Urteil des ArbG Berlin vom 14.03.2017

ArbG Berlin: örtliche zuständigkeit, arbeitsgericht, gbv, kino, betriebsrat, mitbestimmungsrecht, abrechnung, bezirk, vorfrage, koch

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Gericht:
ArbG Berlin 60.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
60 BVGa 15920/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 82 Abs 1 S 2 ArbGG, § 82 Abs
1 S 1 ArbGG, § 50 Abs 1 S 1
BetrVG
Örtliche Zuständigkeit - Angelegenheit des örtlichen
Betriebsrats oder des Gesamtbetriebsrats -
Unternehmensbezug
Leitsatz
1. Für betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten, in denen es u. a. um die Frage geht, ob
für eine Angelegenheit der örtliche Betriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat originär zuständig
ist, ist das Arbeitsgericht am Sitz des Unternehmens örtlich zuständig, es sei denn, die
Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist offensichtlich ausgeschlossen.
2. Dies gilt auch dann, wenn für eine betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition mehrere
Rechtsgrundlagen in Betracht kommen und sich die Frage nach der originären Zuständigkeit
des Gesamtbetriebsrats nur bei einer nachrangig zu prüfenden Rechtsgrundlage stellt.
Tenor
I. Das Arbeitsgericht Berlin erklärt sich für örtlich unzuständig.
II. Das Verfahren wird an das Arbeitsgericht Lübeck verwiesen.
Gründe
I.
In dem vorliegenden Beschlussverfahren begehrt der Beteiligte zu 1., der Beteiligten zu
2. im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, es zu unterlassen, einen vom
Kalendermonat abweichenden Zeitraum zur Bestimmung der Entgeltabrechnung
zugrunde zu legen, solange der Betriebsrat, hilfsweise der Gesamtbetriebsrat seine
Zustimmung hierzu nicht erteilt hat oder die Zustimmung durch den Spruch der
Einigungsstelle ersetzt worden ist.
Die Beteiligte zu 2., die ihren Sitz in A hat, übernahm zum 1. April 2008 von der B-GmbH
und Co. KG das Kino C sowie ein weiteres Berliner Kino, das D. Außerdem betreibt sie ein
Kino in E. Für die drei Kinobetriebe ist jeweils ein Betriebsrat gebildet. Der Beteiligte zu 1.
ist der für das Kino C gebildete Betriebsrat. Ein Gesamtbetriebsrat besteht.
Zum Zeitpunkt der Übergangs der Berliner Kinobetriebe auf die Beteiligte zu 2. galt für
die Kinobetriebe der B-GmbH und Co. KG die zwischen dieser und dem
Gesamtbetriebrat B-GmbH und Co. KG unter dem 23. Dezember 2003 abgeschlossene
Gesamtbetriebsvereinbarung über die Abrechnung und Auszahlung der Entgelte von
Vollzeit- und Teilzeitmitarbeitern einschließlich geringfügig Beschäftigter (im Folgenden
GBV, Bl. 10 - 13 d. A.). Bei der Beteiligten zu 2. bestand keine entsprechende
Betriebsvereinbarung. Bis einschließlich Juni 2010 rechnete die Beteiligte zu 2. ebenso
wie vor dem Betriebsübergang die B-GmbH und Co. KG die Entgelte bezogen auf den
Kalendermonat ab.
Zum 1. Juli 2010 veränderte die Beteiligte zu 2. ohne Zustimmung des Beteiligten zu 1.
oder des Gesamtbetriebsrats die Abrechnungszeiträume in Anlehnung an die so
genannten Kinowochen dahin, dass die Entgelte für den Zeitraum vom letzten
Donnerstag des Vormonats bis zum letzten Mittwoch des laufenden Monats
abgerechnet werden. Lediglich im Juni und Dezember soll aus bilanztechnischen
Gründen noch eine auf das Ende des Kalendermonats bezogene Abrechnung erfolgen.
Die Entgeltabrechnungen werden zentral in A von einer Servicegesellschaft erstellt.
Der Beteiligte zu 1. meint, durch die Veränderung der Abrechnungszeiträume verstoße
die Beteiligte zu 2. gegen die GBV, jedenfalls aber gegen sein Mitbestimmungsrecht aus
§ 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. Auch dann, wenn für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts
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§ 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG. Auch dann, wenn für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts
der Gesamtbetriebsrat zuständig sei, stehe ihm, solange mit dem Gesamtbetriebsrat
keine Regelung getroffen sei, nach § 80 Abs. 1 BetrVG ein Unterlassungsanspruch zu.
Diesbezüglich verweist er auf die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 16. Juli
2009 - 18 TaBV 446/09 - (juris).
Die Beteiligte zu 2. ist der Auffassung, ein Verstoß gegen die GBV liege schon deshalb
nicht vor, weil diese hinsichtlich der Abrechnungszeiträume keine Regelung enthalte.
Abgesehen davon unterliege die Festlegung der Abrechnungszeiträume nicht der
Mitbestimmung des Beteiligten zu 1. Ein Mitbestimmungsrecht ergebe sich weder aus §
87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, noch aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Jedenfalls aber fiele ein
etwaiges Mitbestimmungsrecht nicht in die Zuständigkeit des Beteiligten zu 1., sondern
in die des Gesamtbetriebsrats. Eine unternehmenseinheitliche Regelung sei technisch
zwingend erforderlich, weil das Abrechnungsprogramm sämtliche Betriebe
buchhalterisch nur als einen „Klienten“ erfassen könne.
II.
Das Arbeitsgericht Berlin ist örtlich unzuständig. Örtlich zuständig ist nach § 82 Abs. 1
Satz 2 ArbGG vielmehr das Arbeitsgericht A. Das Verfahren war deshalb nach § 80 Abs.
2 ArbGG i. V. m. § 48a Abs. 1 ArbGG, § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG nach Anhörung der
Beteiligten von Amts wegen durch die Kammer an das Arbeitsgericht A zu verweisen.
1. Die örtliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ist in § 82 ArbGG
abschließend und zwingend geregelt. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ist das
Arbeitsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Betrieb liegt. In Angelegenheiten des
Gesamtbetriebsrats ist nach § 82 Abs. 1 Satz 2 ArbGG jedoch das Arbeitsgericht örtlich
zuständig, in dessen Bezirk das Unternehmen seinen Sitz hat. Sinn und Zweck letzterer
Regelung ist es, für zentrale Fragen des Unternehmens eine einheitliche örtliche
Zuständigkeit zu schaffen, um zu verhindern, dass in Angelegenheiten des
Gesamtbetriebsrats am Sitz einzelner Betriebe die für diese zuständigen Arbeitsgerichte
angerufen werden und es so zu unterschiedlichen rechtskräftigen Entscheidungen
kommen kann. Damit würde der Zweck des Betriebsverfassungsgesetzes, in den dort
genannten Grenzen unternehmenseinheitliche Regelungen zu ermöglichen, verhindert.
Entscheidend für die örtliche Zuständigkeit ist deshalb allein die Frage, ob es sich um
eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit auf Unternehmensebene oder auf
Betriebsebene handelt. Dies bestimmt sich nach materiellem Betriebsverfassungsrecht
(BAG vom 19.06.1986 - 6 ABR 66/84 -, AP Nr. 1 zu § 82 ArbGG 1979, und vom
27.11.1986 - 6 ABR 20/84 -; juris, jeweils m. w. N.).
Für die Frage, ob es sich um eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit auf
Unternehmensebene oder Betriebsebene handelt, kommt es weder auf den Wortlaut der
Anträge, noch darauf an, wer Antragsteller oder Antragsgegner ist. Ebenfalls unerheblich
ist, ob es sich bei der zu klärenden Rechtsfrage um eine Vorfrage handelt oder nicht. Ist
streitig, ob eine Regelungsfrage in die Zuständigkeit der örtlichen Betriebsräte oder nach
§ 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG in die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fällt,
handelt es sich um eine Angelegenheit auf Unternehmensebene, die nach § 82 Abs. 1
Satz 2 ArbGG durch das örtlich zuständige Arbeitsgericht am Sitz des Unternehmens
unter Beteiligung des Gesamtbetriebsrats sowie der übrigen in ihrer
betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar Betroffenen (§ 83 Abs. 2
ArbGG) zu klären ist (vgl. BAG vom 19.06.1986 - 6 ABR 66/84 -, a. a. O.; ErfK-Koch, § 82
Rn. 2).
