Urteil des ArbG Berlin vom 17.04.2007

ArbG Berlin: kündigung, mildernde umstände, ware, betriebsrat, aufmerksamkeit, wagen, anweisung, kontrolle, konzentration, vertragsverletzung

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Gericht:
ArbG Berlin 28.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
28 Ca 6745/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 1 KSchG, § 1 Abs 2 S 1
Alt 2 KSchG, § 7 KSchG, § 276
BGB, § 75 Abs 1 BetrVG
Verhaltensbedingte Kündigung einer Kassiererin - Testkauf
Tenor
I.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die
Kündigung im Schreiben vom 17. April 2007 nicht aufgelöst worden ist.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.563,76 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Kündigung
Testkäufen
I.
1
Juli 1996
1.187,92 Euro brutto
Verkäuferin
Einzelhandels und beschäftigt – auch ohne Berücksichtigung der Auszubildenden – (weit)
mehr als fünf Arbeitnehmer. Die Klägerin ist verheiratete Mutter zweier Kinder. Seit dem
Jahre 2004 wird sie in der Verkaufsstelle der Beklagten an der S Allee eingesetzt
2
.
II.
unerwünschten "Warenschwund" hat die Beklagte für ihr Verkaufspersonal in Form von
Arbeits- und Geschäftsanweisungen – teilweise umfangreiche – betriebliche
verfasst, die von Zeit zu Zeit aktualisiert und/oder ergänzt werden.
1.
3
sowie
eine (24-seitige) " "
4
(Inhaltsverzeichnisse zur besseren
Urteilsanlage
den Akten gereicht hat und auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird. Für den
Streitfall von Interesse – und deshalb herausgegriffen – seien Direktiven, die sich auf
Seite 10 (Nr. 9) der
5
sowie wortgleich auf Seite 21 (Nr. 10) der
finden. Ihr Text
6
:
"
Folgende Punkte sind darüber hinaus streng zu beachten:
Alle Artikel sind einzeln unter Einbeziehung der Multiplikationstaste zum vollen
Verkaufswert zu registrieren.
Es ist darauf zu achten, dass der Kunde die zu bezahlende Ware vollständig auf das
Transportband legt. Sofern dies seitens des Kunden nicht von selber geschieht, ist der
Kunde höflich aufzufordern, alle Waren vollständig auf das Kassierband zu legen. Sollte
der Kunde dieser Aufforderung nicht nachkommen, müssen die im Einkaufswagen
verbleibenden Artikel auf Art und Menge geprüft und vollständig registriert werden.
Großgebinde, die im Einkaufswagen verbleiben bzw. auf der unteren oder hinteren
Ablagefläche abgestellt sind, müssen einer genauen Kontrolle unterzogen werden. Es ist
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Ablagefläche abgestellt sind, müssen einer genauen Kontrolle unterzogen werden. Es ist
zu prüfen, ob noch nicht registrierte Artikel verdeckt werden.
In jedem Fall ist sicherzustellen, dass alle Artikel des Einkaufs vollständig registriert
werden. Die Kassierkraft muß dazu in den Einkaufswagen schauen".
2.
wird und inwiefern aktive des Adressatenkreises in den Inhalt der
jeweiligen Direktiven der Beklagten durchgeführt werden, stellen die Parteien teilweise
unterschiedlich war:
a.
Vordrucken geben lässt, für die sie speziell für die fünf Belege
aus der Zeit vom 11. September 1996 bis 11. Oktober 2001 aktenkundig gemacht hat
7
. Wegen deren Erscheinungsbild und sonstiger Gestaltung wird auf die gleichfalls in der
Urteilsanlage
der jeweils eingeholten Bestätigungserklärungen:
Während der älteste Revers aus dem Jahre 1996 noch lautete,
"
Ich bestätige, dass ich über die Einhaltung der
Arbeitsanweisung 518
in allen Punkten belehrt wurde, diese verstanden habe und von mir strikt eingehalten
wird. Ich bin mit dem Inhalt der Anweisung einverstanden und davon unterrichtet, dass
sie mit meiner Unterschrift Bestandteil meines Arbeitsvertrages wird:
Unterschrift der Filialleitung und der Kassierkraft:
(Datum (11.09.96); Unterschriften)",
hieß es fünf Jahre später in der – soweit ersichtlich – neuesten Version:
"
...
Hiermit bestätige ich, dass ich in nachfolgend aufgeführten Geschäfts- und
Arbeitsanweisungen in Theorie und Praxis eingewiesen wurde und diese auch verstanden
und zur Kenntnis genommen habe.
Ich bestätige hiermit, dass ich in die Kassiertätigkeit eingearbeitet und eingewiesen
bin. Weiterhin wurden mir die theoretischen Inhalte und deren praktische Umsetzung der
Arbeitsanweisung 518 (Anweisung für den Kassendienst in ... Filialen) – sowie der
Arbeitsanweisung OLV – dargestellt und vermittelt.
Darüber hinaus wurde ich eindringlich darauf hingewiesen, dass
nicht gestattet ist. Dies gilt ebenso für nicht mehr verkaufsfähige Ware.
Weiterhin bin ich verpflichtet, folgende Vorschriften einzuhalten:
– Persönliche Einkäufe von Mitarbeitern dürfen nicht von ihm selbst registriert
werden. In Filialen mit nur einer Kasse muss die
Filialleitung/Verkaufsstellenverwaltung bei der Registrierung zusätzlich zugegen
sein.
– Eingenommenes Geld ist Eigentum der Firma; deswegen darf davon nichts, auch
nicht leih- oder vorschussweise, für andere als rein geschäftliche Zwecke
entnommen werden.
– Dem Mitarbeiter ist es keinesfalls erlaubt, eigene Schecks in Bargeld
einzutauschen.
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– Liegengebliebenes Kundengeld ist sofort der
Filialleitung/Verkaufsstellenverwaltung zu übergeben.
