Urteil des ArbG Bielefeld vom 02.12.2008

ArbG Bielefeld: internationale zuständigkeit, juristische person, vergütung, gegen die guten sitten, gerichtliche zuständigkeit, verordnung, missverhältnis, rechtswahl, üblicher lohn

Arbeitsgericht Bielefeld, 3 Ca 2703/08
Datum:
02.12.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Bielefeld
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Ca 2703/08
Leitsätze:
1. Zur internationalen Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit
für Arbeitsverträge polnischer Staatsangehöriger mit polnischen
juristischen Personen, für die die ausschließliche Zuständigkeit der
polnischen Gerichtsbarkeit vereinbart ist, die jedoch ihre Arbeitsleistung
im Rahmen von Werkunternehmerverträgen auf dem Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland erbringen nach der Verordnung (EG) Nr.
44 aus 2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 wird über die
gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.
2. Zur Anwendbarkeit der § 138 BGB i. V. m. § 612 BGB sowie der §§
305 ff. BGB in derartigen Fällen gemäß Artikel 27 Abs. 3 EG BGB bzw.
Artikel 6 und Artikel 30 EG BGB, wenn die Arbeitsvertragsparteien in
einem derartigen Fall polnisches Recht vereinbart haben.
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 300,00 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247
BGB seit dem 01.04.2008, abzüglich am 10.04.2008 gezahlter 220,00 €
zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.500,00 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247
BGB seit dem 01.05.2008, abzüglich am 10.05.2008 gezahlter 1.100,00
€ zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.175,00 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247
BGB seit dem 01.06.2008, abzüglich am 10.06.2008 gezahlter 1.000,20
€ zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.575,00 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247
BGB seit dem 01.07.2008, abzüglich am 10.07.2008 gezahlter 784,00 €
zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.725,00 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247
BGB seit dem 01.08.2008, abzüglich am 10.08.2008 gezahlter 1.040,00
€ zu zahlen.
6. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.125,00 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247
BGB seit dem 01.09.2008, abzüglich am 10.09.2008 gezahlter 885,00 €
zu zahlen.
7. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
8. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.015,80 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Entgeltdifferenzen aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.
2
Bei der Beklagten handele es sich um eine juristische Person polnischen Rechts. Die
Sp.z o.o. ist eine einer deutschen GmbH vergleichbare juristische Person, die von
einem Geschäftsführer vertreten wird. Nach eigenen Angaben beschäftigt die Beklagte
ca. 300 Arbeitnehmer in Polen und ca. 400 Arbeitnehmer in R3-W1. Sie unterhält in der
N4. 23 in einem Gebäude, das die Ehefrau des Niederlassungsleiters der Beklagten, E1
S5, 2002 errichtet hat, eine unselbständige Niederlassung. Unter dieser Anschrift
residierten zuvor vom 01.02.2003 bis zum 30.08.2006 die seit 2000 in R3-W1 ansässige
unselbständige Zweigniederlassung der Fleischwerk K3 S9 S.A. (4 Ca 2429/06), deren
Agent der Niederlassungsleiter der Beklagten, M3 S5, war und ab dem 01.04.2004 die
M6 B5 Sp. z.o.o., deren (Mit-)eigentümer und Bevollmächtigter ebenfalls Herr M3 S5 war
(6 Ca 2557/07). Bei ihnen handelt es sich wie die Beklagte um Subunternehmer des
Fleischwerks B4 & C2 T1. Die Beklagte verweist darauf, dass es sich bei ihr um eine
rechtlich unselbständige Niederlassung der M5. M2 Sp. z.o.o., P2 23; 98-420 S10 in
Polen handelt, die lediglich die Aufgabe hat, die in R3-W1 beschäftigten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu betreuen. Zu diesem Zweck beschäftigt sie
(bzw. die Vorgängerfirmen) kaufmännische Angestellte mit Arbeitsverträgen nach
deutschem Recht (6 Ca 2557/08).
3
Die am 02.04.1980 geborene, geschiedene und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete
Klägerin, die die polnische Staatsbürgerschaft besitzt, hatte sich im Frühjahr 2008 im
Internet in Polen Arbeitsangebote in polnischer Sprache unter der Rubrik "Arbeit im
Ausland" angeschaut und stieß auf ein Angebot einer Firma M4. Sie sandte dann per E-
Mail an die Firma M4 einen Lebenslauf und Gesundheitsangaben. Sie wurde dann unter
einer deutschen Telefonnummer kontaktiert. Ihr wurde mitgeteilt, dass sie für die Arbeit
in Deutschland ärztliche Zeugnisse, Lebensutensilien und weiße und warme Kleidung
mitnehmen solle. Nach Absolvierung der ärztlichen Untersuchungen fuhr sie am zweiten
Ostertag, also am 24.03.2008, mit einem Pkw bestimmungsgemäß zur Firma T1, In der
4
M6 1, in R3-W1. Dort wurde sie abgeholt und zunächst in eine Halle/Büro geführt, wo
sie verschiedene Dokumente unterschrieb. Dann wurde sie mit anderen Arbeitnehmern
zur Niederlassung der Beklagten gebracht. Dort unterzeichnete die Klägerin einen vom
21.03.2008 datierenden Arbeitsvertrag mit der Beklagten in polnischer Sprache
(Ablichtung Blatt 16 f. der Akte) sowie einen vom 25.03.2008 datierenden Annex zu
diesem Arbeitsvertrag ebenfalls in polnischer Sprache (in der Sichthülle Blatt 69 der
Akte). Für die Beklagte unterzeichnete die Angestellte Frau C1. Nach dem Vertragstext
einer Übersetzung aus dem Polnischen durch einen vereidigten Dolmetscher schlossen
die Parteien danach einen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeitperiode vom 21.03.2008
bis zum 26.06.2008. Die Klägerin sollte mit Arbeiten im Bereich Sortieren-Verpackung
beschäftigt werden in P2, dem Sitz der Beklagten in Polen. Unter der gleichen Anschrift
residiert dort auch die M7 B5 Sp. z.o.o. Es war ein Stundenlohn von 6,80 PLN
vereinbart. Als allgemeiner Gerichtsstand wurde der Sitz des Arbeitgebers vereinbart
(wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ablichtung der vereidigten Übersetzung
aus dem polnischen Blatt 27 ff. der Akte verwiesen). Nach dem Annex wurde die
Klägerin im Rahmen des mit ihr abgeschlossenen Arbeitsvertrages mit ihrer
Zustimmung zur Ausübung der Arbeit auf das Gebiet von Deutschland in der Zeitperiode
vom 25.03.2008 bis zum 24.06.2008 entsandt zum Zwecke von Sortierungs- und
Verpackungsarbeiten. Ort der Arbeitsleistung sollte R3-W1 sein. In § 4 "Entlohnung"
haben die Parteien einen Grundlohn von 600,00 € vereinbart. Danach heißt es in der
Übersetzung weiter: "2. Dem Arbeitnehmer steht Lohnzulage zum Grundlohn auf den in
der Entlohnungsordnung von M1.S3. M2 Sp. z.o.o. bestimmten Grundsätzen zu, mit
deren Inhalt sich der Arbeitnehmer bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages mit dem
Arbeitgeber in Kenntnis gesetzt hat… 4. Der dem Arbeitnehmer ausgezahlte Lohn wird
sowohl die Menge als auch Qualität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit
berücksichtigen…" § 7 Ziffer 2 lautet: "Nach der Rückkehr des Arbeitsnehmers nach
Polen vereinbaren die Vertragsparteien insbesondere den Termin der Arbeitsaufnahme
durch den Arbeitnehmern im Betrieb des Arbeitgebers auf dem Gebiet von Polen…" In §
8 wird auf eine Arbeitsordnung verwiesen.