2. Gemessen daran, ist das Arbeitsgericht A am Sitz der Beteiligten zu 1. örtlich
zuständig. Es handelt sich um eine Angelegenheit auf Unternehmensebene, weil
zwischen den Beteiligten u. a. die originäre Zuständigkeit des bei der Beteiligten zu 2.
gebildeten Gesamtbetriebsrats im Streit steht und damit die Unternehmensebene
betroffen ist.
a) Zwar stellt sich die Frage nach der originären Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrat
nicht in jedem Fall, sondern hängt davon ab, wie verschiedene weitere aus Sicht der
Kammer vorrangig zu beantwortende Rechtsfragen zu entscheiden sind.
Zunächst geht es um die Frage, ob dem Beteiligten zu 1. nach § 77 Abs. 1 Satz 1
BetrVG oder unmittelbar aus der zwischen dem Gesamtbetriebsrat B-GmbH und Co. KG
und der B-GmbH und Co. KG geschlossenen GBV ein Unterlassungsanspruch zusteht,
und in diesem Zusammenhang darum, ob die Abrechnungszeiträume in der GBV
festgelegt sind und ob die GBV nach dem Übergang des Kinobetriebes auf die Beteiligte
zu 2. kollektivrechtlich als Betriebsvereinbarung weiter gilt, und damit um eine
Angelegenheit auf Betriebsebene. Verneint man einen solchen Unterlassungsanspruch,
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Angelegenheit auf Betriebsebene. Verneint man einen solchen Unterlassungsanspruch,
geht es weiter um die Frage, ob dem Beteiligten zu 1. ein Unterlassungsanspruch nach §
87 Abs. 1 BetrVG zusteht, und in diesem Zusammenhang darum, ob die Festlegung der
Abrechnungszeiträume mitbestimmungspflichtig ist und ob hierfür der Beteiligten zu 1.
oder aber - wie die Beteiligte zu 2. meint - nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der
Gesamtbetriebsrat originär zuständig ist, und damit um eine Angelegenheit auf
Unternehmensebene. Schließlich geht es um die Frage, ob dem Beteiligten zu 1.
gegebenenfalls nach § 80 Abs. 1 BetrVG ein Unterlassungsanspruch zusteht, solange
eine Regelung mit dem Gesamtbetriebsrat nicht getroffen ist, und damit ebenfalls um
eine Angelegenheit auf Unternehmensebene.
b) Wie diese Rechtsfragen im Einzelnen zu entscheiden sind und ob sich darüber hinaus
noch weitere Rechtsfragen stellen, hat das zuständige Gericht zu entscheiden. Deshalb
ist bei Zweifeln an der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts diese Frage
stets vorrangig zu prüfen und zu entscheiden.
c) Die örtliche Zuständigkeit kann auch nicht davon abhängig gemacht werden, welcher
Auffassung in der Sache zu folgen ist. Zum einen kann ein auf eine bestimmte
Rechtsfolge gerichteter einheitlicher Anspruch nicht nach den in Betracht kommenden
Rechtsgrundlagen aufgeteilt werden. Zum anderen würde andernfalls die Gefahr
divergierender Entscheidungen bestehen, was durch die zwingende Regelung der
örtlichen Zuständigkeit in § 82 Abs. 1 Satz 2 ArbGG in Angelegenheiten mit
Unternehmensbezug gerade verhindert werden soll.
d) In Fällen, in denen - wie vorliegend - eine Unternehmensbetroffenheit zumindest nicht
offensichtlich ausgeschlossen werden kann, ist deshalb nach § 82 Abs. 1 Satz 2 ArbGG
das zuständige Gericht am Sitz des Unternehmens und damit hier das Arbeitsgericht A
örtlich zuständig. Dieses hat das Verfahren nach § 80 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 48a Abs. 1
ArbGG, § 17 Abs. 2 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen
Gesichtspunkten zu entscheiden.
3. Danach war das Verfahren an das Arbeitsgericht A zu verweisen. Der
Gesamtbetriebsrat war vor der Entscheidung nicht zwingend zu beteiligen, weil die
Kammer die zu seinen Gunsten bestehende Zuständigkeitsregelung angewandt hat.
Dies gilt erst recht in einem einsteiligen Rechtsschutzverfahren.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 Abs. 2 i. V. m. § 48a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG).
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