Verstößt der Mitarbeiter gegen eine oder mehrere dieser Bestimmungen oder gegen
eine sonstige jeweils gültige, zur Kenntnis gebrachte Geschäfts- oder Arbeitsanweisung,
hat der Mitarbeiter mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen, die bis zur Auflösung des
Dienstverhältnisses reichen können, zu rechnen.
(Datum (11.10.01)/Unterschriften)
Unterweisung am 11.10.01 durchgeführt.
(Unterschrift Vorgesetzte)".
b.
Vordrucke gehen die Darstellungen der Parteien demgegenüber auseinander:
Während die Klägerin angibt, die "Belehrungen" vom 11. September 1996, 6. Dezember
1997, 24. Februar 1999 und – zuletzt – vom 11. Oktober 2001 (allesamt gleichfalls in der
Urteilsanlage
Aufforderung vorgelegt worden sei: "Unterschreib mal!"
8
, zeichnet die Beklagte ein
tendenziell Geschehensbild: Danach seien die Belehrungen – "auch im
Beisein der anderen Mitarbeiterinnen" – in der Weise erfolgt, dass "auf wesentliche
Punkte der Arbeitsanweisung Nr. 518 hingewiesen" worden sei und die Arbeitsanweisung
"jedem Mitarbeiter zum Durcharbeiten und Selbststudium zur Verfügung" stehe
9
.
Hierzu verweist die Beklagte unwidersprochen darauf, dass die Arbeitsanweisung "im
Aufenthaltsraum der Mitarbeiter jederzeit zugänglich"
10
sei.
3.
zur – persönlichen – (: "Durcharbeiten und Selbststudium") vor oder nach
Unterschriftsleistung ausgehändigt erhielten, hat das Gericht nicht festgestellt. Dasselbe
gilt zur Frage, ob sie für ihre eigenen Vertragsunterlagen zumindest eine Kopie der von
ihnen unterzeichneten Bestätigungstexte zu erhalten pflegen
11
.
III.
ihren Worten im Rechtsstreit
12
: zur "Schulung und Kontrolle" – sogenannte "
Testkäufe
1.
"Aufmerksamkeitskäufe" bezeichnet und nach dem Wortlaut einer hierzu unter dem 5.
November 1997 geschaffenen Arbeitsanweisung ("Verhaltensgrundsätze zur
Durchführung von Aufmerksamkeitskäufen"
13
Urteilsanlage
"in Abstimmung mit dem GBR" ergangen. Dieses Reglement ist unter dem 31. Januar
2007 gegen eine "Arbeitsanweisung zur Durchführung von "
14
ersetzt worden, die sich von ihrem Vorläufer streckenweise unterscheidet. So wird
nunmehr z.B. anstelle der bisherigen Umschreibung (negativer)
Testmodalitäten eine (positive) Auswahl an potentiell testtauglichen Artikeln getroffen
und zum anderen das Verfahren der Aufdeckung "nicht bestandener" Testkäufe
gegenüber der betroffenen Kassierperson vorgeschrieben. – Zum
Vergleich:
2.
"2. ... Bei der Durchführung von Aufmerksamkeitskäufen muss vermieden werden:
– kleine bzw. schlecht zu erkennende Artikel (z.B. Kaugummi, Rasierklingen etc.) im
Einkaufswagen liegenzulassen
– Artikel in Umverpackungen zu verstecken
– Preisetiketten (von preisausgezeichneter Ware) umzukleben; trotzdem muß eine
Plausibilitätsprüfung erfolgen (Verhältnis Preis – Ware, z.B. Weinbrand 19,99 DM,
Etikett 9,99 DM). ...
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4. Bei Feststellen von Fehlern der Kassierkraft, z.B. falscher Preis getippt oder Ware
im Wagen übersehen, muß der BVL am selben Tag – spätestens am Folgetag –
ein Gespräch mit der betreffenden Person führen".
3.
"
"Bei jedem Aufmerksamkeitstestkauf wird mit der nachfolgend aufgelisteten
Artikel bzw. mit einem Artikel in zumindest vergleichbarer Größe die Aufmerksamkeit der
Kassierkraft überprüft. Als Testgegenstände generell geeignet sind:
– Ein Pfund Kaffee
– eine Spirituose
– eine Flasche Wein/Sekt
– ein Paket Waschmittel
– eine Packung Hund-/Katzenfutter
– ein geeigneter Non-Food-Artikel.
Es dürfen keine weiteren Artikel in der Umverpackung versteckt oder Artikel
ineinander gesteckt werden. Ebenso ist nur verpackte Ware zu verwenden. ...
Bei nicht bestandenem Testkauf ist der Mitarbeiter durch den Testkäufer unmittelbar
nach Beendigung des Kassiervorganges (Herausgabe von Wechselgeld und
Kundenbeleg) auf den nicht bestandenen Testkauf anzusprechen und der nicht erfasste
Artikel zu präsentieren. Der BVL ist unverzüglich hinzuzuziehen. Die weitere Auswertung
erfolgt im Büro. ...".
IV.
Überprüfung auswählt, und ob dabei namentlich sicher gestellt ist, dass alle in Betracht
kommenden Mitarbeiter einbezogen werden, ist nicht im Einzelnen
unterbreitet. Feststellbar ist nur, dass die zu den Testkäufen herangezogenen
(betrieblichen
15
) Mitarbeiter zur Dokumentation ihrer Beobachtungen mit einem
Vordruck ausgerüstet werden, der sie – jedenfalls nach seiner drucktechnischen
Urteilsanlage
"Wert des Testkaufs" einen "Wert der nicht registrierten Artikel" zu notieren und ihre
Aufmerksamkeit einer Reihe weiterer Begleitumstände zu widmen
16
. Unstreitig ist
ebenfalls, dass sich zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt
17
der
"aus aktuellem Anlass" an die Mitarbeiter wandte, um diese "auf die unbedingte
Einhaltung bestehender gesetzlicher Bestimmungen und betrieblicher
" aufmerksam zu machen.
