sich genommen offensichtlich keinem Tatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG
zuzuordnen ist.
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Entscheidend dürfte jedoch vielmehr sein, wie im Anschluss an eine positive Reaktion
der betroffenen Mitarbeiter weiter verfahren werden soll.
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Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betrifft alle Maßnahmen des
Arbeitgebers tatsächlicher oder rechtlicher Art, die sich auf die allgemeine Ordnung des
Betriebes und/oder das Verfahren der Arbeitnehmer oder von Gruppen von
Arbeitnehmern im Betrieb beziehen. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist die
gleichberechtigte Beteiligung aller Arbeitnehmer an der Gestaltung der betrieblichen
Ordnung. Im Unterschied zum sogenannten Arbeitsverhalten zählen zur Ordnung des
Betriebes allgemeingültige verbindliche Verhaltensregelungen, die dazu dienen, dass
sonstige Verhalten der Arbeitnehmer zu beeinflussen und zu koordinieren.
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Auch wenn im Falle der erkrankten Arbeitnehmer auf jeden Fall individuell eingegangen
werden muss und für jeden einzelnen eine differenzierte Beurteilung dahingehend
erforderlich wird, ob und wie ihm im Wege des betrieblichen
Eingliederungsmanagements überhaupt geholfen werden kann, so ist es durchaus
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Eingliederungsmanagements überhaupt geholfen werden kann, so ist es durchaus
denkbar, dass der gesamte Ablauf des sogenannten betrieblichen
Eingliederungsmanagements, vom ersten Anschreiben über das Informationsgespräch,
die Datenerfassung und –auswertung bis hin zur späteren Umsetzung in einen
einheitlichen Rahmen mit kollektiven Charakter gegossen werden kann und muss.
2.
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Der Errichtung einer Einigungsstelle steht auch nicht entgegen, dass der Betriebsrat
einseitig die Verhandlungen abgebrochen hat, obwohl auf Seiten der Arbeitgeberin
durchaus noch Gesprächsbereitschaft bestanden hätte.
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Nach Sinn und Zweck des gerichtlichen Bestellungsverfahrens, den Betriebsparteien im
Konfliktfall möglichst zügig und ohne jede weitere Verzögerung durch eine der
Betriebsparteien eine Einigungsstelle zur Seite zu stellen, ist die Einigungsstelle nicht
offensichtlich unzuständig, wenn eine der Betriebsparteien aufgrund des bisherigen
Verhaltens der anderen Partei die weitere Führung von Verhandlungen für aussichtslos
hält. Der Verhandlungsanspruch des § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG erfordert nicht, dass
zuvor die Verhandlungen über den konkreten Regelungsgegenstand förmlich
aufgenommen worden sein müssten (vgl. LAG Hamm, Beschluss v. 26.07.2004, 10
TaBV 64/04=Juris; LAG Hamm, Beschluss vom 09.08.2004, 10 TaBV 81/04 = LAGE §
98 ArbGG 1979 Nr. 43).
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So liegt der Fall hier. Der Betriebsrat unterlag zunächst im einstweiligen
Verfügungsverfahren. Aus dem Verhalten der Gegenseite insgesamt und insbesondere
aus der Tatsache, dass die Arbeitgeberin in ihren Anschreiben an die Mitarbeiter von
dem zunächst angekündigten Wortlaut abwich, schloss jedenfalls der Betriebsrat, dass
weitere Verhandlungen nicht gewünscht oder erfolgversprechend seien.
34
3.
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Unschädlich ist es auch, dass die Arbeitgeberin erklärte, sie wisse letztlich überhaupt
nicht, worum es dem Betriebsrat genau gehe.
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Für die Einleitung eines gerichtlichen Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG genügt
es, dass der Betriebsrat und Arbeitgeber wissen, worum es bei den Verhandlungen
gehen soll. Dazu muss der Regelungsgegenstand nur hinreichen bekannt sein (vgl.
LAG Hamm, Beschluss v. 26.07.2004 a. a. O.). Vorliegend mag es sein, dass dem
Arbeitgeber die genauen Ziele des Betriebsrats bislang noch nicht bekannt sind.
Dennoch ist sich die Arbeitgeberin darüber im klaren, dass der Betriebsrat eben über
das neu einzuführende betriebliche Eingliederungsmanagement eine
Betriebsvereinbarung wünscht. Damit ist der Regelungsgegenstand hinreichend klar
definiert.
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4.
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Hinsichtlich der Person des Einigungsstellenvorsitzenden bestehen auch auf Seiten der
Arbeitgeberin keine Bedenken, so dass der Direktor des Arbeitsgerichts Herne zu
bestellen war.
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II.
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Auch der Antrag zu 2) hatte Erfolg.
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In der Rechtsprechung wird davon ausgegangen, dass im Regelfall eine Besetzung mit
zwei Beisitzern für jede Seite erforderlich aber auch ausreichend ist. Von diesem
Grundsatz soll auch im vorliegenden Fall nicht abgewichen werden, zumal auch seitens
der Arbeitgeberin gegen die Bestellung zweier Beisitzer nichts eingewandt wurde.
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Rechtsmittelbelehrung
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Kröner
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