§ 9 Ziffer 5 lautet: "Die Vertragsparteien vereinbaren einstimmig, dass für die
Entscheidung der Streitigkeiten, dies sich aus der Anwendung von obigem Annex zum
Arbeitsvertrag ergeben, das polnische Recht als zuständiges Recht angewendet wird.
Eventuelle Streitigkeiten, die sich bei der Durchführung des die Vertragsparteien
bindenden Vertrages ergeben könnten, werden durch die Vertragsparteien vor dem
Gericht zuständig für den Sitz des Arbeitgebers gerichtet" (wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf die vereidigte Übersetzung dieses Aneks Ablichtung Blatt 31 ff.
der Akte verwiesen). Die Parteien konnten weder die Entlohnungsordnung noch die
Arbeitsordnung im Güte- bzw. im Kammertermin auf Befragen des Gerichts vorlegen.
Die Befristungsabrede im Annex zum Arbeitsvertag ist vor Fristablauf auf insgesamt ein
Jahr verlängert worden.
5
Die Klägerin war im Fleischwerk B4 & C2 T1, mit der die Beklagte einen
Werkrahmenvertrag geschlossen hatte, nach dem die Beklagte als selbständiges
Spezialunternehmen Sortier- und Verpackungsarbeiten erbringt, beschäftigt. In diesem
Betrieb arbeiten neben 250 bei T1 beschäftigten Arbeitnehmern ca. 2000 bei
Subunternehmern beschäftigte Arbeitnehmer aus Osteuropa (insoweit wird auf den
Artikel "T1 Fleischwerk" in Wikipedia nebst den dortigen Weblinks auf den Artikel
"Kapitalismus pur" in "Die Zeit" 20/2007 vom 10. Mai 2007 betreffend polnische
Arbeitnehmer bei Subunternehmern der Firma T1 und den Artikel "Dumpingpraktiken,
Regierung droht Fleischbranche mit Mindestlohn" Spiegel-Online vom 03.05.2007
6
sowie das Buch Die Fleischmafia von Adrian Peter, Econ Verlag, 2006, verwiesen). Die
Arbeitsbedingungen rumänischer Kontingentarbeitnehmer waren 2003 Gegenstand
eines Verfahrens vor der Kammer (Urteil vom 13.08.2003 - 3 Ca 2328/03 in: juris).
Die Klägerin hat begonnen, nach ca. einem Monat eigene Arbeitszeitaufzeichnungen
anzufertigen. Nach diesen Aufzeichnungen hat die Klägerin im März 2008 40 Stunden,
im April 2008 200 Stunden, im Mai 2008 290 Stunden, in Juni 2008 210 Stunden, im Juli
2008 230 Stunden und im August 2008 150 Stunden gearbeitet.
7
Die Klägerin trägt vor, sie habe für März 2008 am 10. des Folgemonats 220,00 € netto
erhalten, für April 2008 am 10. des Folgemonats 1.100,00 € netto, für Mai 2008 am 10.
des Folgemonats 1.020,00 € netto, für Juni 2008 am 10. des Folgemonats 784,00 €
netto, für Juli 2008 am 10. des Folgemonats 1.040,00 € netto und für August 2008
240,00 € am 10. des Folgemonats.
8
Die Klägerin erlitt am 26.08.2008 nach der Arbeit einen Ohnmachtsanfall und wurde für
9
14 Tage krankgeschrieben. Diese Krankschreibung hat die Beklagte nicht akzeptiert
und der Klägerin angeboten, sie könne zwei Tage unbezahlten Urlaub nehmen. Nach
dem die Klägerin weiterhin arbeitsunfähig krank war, wurde sie zu einem Gespräch mit
Frau C1 zitiert, die die Klägerin dazu bewegte, eine Eigenkündigung zu unterschreiben
unter Hinweis auf die bereits bei den Akten befindliche Eigenkündigung der Klägerin
aus dem Zeitpunkt der
10
Arbeitsaufnahme.
11
Die Klägerin hat während ihrer Tätigkeit bei der Beklagten unentgeltlich in einer
Sammelunterkunft mit 17 Frauen in einer Wohnung und insgesamt 4 Frauen in einem
Zimmer gelebt. Die Fahrten zwischen T1 und ihrer Unterkunft hat die Klägerin selbst
organisiert.
12
Die Klägerin hält die Entgeltvereinbarung zwischen den Parteien für intransparent. Die
vereinbarte Vergütung sei auch unter Berücksichtigung des ausgezahlten
Arbeitsentgelts sittenwidrig. Die Vergütungsabrede sei mithin unwirksam. Die Beklagte
sei daher verpflichtet, den für die Tätigkeit als Produktionshelferin üblichen Lohn von
7,50 € pro Stunde zu zahlen, den das Fleischwarenwerk T1 auch an die eigenen
Mitarbeiter zahle, § 612 BGB.
13
Die Klägerin beantragt,
14
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 300,00 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem
01.04.2008, abzüglich am 10.04.2008 gezahlter 220,00 € zu zahlen.
15
16
17
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.500,00 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem
01.05.2008, abzüglich am 10.05.2008 gezahlter 1.100,00 € zu zahlen.
18
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.175,00 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem
01.06.2008, abzüglich am 10.06.2008 gezahlter 1.000,20 € zu zahlen.
19
20
4.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.575,00 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem
01.07.2008, abzüglich am 10.07.2008 gezahlter 784,00 € zu zahlen.
21
22
5.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.725,00 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem
01.08.2008, abzüglich am 10.08.2008 gezahlter 1.040,00 € zu zahlen.
23
24
6.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.125,00 € brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem
01.09.2008, abzüglich am 10.09.2008 gezahlter 885,00 € zu zahlen.
25
26
Die Beklagte bittet darum,
27
die Klage abzuweisen.
28
Die Beklagte meint, das angerufene Arbeitsgericht Bielefeld sei weder international
noch örtlich zuständig, da die Parteien sich auf den für den Sitz der Beklagten in Polen
zuständige Gericht geeinigt hätten und die Beklagte in der N4 nur eine unselbständige
Niederlassung betreibt.
29
Darüber hinaus hätten sich die Parteien für das polnische Recht entschieden. Der
30
Darüber hinaus hätten sich die Parteien für das polnische Recht entschieden. Der
vereinbarte Stundenlohn von 6,80 PLN sei für die auszuübende Tätigkeit in Polen
ortsüblich und nicht sittenwidrig. In Deutschland habe die Klägerin schon nach eigenem
Vortrag wesentlich mehr als den vereinbarten Grundlohn von 600,00 € pro Monat
ausgezahlt bekommen.
30
Der Beklagten ist im Gütetermin der Beschluss aufgegeben worden, binnen einer
Ausschlussfrist bis zum 31.10.2008 im Einzelnen und unter Beweisantritt dazu
vorzutragen, ob Grund und/oder Höhe der klägerischen Forderung bestritten werden.
Außerdem sollte dazu vortragen werden, wer von der Beklagten an welchem Ort mit der
Klägerin welche Vereinbarung getroffen hat. Dieser Auflage ist die Beklagte bis zum
Kammertermin nicht nachgekommen. Im Kammertermin hat die Beklagte dem Gericht
eine summarische Stundenaufstelllung (Blatt 53 der Akte) und ein Konvolut bestehend
aus Abrechnungen in den streitbefangenen Monaten, von Umsatzstatistiken und Kopien
von Schecks und Quittungen (Blatt 54ff. der Akte) unsortiert vorgelegt.
31
Wegen der weiteren hier gem. § 313 Abs. 2 S. 1 ZPO knapp zusammen gefassten Sach-
und Streitstandes wird gem. § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO auf den Inhalt der im Verfahren
gewechselten Schriftsätze nebst in Bezug genommener Anlagen sowie die
Sitzungsniederschriften verwiesen.
32
Entscheidungsgründe:
33
Die zulässige Klage ist im vollen Umfang begründet.
34
A.
35
Die Klage ist zulässig, weil der Rechtsstreit der deutschen Gerichtsbarkeit unterfällt.
36
1.
37
Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ist nicht aufgrund rügeloser Einlassung der
Beklagten nach § 239 ZPO begründet worden. Zwar wird § 239 ZPO insoweit für
anwendbar gehalten (vgl. zuletzt BAG vom 13.11.2007 – 9 AZR 134/07 – mit weiteren
Nachweisen in Rdnr. 17). Die Beklagte hatte jedoch von Anfang an deutlich gemacht,
dass sich das angerufene Gericht als international unzuständig ansieht.
38
2.
39
Die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien schließt die internationale Zuständigkeit
des erkennenden Gerichts nicht aus. Die internationale Zuständigkeit der deutschen
Gerichte wäre nur dann nicht gegeben, wenn die Parteien eine wirksame anderweitige
Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen hätten. Ohne eine solche Vereinbarung wäre
die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach der Verordnung (EG) Nr.
44 aus 2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(im folgenden: EG V 44/2001) gegeben. Abschnitt 5 dieser Verordnung regelt die
Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge. Nach Artikel 19 dieser Verordnung kann
ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat,
verklagt werden: "
40
1. Vor den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem er seinen Wohnsitz hat, oder
2. In einem anderen Mitgliedstaat.
41
a. vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit
verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, oder
b. wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat
verrichtet oder verrichtet hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die
Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet, bzw. befand".
42
43
44
Nach Artikel 23 dieser Verordnung können Parteien, von denen mindestens eine ihren
Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, Vereinbarungen über die
Zuständigkeit eines Gerichtes im Hinblick auf bereits entstandene und künftige
Rechtsstreitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis treffen. In diesem Fall ist
dieses Gericht dann ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anders
vereinbart haben und eine solche Gerichtsstandsvereinbarung schriftlich geschlossen
worden ist. Nach Artikel 21 dieser Verordnung kann jedoch von den Vorschriften des 5.
Abschnittes, zu dem Artikel 19 der Verordnung gehört, im Wege der Vereinbarung nur
abgewichen werden, wenn die Vereinbarung entweder nach Entstehung der Streitigkeit
getroffen wird oder wenn sie dem Arbeitnehmer die Befugnis einräumt, andere als die in
diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen.
45
Der vorliegende Rechtsstreit unterliegt dem Artikel 19 der EG V 44/2001. Nach Artikel
18 Absatz 1 die EG V 44/2001 müssen "ein individueller Arbeitsvertrag" oder
"Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag" Streitgegenstand seien. Dies
bedeutet, dass nicht nur eine Klage auf Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft,
sondern auch Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis erfasst werden. Dabei ist
kein enger Maßstab anzulegen (vgl. dazu nur Däubler: "Die internationale Zuständigkeit
der deutschen Arbeitsgerichte - neue Regeln durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001"
in: NZA 2003,1297 ff.(1299)). Die Parteien haben in § 8 Ziffer 5 des Annex zum
Arbeitsvertrag nur das für den Sitz der Beklagten in Polen zuständige Gericht vereinbart.
Diese Vereinbarung verstößt gegen Artikel 21 der vorgenannten EG-Verordnung. Im
vorliegenden Fall ist der Klägerin durch die Gerichtsstandsvereinbarung weder eine
zusätzliche Option eingeräumt worden, also dass Recht, auch eine nach Artikel 19 nicht
zuständiges Gericht anrufen zu können, noch ist die Gerichtsstandsvereinbarung nach
Entstehen der hier zu entscheidenden Streitigkeit geschlossen worden.
46
Die EG-Verordnung 44/2001 stellt der Klägerin daher wahlweise drei Gerichtsstände zur
Verfügung. Das angerufene Arbeitsgericht Bielefeld ist einer hiervon, nämlich der
Gerichtsstand des "gewöhnlichen Arbeitsortes" (Ziff. 2 a)). Der "gewöhnliche Arbeitsort"
liegt im Regelfall dort, wo die geschuldete Arbeitsleistung erbracht wird. Bei stationärer
Tätigkeit ist dies meist der Betrieb (vgl. nur LAG Köln vom 25.06.1996 – 10 Sa 1251/95
in: LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 1). Wird der Betroffene vorübergehend an einen anderen
47
Ort oder in ein anderes Land entsandt, ist dies ohne rechtliche Relevanz. Im
vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass die Klägerin für die Beklagte zu
keinem Zeitpunkt in Polen gearbeitet hat, sondern aufgrund des Arbeitsvertrages und
des Annex zum Arbeitsvertrag ihre Arbeitsleistung während der gesamten Dauer des
Arbeitsverhältnisses in R3-W1 erbracht hat. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass
die Vertragsparteien nach § 7 Ziffer 2 des Annex zum Arbeitsvertrag "nach der Rückkehr
des Arbeitnehmers nach Polen" den Termin der Arbeitsaufnahme durch den
Arbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers auf dem Gebiet von Polen vereinbaren
werden, ändert dies nichts daran, dass für die Dauer des Vertrages der Parteien der
gewöhnliche Arbeitsort der Klägerin R3-W1 war. Zudem war R3-W1 der Ort, an dem die
Klägerin ihre Arbeit "zuletzt gewöhnlich verrichtet hat". Auch wenn man mit dem
Europäischen Gerichtshof darauf abstellt, wo der "tatsächliche Mittelpunkt der
Berufstätigkeit", der "Schwerpunkt der Arbeitsleistung" liegt, ist dies eindeutig R3-W1.