V.
führte. Die Beklagte unterzog die Klägerin einer Reihe von "Testkäufen", wobei die
Parteien unterschiedliche Angaben zur Frage machen, ob die nachfolgend erörterten
Vorgänge die Anzahl dieser Testkäufe bei der Klägerin widerspiegelt
18
. Fest steht,
immerhin, folgendes:
1.
Kasse:
a.
19
der beiden Vorgänge ließe eine Testkäuferin gegen 14.13 Uhr
20
insgesamt 16 Artikel abkassieren
21
. Der Klägerin entging bei diesem Vorgang eine am
Wagen angehängte
22
"Tasche" zum Verkaufspreis von 4,99 Euro. Während die Beklagte
dies in einer – von der Klägerin mit unterzeichneten – Gesprächsnotiz desselben Tages
23
damit in Verbindung brachte, dass die Klägerin "keinen Spiegelblick" getätigt habe,
erklärt die Klägerin ihren "Fauxpas" (Ausdruck des Gerichts) im Rechtsstreit damit, sie
habe wegen der Unterbringung des Artikels außerhalb des Einkaufswagens davon
"ausgehen" können, dass die fragliche Tasche "dem Kunden" gehöre
24
.
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b.
25
), bei dem 18 Artikel ihren Weg in den
Kassenbon fanden, registrierte die Klägerin ein "T-Shirt" (Verkaufspreis: 4,99 Euro) nicht.
Auch hierzu hielt die Beklagte in einer (weiteren) Gesprächsnotiz vom 27. April 2006
26
als Ursache fest, dass es am "Spiegelblick" der Klägerin gefehlt habe. Demgegenüber
macht die Klägerin im Rechtsstreit geltend, der Artikel habe sich "eingeklemmt in der
Ablage außerhalb des Einkaufswagens" befunden
27
. – Des Weiteren hielt die Beklagte
der Klägerin zu diesem Vorgang im Anschluss vor
28
, sie habe statt "4 x Apfelsaft a 0,69
und 4 x Orangensaft a 0,79, 8 x Apfelsaft abgezogen" und "eine Kondensmilch mit
falschem Preis abgerechnet"
29
(nämlich mit 0,39 Euro statt richtigerweise 0,35 Euro).
c.
30
der Klägerin.
2.
31
erneut
überprüfen. Dabei erkannte (und registrierte) die Klägerin einen etwa 40 x 30 x 40 cm
großen "Deko-Korb" zum Preise von 14,99 Euro nicht als . Dieser hing
nach Beklagtendarstellung "am Einkaufswagen"
32
. Demgegenüber macht die Klägerin
dazu im Rechtsstreit geltend, der Korb habe "in der abgeklappten Halterung für
Getränkekisten am Wagen" gestanden, so dass sie "auch hier" davon habe "ausgehen"
können, "dass es sich um das Eigentum des Kunden" gehandelt habe
33
. – Den
Vorgang belegte die Beklagte mit schriftlicher vom 1. August 2006
34
.
3.
bei einem gegen 15.31 Uhr
35
durchgeführten Testkauf wie früher der "Tasche" und dem
"T-Shirt": Die Klägerin registrierte den Artikel nicht, nach ihren Worten deshalb, weil
dieser "außerhalb am Wagen"
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hing. Die Beklagte, die hierzu wiederum einen
"unterlassenen Spiegelblick" notierte
37
, erteilte daraufhin mit Schreiben vom 11.
Oktober 2006
38
eine neuerliche .
4.
39
zu einem Testkauf bei der
Klägerin, bei dem sowohl ein "Herrenschal" (6,99 Euro) als auch ein "Jeans-Rock" (4,99
Euro) unregistriert blieben. Unstreitig ist, dass der Schal "außerhalb des Wagens"
40
hing, der Jeans-Rock jedoch "im Korb"
41
lag. Während für diesen Vorgang – anders als
für die übrigen – Gesprächsnotiz über die "Auswertung" mit der Klägerin
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zur
Gerichtsakte gelangt ist, macht die Klägerin hierzu geltend
43
, der Jeans-Rock habe
"kein Etikett" gehabt; sie sei davon ausgegangen, "dass es sich dabei um eine
Einkaufstasche aus Jeans-Stoff" gehandelt habe, "der der Kundin" gehöre. – Fest steht,
dass die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 29. November 2006
44
neuerlich eine
erteilte.
5.
45
durchgeführte Kontrolle bei der Klägerin, diese habe (neben 10 bis
46
12 registrierten
Artikeln plus Tragetasche) "eine Flasche 0,7 Liter Nordhäuser Doppelkorn zu 5, 19 ... im
Korb stehen gelassen!"
47
. In einer hierzu gegen 18.40 Uhr geführten Unterredung
erfuhr die Klägerin (deren Stellungnahme zum Geschehen in der hierzu aufgesetzten
"Gesprächsnotiz" ebenso wenig festgehalten ist wie in den früheren Gesprächsnotizen),
dass nunmehr die ihres Arbeitsverhältnisses eingeleitet werde
48
.
VI.
1.
49
unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über
ihre Absicht, das Arbeitsverhältnis der Klägerin (fristgerecht) zu . Zur
Begründung berief sie sich – unter anderem
50
– auf die Ergebnisse der vorerwähnten
Testkäufe.
2.
51
der Betriebsrat der
beabsichtigten Kündigung. Zur Begründung schrieb das Gremium:
"Unzweifelhaft muss dem bei ... eingesetzten Außendienst (BVL) und der Revision
(TASCO) zugestanden werden, die Einhaltung von Arbeitsanweisungen kontrollieren zu
können. Allerdings müssen die Anweisungen auch einhaltbar sein. Hier sind
insbesondere die im Lebensmitteldiscount
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anzutreffenden Arbeitsabläufe und die
dünne Personaldecke nicht gerade förderlich.
