Urteil des ArbG Darmstadt vom 18.07.2006

ArbG Darmstadt: freiwillige leistung, grundsatz der gleichbehandlung, lohnerhöhung, mehrarbeit, stundenlohn, hessen, division, paket, betriebsrat, niederlassung

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Gericht:
ArbG Darmstadt 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 Ca 47/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 3 Abs 1 GG, § 242 BGB, §
87 Abs 1 Nr 3 BetrVG, § 611
Abs 1 BGB
(Verpflichtung zur Gewährung einer Lohnerhöhung aus
Gleichbehandlungsgrundsätzen - Wahrnehmung eines
Mitbestimmungsrechts kein sachlicher Grund für eine
Differenzierung)
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 181,77 € brutto nebst 5 Prozentpunkt
über dem Basiszinssatz der EZB aus 17,36 € seit 1. Oktober 2005, aus 23,93 €
seit 1. November 2005 aus 91,70 € seit 1. Dezember 2005 und aus 48,88 € seit 1.
Januar 2006 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 1. Februar 2006 einen um 2,1 %
erhöhten Stundenlohn in Höhe von 15,06 € brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.836,20 € festgesetzt.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine
Lohnerhöhung ab 1. September 2005 in Höhe von 2,1 % aus
Gleichbehandlungsgrundsätzen zu gewähren. Die Beklagte ist ein internationaler
Kurierdienst, der in Deutschland in einer Vielzahl von Niederlassungen
Arbeitnehmer beschäftigt. Sie hat für alle Beschäftigten mit Ausnahme der
Beschäftigten des Betriebes in G ab dem 1. September 2005 die Stundenlöhne
um 2,1 % erhöht. Der Kläger ist der Auffassung, dass auch ihm diese
Lohnerhöhung zustehe. Einerseits vertritt er die Rechtsmeinung, dass der
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur innerhalb eines Betriebes, sondern
innerhalb des Unternehmens gelte; zumindest dann, wenn wie in dem
vorliegenden Fall, jährlich von der Beklagten bundesweit einheitlich die Löhne
erhöht würden, andererseits ist er der Auffassung, dass kein sachlicher Grund für
eine Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer in G gegenüber den Arbeitnehmern an
anderen Standorten vorliege. Der Kläger begehrt für die Monate Oktober bis
Dezember 2005 181,77 EUR brutto als Differenzbetrag zwischen dem ihm
gezahlten und dem von ihm gewünschten Stundenlohn zuzüglich Zinsen sowie ab
Februar 2006 ein um 2,1 % erhöhten Stundenlohn zu zahlen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 181,77 EUR brutto nebst 5
Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB aus 17,36 EU seit dem 1.
Oktober 2005, aus 23,93 EUR seit dem 1. November 2005, aus 91,70 EUR seit
dem 1. Dezember 2005 und aus 48,88 EUR seit dem 1. Januar 2006 zu zahlen,
sowie,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Februar 2006 ein um 2,1 % erhöhten
Stundenlohn in Höhe von 15,06 EUR brutto zu zahlen.
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Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass dem Kläger keine Erhöhung seines Stundenlohnes
zustehe. Sie ist der Auffassung, dass sachliche Gründe dafür vorliegen, dass der
Stundenlohn zwar in den anderen Betriebsstätten nicht jedoch in G erhöht worden
sei. Gegenüber den anderen Betrieben sei die in dem Betrieb in G geltende
Arbeitszeitordnung für die Arbeitnehmer sehr vorteilhaft. Diese könnten von der
Beklagten nicht im gleichen Maße wie andere Arbeitnehmer flexibel eingesetzt
werden. Aus den Standardarbeitsverträgen wie auch aus dem einschlägigen
Manteltarifvertrag gehe vor, dass der Arbeitgeber berechtigt sei, Mehrarbeit bei
den Arbeitnehmern anzuordnen. Ursache hierfür sei, dass sich aus der Art der
Logistik- und Paketdienstleistungsbetriebe ergebende Bedürfnis nach einem
flexiblen Personaleinsatz. Dieser sei notwendig wegen der Volumenschwankungen
und nicht beeinflussbarer Ereignisse wie Unfälle, Staus etc. Im Gegensatz zu den
anderen Betrieben sei dies jedoch in G auf Grund der dort bestehenden
Betriebsvereinbarung nicht uneingeschränkt möglich. Der Arbeitgeber darf sowohl
nach der inzwischen abgelösten als auch nach der Betriebsvereinbarung vom 18.
