Urteil des ArbG Berlin vom 30.09.2008

ArbG Berlin: öffentliche gewalt, nichtigkeit, arbeitsgericht, verwaltung, fraktion, anhörung, quelle, auflage, privatwirtschaft, anstalten

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Gericht:
VG Berlin 72.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
72 A 5.08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 78a BetrVG, § 25 BPersVG, §
45 AbgG, § 46 Abs 3 AbgG
Anfechtung einer Personalratswahl innerhalb einer
Bundestagsfraktion durch ein Fraktionsmitglied
Tenor
Der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Personalratswahl für die Beschäftigten
der SPD-Bundestagsfraktion vom 8. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Antragsteller steht in einem Beschäftigungsverhältnis zur SPD-Bundestagsfraktion.
Er wendet sich gegen die Gültigkeit der am 8. Mai 2008 durchgeführten Wahl eines
Personalrats der Beschäftigten dieser Fraktion.
Mit seinem am 17. März 2008 beim Arbeitsgericht Berlin angebrachten Begehren hat er
sich zunächst – verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung,
der zurückgewiesen wurde – gegen die Bestellung eines Wahlvorstandes zur
Durchführung der genannten Personalratswahl gewandt.
Nachdem das Arbeitsgericht Berlin das Verfahren durch Beschluss vom 22. April 2008
an das Verwaltungsgericht Berlin verwiesen hat, wo es am 23. Mai 2008 eingegangen ist,
und nachdem die Personalratswahl am 8. Mai 2008 durchgeführt worden ist, hat der
Antragsteller sein Begehren auf die Feststellung der Nichtigkeit dieser Personalratswahl
umgestellt.
Der Antragsteller vertritt die Auffassung, dass er auch als Einzelperson die Feststellung
der Nichtigkeit dieser Wahl begehren könne, da diese offensichtlich nichtig sei. Denn auf
eine Fraktion im Deutschen Bundestag sei das Betriebsverfassungsgesetz anzuwenden,
so dass anstelle der Personalratswahl eine Betriebsratswahl hätte durchgeführt werden
müssen. Dies entspreche auch der im Urteil vom 17. Januar 2003 – 96 Ca 30440/02 –
zum Ausdruck gekommenen Auffassung des Arbeitsgerichts Berlin. Aus diesem Urteil
müsse nach Ablauf der Amtszeit des seinerzeit bereits im Amt stehenden Personalrats
nunmehr die Konsequenz gezogen werden.
Im Übrigen habe die SPD-Bundestagsfraktion selbst die Anwendung des
Betriebsverfassungsgesetzes inzident anerkannt, in dem sie im Jahre 2006 ein
Beschlussverfahren gemäß § 78 a Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz beim Arbeitsgericht
Berlin eingeleitet habe; in jenem Verfahren habe das Arbeitsgericht, ohne jedoch -
wegen außergerichtlicher Einigung - eine Entscheidung getroffen zu haben, die
Zuständigkeit sinngemäß bestätigt.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Nichtigkeit der für die Beschäftigten der SPD-Bundestagsfraktion am 8. Mai
2008 durchgeführten Personalratswahl festzustellen.
Die Beteiligten zu 1. und 2. beantragen schriftsätzlich,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Beteiligte zu 1. (der gewählte Personalrat) hält die Wahlanfechtung bereits gemäß §
25 BPersVG für unzulässig.
Auch der Beteiligte zu 2. (Geschäftsführer der SPD-Fraktion) hält den Antrag für
unzulässig. Abgesehen von den nicht erfüllten Voraussetzungen des § 25 BPersVG sei
der Antrag unbegründet, weil eine Fraktion im Deutschen Bundestag kein privat-
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der Antrag unbegründet, weil eine Fraktion im Deutschen Bundestag kein privat-
rechtlicher Betrieb, sondern eine rechtsfähige Vereinigung von Abgeordneten sei.
Rechtsgrundlagen für die Bildung der Fraktionen seien § 45 Abgeordnetengesetz und §
10 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, die in Ausführung von Art. 38
Abs. 1 GG die Voraussetzungen der Fraktionsbildung regelten. Die Fraktionen seien in
ihrer inneren Organisation durchaus mit öffentlichen Verwaltungen vergleichbar. Selbst
wenn sie nicht als Teil der öffentlichen Verwaltung anzusehen seien, würden sie – nach
unterschiedlichen Auffassungen – als Organ bzw. Teil des Parlaments, mit eigenen
Rechten ausgestattete ständige Gliederungen des Parlaments bzw. als notwendige
Einrichtungen des Verfassungslebens bezeichnet, so dass die Regelungen des
Betriebsverfassungsgesetzes jedenfalls ihrem Sinn nach nicht einschlägig seien.
Antragsteller und beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche
Anhörung einverstanden erklärt.
II.
Aufgrund des Einverständnisses aller Beteiligter konnte ohne mündliche Anhörung
entschieden werden (§ 83 Abs. 4 Satz 3 ArbGG).
Der aufgrund zulässiger Antragsänderung gestellte Antrag auf Feststellung der
Nichtigkeit der Personalratswahl hat keinen Erfolg.
Gemessen an der grundsätzlich anzuwendenden Regelung des § 25 BPersVG für eine
Anfechtung der Personalratswahl ist der Antrag unzulässig. Nach dieser Vorschrift kann
eine Wahlanfechtung nur von mindestens drei (potentiell) wahlberechtigten Beschäftigte
betrieben werden. Vorliegend betreibt jedoch der Antragsteller das Verfahren allein.
Offen bleiben mag daher, ob die nach dieser Vorschrift weiter vorgeschriebene
Anfechtungsfrist von 12 Arbeitstagen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses
an gerechnet, hier wegen der ursprünglichen mit gleicher Zielrichtung noch vor
Durchführung der Wahl bestehenden Anhängigkeit des Verfahrens, auch ohne eine
innerhalb der Frist ausdrücklich erklärte Umstellung des Antrages eingehalten wäre.
Der vom Antragsteller verfolgte Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit ist nicht
ausnahmsweise deshalb zulässig und begründet, weil die Wahl in offensichtlicher
Verkennung der Personalratsfähigkeit der „Dienststelle“ erfolgt wäre (vgl. hierzu
BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 1987, Personalvertretung 1988, 401; Ilbertz/Widmaier,
BPersVG, 10. Auflage 2004 Randziffer 3 zu § 25). Denn die Frage, ob für die bei einer
Bundestagsfraktion beschäftigten Hilfskräfte ein Betriebsrat (vgl. § 1
Betriebsverfassungsgesetz) oder zumindest in analoger Anwendung von § 1 BPersVG
ein Personalrat zu wählen ist oder aber wegen der besonderen verfassungsrechtlichen
Rechtsstellung einer Bundestagsfraktion jede Art von Beschäftigtenvertretung mit dem
Demokratieprinzip unvereinbar ist, ist nicht eindeutig in dem einem oder anderen Sinne
zu beantworten.
Dem ersten Anschein nach mag die Regelung des § 46 Abs. 3 Abgeordnetengesetz in
der durch Änderungsgesetz vom 11. März 1994 (BGBl. I S. 526) geltenden Fassung
gegen eine (unmittelbare) Anwendung des Bundespersonalvertretungsgesetzes
sprechen. § 46 Abs. 3 Abgeordnetengesetz bestimmt nämlich ausdrücklich, dass die
Fraktionen (des Bundestages) nicht Teil der öffentlichen Verwaltung sind; sie üben keine
öffentliche Gewalt aus. Nach § 1 Satz 1 BPersVG werden Personalvertretungen „in den
Verwaltungen“ des Bundes und der Bundesunmittelbaren Anstalten und Stiftungen des
öffentlichen Rechts sowie in den Gerichten des Bundes gebildet; zu den Verwaltungen im
Sinne des BPersVG gehören allerdings auch die „Betriebsverwaltungen“ (§ 1 Abs. 1 Satz
2 BPersVG).
Hinzu kommt, das das Betriebsverfassungsgesetz –BetrVG- gemäß § 130 BetrVG keine
Anwendung auf Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und
sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts findet. § 1
BetrVG bestimmt, dass in „Betrieben“ mit in der Regel mindestens fünf ständigen
wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt
werden. In der Zusammenschau der genannten gesetzlichen Regelungen könnte es
mithin naheliegend erscheinen, das Betriebsverfassungsgesetz als „Auffangregelung“
für alle nicht ausdrücklich nach § 130 BetrVG von seinem Geltungsbereich
ausgeschlossenen „Betriebe“ anzuwenden.
Andererseits erscheint es zumindest nicht völlig abwegig, die Fraktionen, selbst wenn
diese als Teile des Verfassungsorgans „Bundestag“ bzw. Zusammenschluss von
Abgeordneten (richtigerweise) nicht als Teil der öffentlichen Verwaltung anzusehen sind
(vgl. § 46 Abs. 3 Abgeordnetengesetz), mit Blick auf deren besondere
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(vgl. § 46 Abs. 3 Abgeordnetengesetz), mit Blick auf deren besondere
verfassungsrechtliche Rolle gleichwohl als „Betrieb“ des Bundes im Sinne des § 1 Satz 2
BPersVG anzusehen, oder diese gesetzliche Regelung im Rahmen einer erweiternden
Auslegung bzw. aufgrund einer – ebenfalls nicht auszuschließenden - Annahme einer
Regelungslücke analog anzuwenden.
Die Anwendung des ersichtlich (nur) für den Bereich der privaten Wirtschaft konzipierten
BetrVG erscheint insbesondere im Hinblick darauf problematisch, wenn nicht gar
ausgeschlossen, dass die Fraktionen des Parlaments nach der (nicht nur „früheren; so
jedoch Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 17. Januar 2003 – 96 Ca 30440/02, zitiert nach
Juris, dort Randziffer36) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. u.a.
Beschlüsse vom 14. Juli 1959 – 2 BvE 2/58 – BVerfGE 10, 4 ff [zitiert nach Juris, Randziffer
45], vom 14. Januar 1986,- 2 BvE 14/83 u.a. – BVerfGE 70, 324 ff [zitiert nach Juris,
Randziffer 109 a ff.] sowie vom 8. Dezember 2004 – 2 BvE 3/02 – [zitiert nach Juris,
Randziffer 52]) die von Abgeordneten in Ausübung des freien Mandats gebildeten, im
Zeichen der Entwicklung zur Parteiendemokratie notwendigen Einrichtungen des
Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung sind. Sie
nehmen im parlamentarischen Raum Koordinierungsaufgaben wahr, bündeln die Vielfalt
der Meinungen zur politischen Stimme, wählen aus und spitzen Themen als politisch
entscheidbar zu. Diese Aufgaben sind angesichts der Vielzahl und Vielschichtigkeit der in
Parlament zu behandelnden Regelungsbedürfnisse für die parlamentarische Arbeit
unabdingbar. Die Fraktionen sind als „Gliederungen des Bundestages der organisierten
Staatlichkeit eingefügt“. Sie sind nicht nur berechtigt, im Organstreit die Verletzung oder
unmittelbare Gefährdung von Rechten des gesamten Parlaments geltend zu machen,
sondern darüber hinaus zur Geltendmachung eigener Rechte befugt, wenn diese in der
Verfassung verankert sind. Mit der Anerkennung der Parteien in Art. 21 GG erkennt der
Verfassungsgeber auch die Fraktionen an. Auch in verschiedenen gesetzlichen
Regelungen kommt den Fraktionen als Teil des Legislativorgans „Bundestag“ eine
verfassungsrechtlich eigenständige Funktion zu. So steht ihnen für die vom Bundestag
zu berufenen Richter des Bundesverfassungsgerichts ein eigenes Vorschlagsrecht zu
(vgl. § 6 Abs. 2 Satz 2 BVerfG.
Angesichts der ersichtlich doppelten Rechtsnatur der Bundestagsfraktionen (vgl. hierzu
Ipsen, NVwZ 2005, 361 ff.) dürfte daher nicht aus einer isolierten Betrachtung von § 46
Abs. 3 Abgeordnetengesetz (wie vom Arbeitsgericht Berlin, a.a.O.) die Rechtsfolge
abzuleiten sein, dass auch auf sie das Betriebsverfassungsgesetz anwendbar ist. Hierbei
würde die verfassungsrechtliche Stellung des Bundestages als Legislativ- und
Kontrollorgan der Exekutive ausgeblendet. Mit Blick auf diese verfassungsrechtlichen
Aufgaben kann daher nicht von vornherein die unmittelbare oder entsprechende
Anwendbarkeit des Bundespersonalvertretungsgesetzes als offensichtlich fehlerhaft
qualifiziert werden.
Hält man daher ungeachtet fehlender Zugehörigkeit der Fraktionen (als „Teil“ der
Legislative) einerseits zur öffentlichen Verwaltung und andererseits zu Betrieben der
Privatwirtschaft die Bildung von Beschäftigtenvertretungen überhaupt für gesetzlich
zulässig, dürfte die Anwendung des BPersVG wohl näher liegen als die des BetrVG. Denn
Anbetracht der verfassungsrechtlichen Ableitung von Aufgabe und Status einer
Institution wie einer Bundestagsfraktion und der Entstehungsgeschichte des BPersVG
(vgl. hierzu Ilbertz/Widmaier, BPersVG 10. Auflage 2004, Einl. C und D) trägt das
BPersVG, das für den Bereich der öffentlichen Verwaltung i.S.v. § 1 Satz 1 BPersVG die
gebotenen verfassungsrechtlichen Grenzen der Beteiligungsrechte einer
Beschäftigtenvertretung innerhalb staatlicher Aufgabenerfüllung bewusst wahren soll,
den auch für die Aufgabenerfüllung von Fraktionen geltenden verfassungsrechtlichen
Verantwortlichkeiten von Fraktionen als Ganzes und ihrer einzelnen Mitglieder
(Abgeordnete) eher Rechnung als ein für die Privatwirtschaft konzipiertes Gesetz wie das
BetrVG.
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