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Eine Verkäuferin, die an der Kasse arbeitet, hat das nach der Arbeitsanweisung für
Kassierkräfte zu tun. Diese ist 24 Seiten stark und ist in 12 Unterpunkten gegliedert. Der
Punkt 10 behandelt die besonders streng zu beachtenden Kriterien, deren
Nichteinhaltung jetzt zur Kündigung ... (der Klägerin) führen sollen. Der Betriebsrat merkt
an, dass neben der Vielschichtigkeit der Aufgaben an der Kasse auch andere ungünstige
Beeinflussungsfaktoren relevant werden.
So arbeitet ... (die Klägerin) in einer ...-Filiale mit einer sehr hohen Kundenfrequenz
(Einkaufscenter) mit unterschiedlichstem Kundenklientel. Neben dem normalen Erfassen
und Registrieren der Ware muss ... (sie) auch das Leergut der Kunden annehmen und
verrechnen, welches sich aufgliedert in Mehrwegleergut und Einwegleergut, was
nochmals richtig zu sortieren ist in Eigenmarke und Fremdmarke. Zudem müssen alle
Verkäufer an der Kasse auf die Einhaltung der Bestimmungen des
Jungendschutzgesetzes
53
(§ 9/1, § 10/1) hinsichtlich des Verkaufsverbotes von Tabak
und Alkohol an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahre achten.
Da bei ... der Verkäufer an der Kasse sehr oft der erste Ansprechpartner für den
Kunden darstellt, ist er obendrein auch angehalten, diesem freundlich, höflich und
zuvorkommend zu begegnen und Fragen zu beantworten bzw. Kritikpunkte und Hinweise
aufzunehmen. In verkaufsschwachen Zeiten ist der Verkäufer an der Kasse zusätzlich
verpflichtet, eingetroffene Handelsware im näheren Kassenbereich zu verräumen.
Der Betriebsrat stellt fest, dass Testkäufe wichtig sind und damit auch erforderlich.
Diese Feststellung bezieht sich hierbei aber auf den Schulungs- und Trainingscharakter
dieser Kontrollmaßnahmen, um die Mitarbeiter/Innen entsprechend zu sensibilisieren. In
diesem Zusammenhang vermisst der Betriebsrat die Anzahl der Testkäufe, die ... (die
Klägerin) beanstandungsfrei absolviert hat bzw. die schriftlich dokumentierten
Schulungsunterweisungen, die mit ... (ihr) durchgeführt wurden.
Nach den o.g. Ausführungen erwartet der Betriebsrat die Rücknahme der
beabsichtigten Kündigung und die Weiterbeschäftigung von ... (der Klägerin)".
VII.
54
, das der
Klägerin am selben Tage zuging, erklärte sie die des Arbeitsverhältnisses
zum 30. September 2007. Hiergegen richtet sich die am 19. April 2007 bei Gericht
Kündigungsschutzklage
, mit der die Klägerin zunächst nur allgemein die der Kündigung rügte.
VIII.
Die Beklagte beantragt,
IX.
55
und
der Ergebnisse der vorerwähnten Testkäufe zur Kündigung für berechtigt, weil "bei der
Klägerin nicht unerhebliche Verstöße gegen die Kassieranweisung festgestellt" und somit
zu konstatieren sei, "dass Arbeitsanweisungen und Belehrungen" von ihr "nicht befolgt"
worden seien
56
: Trotz aller Versuche, "die Klägerin zu einem aufmerksamen
Kassierprozess anzuhalten" und ungeachtet der mit der Androhung arbeitsrechtlicher
Konsequenzen verbundenen Abmahnungen, habe die Klägerin "immer wieder
gleichrangige Pflichtverletzungen – das nicht ordnungsgemäße Registrieren von Waren –
begangen"
57
. Wenn sie nach den eindringlichen Abmahnungen wiederholt gegen die
Kassenanweisung verstoße und dabei Waren von erheblichem Wert übersehe, habe die
Beklagte davon ausgehen dürfen, "dass die Klägerin auf Dauer nicht Willens" sei, die ihr
erteilten Kassenanweisungen umzusetzen und "damit den Warenschwund zu verhindern"
58
.
X.
"etwas nachzuweisen" gewesen sei
59
. Zur "objektiven Einschätzung" ihrer
Aufmerksamkeit gehöre jedoch, wie die Klägerin meint, "die Darlegung des gesamten
Umfangs der Kontrollen und deren Ergebnisse"
60
. Im Übrigen sei dem Eindruck zu
widersprechen, sie sei bei den Kontrollen "auffällig geworden"
61
. Allerdings könne
sie wegen des durchgängig starken Kundenaufkommens keine näheren Angaben zu den
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sie wegen des durchgängig starken Kundenaufkommens keine näheren Angaben zu den
Kontrollen der Kolleginnen machen
62
. Jedenfalls sei sie nicht die einzige, "bei der die
genannten Ergebnisse in den Testkäufen erzielt" würden
63
.
Darüber hinaus habe die Beklagte bei den durchgeführten Testkäufen "in hohem Maße
gegen die eigenen Arbeitsanweisungen verstoßen": Sie habe nämlich "überwiegend
Gegenstände versteckt oder "
64
.
Was speziell den 30. März 2007 angehe, so habe sie sich an diesem Tage krank gefühlt.
Sie habe "Pause" gedrückt und die Kundin gebeten, zu ihrer Kollegin (Frau ) zu gehen,
die dann die Kundin sogar gerufen habe. Die Kundin habe jedoch gleichwohl
darauf beharrt, von (der Klägerin) abgefertigt zu werden
65
.
XI.
Auswertung mit dem betreffenden Mitarbeiter – nicht weiter dokumentiert
66
. Wenn sich
die Klägerin an ein derartiges Erlebnis nicht erinnere, werde es einen solchen Testkauf
wohl "auch nicht gegeben haben"
67
.
Es sei auch nicht richtig, dass Artikel oder ihre Preisschilder "versteckt" worden seien:
Das T-Shirt vom 27. April 2006 sei "gut sichtbar" und auch das Etikett "aus dem Sichtfeld
der Kassiererin zu sehen"
68
gewesen. Nichts anderes gelte für die Tasche desselben
Tages: Diese habe zwar am Schiebegriff gehangen, jedoch "völlig offen und mit dem gut
sichtbaren Etikett", das auch "aus dem Blickfeld der Kassiererin "gut einsehbar"
69
gewesen sei. Ebenso seien das Etikett am Deko-Korb vom 19. Juli 2006 "in Richtung der
Kassiererin gut sichtbar"
70
gewesen wie auch der Jeansrock vom 22. September 2006
("offen im Einkaufswagen und zwar gut sichtbar aus Richtung der Kassiererin"
71
).
Zum Vorgang am 30. März 2007 sei richtig, dass die Klägerin in dem Moment, als sich
die Testkäuferin an der Kasse befand, "eine Pause" habe machen wollen
72
. Dazu habe
sie in der "Auswertung" des Testkaufs angegeben, "dass sie zur Toilette wollte und
deshalb 'Pause' gedrückt" gehabt habe
73
. "Hinweise" darauf, dass sie sich "krank
gefühlt" habe, habe es nicht gegeben
74
.
XII.
gewechselten Schriftsätze und auf deren Anlagen sowie auf den Inhalt der
Sitzungsniederschriften verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass das Gericht die Beklagte aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 15. Juni 2007 unter anderem um Mitteilung gebeten hat, welche
Mitarbeiter/innen in der Einsatzfiliale der Klägerin seit dem 27. April 2006 als Kassierer/in
eingesetzt gewesen seien und welche Ergebnisse etwaige Testkäufe bei erbracht
hätten. Daraufhin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 16. Juli 2007 (Bl. 88 ff. GA) eine
nach ihren Worten "aus den handschriftlichen Aufzeichnungen der Terminbücher und
Planungshilfen" ihres Kontrollpersonals rekonstruierte Aufstellung zu den Gerichtsakten
Anlage
die Klägerin zuletzt – u.a. – als unvollständig beanstanden lassen
75
.
Entscheidungsgründe
Der Klage entsprochen werden.
Die Kündigung im Schreiben vom 17. April 2007 das Arbeitsverhältnis der Parteien
nicht beenden. Sie ist aufgrund des § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. – Im Einzelnen:
A.
des Kündigungsschreibens (: 17. April 2007) bei Gericht einreichen lassen (: 19. April
2007). Zugestellt wurde die Klage am 27. April 2007. Damit hat die Klägerin selbst
anderenfalls entsprechende
76
Anwendung der Wertungen aus § 167 ZPO die ihr in § 4
Satz 1 KSchG zur Klageerhebung gesetzte dreiwöchige Frist gewahrt. Die Kündigung
"gilt" folglich nicht schon kraft Gesetzes nach § 7 (1. Halbsatz) KSchG als "von Anfang an
rechtswirksam". Sie bedarf zu ihrer Wirksamkeit vielmehr eines besonderen, sie nämlich
"sozial rechtfertigenden" (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) . Außerdem darf die
Kündigung – was hier nur zu erwähnen ist – nicht gegen sonstige
Rechtsvorschriften verstoßen.
B.
darlegungs- und beweisbelastete (s. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG) Beklagte jedoch nicht.
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darlegungs- und beweisbelastete (s. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG) Beklagte jedoch nicht.
Jedenfalls lässt ihr diesbezüglicher Sachvortrag die hierfür erforderlichen Feststellungen
nicht zu.
I.
nicht durch Gründe, die in der Person oder – was hier allein zur Debatte steht – in dem
des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse,
die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen,
bedingt ist. – Hiernach gilt folgendes:
1.
Gerichte für Arbeitssachen im Grobschema in vier Stufen. Sie erfordert danach
zunächst, dass der Betroffene – und zwar regelmäßig (s. § 276 BGB) – seine
rechtlichen aus dem Arbeitsvertrag "verletzt" hat (kurz:
"Vertragsverletzung"). Ist das zu bejahen, so bedarf im Allgemeinen
77
weiter der
Prüfung, ob für das fragliche Verhalten "Wiederholungsgefahr" zu besorgen ist (:
sogenannte "Negativprognose"). Lässt auch sich feststellen, so folgt als dritte Stufe
rechtlicher Kontrolle des so strukturierten "Kündigungsgrundes" nach dem
die Prüfung, ob die beeinträchtigten Belange des Arbeitgebers statt
durch Beendigung mutmaßlich auch unter des Arbeitsverhältnisses
gleichwertig geschützt werden könnten (Grundsatz der Kündigung als "ultima ratio").
2.
Beendigungsinteresse des Arbeitgebers Befunden absolviert, dann – und nur
dann! – schließt sich als letzter Kontrollschritt in Gestalt richterlicher
"Interessenabwägung" die (gegenläufig orientierte) Schlussprüfung an, ob die
betreffende Kündigung trotz zuvor gerade festgestellten "Kündigungsgrundes" mit
Rücksicht auf etwaige "mildernde" Umstände des Einzelfalles gleichwohl im Ergebnis
rechtlich erscheint. Ist das der Fall, so ergeht ausnahmsweise – sachlich
schief, aber griffig – "Gnade vor Recht".
II.
stehende Klägerin jedoch nicht . Denn die Beklagte hat – wie bereits
vorausgeschickt – schon keinen "Kündigungsgrund". Es lässt sich für den Vorfall vom 30.
März 2007 um den im Einkaufswagen der Testkäuferin übersehenen "Nordhäuser
Doppelkorn" nämlich bereits keine der Klägerin – und damit die
unterste Stufe des "Kündigungsgrundes" – objektivieren:
1.
a.
