Urteil des ArbG Berlin vom 13.03.2017

ArbG Berlin: betriebsrat, schwangerschaft, informationsanspruch, eingriff, unterrichtung, arbeitsbedingungen, persönlichkeitsrecht, unverzüglich, quelle, datenschutz

1
2
3
4
5
6
7
8
Gericht:
ArbG Berlin 76.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
76 BV 13504/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 1 Nr 1 BetrVG, § 80
Abs 2 BetrVG
Umfang von Informationsrechten des Betriebsrats
Leitsatz
1. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, gegen den ausdrücklich erklärten Willen einer
schwangeren Arbeitnehmerin den Betriebsrat über die konkrete Person der Schwangeren zu
unterrichten (gegen BAG v. 27.02.1968, 1 ABR 6/67, DB 1968, 1224).
2. Eine Mitteilung an den Betriebsrat gegen den Willen der schwangeren Arbeitnehmerin stellt
einen Eingriff in deren Persönlichkeitsrecht dar, der nur gerechtfertigt ist, sofern dafür ein
konkreter Anlass nachgewiesen ist. Ein solcher Anlass kann in der begründeten Befürchtung
bestehen, der Arbeitgeber missachte oder verletzte mutterschutzrechtliche Vorschriften.
3. Dem Informationsanspruch gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG iVm § 80 Abs. 2 BetrVG ist ohne
besonderen Anlass für weitergehende Informationen ausreichend Rechnung getragen, wenn
die Arbeitgeberin den Betriebsrat jederzeit und unverzüglich über die ihr bekannt gewordenen
Fälle von Schwangerschaften im Betrieb informiert und diesem ggf. zusätzlich mitteilt, wenn
die betroffenen Mitarbeiterinnen den ausdrücklichen Wunsch geäußert haben, den Betriebsrat
nicht zu unterrichten.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist der Umfang von Informationsrechten des Betriebsrats in
Bezug auf alle der Arbeitgeberin bekannt gewordenen Schwangerschaften von
Arbeitnehmerinnen des Betriebes im Streit.
Beteiligte zu 2 ist ein Unternehmen der Telekommunikation, das unter anderem einen
Betrieb in Berlin mit etwa 200 Arbeitnehmern unterhält (im Folgenden Arbeitgeberin).
Antragsteller ist der im Berliner Betrieb gebildete Betriebsrat (im Folgenden Betriebsrat).
Die Arbeitgeberin hat den Betriebsrat seit dem Jahr 2005 in mindestens zwei Fällen nicht
über ihr bekannt gewordene Schwangerschaften unterrichtet.
Dieser hat die Arbeitgeberin vorgerichtlich aufgefordert, ihn über ggf. im Betrieb
beschäftigte schwangere Arbeitnehmerinnen zu unterrichten (Bl. 5 d.A.). Die
Arbeitgeberin teilte dem Betriebsrat daraufhin mit, dass sie ihn über alle schwangeren
Mitarbeiterinnen informieren werde, sofern diese die Unterrichtung an den Betriebsrat
nicht ausdrücklich untersagen (Bl. 6-9 d.A.).
Mit seiner am 16.08.2007 beim ArbG Berlin eingegangenen Antragsschrift verlangt der
Betriebsrat nach wie vor seine entsprechende Unterrichtung. Er benötige diese
Informationen, um seinen Pflichten aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, insbesondere bei der
Überwachung der Einhaltung von Mutterschutzvorschriften nachkommen zu können. Der
Auskunftsanspruch wird auf § 80 Abs. 2 BetrVG gestützt. Persönlichkeitsrechte der
betroffenen Mitarbeiterinnen seien wegen der Verschwiegenheitspflicht des Betriebsrats
nicht beeinträchtigt.
Der Betriebsrat beantragt,
der Beteiligten zu 2 aufzugeben, dem Betriebsrat über die der Beteiligten zu 2 in
ihrer Arbeitgebereigenschaft im Betrieb Sch.str. 1-3, ... Berlin bekannt gewordenen
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
ihrer Arbeitgebereigenschaft im Betrieb Sch.str. 1-3, ... Berlin bekannt gewordenen
Schwangerschaften von Mitarbeiterinnen (mit Ausnahme derer im Sinne von § 5 Abs. 3
BetrVG zu unterrichten
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie behauptet, eine Unterrichtung des Betriebsrats sei nur in den Fällen nicht erfolgt, in
denen die Arbeitnehmerinnen die Information des Betriebsrats ausdrücklich untersagt
hätten. Eine Information gegen den Willen der Beschäftigten würde einen Eingriff in deren
Persönlichkeitsrechte darstellen.
II.