Hierhin ist die Klägerin gereist, um ihre Arbeit aufzunehmen. Hier wurde das
Vertragsverhältnis der Parteien beendet. Dazwischen hat die Klägerin an keinem
anderen Ort gearbeitet (vgl. dazu nur EuGH vom 09.01.1997 – C 383//95 in: AP Nr. 2 zu
Artikel 5 Brüsseler Abkommen).
Zudem greift hilfsweise nach Artikel 19 Absatz 2 b) der EG V 44/2001 der Gerichtsstand
der einstellenden Niederlassung ein. Besteht kein gewöhnlicher Arbeitsort, stellt Artikel
19 in Ziffer 2 b) der Verordnung hilfsweise auf die einstellende Niederlassung ab.
Gemeint ist damit der Ort des Vertragsschlusses (ebenso LAG Niedersachen vom
20.11.19989 – 3 Sa 909/98 in: LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 3; Gragert/Drenckhahn in: NZA
2003, 307 unter Hinweis darauf, dass dort meist auch die Personalverwaltung erfolgt).
Die Beklagte hat zwar noch im Gütetermin mündlich bestritten, die Einstellung sei in
Deutschland in R3-W1 in der N3 23, dem Sitz der Niederlassung der Beklagten, erfolgt.
Insoweit ist ein Bestreiten mit Nichtwissen jedoch unzulässig. Die Beklagte hätte
substantiiert vortragen müssen, wo (im "Stammhaus"?) und wann in Polen der
Arbeitsvertrag unterzeichnet worden ist und wer für die Beklagte den Arbeitsvertrag in
Polen gegengezeichnet hat. Die unstreitige Tatsache, dass der Arbeitsvertrag der
Klägerin von Frau B3 C1 gegengezeichnet ist, die wiederum in der Niederlassung der
Beklagten in R3-W1 für die Beklagte tätig ist, führt dazu, dass die Beklagte sich nicht auf
bloßes Bestreiten mit Nichtwissen beschränken durfte.
48
B.
49
Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf
Zahlung der "üblichen Vergütung" im Sinne von § 612 BGB i.V.m. § 138 BGB.
50
1.
51
Die Klägerin kann sich mit Erfolg auf diese Vorschriften berufen, obwohl die Parteien im
Annex zum Arbeitsvertrag vereinbart haben, dass "die Entscheidung der Streitigkeiten,
die sich aus der Anwendung vom Annex zum Arbeitsvertrag ergeben, das polnische
Recht als zuständiges Recht angewendet wird".
52
Die Kammer versteht diese Vereinbarung so, dass die Parteien die Entscheidung ihres
Rechtsstreits nicht (nur) polnischem Verfahrensrecht unterstellen wollten, sondern dass
die Entscheidung der Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung des Arbeitsvertrages
der Parteien und seines Annex ergeben, materiell polnischem Recht unterliegen soll.
Diese Vereinbarung der Parteien hat das erkennende Gericht grundsätzlich zu
53
akzeptieren. Nach Artikel 27 EGBGB unterliegt der Vertrag dem von den Parteien
gewählten Recht. Damit die unterliegen die arbeitsvertraglichen Beziehungen der
Parteien grundsätzlich auch materiell polnischem Arbeitsrecht.
2.
54
Die freie Rechtswahl der Parteien tangiert jedoch nicht die Anwendung der
Bestimmungen des deutschen Rechts, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag
anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln, Artikel 27 Abs. 3 EG BGB.
Danach berührt die Wahl des Rechts eines anderen Staates, wenn der sonstige
Sachverhalt im Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden ist, - auch
wenn sie durch die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen
Staates ergänzt ist – die Bestimmungen nicht, von denen nach dem Recht jenes Staates
durch Vertrag nicht abgewichen werden kann (zwingende Bestimmungen).
55
a.)
56
Artikel 27 Abs. 3 EGBGB enthält also eine Beschränkung der Rechtswahl, soweit – von
der Rechtswahlklausel abgesehen – keine Auslandsbeziehungen bestehen. Ist der
Sachverhalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden, d.h.
eindeutig lokalisiert, so ist zwar eine Rechtswahl nicht ausgeschlossen. In solchen
"Binnensachverhalten" kann jedoch die Vereinbarung der Rechtsordnung eines
anderen Staates die zwingenden Bestimmungen dieses Staates nicht berühren. Das
Recht des Staates, zu dem der Vertrag allein Beziehungen aufweist, bildet sozusagen
das "Einbettungsstatut".
57
aa.)
58
Mangels einer Rechtswahl würde auf das Arbeitsverhältnis der Parteien deutsches
Arbeitsrecht zur Anwendung kommen. Denn nach Artikel 20 Abs. 2 EG BGB unterliegen
Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse dem Recht des Staates, in dem der
Arbeitnehmer und Erfüllung des Vertrages "gewöhnlich" seine Arbeit verrichtet (Ziffer 1)
bzw. in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat,
sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in einem und demselben Staat verrichtet
(Ziffer 2), wenn die Parteien keine
59
Rechtswahl getroffen hätten, es sei denn, dass sich aus der Gesamtheit der Umstände
ergibt, dass der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu
einem anderen Staat aufweist. In jenem Fall wäre das Recht eines dieses anderen
Staates anzuwenden.
60
Der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis der Parteien weist nach Ansicht der
Kammer keine engeren Verbindungen zu einem anderen Staat auf, da – wie bereits
ausgeführt - die wechselseitigen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen während der
gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses ausschließlich in Deutschland erfüllt worden
sind. Der Sachverhalt war zum Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat
verbunden, nämlich mit der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Vortrag der
Klägerin, den die Beklagte nicht substantiiert widersprochen hat, bezieht sich das
Arbeitsverhältnis der Parteien eindeutig auf Deutschland. Nach der ersten
Kontaktanknüpfung im Internet wurde die Klägerin aus Deutschland angerufen und über
die näheren Modalitäten ihres Arbeitsverhältnisses informiert. Nachdem die Klägerin die
61
Voraussetzungen für eine Arbeitsaufnahme geschaffen hatte, wurden der Arbeitsvertrag
und der Annex zum Arbeitsvertrag in R3-W1, d.h. in Deutschland unterzeichnet. Der
Arbeitsvertrag der Parteien, der vom 21.03.2008 datiert, ist damit tatsächlich am 25. oder
26.03.2008 zeitgleich mit dem Annex zum Arbeitsvertrag unterzeichnet worden. Die
Absicht der Beklagten, den Annex zum Arbeitsvertrag als "Entsendevertrag" in einen
originären Arbeitsvertrag der Parteien in Polen "einzubetten", ist damit fehlgeschlagen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte in Polen tatsächlich – wie sie behauptet,
Arbeitnehmer beschäftigt. Eine auf das Arbeitsverhältnis bezogene Organisation hat die
Klägerin in Polen nicht erlebt.