"Schlechtleistung" der Arbeitgeber bei standardisierten Arbeitsanforderungen wie
sich geradezu prototypisch im modernen Kassierbetrieb des Einzelhandels finden, nicht
rundum "fehlerfreie" Arbeit verlangen, um jeden Fauxpas einer Kassierperson nach
Maßgabe allenfalls gewählter Toleranzgrenzen als "Vertragsverletzung" mit
Kündigung zu belegen. Deshalb es die Perspektive auch grundlegend, das
hiesige Versehen der Klägerin auf individuelles "Versagen" zu reduzieren oder ihr gar –
wie die Beklagte resümiert (s. oben, S. 11 (IX.)) – fehlenden "Willen" zur Umsetzung
betrieblicher Direktiven anzulasten. Die Probleme liegen – was schon im Votum des
Betriebsrates (s. oben, S. 9-10 (VI.2.)) deutlich gesehen wird – keineswegs nur im
"Wollen" des Personals, sondern weitaus tiefer. Sie sind mit lediglich personalisierenden
"Schuldzuweisungen" weder realitätsgerecht erfasst, noch
zu bewältigen.
b.
Pflichtenkreis der Klägerin gehörte, beim Einsatz an der Kasse – jedenfalls
(s. dazu näher sogleich, S. 16-17 (B.II.1 ab (1.))) – darauf zu achten, dass Verkaufswaren
den Kassenbereich nicht als "blinde Passagiere" unbezahlt verlassen. Das macht ihr die
Klägerin im Grundsatz ebenso wenig streitig wie die nicht zu leugnende Tatsache, dass
sie diesem Leitbild beim "Nordhäuser Doppelkorn" am 30. März 2007 nicht gerecht
worden ist. So richtig jedoch dieser gedankliche Ausgangspunkt ist, so wenig trägt er die
umstandslose Schlussfolgerung, nun habe die Klägerin also – unter Berücksichtigung der
vorherigen Testkäufe sogar serienhaft – ihren Arbeitsvertrag "verletzt". – Der Reihe nach:
ba.
den Kassenbereich durchlaufenden Verkaufsartikel möglichst zu registrieren,
ergibt sich hier weder (erst) aus den umfänglichen Regelwerken der "Arbeitsanweisung
Nr. 518" oder der "Geschäftsanweisung" (s. oben, S. 2-3 (II.1.)), noch (erst) aus den drei
Abmahnungen, die allesamt nochmals "vollständige" Registrierung von der Klägerin
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Abmahnungen, die allesamt nochmals "vollständige" Registrierung von der Klägerin
einfordern. Insofern kann dahinstehen, dass die Punkte 9 (bzw. 10
78
) der besagten
Regelwerke diesbezüglich essentielle Vorgaben eher beiläufig unter "Sonstiges"
verlautbaren, die im übrigen voluminösen Kontext der "Kompendien" nahezu
. Desgleichen kann für den Streitfall auf sich beruhen, was von der Praxis der Beklagten
zu halten wäre, wenn sie nur darin bestände, ihre ausgefeilten Pflichtenkataloge
nur gleichsam per "Zuruf" (s. oben, S. 4 (II.2 b.)) bekannt zu machen, um im Übrigen auf
späteres "Selbststudium" der Adressaten im zu hoffen. Dass
Verkaufsartikel zu registrieren und zu bezahlen seien, ist nämlich sosehr der
Rolle des Kassierers, dass es jedenfalls insoweit eines besonderen Klarstellungsakts aus
Sicht des befassten Gerichts nicht bedarf.
bb.
Fehler sei nun kurzerhand als vertragswidrige "Schlechtleistung" der Kassierperson
einzuordnen, mit deren (ggf. wiederholtem) Auftreten diese sich – allenfalls geschützt
durch "mildernde Umstände" bei der Interessenabwägung (s. oben, S. 14 (B.I.2.)) – dem
Grunde nach mache. Diese Annahme vernachlässigt die Komplexität des
Problems und überschätzt die Reichweite des hierfür ins Feld geführten
des Arbeitgebers (s. § 106 Satz 1 GewO
79
):
(1.)
Frage vertragswidriger "Schlechtleistung" hat sich der des
Bundesarbeitsgerichts (BAG) bekanntlich in einem Urteil vom 11. Dezember 2003
80
rechtsgrundsätzlich beschäftigt.
(a.)
"Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den
vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie
meistens, der Menge und Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet
sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch
Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach
dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der
Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist
nicht starr, sondern orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein
objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen (...). ... Der gegenteiligen Auffassung (...), der
Arbeitnehmer schulde in Anlehnung an § 243 BGB a.F. eine 'objektive Normalleistung',
folgt der Senat nicht. Sie berücksichtigt nicht ausreichend, dass der Arbeitsvertrag als
Dienstvertrag keine 'Erfolgshaftung' des Arbeitnehmers kennt. Der Dienstverpflichtete
schuldet das 'Wirken', nicht das 'Werk'".
(b.)
Konsequenzen:
Danach kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht kraft Direktionsrechts auferlegen,
Arbeitsergebnisse nach Menge und Güte ohne Rücksicht auf sein individuelles
zu erbringen (s. insofern auch bereits § 241 Abs. 2 BGB
81
).
Vielmehr endet seine "Gehorsamspflicht" in seinen persönlichen (s. auch §
613 Satz 1 BGB
82
). Der Arbeitnehmer schuldet zwar deren Ausschöpfung – eben "nach
Kräften"
83
– aber nicht als das. Er hat nicht für "fehlerfreie" Arbeit einzustehen,
sondern nur für entsprechende Bemühungen, deren Erfolg in einer fremdbestimmten
Arbeitsorganisation nun allerdings alles andere als allein in Macht steht:
(2.)
so wird dieses in signifikanter Weise gerade durch die Bedingungen beigesteuert, die
typischerweise an modernen herrschen. – Auch dies hat für die
Verhältnisse des Streitfalls bereits der ersichtlich sachkundige (s. nochmals
oben, S. 9-10 (VI.2.)) zu bedenken gegeben:
(a.)