November 2005 bis zu 5 Mehrarbeitsstunden ohne Zustimmung des Betriebsrates
wöchentlich anordnen, jedoch ist Voraussetzung hierfür, dass die betroffenen
Arbeitnehmer mit der Mehrarbeit einverstanden sind. Einerseits seien daher die
Arbeitnehmer in G privilegiert, da sie über ihre Freizeit frei verfügen können,
anderseits würden sich für die Beklagte erhebliche Wirtschaftlichkeitsprobleme
ergeben, die auch sich objektiv in den höheren Kosten pro befördertes Paket in G
niedergeschlagen würden. Denn diese Kosten seien höher als in den übrigen
Betrieben der Division F, die im Wesentlichen dem Tarifgebiet Hessen
entsprechen. Des Weiteren ist die Beklagte der Auffassung, dass sich der
Gleichbehandlungsgrundsatz nur auf denselben Betrieb beziehe. Außerdem
handele es sich bei der Lohnerhöhung auch um eine freiwillige Leistung auf die der
Kläger keinen Anspruch habe.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Schriftsatz des
Klägers vom 4.7.2006 Blatt 42 ff. d.A. und auf die Schriftsätze der Beklagten vom
15. Mai 2006 Blatt 16 ff. d.A. und vom 10. Juli 2006 Blatt 56 ff. d.A. Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gemäß § 611 BGB in
Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz Anspruch auf Lohnerhöhungen
in Höhe von 2,1 % beginnend mit dem Monat September 2005.
Der Grundsatz der Gleichbehandlung gehört zu den Grundprinzipien des
Arbeitsrechtes. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um einen direkten
Ausfluss der Grundrechte auf das Arbeitsverhältnis handelt oder ob er sich aus
den speziellen typischen Grundsätzen des Arbeitsrechtes herleitet.
Dabei ist er in seiner heutigen Ausformung nicht mehr betriebsbezogen sondern
unternehmensbezogen zu sehen. Adressat des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist
der Arbeitgeber. Auf dessen konkrete Auswirkung der Leitungsmacht kommt es
an. Nur wenn die Regelung selbst sich auf unterschiedliche betriebliche Situationen
bezieht, kann sich auch die Gleichbehandlung betriebsbezogen durchsetzen. Das
ist insbesondere bei Lohnerhöhungen, die nicht zuletzt auch als Inflationsausgleich
dienen, grundsätzlich nicht der Fall. Der arbeitsrechtliche
Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung
einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage,
wie auch die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern in einer
bestimmten Ordnung. Diese bestimmte Ordnung können auch die einzelnen
Betriebe sein.
Es verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz wenn der Arbeitgeber
auf sachgerecht gebildete Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedliche
Vergütungsgrundsätze anwendet. Es ist jedoch sachfremd, wenn es für die
unterschiedlichen Behandlungen keine billigenswerten Gründe gibt. Hier ist das
von der Beklagten vorgenommene Unterscheidungskriterium, die zwischen den
Betriebsparteien getroffene Betriebsvereinbarung, die es den Arbeitnehmern
erlaubt, in Fällen in denen der Betriebsrat auf sein Mitbestimmungsrecht bei
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erlaubt, in Fällen in denen der Betriebsrat auf sein Mitbestimmungsrecht bei
Mehrarbeit verzichtet, diese Mehrarbeit zu verweigern. Eine solche Unterscheidung
ist jedoch sachfremd. Sie widerspricht den gesetzlich gewollten Regeln der
betrieblichen Mitbestimmung. Der Gesetzgeber hat gerade in dem Bereich, in dem
es um Mehrarbeit geht, dem Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht
zugesprochen. Wenn Arbeitnehmer für die Wahrnehmung dieses
Mitbestimmungsrechtes dadurch „bestraft“ werden, wird indirekt die Tätigkeit des
Betriebsrates behindert. Die Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechtes kann
niemals ein sachlicher Grund dafür sein, dass Arbeitnehmer eines Betriebes
gegenüber einem anderen Betrieb schlechter gestellt werden. Dies gilt sowohl für
den Fall der direkten Differenzierung als auch für die indirekte. Damit ist es dem
Arbeitgeber auch verwehrt „die Besserstellung der G. Arbeitnehmer“ als Kriterium
für nicht die gewährte Lohnerhöhung zu wählen.