Überdies wurde Arbeitsverhältnis über die gesamte Dauer in Deutschland abgewickelt.
Hierzu beschäftigt die Beklagte festangestellte kaufmännische Kräfte, deren
Arbeitsverhältnisse in deutscher Sprache vereinbart sind und deutschem Recht
unterfallen. Die Klägerin hat während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses der
Parteien in Deutschland gewohnt und gearbeitet. Sie hat ihre Vergütung in Deutschland
erhalten, ebenso wie ihre Lohnabrechnungen. Ihre Arbeitsanweisungen wurden durch
in Deutschland beschäftigte Vorarbeiter erteilt. Die Personalabrechnungen erfolgten in
deutsch/polnischer Sprache und sind ersichtlich mit einem deutschen EDV-Programm
erstellt.
62
Damit weist das Arbeitsverhältnis außer der Tatsache, dass die Klägerin die polnische
Staatsangehörigkeit besitzt und es sich bei der Beklagten um eine juristische Person
polnischem Rechts handelt, und die Beklagte eine polnische Pfändung bedient und die
Sozialversicherungsbeiträge (aufgrund einer E 101 Bescheinigung) nach Polen
abgeführt hat, keinen Bezug zu Polen auf.
63
bb.)
64
Nach der Legaldefinition des Artikel 27 Abs. 3 EG BGB handelt es sich um Vorschriften,
von denen nach dem Recht des maßgeblichen Staates nicht durch Vertrag abgewichen
werden kann. Gemeint sind also nichtdispositive Bestimmungen des normsetztenden
Staates, an welche die Parteien gebunden sind. Artikel 27 Abs. 3 EG BGB gilt somit für
zwingende Vorschriften jeglicher Art (vgl. Martini in: Münchener Kommentar zum BGB 4.
Auflage 2006, Artikel 27 EG BGB Rdnr. 90 mit weiteren Nachweisen in Rdnr. 347, vgl.
dazu auch Schlachter in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 9. Auflage 2008, Rdnr.
15). Hierzu zählen auch die §§ 305ff. BGB.
65
cc.) Die im Arbeitsvertrag der Parteien vereinbarte Entlohnung ist schon nach den §§
305 ff. BGB unwirksam. Die Entlohnungsvereinbarung unterliegt der Inhaltskontrolle
nach § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB i.V.m. § 307 Abs. 1 Satz 2 und § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB.
66
Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterliegen Bestimmungen in allgemeinen
Geschäftsbedingungen der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, wenn sie von
Rechtsvorschriften abweichen oder als diese ergänzende Regelungen vereinbart
werden. Andere Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die nicht
von Rechtsvorschriften abgewichen wird, sind gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307
Abs. 1 Satz 2 BGB bei einem Verstoß gegen das Transparenzgebot unwirksam. Dieser
eingeschränkten Kontrolle unterliegen auch Klauseln, die den Umfang der von den
Parteien geschuldeten Arbeitsleistung festlegen. Im Arbeitsverhältnis sind das vor allem
die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt. Es ist nicht
67
Aufgabe des Gerichts, über die § 305 ff. BGB den "gerechten Preis" zu ermitteln. § 307
Abs. 3 Satz 2 BGB beruht auf der Erwägung, dass ein Mindestmaß an Transparenz der
Preisgestaltung einen funktionierenden Wettbewerb erst ermöglicht.
68
Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende
unangemessene Benachteiligung (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) auch daraus ergeben,
dass die Klausel nicht klar und verständlich ist. Das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1
Satz 2 BGB schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Danach müssen die tatbestandlichen
Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den
Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Eine Klausel
genügt dem Bestimmtheitsgebot, wenn sie im Rahmen des rechtlich und tatsächlich
zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders so
klar und präzise wie möglich umschreibt. Gemessen an diesen Grundsätzen hält § 4 des
Annex zum Arbeitsvertrag der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 307
Abs. 1 Satz 2 BGB nicht stand. Der Klägerin wird zwar ein Grundlohn in Höhe von
600,00 € brutto pro Monat zugesagt. Ihr wird jedoch weiterhin eine Lohnzulage nach
einer Entlohnungsordnung der Beklagten zugesagt, die sowohl die Menge als auch die
Qualität der von der Klägerin geleisteten Arbeit berücksichtigen soll. Auf Befragen des
Gerichts konnte keine der Parteien im Kammertermin diese Entlohnungsordnung der
Beklagten vorlegen. Der Klägerin hat diese Entlohnungsordnung bei der
Unterzeichnung entgegen dem Wortlaut des Arbeitsvertrages nicht vorgelegen. Auch
die Beklagte vermochte die Entlohnungsordnung nicht vorzulegen und hat insoweit auf
das "Stammhaus" in Polen verwiesen sowie darauf, dass die entsprechenden Eckdaten
in die EDV "eingepflegt" seien. Ohne die – angebliche - Entlohnungsordnung der
Beklagten ist jedoch niemand in der Lage, die Lohnzulage zum Grundlohn der Klägerin
zu berechnen. Dies führt zur Unwirksamkeit der Entgeltvereinbarung.
69
dd.)
70
Für den Fall, dass man diese Auffassung der Kammer zur Auslegung der §§ 305ff. BGB
nicht teilt, ist die zwischen den Parteien getroffene arbeitsvertragliche
Entgeltvereinbarung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB)
unwirksam, so dass die Klägerin gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung
beanspruchen kann. Nach seinem Wortlaut greift § 612 Abs. 1 BGB nur ein, wenn keine
Vergütung – auch nicht stillschweigend – vereinbart ist. Die Bestimmung ist aber auch
dann anwendbar, wenn der Vertrag nach § 138 Abs. 2 BGB – wegen Lohnwuchers –
nichtig ist (BAG vom 10.03.1960 in: AP Nr.: 2 zu § 138 BGB; Landesarbeitsgericht
Bremen vom 03.12.1992 in: AiB 1993, 834) (dazu gleich).
71
b.)
72
Folgt man der Auffassung der Kammer zur Anwendbarkeit des Art. 27 Abs. 3 EG BGB
nicht, ergibt sich die Anwendung dieser Vorschriften aus Artikel 30 Abs. 1 EG BGB
sowie Artikel 34 EG BGB (Schlachter a.a.O.).
73
Danach kann durch die Wahl eines fremden Rechts jedenfalls von international
zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts nicht abgewichen werden. Solche als
"Eingriffsnormen" bezeichnete Vorschriften widerstehen jeder Abwahl, sondern
verlangen ihre Anwendbarkeit. Der Gesetzeszweck liegt in der Durchsetzung
inländischer ordnungspolitscher Vorstellungen, die nicht zur Disposition der
Parteiautonomie stehen. Zu diesen Vorschriften gehören nicht alle zwingenden Normen
74
des Arbeitsrechts. Mit Martini (a.a.O. Artikel 34 Rdnr. 9 mit weiteren Nachweisen) ist von
international zwingenden Normen dann auszugehen, wenn ihre Geltung für
grenzüberschreitende Fälle unabhängig vom Vertragsstatut ausdrücklich angeordnet ist
oder sich durch Auslegung ermitteln lässt, wobei der jeweilige Gesetzeszweck ermittelt
werden muss.
aa.)