Der zulässige Antrag des Betriebsrats ist nicht begründet. Der Betriebsrat hat keinen
Anspruch darauf, in jedem Fall einer der Arbeitgeberin bekannt gewordenen
Schwangerschaft informiert zu werden.
1. Der Betriebsrat ist gem. § 80 Abs. 2 BetrVG zur Durchführung seiner Aufgaben
rechtzeitig und umfassend von der Arbeitgeberin zu unterrichten. Zu den Aufgaben des
Betriebsrats gehört es auch, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer
geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und
Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Damit hat er auch über die Einhaltung der
einschlägigen Mutterschutzvorschriften zu wachen, wie sie sich u.a. aus dem
Mutterschutzgesetz ergeben.
2. Grundsätzlich ist der sich aus § 80 Abs. 2 BetrVG ergebende Informationsanspruch
des Betriebsrats weitgehend dahin zu verstehen, dass die Arbeitgeberin jederzeit und
von sich aus dem Betriebsrat alle Informationen überlässt, die er zur Durchführung der
ihm vom Gesetz zugewiesenen allgemeinen Aufgaben und der Mitbestimmungs- und
Mitwirkungsaufgaben benötigt oder die ihn in die Lage versetzen, das Bestehen solcher
Aufgaben und Mitbestimmungsrechte erst festzustellen. Der Betriebsrat ist daher
grundsätzlich auch jederzeit von der Arbeitgeberin darüber zu informieren, wenn diese
ihrerseits von den betroffenen Arbeitnehmerinnen gem. § 5 Abs. 1 MuSchG eine
Mitteilung über eine bestehende Schwangerschaft erhalten hat, weil sich daraus
unmittelbar Verpflichtungen des Betriebsrats im Rahmen seiner wahrzunehmenden
Aufgaben ergeben (BAG v. 17.03.1987, 1 ABR 59/85, NZA 1987, 747-750).
3. Nach Überzeugung der Kammer besteht die Informationspflicht der Arbeitgeberin
jedoch nicht grenzenlos.
a) Die Regelung von § 5 Abs. 1 MuSchG ist für die betroffene Arbeitnehmerin nicht als
sanktionsbewehrte Verpflichtung, sondern als Sollvorschrift ausgestaltet. Sie stellt eine
Obliegenheit im bestverstandenen Eigeninteresse der werdenden Mutter und des
ungeborenen Kindes dar. Damit stellt sie der Schwangeren jedoch frei, ob, wann und
wem sie ihre Schwangerschaft mitteilen möchte. Nach Ansicht der Kammer räumt das
Gesetz damit dem Persönlichkeitsrecht der Schwangeren einen höheren Stellenwert ein,
als dem Informationsanspruch der Arbeitgeberin, obgleich in erster Linie diese die
Aufgaben zur Realisierung des Schutzes der Schwangeren und des ungeborenen Kindes
zu gewährleisten hat. Dies ist auch überwiegende Literaturmeinung im Zusammenhang
mit der Kommentierung von § 5 Abs. 1 MuSchG (vgl. u.a. Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß
§ 5 Rn 12; Bötticher/Graue § 5 Rn 19; Buchner/Becker § 5 Rn 121; ErfK/Schlachter § 5
MuSchG Rn 5; Heilmann § 5 Rn 71; a.A. Rancke/Pepping § 5 Rn 23).
b) Die betriebsverfassungsrechtliche Literatur vertritt überwiegend unter Bezugnahme
auf die Entscheidung des BAG vom 27.02.1968 (1 ABR 6/67, DB 1968, 1224) die
Auffassung, der Betriebsrat habe Anspruch auf Mitteilung der Schwangerschaften auch
gegen den erklärten Willen der werdenden Mütter (vgl. nur
Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier § 80 BetrVG Rn 61 mwN;
Däubler/Kittner/Klebe-Buschmann § 80 BetrVG Rn 37). Das Bundesverwaltungsgericht
hingegen hat entschieden, dass der Personalrat keinen entsprechenden
Informationsanspruch haben soll (BVerwG v. 29.08.1990, 6 P 30/87, NJW 1991, 373).