Auch ist das Argument der Beklagten, dass die Kosten im Betrieb in G höher sind
als in anderen Betrieben, nicht geeignet einen sachlichen Grund für eine
Differenzierung zu bilden. Zwar mögen die Kosten pro beförderten Paket höher
liegen als in der restlichen Division F, die Gesamthessen F umfasst. Die
Unterschiede sind jedoch einerseits nicht so gravierend, andererseits wären nur
solche Gründe geeignet, die auf der Leistungsbereitschaft und die
Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter der Niederlassung G zurückzuführen sind. Für
davon unabhängige, strukturell verursachte Kosten sprechen jedoch die
besonderen Gegebenheiten des Rhein-Main-Gebietes mit seinem höheren
Verkehrsaufkommen sowie die Konzentration von Betriebsratsmitgliedern bei den
Fahrern der Beklagten. Des Weiteren ist nicht ersichtlich weshalb Vergleichsgröße
nur Hessen ist, denn nur auf diesen Bereich hat sich die Beklagte in ihrer
Vergleichsrechnung bezogen, wobei andere Tätigkeiten der Niederlassung wie der
sonstige Paketumschlag bei ihrer Betrachtung außer Betracht geblieben sind.
Insbesondere ist das Argument der Beklagten, dass es sich bei der Lohnerhöhung
ja um eine freiwillige Leistung handelt, gerade nicht geeignet die
Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Vielmehr ist gerade, wenn es sich um
freiwillige Lohnerhöhungen handelt, der Gleichbehandlungsgrundsatz anzuwenden.
Dem Arbeitgeber ist es nicht verwehrt in individuellen Absprachen mit
Arbeitnehmern unterschiedliche Löhne auszuhandeln. Hier wirkt sich generell die
Privatautonomie gegenüber dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus. Wenn jedoch
der Arbeitgeber allen Beschäftigten mit Ausnahme einer bestimmten Gruppe eine
freiwillige Lohnerhöhung zahlt, prägt der Gleichbehandlungsgrundsatz diese
Maßnahme.
Dem Zahlungsanspruch war daher in der unstreitigen Höhe stattzugeben.
Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus den §§ 286 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB.
Die Klage auf Zahlung eines zukünftig um 2,1 % erhöhten Stundenlohnes ist
gemäß § 259 ZPO zulässig. Zwar sind die Forderungen jetzt noch nicht fällig und
von einer Gegenleistung abhängig. Dies kann jedoch dahinstehen, da nur die Höhe
des Stundenlohnes festgeschrieben wird. Der weitere Antrag ist auch begründet,
da auch hier der Gleichbehandlungsgrundsatz wirksam wird.
Die Beklagte hat gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO die entstandenen Kosten zu
tragen.
Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 61 Abs. 1, 76 Abs. 2
ArbGG in Verbindung mit § 3 ZPO und richtet sich nach dem 3-jährigen
Differenzbetrag in Höhe von 0,30 EUR pro Stunde.
Die Berufung war gemäß § 46 Abs. 2, 3 ArbGG gesondert zuzulassen, da die
grundsätzliche Rechtsfrage eine Vielzahl gesonderter Verfahren betrifft.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.