Erkenntnissen mit einer Fülle – struktureller! – Belastungsfaktoren verbunden, die einer
nur Zurechnung
84
unerwünschter Fehlleistungen ihre
Legitimitätsgrundlage entziehen. Diese Faktoren entfalten sich als ebenso
überindividuelles, wie potentiell hochgradig Fehler treibendes Phänomen der
Arbeitswirklichkeit
85
. Sie sind an der "Produktion" von Fehlern institutionell in einer
Weise mitbeteiligt, an der die Rechtsanwendung beim heutigen Wissensstand nicht
länger
86
vorbeigehen kann. Ihretwegen ist es schon im Ansatz verfehlt, mit der
Beklagten allein vom der beanstandeten "Testkäufe" bei der Klägerin her,
110
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119
Beklagten allein vom der beanstandeten "Testkäufe" bei der Klägerin her,
dieser nur stereotyp unsorgfältiges, unkonzentriertes oder unaufmerksames Arbeiten
anzulasten.
(b.)
"Individualversagens" realiter zu sein pflegen, ist speziell für die Kassentätigkeit im
Einzelhandel sozialwissenschaftlich inzwischen gründlich erforscht:
(ba.)
aus dem Jahre 2004
87
. Er hält für die
Arbeitsbedingungen des Kassenpersonals – in der für den arbeitsrechtlichen Horizont
vielleicht noch etwas gewöhnungsbedürftigen Zitierweise des außerjuristischen
Wissenschaftsbetriebs – folgendes fest:
"
Untersuchungen zu den Arbeitsbedingungen im Handel, speziell im
Lebensmitteleinzelhandel, liegen überwiegend nur für Teilbereiche vor. Als relativ gut
untersucht können die Belastungen und Beanspruchungen an Kassenarbeitsplätzen
bezeichnet werden (siehe z.B. et al, 1999; , 1990
88
;
, 1997
89
; , 1992
90
).
Nach und (1994, zitiert nach , 2000
91
) lassen sich folgende
charakteristische Belastungen bei der Kassenarbeit identifizieren: hohe Anforderungen
an Aufmerksamkeit, Verantwortung und Konzentration, belastende
Umgebungseinflüsse, Orts- und Zeitgebundenheit der Kassiertätigkeit, eintönige
Arbeitsinhalte, hohes Arbeitstempo und hohe Arbeitsintensität, einförmige
Arbeitshaltungen und Bewegungen. ...".
(bb.)
Mit "hohen Anforderungen an Aufmerksamkeit, Verantwortung und Konzentration", mit
"belastenden Umgebungseinflüssen", mit "Orts- und Zeitgebundenheit" der
Kassiertätigkeit, außerdem "eintönigen" Arbeitsinhalten, "hohem" Arbeitstempo und
"hoher" Arbeitsintensität sowie "einförmigen" Arbeitshaltungen und Bewegungen geben
sich an Kassenarbeitsplätzen nicht nur die "üblichen Verdächtigen" für eine nachweislich
sogar Auszehrung physischer und psychischer Ressourcen
arbeitstätiger Menschen ein munteres Stelldichein. Vielmehr ist fast
92
alles vertreten,
was im Lichte arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse als den
Gegebenheiten geschuldete Erschöpfungs- und folglich auch Fehlerquelle "Rang und
Namen" hat.
Es ist die "Tücke" all dieser Belastungsfaktoren, dass sie mit dem von den handelnden
Individuen oft selber nicht bemerkten Verzehr ihrer psychosozialen zur
"Konzentration" die eigenen Fähigkeiten untergraben, den an sich gutwilligst
akzeptierten Anforderungen die erhofften Ergebnisse zu lassen. Damit begegnen
dem Betrachter hier Verhältnisse, die – selbst größten – individuellen Anstrengungen,
"Fehler" auf Dauer zu vermeiden, ebenso subtil wie ernüchternd ein Schnippchen
schlagen
93
.
Freilich: Das gilt bei weitem nicht nur gerade für . Deshalb ist auch
kein Zufall, dass auch für andere Teilbereiche unseres Arbeitslebens wachsendes
Verständnis in hintergründig waltende Wechselwirkungen zwischen betrieblichen
Belastungsfaktoren und individuellen "Fehlerquoten" zu einer Neubesinnung im
mit "Fehlern" geführt haben. Markante Beispiele dieser Neubesinnung finden sich neben
der allgemeinen Tendenz zur Abkehr von personifizierenden "Schuldfragen"
94
in einem
wohlbegründeten Diktum aus Expertensicht (hier: zum Krankenhauswesen): Danach
sollte das Auftreten von "Fehlern" bei den betrieblichen Sachwaltern nicht länger
reflexhaft die Frage auslösen, " war schuld?", sondern lieber die – für nachhaltige
Gefahrenvorsorge erfahrungsgemäß weitaus ergiebigere – Frage: " war schuld?"
95
.
c.
Fehlleistungen von Menschen im betrieblichen Arbeitsalltag normativ sind,
um bei der Unterscheidung von individuellen zu institutionellen Verursachungsanteilen
die Spreu vom Weizen zu trennen, stellen sich damit zweifellos schwierigste
Abgrenzungsfragen
96
. Dabei geht es vor allem um Art
97
und Ausmaß vordergründig
individueller "Fehler", die entweder als Vertragsverstoß rechtlich diskreditiert sein sollen
oder aber – wegen der besagten Wechselwirkungen – vertragsrechtlich als neutral zu
120
121
122
123
124
125
oder aber – wegen der besagten Wechselwirkungen – vertragsrechtlich als neutral zu
behandeln seien. Genau an Stelle nun hilft die angesprochene
98
Judikatur des
des BAG einen großen Schritt weiter. Sie nämlich beschreibt unter
überwiegender Zustimmung des Fachschrifttums
99
für den Oberbegriff "Minderleistung"
(s. a.a.O.: "Menge und Qualität") eine Methode, mit deren Hilfe das gesuchte Maß
auf vergleichsweise Weise gewonnen werden kann. Obendrein sind die
richterlichen Wertungen zur besseren praktischen Nutzbarkeit gleich in eine
"Gebrauchsanleitung" zu den wechselseitigen der Parteien im
Rechtsstreit eingearbeitet:
ca.
Arbeitsergebnisse sind stattdessen in einen Betrachtungszusammenhang zu
stellen. Hierzu hat der Arbeitgeber nach den Worten des
100
, Tatsachen
vorzutragen, "aus denen ersichtlich ist, dass die Leistungen des betreffenden
Arbeitnehmers deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben, also
die Durchschnittsleistung erheblich unterschreiten". Diese Erheblichkeitsschwelle sei
jedenfalls bei einer "langfristigen Unterschreitung der Durchschnittsleistung um deutlich
mehr als 1/3" erreicht
101
. Auch dann könne die Aussagefähigkeit solcher im
Gruppenvergleich objektivierten "Minderleistung" allerdings noch immer entkräftet
werden, wenn der Arbeitnehmer nun seinerseits im Einzelnen bestreiten und/oder
plausibel darlegen könne, "warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung
dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit" ausschöpfe
102
. Hier könnten
"altersbedingte Leistungsdefizite, Beeinträchtigungen durch Krankheit aber auch
betriebliche Umstände eine Rolle spielen", wobei es dann wiederum Sache des
Arbeitgebers sei, die betreffenden Umstände zu widerlegen
103
.
cb.
104
nicht etwa den im
selben Urteil herausgearbeiteten
105
Grundsatz auf, wonach sich die Frage der
Vertragskonformität zählbarer Arbeitsergebnisse ("Menge") nach dem
Leistungsvermögen des Arbeitnehmers richtet, sondern sie schützt diesen Grundsatz
gegen die Beliebigkeit beider Vertragsparteien, sich die vertragsrechtliche Soll-
Beschaffenheit der Arbeitsmenge bei Bedarf im "Eigenbau" zurechtzuzimmern. Da sich
das Problem solcherart tolerablen "Do-it-yourself's" nun aber keineswegs nur für
"Minderleistungen" stellt, sondern in strukturell gleichwertiger Weise für die
Seite der Medaille, spricht das BAG folgerichtig nicht nur von "Menge", sondern auch von
"Qualität". Deshalb ist das Konzept bei standardisierten Leistungsinhalten auch für vom
Arbeitgeber zur "Schlechtleistung" erklärten Fehlerquoten fruchtbar zu machen.
Genau sieht es – mithin zu Recht – das die besagte -Rechtsprechung
kommentierende Spezialschrifttum
106
. – Und nicht nur : Neben einer
Entscheidung des aus dem Juni 2005
107
hat sich im September
2006 auch das
108
anlässlich eines Streitfalls, in dem u.a. die
Ergebnisse von "Testkäufen" die dortige Klägerin den Arbeitsplatz kosten sollte, zur
Anwendung der vorerwähnten Grundsätze auf "Fehlerquoten" bekannt. Dabei erscheint
zusätzlich bemerkenswert, dass die in den tatbestandlichen Feststellungen des
zitierten Direktiven
109
mit denen der hiesigen
"Geschäftsanweisung" (s. oben, S. 2-3 (II.1.)) wortwörtlich übereinstimmen.
2.
zugebilligt werden, dass die Klägerin am 30. März 2007 mit ihrem Missgeschick beim
"Nordhäuser Doppelkorn" ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen auch nur in
Hinsicht "verletzt" hätte. Die Beklagte unterbreitet schon keine brauchbaren Daten,
durch die sich eine überdurchschnittliche Fehlerquote der Klägerin ließe
110
:
a.
Testkäufen in der Einsatzfiliale der Klägerin zwischen dem 30. März 2006 und 26. Mai
2007, so erweist sich die so dokumentierte Praxis bereits im Ansatz als untauglich, die
Klägerin als auffällig unsorgfältig zu identifizieren. Die sich in der Auflistung spiegelnde
Testpraxis lässt schon nicht erkennen, dass die Beklagte auch nur darum bemüht wäre,
die in Betracht kommenden Arbeitspersonen im Umfange in ihre Kontrollen
einzubeziehen (vgl. insofern auch § 75 Abs. 1 BetrVG
111
). Damit fehlt es von
vornherein an jeder normativ tragfähigen zur Ermittlung einer
"durchschnittlichen" Fehlerquote im Testkaufwesen des Hauses.
b.
– mit fünf Überprüfungen einzigartig hohen Kontrollintensität gegenüber der Klägerin
keine vertragsrechtlichen Sanktionen herleiten und damit im Ergebnis zulasten der
126
127
128
keine vertragsrechtlichen Sanktionen herleiten und damit im Ergebnis zulasten der
Klägerin "mit zweierlei Maß" messen. Auf die Frage, welche Bedeutung es im Übrigen
haben könnte, wenn die Beklagte – wie die Klägerin behauptet (S. 12 (X.)) – zugleich
gegen die eigenen zur Durchführung von "Testkäufen" verstoßen haben sollte
112
, kommt es somit nicht mehr an.
3.
ungerechtfertigt, so war der Klage ihr Erfolg nicht zu versagen. Dem entspricht der
Tenor zu I.
C.
Tenor zu II.
hat das Gericht aufgrund des § 61 Abs. 1 ArbGG im Tenor
festgesetzt und mit der dreifachen Monatsvergütung der Klägerin bemessen (also mit 3
Tenor zu III.
Dr. Ruberg
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