75
Zu den auf jeden Fall zu beachtenden international zwingenden Bestimmungen gehört -
neben den § 305ff. BGB - § 138 BGB im allgemeinen, sowie die richterrechtlichen
Konkretisierungen des Wuchertatbestandes im besonderen. Zumindest für den Wucher
nach § 138 Abs. 2 BGB gilt, dass dieser Schutz nicht durch Rechtswahl abbedungen
werden kann (so Gammillscheg in: ZfA 1983, 361). In Rechtssprechung und Literatur ist
offen, ob das Wucherverbot hier über Artikel 30 Abs. 1, Artikel 6 oder Artikel 34 EG BGB
durchgesetzt wird (vergleiche dazu nur LG Detmold, Urteil vom 29.09.1994 – 9 O 57/94
in: NJW 1994, 3301 bis 3303). Diese Frage bedarf letztlich nicht der Entscheidung, da in
jedem Fall ein evidenter Verstoß gegen das Wucherverbot nicht hingekommen werden
kann (so Arbeitsgericht Wesel vom 03.05.1995 – 3 Ca 361/94 in: AuR 1995, 475 (476) =
AiB 1996, 126 f.).
76
bb.)
77
Es liegt ein auffälliges Missverhältnis zwischen der mit der Klägerin vereinbarten und
tatsächlich gezahlten Stundenvergütung und dem einschlägigen marktüblichen Entgelt
vor.
78
aaa.)
79
Wann in einem Einzelfall von einem sittenwidrigen Lohnwucher ausgegangen werden
kann, ist im Arbeitsrecht noch nicht abschließend geklärt.
80
Da gesetzliche Regelungen hinsichtlich der Lohnhöhe für das Arbeitsverhältnis der
Parteien nicht existieren (insbesondere das Arbeitnehmerentsendegesetz auf das
Arbeitsverhältnis nicht zur Anwendung kommt) und auch ein Tarifvertrag nicht
einschlägig ist, ist es im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten Privatautonomie
und der Vertragsfreiheit gemäß
81
§ 105 Gewerbeordnung grundsätzlich Sache der Vertragsparteien, die Höhe der
Vergütung festzulegen.
82
Dieser Freiheit sind allerdings dann Grenzen gesetzt, wenn eine sittenwidrige
Vergütung vereinbart wird (§ 138 BGB). Bei der Auslegung dieser einfachgesetzlichen
Vorschriften sind allerdings wiederrum verfassungsrechtliche Wertungen zu
berücksichtigen. Soweit die Privatautonomie ihre regulierende Kraft nicht zu entfalten
vermag, weil ein Vertragspartner kraft seines Übergewichts Vertragsbestimmungen
einseitig setzen kann, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den
Grundrechtschutz zu sichern. Der einzelne Arbeitnehmer befindet sich beim Abschluss
von Arbeitsverträgen typischerweise in einer Situation struktureller Unterlegenheit. Im
Bereich des Arbeitslebens steht nicht nur der Arbeitgeber sondern auch der
Arbeitnehmer unter dem Schutz des Artikel 12 Abs. 1 GG. Vor diesem Hintergrund
schützt Artikel 12 Abs. 1 GG auch das Interesse des Arbeitnehmers an zumutbaren
83
Arbeitsbedingungen (vgl. nur Bundesverfassungsgericht, 2. Kammer des ersten Senats,
Beschluss vom 23.11.2006, 1 BVR 1909/06 in: NZA 2007, 85 ff.). Dies gilt nach Ansicht
der Kammer auch für ausländische Arbeitnehmer.
Eine arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung kann wegen Lohnwuchers oder wegen
eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nichtig sein. Sowohl der spezielle
Straftatbestand als auch der zivilrechtliche Lohnwucher nach § 138 Abs. 2 BGB und das
wucherähnliche Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB setzen ein auffälliges
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus (vgl. nur
Bundesarbeitsgericht Urteil vom 23.05.2001 – 5 AZR 527/99 sowie BAG Urteil vom
24.03.2004 – 5 AZR 303/03 und BAG Urteil vom 26.04.2006 – 5 AZR 549/05). Ein
Missverhältnis liegt vor, wenn der Wert der Leistung mit dem der Gegenleistung nicht
übereinstimmt. Auffällig ist dieses Missverhältnis dann, wenn dem Kundigen dies – sei
es erst nach Aufklärung des Sachverhalts – ohne weiteres ins Auge springt (vgl. BGH
Urteil vom 22.04.1997 – 1 StR 701/96).
84
Das "auffällige Missverhältnis" ist allerdings nicht allein nach der vereinbarten
Entgelthöhe zu beurteilen. Ein Rechtsgeschäft verstößt gegen § 138 Abs. 1 BGB, wenn
es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zwecks zu
entnehmendem Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Zu
berücksichtigen sind auch Wertungen des Grundgesetzes und einfachgesetzliche
Regelungen. Hierbei ist weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine
Schädigungsabsicht erforderlich, sondern es genügt vielmehr, dass der Handelende die
Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt (vgl. BGH Urteil vom 19.01.2001 -
V ZR 437/99; BAG Urteil vom 26.04.2006 – 5 AZR 549/05).
85
Das Bundesarbeitsgericht hat bisher keine allgemeinen Richtwerte zur Feststellung
eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung entwickelt.
Es hat lediglich ausgeführt, dass zur Feststellung des auffälligen Missverhältnisses
zwischen den Leistungen und Gegenleistungen nicht auf einen bestimmten Abstand
zwischen dem Arbeitsentgelt und dem Sozialhilfesatz abgestellt werden könne und
auch die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO keinen geeigneten Anknüpfungspunkt
darstellen (BAG Urteil vom 24.03.2004 a.a.O.). Im übrigen hat es abgesehen von
besonderen Konstellationen offen gelassen, ob und ggfls. von welchem Richtwert
auszugehen ist und ob ggfls. auch die absolute Entgelthöhe zu berücksichtigen ist.
86
Entscheidender Orientierungsmaßstab für die Prüfung, ob ein auffälliges Missverhältnis
vorliegt, ist der Tariflohn, und zwar ohne tarifliche Zusatzleistungen (vgl. dazu nur
Reinecke, Vertragskontrolle im Arbeitsverhältnis in: NZA Beilage zu Heft 3, 2000, 23
(32)). Allerdings soll nach der Rechtsprechung nicht nur auf die Tariflöhne des
jeweiligen Wirtschaftzweiges, sondern auch auf das allgemeine Lohnniveau im
Wirtschaftsgebiet abgestellt werden. In Bereichen, in denen keine einschlägigen
Tarifverträge existieren, sind verwandte Tarifverträge als Vergleichsmaßstab
heranzuziehen.
87
Das Bundesarbeitsgericht hat jüngst entschieden, dass der Erhalt von 70 % der
üblichen Vergütung nicht geeignet sei, ein auffälliges Missverhältnis zu begründen
(BAG vom 23.05.2001 a.a.O.). Offen gelassen hat es in derselben Entscheidung, ob
entsprechend der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH vom 22.04.1997 - 1 StR
701/96 in: AP Nr. 52 zu § 138 BGB) zu § 302 a StGB a. F., jetzt § 291 StGB n. F., bei 63
v.H. - das BAG spricht von 2/3 – des Tariflohnes von einem auffälligen Missverhältnis
88
auszugehen ist.
Dem Richtwert von 2/3 des üblichen Lohnes sind einzelne Arbeitsgerichte bereits
gefolgt (LAG Berlin vom 20.02.1998 in: LAGE Nr. 1 zu § 302 StGB, ebenso Reinecke
NZA Beilage a.a.O.; Peter in: AuR 1999, 289 (293)). Die erkennende Kammer folgt
dieser Rechtssprechung, weil eine Abweichung um 1/3 regelmäßig bereits so erheblich
ist, dass davon zu sprechen ist, dass sie dem Kundigen ins Auge fällt. Übereinstimmung
besteht jedenfalls darin, dass bei der Hälfte des Tariflohnes oder üblichen Lohnes in der
Regel ein auffälliges Missverhältnis und damit eine Sittenwidrigkeit zu bejahen ist (vgl.
zum vorstehenden und mit weiteren Nachweisen der Instanzrechtsprechung Preis in:
Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht a.a.O. § 612 BGB Rdnr. 3).
89
bbb.)
90
Für die Tätigkeit der Klägerin als Produktionshelferin ist im Bereich der
Fleischwarenindustrie als Vergeichsmassstab ein "üblicher Lohn" in Höhe von
mindestens 7,50 € je Stunde zugrunde zulegen. Die Kammer beruft sich insoweit auf
einen Vortrag "Tarifentwicklung der deutschen Fleischwarenindustrie", den Bernhard
Hemsing am 07.02.2007 im Rahmen einer Veranstaltung der Gewerkschaft NGG in
deren Bildungszentrum in Oberjosbach gehalten hat (Foliensatz im Internet abrufbar).
Darin wird nach der Darstellung der "Strategie der Arbeitgeber", die entsprechenden
Manteltarifverträge zu kündigen, das Lohnniveau dargestellt. Die Durchschnittslöhne in
der Fleischwarenindustrie belaufen sich danach bei Facharbeitern auf 12,41 € und bei
angelernten Tätigkeiten auf 9,24 €, wobei sich die Eintrittslöhne in einem Bereich von
7,14 € bis 8,55 € bewegen. Vor diesem Hintergrund ist die erkennende Kammer der
Auffassung, dass ein Lohn von 7,50 € pro Stunde als Eintrittslohn für un- und angelernte
Tätigkeiten in der Fleischwarenindustrie eher das "untererste Minimum" als eine übliche
Vergütung ist.
91
Die Gewerkschaft NGG propagiert vor dem Hintergrund des Umstandes, dass weite
Bereiche der Fleischwarenindustrie aktuell nicht mehr tarifvertraglichen Vorschriften
unterliegen, einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 €. Vor dem Hintergrund, dass der
Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Gerd Andres, am 03.05.2007 auf einer
Pressekonferenz die Zustände in der Fleischindustrie auch am Beispiel des
Unternehmens T1 angeprangert hat, kommuniziert jenes, dass in ihrem Betrieb 7,50 €
mindestens pro Stunde gezahlt werden, (so wie dies auch der Klägervertreter anlässlich
einer Besichtigung des Betriebes durch den Industrie- und Handelsclub vernommen
hat).
92
Der Hinweis der Beklagten, die der Klägerin gezahlte Vergütung sei in Polen nicht
sittenwidrig, vermag daran nichts zu ändern, denn die Klägerin hat in Deutschland
gearbeitet und gelebt.
93
ccc.)
94
Nachdem Vortrag der Klägerin hat sie im streitbefangenen Zeitraum für die Beklagte
insgesamt 1120 Stunden gearbeitet und hier für insgesamt eine Vergütung in Höhe von
4.384,20 € ausgezahlt erhalten. Dies bedeutet einen Stundenlohn von 3,91 € netto. Die
Kammer muss davon ausgehen, dass die Beklagte mit ihren bisherigen
Vergütungszahlungen die geleisteten Stunden der Klägerin als abgegolten ansieht, weil
die Beklagte der Volksbank unautorisiert zum Zwecke der Kontoschließung mitgeteilt
95
hat, dass die Klägerin nach Polen verreist sei und seitdem auch keine Zahlungen an die
Klägerin mehr geleistet hat.
ddd.)
96
Soweit die Beklagte am Ende des Kammertermins ein Konvolut bestehend aus einer
Tabelle über die ihrer Ansicht nach von der Klägerin geleisteten Arbeitsstunden, den der
Klägerin erteilten Abrechnungen und den von der Klägerin – angeblich –
unterzeichneten Schecks und Quittungen vorgelegt hat, musste die Beklagte mit diesem
Vorbringen als verspätet ausgeschlossen werden, wenn man dies als substantiierten
Vortrag werten wollte.
97
Die Beklagte ist im Gütetermin gem. § 11a ArbGG belehrt worden. Der Beklagten war im
Auflagenbeschluss, der im Gütetermin vom 13.10.2008 verkündet und mit der Beklagten
auch mündlich erörtert worden ist, aufgegeben worden, binnen einer Ausschlussfrist bis
zum 31.10.2008 im Einzelnen und unter Beweisantritt dazu vortragen, ob Grund
und/oder Höhe der klägerischen Forderung bestritten werden. Zum Grund der
klägerischen Forderung gehört die Frage, ob die Klägerin die von ihr behaupteten
Arbeitsstunden tatsächlich in vollem Umfang abgeleistet hat. Zur Höhe der klägerischen
Forderung gehört der Umstand, vorzutragen, welche Vergütungsvereinbarungen die
Parteien ausweislich ihrer vertraglichen Vereinbarungen über den Grundlohn von
600,00 EUR hinaus überhaupt geschlossen haben, welche Abrechnungen die Beklagte
der Klägerin erteilt hat und welche Nettobeträge – ausgehend von welchen
Bruttobeträgen – der Klägerin tatsächlich ausgezahlt worden sind. Nach § 56
Arbeitsgerichtsgesetz hat der Vorsitzende die streitige Verhandlung so vorzubereiten,
dass sie möglichst in einem Termin zu Ende geführt werden kann. Angriffs- und
Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer nach Absatz 1 Satz 1 Ziffer 1 gesetzten
Frist vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des
Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder
wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt. Zum letzteren hat die Beklagte
nichts vorgetragen. Sie hat offensichtlich im Termin erst dann vorgetragen, nachdem die
Kammer erläutert hatte, dass sie international zuständig ist.
98
Die Klägerin hat bestritten, die Lohnabrechnungen und die sich daraus ergebenden
Nettozahlungen (mit Ausnahme der auf die Pfändung nach Polen abgeführten Beträge)
erhalten zu haben. Sie hat darauf beharrt, dass die von ihr selbst geführten
Arbeitszeitaufzeichnungen zutreffend sind, die – jedenfalls was die ersten beiden
Monate angeht – sogar unter denen der Beklagten liegen. Insoweit hätte über die Frage,
wie viel Arbeitsstunden die Klägerin in dem Arbeitsverhältnis der Parteien bis zu dessen
Beendigung für wieviel Geld tatsächlich geleistet hat, ggf. in einem weiteren Termin
Beweis erhoben werden müssen. Dies hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert.
Nach ständiger Rechtssprechung reicht ein bloßer Verweis auf die rechtlichen
Bestimmungen des § 56 Abs. 2 ArbGG nicht aus, um ein Vorbringen als verspätet
zurückzuweisen. Dies folgt aus einer verfassungskonformen Auslegung dieser
Vorschrift. Eine ausreichende Belehrung liegt aber dann vor, wenn eine Partei auf die
Folgen verspäteten Vorbringens, nämlich dass die zu treffende Entscheidung
möglicherweise mit der materiellen Rechtslage nicht im Einklang steht, deutlich
hingewiesen worden ist. Unter Ziffer 6 des Auflagenbeschlusses ist der Beklagten
mitgeteilt worden, dass es sich um eine Ausschlussfrist handelt und sie damit rechnen
muss, mit dem weiteren Vorbringen ausgeschlossen zu werden und deshalb ggfls. im
Prozess zu verlieren, wenn die gesetzten Fristen nicht eingehalten werden. Diesen
99
Hinweis erachtet die Kammer als auch unter Beachtung einer verfassungskonformen
Auslegung des § 56 Abs. 2 Satz 2 ArbGG i.V.m. mit Artikel 103 Abs. 1 GG als
ausreichende und deutliche Warnung der beauflagten Partei.
eee.)
100
Somit ist vom Vortrag der Klägerin auszugehen. Die der Klägerin gezahlten
durchschnittlichen 3,91 € pro Stunde liegen deutlich unterhalb der 70 % Grenze des
Bundesarbeitsgerichts. Hieran ändert nichts, dass es sich bei den Entgelten, die die
Klägerin vorgetragen hat, um Nettoentgelte handelt. Ausweislich der Abrechnungen hat
die im gesamten Zeitraum lediglich 278,63 € an Steuern- und
Sozialversicherungsbeiträgen abgeführt. Addiert man diesen Betrag zum erhaltenden
Nettolohn der Klägerin, ergäbe sich ein durchschnittliches Bruttoentgelt der Klägerin in
Höhe von 4,16 € pro Stunde, so dass das Verdikt der Sittenwidrigkeit auch für eine
derartige Vergütung gilt.
101
Die Beklagte könnte auch nicht damit gehört werden, dass der Klägerin im
streitgegenständlichen Fall der Bruttolohn fast in voller Höhe netto zugeflossen ist. Denn
hierauf kann es nicht ankommen. Die Frage ob und ggfls. in welchem Ausmaß sich eine
vereinbarte Bruttovergütung um Abzüge auf steuer- und sozialversicherungsrechtlicher
und sonstiger Grundlage vermindert und in welcher Höhe die Vergütung dem
Arbeitnehmer netto zufließt, hängt von diversen Faktoren ab, die zum Teil außerhalb
des konkreten Arbeitsverhältnisses liegen wie z.B. Familienstand, Unterhaltspflichten,
Steuerklasse, steuerliche Freibeträge oder das Bestehen eines oder mehrerer
Arbeitsverhältnisse. Daher bietet die tatsächlich zugeflossene Nettovergütung keinen
geeigneten Anknüpfungspunkt für die Bestimmungen des Verhältnisses von Leistung
und Gegenleistung (vgl. dazu nur LAG Bremen vom 28.08.2008 – 3 Sa 69/08 – mit
weiteren Nachweisen in Rdnr. 187 ff).
102
Die der Klägerin gezahlte Vergütung von 3,91 € netto bzw. 4,16 € brutto pro Stunde
steht in einem auffälligen Missverhältnis zur marktüblichen Vergütung von 7,50 € brutto
pro Stunde. Die der Klägerin gezahlte Stundenvergütung betrug somit lediglich 55 %
des marktüblichen Entgelts. Ihre Vergütung lag damit erheblich tiefer als 1/3, nämlich bei
etwas mehr als der Hälfte der üblichen Vergütung.
103
Auch die subjektiven Voraussetzungen für die Annahme eines sittenwidrigen
Rechtsgeschäfts sind hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung gegeben. Dabei ist wie
bereits ausgeführt weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine
Schädigungsabsicht erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn es der Handelnde die
Tatsachen kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt. Es ist davon auszugehen,
dass der Beklagten als einem der größeren Subunternehmen in der Fleischbranche
bekannt war, welche marktüblichen Vergütungen im Fleischhandwerk allgemein und
der bei der Firma T1 beschäftigten Stammbelegschaft gezahlt wird und dass die von ihr
gezahlten Vergütungen dahinter weit zurück bleiben. Im Übrigen ist die Problematik der
Rechtmäßigkeit bestimmter niedrigerer Vergütungen durch die in der Tagespresse
geführte Debatte um Niedrig- bzw. Mindestlöhne im Allgemeinen sowie die Löhne in der
Fleischbranche gerade auch bezogen auf die Subunternehmer der Beklagten seit dem
Vorstoß des Bundesarbeitsministeriums vom 03.05.2007 allgemein bekannt.
104
c.)
105
Die Vergütungsabrede zwischen den Parteien ist deshalb wegen Verstoßes gegen §
138 Abs. 1 BGB nichtig. Dies führt zur Anwendung des § 612 Abs. 2 BGB (vgl. BAG
Urteil vom 26.04.2006 a.a.O. sowie LAG Baden-Württemberg Urteil vom 08.02.2008 – 5
Sa 45/07). Als übliche Vergütung ist der Stundenlohn von 7,50 € brutto zu zahlen. Der
Klägerin bereits zugeflossene Nettovergütungszahlungen waren hiervon abzusetzen.
106
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 2 i.V.m. § 495 und § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO. Nach der letztgenannten Vorschrift trägt derjenige die Kosten des Rechtsstreits,
der unterlegen ist. Dies ist im vorliegenden Fall die Beklagte.
107
Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen.
Die Höhe des Streitwerts ergibt sich im vorliegenden Fall aus der Klageforderung
abzüglich der abgesetzten Beträge.
108
K l e v e m a n
109