Danach müsse ein konkreter Bezug zu einer vom Personalrat zu erfüllenden Aufgabe
gegeben sein, allein der Hinweis auf allgemeine Überwachungsaufgaben unabhängig von
einem bestimmten Anlass und ohne Bezug zu einer konkreten Aufgabe reiche zur
Begründung des Informationsanspruchs nicht aus.
c) Die Mitteilung einer bestehenden Schwangerschaft bei Mitarbeiterinnen der Beklagten
durch die Arbeitgeberin an Dritte und damit auch an den Betriebsrat gegen den Willen
19
20
durch die Arbeitgeberin an Dritte und damit auch an den Betriebsrat gegen den Willen
der werdenden Mutter stellt eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung ihrer
Persönlichkeitsrechte, insbesondere ihrer Intimsphäre dar. Ein solcher Eingriff muss
sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Zwar dient die Überwachung der
zugunsten der Arbeitnehmergeltenden Gesetze und Unfallverhütungsvorschriften der
Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und der Unterstützung der einzelnen
Arbeitnehmer bei der Durchsetzung solcher Pflichten und ist daher wegen seiner
Bedeutung nicht umsonst an die Spitze des Katalogs der allgemeinen Aufgaben des
Betriebsrats gestellt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Arbeitgeberin Anlass zu der
Vermutung gegeben haben könnte, sie würde diese Vorschriften im Zusammenhang mit
dem Mutterschutz etwa missachten. Dies hat auch der Betriebsrat nicht behauptet.
Dieser wäre zumindest nachträglich in der Lage gewesen, nach Kenntnis der irgendwann
offensichtlichen Schwangerschaften festzustellen, ob die Beklagten in Bezug auf die
mutterschutzrechtlichen Regelungen und Arbeitsschutzvorschriften Pflichten verletzt
hat. Der Betriebsrat trägt auch nicht vor, dass die üblichen Arbeitsbedingungen im
Betrieb im Fall einer mitgeteilten Schwangerschaft überhaupt weitergehende
organisatorische Veränderungen an Arbeitsplätzen erfordern bzw. ob es
Beschäftigungen oder Arbeitsbedingungen im Betrieb gibt, die ggf.
Beschäftigungsverbote nach sich ziehen könnten. Nach Ansicht der Kammer ist der
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Mitarbeiterinnen nicht
verhältnismäßig, solange nicht konkrete Anlässe oder Befürchtungen dahingehend
vorgetragen werden, dass die für sie maßgeblichen Schutzvorschriften von der
Arbeitgeberin verletzt werden. Hinzu kommt, dass die Hoheit über die Preisgabe und die
Verwendung personenbezogener Daten wohl unstreitig bei den werdenden Müttern liegt
(informationelle Selbstbestimmung). Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich
insoweit um ein Datenschutz-Grundrecht. § 5 Abs. 1 MuSchG trägt dem dadurch
Rechnung, dass der werdenden Mutter die Entscheidung überlassen bleibt, ob sie ihren
Arbeitgeber informiert. Es muss ihr damit auch die Entscheidung darüber offen stehen,
ob und ggf. welchen Dritten diese Information zugänglich werden soll. Müsste sie nach
Information der Arbeitgeberin immer damit rechnen, dass ihre Mitteilung auch ohne
ihren Willen an jeden im Sinne von § 5 Abs. 1 S.4 MuSchG befugten Dritten weitergeben
darf, könnte dies schlimmstenfalls dazu führen, dass sie auch die Arbeitgeberin nicht
informiert, was letztlich dazu führen würde, dass die mutterschutzrechtlichen
Vorschriften jedenfalls weitgehend leer laufen.
4. Dem allgemeinen Informationsanspruch gem. § 80 Abs. 2 BetrVG ist ohne
besonderen Anlass für weitergehende Informationen ausreichend Rechnung getragen,
wenn die Arbeitgeberin den Betriebsrat jederzeit und unverzüglich über die ihr bekannt
gewordenen Fälle von Schwangerschaften im Betrieb informiert und diesem ggf.
zusätzlich mitteilt, wenn die betroffenen Mitarbeiterinnen den ausdrücklichen Wunsch
geäußert haben, den Betriebsrat nicht zu unterrichten. Damit steht dem Betriebsrat ggf.
anlassbezogen die Möglichkeit offen, ergänzende Informationen zu erfragen und im
Einzelfall auch den Namen zu erfahren, wenn die ernsthafte Befürchtung besteht,
Schutzvorschriften könnten verletzt oder Schwangere aus anderen Gründen
benachteiligt werden. Zudem ist der Betriebsrat in der Lage, spätestens nachdem die
Schwangerschaften offensichtlich geworden sind, nachzuprüfen, ob
Arbeitnehmerschutzvorschriften oder Informationspflichten (z.B. Mitteilung über den
Wunsch einer Schwangeren, den Betriebsrat nicht zu informieren) die durch die
Arbeitgeberin verletzt worden sind, sofern es daran Zweifel gegeben haben sollte.
III.
Beschlussverfahren sind gerichtskostenfrei. Der Gegenstandswert beträgt für diese
nichtvermögensrechtliche Angelegenheit 4.000,00 €.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum