Urteil des ArbG Berlin vom 13.03.2017

ArbG Berlin: erlöschen, urlaub, vergütung, pflege, arbeitsunfähigkeit, link, quelle, sammlung, angehöriger, untergang

1
2
3
4
5
6
7
8
Gericht:
ArbG Berlin 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ca 1648/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 9 BUrlG, § 45 Abs 3 S 1 SGB 5,
§ 280 Abs 1 BGB, § 286 Abs 1 S
1 BGB, § 275 Abs 1 BGB
Pflege eines erkrankten Kindes im Urlaubszeitraum - Erlöschen
des Urlaubsanspruchs - kein Schadensersatzanspruch auf
Ersatzurlaub
Leitsatz
Ist es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich, dass eine Arbeitnehmerin während eines bereits
bewilligten Erholungsurlaubes wegen der Pflege eines erkrankten Kindes der Arbeit fernbleibt,
so kommt es gleichwohl zum Erlöschen des Urlaubsanspruches im Umfang seiner
Bewilligung. § 9 BUrlG ist hierauf nicht entsprechend anzuwenden.
Da es nicht Zweck des § 45 SGB V ist, den Arbeitnehmer vor Vergütungseinbußen wegen der
Pflege eines erkrankten Kindes zu schützen, kommt in diesem Falle auch kein
Schadensersatzanspruch auf Nachgewährung von Erholungsurlaub in Betracht. Will der
Arbeitnehmer Nachteile bei der Vergütung vermeiden, so ist er in diesem Falle gehalten, von
der Arbeitsfreistellung nach § 45 SGB V keinen Gebrauch zu machen und das erkrankte Kind
während des Urlaubszeitraumes zu pflegen.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 443,08 EURO festgesetzt.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist seit dem 4.2.1998 bei einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von zuletzt
1.600,00 EUR bei der Beklagten als Verkäuferin beschäftigt. Sie beantragte
Erholungsurlaub für die Zeit vom 16.11.2009 bis zum 21.11.2009, den die Beklagte
bewilligte.
Im Zeitraum vom 16.11.2009 bis zum 21.11.2009 erkrankte das neunjährige Kind der
Klägerin, welches sie betreuen musste. Eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vom
16.11.2009 (Bl. 11 d.A.) legte sie der Beklagten vor.
Die Klägerin beantragte sodann Erholungsurlaub für die Zeit vom 23.12.2009 bis
31.12.2009, den die Beklagte nicht bewilligte. Entgegen dem Wunsch der Klägerin
bestätigte sie dieser auch nicht, dass die sechs Tage Erholungsurlaub wegen der
Erkrankung des Kindes noch nicht verbraucht seien.
Die Klägerin beantragt,
es wird festgestellt, dass die Klägerin Anspruch auf die Gewährung von sechs
Urlaubstagen aus dem Urlaubsjahr 2009 hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Vortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst
Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
9
10
11
12
13
14
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Gewährung
von 6 Urlaubstagen aus dem Urlaubsjahr 2009 zu.
1.
Zunächst gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass sonstige
Urlaubsansprüche der Klägerin aus 2009 nicht gegeben sind. Sie streiten allein um die
Frage, ob es aufgrund der Erkrankung des Kindes der Klägerin im sechstägigen
Urlaubszeitraum vom 16.11.2009 bis 21.11.2009 nicht zum Erlöschen des
Urlaubsanspruches aus 2009 in dieser Höhe kam, so dass nur im Falle der Bejahung
dieser Frage keine Urlaubsansprüche aus 2009 mehr bestehen können.
2.
Aufgrund der Erkrankung des Kindes der Klägerin vom 16.11.2009 bis zum 21.11.2009
und der daraus folgenden Arbeitsbefreiung gem. § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V ist der auf
diesen Zeitraum entfallende Urlaubsanspruch der Klägerin gem. §§ 243 Abs. 2, 275 Abs.
1 BGB erloschen.
Die Beklagte hatte als Schuldnerin des Freistellungsanspruches nach §§ 1, 7 BUrlG auf
Antrag der Klägerin 6 Tage Urlaub für die Zeit vom 16. bis 21.11.2009 zu gewähren und
ist dem unstreitig nachgekommen, indem sie Urlaub für diesen Zeitraum bewilligte.
Infolge der mit dem 16.11.2009 eingetretenen Erkrankung des Kindes der Klägerin
erlosch jedoch unabhängig hiervon gem. § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V die Arbeitspflicht der
Klägerin für den gesamten Urlaubszeitraum. Somit wurde die Herbeiführung des mit der
Bewilligung des Urlaubes bezweckten Leistungserfolges, nämlich die Klägerin für die
Urlaubsdauer von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei zu stellen, aus von keiner
Partei zu vertretenden Umständen unmöglich. Folge ist der ersatzlose Untergang des
Urlaubsanspruches für die Dauer der sich aus § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V ergebenden
Arbeitsfreistellung. Gem. § 9 BUrlG ist dies nur dann nicht der Fall, wenn die
Verpflichtung zur Arbeitsleistung während des Urlaubes wegen krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit erlischt. § 9 BUrlG stellt insoweit eine Ausnahmevorschrift dar, die
selbst dann nicht analog angewendet werden kann, wenn beim Arbeitnehmer
tatsächliche Beeinträchtigungen wie bei einer Krankheit vorliegen (BAG v. 9.8.1994, 9
AZR 384/92, NZA 1995, 174). Der Gesetzgeber hat das BUrlG zuletzt am 7.5.2002
geändert, die Regelung zur Arbeitsfreistellung bei Erkrankung eines pflegebedürftigen
Kindes in § 45 SGB V hat der Gesetzgeber bereits 1989 eingeführt. Hätte der
Gesetzgeber § 9 BUrlG auf diese Fälle ausdehnen wollen, so wäre ihm dies während der
mehrfachen Novellierungen des BUrlG oder des SGB V möglich gewesen. Dass er dies
nicht tat, spricht dafür, dass nach seinem Willen allein Zeiten der krankheitsbedingten
Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auf bereits bewilligten Urlaub nicht anzurechnen
sind. Auch mit Einführung des Pflegezeitgesetzes im Jahre 2008 hat es dies für die der
vorliegenden Fallgestaltung vergleichbare Pflege naher Angehöriger nicht geregelt. Von
einer Regelungslücke im § 9 BUrlG ist deshalb nicht auszugehen.
Die Klägerin hat auch keinen Schadensersatzanspruch auf erneute Gewährung des
untergegangenen Anspruches. Ein solcher kommt nach den §§ 275 Abs. 1, 280 Abs. 1,
286 Abs. 1 S. 1, 287 S. 2, 249 Abs. 1 BGB auch nach Ablauf des Urlaubszeitraumes bei
rechtzeitiger Geltendmachung seitens des Arbeitnehmers in Betracht, wenn der
Arbeitgeber unabhängig vom bereits bewilligten Urlaub aus anderen Gründen rechtlich
verpflichtet war, den Arbeitnehmer bei Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit frei zu
stellen und der Arbeitnehmer durch den ersatzlosen Wegfall des Urlaubsanspruches
dem Zweck der der Freistellungsverpflichtung zugrunde liegenden Norm zuwider
benachteiligt würde (BAG a.a.O.; BAG v. 10.5.2005, 9 AZR 251/04, NZA 2006, 439). Auf
die Freistellung nach § 45 Abs. 3 S. 1 SGB V trifft dies aber nicht zu. Sie erfolgt bei
gleichzeitigem Wegfall der Vergütungspflicht des Arbeitgebers, verfolgt also nicht den
Zweck, den betreuungspflichtigen Elternteil eines erkrankten Kindes vor wegen der
Betreuung eintretenden Vergütungseinbußen zu schützen.
Der Umstand, dass die Klägerin nunmehr den Nachteil erlitt, dass es trotz Wegfalles der
Vergütungspflicht der Beklagten im Zeitraum vom 16.11.2009 bis 21.11.2009 zum
Erlöschen des Urlaubsanspruches kam, zwingt nicht zu einer anderen Entscheidung. Das
Risiko urlaubsstörender Ereignisse hat der Arbeitnehmer zu tragen (BAG v. 9.8.1994
a.a.O.). Die eingetretenen Vergütungseinbußen hätte die Klägerin vorliegend vermieden,
wenn sie für die Dauer des bereits bewilligten Urlaubes keine Arbeitsfreistellung nach §
45 Abs. 3 S. 1 SGB V geltend gemacht hätte. Denn dann hätte der Klägerin für diesen
Zeitraum Urlaubsvergütung nach § 11 BUrlG zugestanden. Der Arbeitnehmer ist nicht
verpflichtet, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 SGB V die dort geregelten
15
16
verpflichtet, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 SGB V die dort geregelten
Ansprüche geltend zu machen.
II.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1
ZPO. Der Wert des Streitgegenstandes entspricht dem Wert der auf 6 Urlaubstage
entfallenden Vergütung.
Die Kammer hat gem. § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG die Berufung zugelassen.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum