Urteil des ArbG Aachen vom 15.05.2009

ArbG Aachen: kündigung, gesetzliche vermutung, kopie, geschäftsführer, wirtschaftliche einheit, juristische person, firma, geschäftsführung, unternehmen, arbeitsgericht

Arbeitsgericht Aachen, 9 Ca 4583/08
Datum:
15.05.2009
Gericht:
Arbeitsgericht Aachen
Spruchkörper:
9.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 Ca 4583/08
Schlagworte:
Betriebsübergang Textileinzelhandel
Normen:
§ 613 a BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Kain Leitsatz
Tenor:
1. Gegenüber dem Beklagten zu 1) wird festgestellt, dass das
Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung des Beklagten zu 1)
vom 21.10.2008 nicht am 31.01.2009 beendet wurde.
2. Die Klage gegen die Beklagte zu 2) wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger und der Beklagte zu 1)
zu je 1/2.
4. Der Streitwert wird auf 52.000,00 EUR festgesetzt.
5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
T a t b e s t a n d:
1
Die Insolvenzschuldnerin, die X. GmbH & Co. KG, beschäftigte zuletzt ca. 995
Arbeitnehmer. Gegenstand des Unternehmens war der Einzelhandel für Bekleidung.
Das Unternehmen führte zum Stichtag der Insolvenzantragstellung 39 Filialen (30
Filialen in NRW, 3 Filialen in Hessen, 4 Filialen in Rheinland-Pfalz und 6 Filialen in
Niedersachsen). Das präsentierte Sortiment setzte sich zu 40 Prozent aus einem Zukauf
bei namhaften Markenpartnern und zu 60 Prozent aus Eigenmarken zusammen.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 03.07.2008 wurde das vorläufige
Insolvenzverfahren über das Vermögen der X. GmbH & Co. KG unter Bestellung des
Beklagten zu 1) zum vorläufigen Insolvenzverwalter eröffnet. Hinsichtlich der
Einzelheiten dieses Beschlusses wird auf die Kopie des Beschlusses des Amtsgerichts
3
Aachen vom 03.07.2008 (Blatt 107 ff. der Akten) Bezug genommen. Über das Vermögen
der Insolvenzschuldnerin ist durch Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 01.10.2008
das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den
Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 01.10.2008 (Blatt107 ff. der Akten) Bezug
genommen. Der Beklagte zu 1) wurde als Insolvenzverwalter bestellt.
Der Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin seit dem 01.01.1996 beschäftigt.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Kopie des Arbeitsvertrages vom 20.11.1995
(Blatt 7 ff. der Akten) Bezug genommen. Der Kläger war als Zentraleinkäufer mit einem
Bruttomonatsgehalt in Höhe von 6.500,00 EUR beschäftigt.
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Der Beklagte zu 1) hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom
21.10.2008 zum 31.01.2009 gekündigt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Kopie
des Kündigungsschreibens vom 21.10.2008 (Blatt 13 ff. der Akten) Bezug genommen.
5
Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens wurden zahlreiche Gespräche mit 30
potentiellen Interessenten geführt. Die Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin traf
bereits am 17.09.2008 in Übereinstimmung mit dem Beklagten zu 1) die Entscheidung,
bereits im Vorverfahren bis zum 30.09.2008 16 besonders defizitäre Filialen der
Schuldnerin zu schließen. Hierbei handelt es sich um die Filialen Köln (Schildergasse),
Neuwied, Münster, Limburg, Mainz, Minden, Herne, Gießen, Wuppertal, Derendorf,
Mönchengladbach-Rheydt, Dortmund und Bochum. Hinsichtlich der Einzelheiten wird
auf die Kopie der schriftlichen unternehmerischen Entscheidung vom 17.09.2008 (Blatt
109 f. der Akten) Bezug genommen. Die Schließung der Filialen Neuss, Essen und
Mörfelden-Walldorf war bereits vor Insolvenzantragstellung durch die Geschäftsführung
beschlossen worden.
6
Der Beklagte zu 1) stützt die Kündigung darauf, dass bei der Gegenüberstellung von
Kosten und Umsatzaussichten zu erkennen war, dass eine Fortführung der Filialen des
Geschäftsbetriebes durch den Beklagten zu 1) schon im Oktober 2008 zu einer nicht
hinnehmbaren Schmälerung der Insolvenzmasse geführt hätte.
7
Zur Entlastung der Insolvenzmasse und um den Arbeitnehmern die
Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, wurde den Arbeitnehmern, die
die persönlichen Voraussetzungen des § 216 b SGB III erfüllten, die Möglichkeit
eingeräumt, zum 01.10.2008 in die von der PEAG gebildete Beschäftigungs- und
Qualifizierungsgesellschaft zu wechseln und mit der Schuldnerin bzw. dem
Insolvenzverwalter einen Aufhebungsvertrag zu schließen. Von dieser Möglichkeit hat
der Kläger keinen Gebrauch gemacht.
8
Bis zum 01.10.2008 war in der Berliner Allee 34 – 36 in Düsseldorf die Rheinsee
Zweihundertachtundsechzigste VV GmbH ansässig. Am 01.10.2008 beschloss diese
Gesellschaft die Änderung des Gesellschaftsgegenstandes sowie der Firma. Der neue
Gegenstand der Gesellschaft ist der Handel mit Waren aller Art und die Vermittlung von
Dienstleistungen, insbesondere der Betrieb von Einzelhandelsgeschäften im
Textilbereich einschließlich Lederwaren und Assessoires, mit Ausnahme von
erlaubnispflichtigen Tätigkeiten. Die Firma der Gesellschaft lautet seit dem 01.10.2008
X. M. GmbH. Geschäftsführer ist seit dem 01.10.2008 Herr S. S.. Hinsichtlich der
weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie der Bekanntmachung vom 14.10.2008 (Blatt
173 der Akten) Bezug genommen. Der Geschäftsführer der Beklagten zu 2) hat am
01.10.2008 die Geschäftsanteile der Gesellschaft in Höhe von 1.000,00 EUR und
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24.000,00 EUR erworben. Bei dem Namen der Insolvenzschuldnerin handelt es sich um
eine eingetragene Marke. Der Beklagte zu 1) hat über diese Marke bzw. über die Firma
verfügt und der vormals Rheinsee Zweihundertsechzigste VV GmbH die Nutzung des
Namens gestattet.
Am 10.10.2008 hat der frühere Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, Herr T. C., in
einem an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Insolvenzschuldnerin gerichteten
"Memo" auszugsweise folgendes ausgeführt:
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… "Wir haben in der letzten Woche Gespräche aufgenommen mit interessierten
Investoren und nicht ganz überraschend sind auch solche dabei, die großes
Interesse an einer Übernahme haben, …
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Sollte es uns gelingen, alle Vermieter der verbleibenden 23 Filialen zu
überzeugen, auch mit dem neuen X. weiterhin Geschäfte zu tätigen und sollte es
uns gelingen, die Geschäfte in der nächsten Zeit trotz Schwierigkeiten im
Wareneinkauf erfolgreich aufrecht zu erhalten, können wir schon in wenigen
Wochen einen neuen Eigentümer haben.
12
Wir sprechen gegenwärtig mit allen Vermietern persönlich und bis dato erhalten wir
sehr zuversichtliche Rückmeldungen. Damit bestehen diesbezügliche Aussichten
für einen Investor und somit für eine positive Zukunft sehr gut."
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieses "Memos" wird auf die Kopie des
Schreibens vom 10.10.2008 (Blatt 170 der Akten) Bezug genommen.
14
Am 20.10.2008 versandte die Mitarbeiterin aus dem Hause der Insolvenzschuldnerin,
Frau M., einen "Tagesplan" vom 19.10.2008 an den Beklagten zu 1), die Einkaufsteams,
alle Häuser, alle Sekretariate, alle Filialleiter und andere und zudem auch an den
Geschäftsführer der Beklagten zu 2). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Kopie der
Email vom 20.10.2008 (Blatt 171 der Akten) Bezug genommen. Bei diesem
sogenannten Tagesplan handelt es sich um einen aktuellen Verkaufsbericht, in dem die
Umsatzzahlen, die Einkaufszahlen und die Kalkulationsgrundlagen aller Filialen
festgehalten werden.
15
Die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin und der Beklagte zu 1) als vorläufiger
Insolvenzverwalter nahmen mit dem Gesamtbetriebsratsausschuss ab dem 22.09.2008
Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan auf. Der
Sozialplan wurde am 01.10.2008/02.10.2008 unterzeichnet. Hinsichtlich der
Einzelheiten wird auf die Kopie des Sozialplans (Blatt 111 ff. der Akten) Bezug
genommen. Der Interessenausgleich wurde am 16.10.2008 unterzeichnet. Hinsichtlich
der Einzelheiten wird auf die Kopie des Interessenausgleichs vom 16.10.2008 (Blatt 120
ff. der Akten) Bezug genommen. Der Interessenausgleich enthielt eine Namensliste der
zu kündigenden Arbeitnehmer, welche mittels Heftmaschine fest mit dem
Interessenausgleich verbunden wurde.
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Alle Arbeitnehmer, die nicht in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft
eingetreten sind, wurden mit Wirkung ab dem 01.10.2008 freigestellt.
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Am 31.01.2009 ist es nicht zu einer endgültigen Betriebsstilllegung gekommen. Die
Beklagte zu 2) führt 23 Filialen und die Aachener Hauptverwaltung ohne Änderungen
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fort. Bei den 23 Filialen handelt es sich um diejenigen Filialen, die nicht bereits vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder mit Beschluss vom 17.09.2008 bis zum
30.09.2008 geschlossen wurden. Es wird weiterhin, entsprechend einer Analyse und
einem Ausblick des vormaligen Geschäftsführers der Schuldnerin, Mode unter der
Marke Wehmeyer verkauft. Die Eigenmarken sind gleich geblieben. Die Zielgruppen für
die Eigenmarken sind gleich geblieben. Das Preisniveau soll weiterhin im mittleren
Segment angesiedelt bleiben. Angesprochen werden sollen vornehmlich Kundinnen ab
35 Jahren. Der Anteil der Eigenmarken soll weiterhin 60 Prozent betragen. Die
Fremdmarken sind ebenfalls beibehalten worden. Es handelt sich um die Firmen Olsen,
S-Oliver, Tom Taylor, Esprit, etc. Die vorhandene Ware ist übernommen worden. Die
Stamm- und Laufkundschaft ist übernommen worden. Alle Einrichtungsgegenstände wie
Kassen, Kleiderständer, Spiegel, Regale etc. wurden durch Rechtsgeschäft von dem
Beklagten zu 1) auf die Beklagte zu 2) übertragen. Es sind die Mietverträge an
denselben Standorten übernommen worden.
Die Gesellschafterversammlung der Beklagten zu 2) beschloss am 10.11.2008 die
Änderung des Gesellschaftervertrages in § 3 und mit ihr die Erhöhung des
Stammkapitals um 475.000,00 EUR auf 500.000,00 EUR. Hinsichtlich der Einzelheiten
wird auf die Bekanntmachung vom 18.11.2008 (Blatt 174 der Akten) Bezug genommen.
Im Zuge dieser Stammkapitalerhöhungen wurde die neue Stammeinlage in Höhe eines
Teilbetrages von 250.000,00 EUR als Sacheinlage erbracht, indem der Beklagte zu 1)
in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der
Insolvenzschuldnerin zum Mitgesellschafter wurde und als solcher das
Anlagevermögen der Filialen Nr. 3 in Düren, Nr. 10 in Siegburg, Nr. 11 in Marl, Nr. 18 in
Grevenbroich, Nr. 40 in Worms und Nr. 49 in Geldern in die Gesellschaft einbrachte.
Herr S. S. hat am 10.11.2008 einen weiteren Geschäftsanteil in Höhe von weiteren
225.000,00 EUR gehalten. Der Beklagte zu 1) hat im Wege der Sacheinlage durch
Einbringung von einzelnen Filialen der Schuldnerin ebenfalls einen Geschäftsanteil von
250.000,00 EUR übernommen.
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Der Beklagte zu 1) übersandte der Bundesagentur für Arbeit am 20.10.2008 die
Massenentlassungsanzeige per Telefax. Am 10.10.2008 leitete der Beklagte zu 1) das
betriebsverfassungsrechtliche Anhörungsverfahren in Aachen durch Übergabe des
Anhörungsschreibens an den Betriebsratsvorsitzenden ein. Hinsichtlich der weiteren
Einzelheiten wird auf die Kopie der Massenentlassungsanzeige vom 20.10.2008 (Blatt
127 ff. der Akten) sowie auf das Anhörungsschreiben zur Betriebsratsanhörung vom
10.10.2008 (Blatt 116 der Akten) Bezug genommen.
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Der Kläger bestreitet, dass die Massenentlassungsanzeige und die
Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß erfolgt sind.
21
Der Kläger beantragt gegenüber beiden Beklagten,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung des
Beklagten zu 1) vom 21.10.2008 nicht am 31.01.2009 beendet werden wird,
sondern über diesen Zeitraum hinaus fortbesteht;
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2. hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 1. gegenüber beiden Beklagten keinen
Erfolg hat,
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die Beklagten zu verurteilen, das mit diesem Antrag konkludent abgegebene
Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages (Wiedereinstellung)
zu unveränderten Arbeitsbedingungen des mit der Insolvenzschuldnerin
bestehenden Arbeitsvertrages vom 20.11.1995 nebst Tantiemeregelung vom
gleichen Tag, nämlich einer Beschäftigung als Zentraleinkäufer am Standort
Aachen mit einer monatlichen Bruttovergütung von 6.500,00 EUR unter
Anrechnung einer Vorbeschäftigungszeit seit dem 01.01.1996 sowie Geltung der
Pensionsregelung vom 01.01.1996 und der Übergangsregelung vom 01.01.1996
auf der Grundlage der Änderungsvereinbarung mit der Insolvenzschuldnerin
vom 01.01.1996 anzunehmen.
27
Der Beklagte zu 1) beantragt,
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die Klage abzuweisen.
29
Er behauptet, die im Insolvenzeröffnungsverfahren geführten Verkaufsgespräche hätten
zu keinem Ergebnis geführt. Es habe sich kein Investor gefunden, der sich verbindlich
verpflichtete, die wesentlichen Teile des Aktivvermögens der Schuldnerin zu
übernehmen oder das Unternehmen in einer anderen Form fortzuführen. Während das
Eigenkapital zum 31.12.2008 noch in Höhe von 12.798.000,00 EUR positiv gewesen
sei, sei zum 30.06.2008 ein buchmäßig nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag
in Höhe von 5.822.000,00 EUR ausgewiesen gewesen.
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Der Beklagte zu 1) und die Geschäftsführung hätten am 17.09.2008 auch entschieden,
sämtliche Filialen bis spätestens zum 31.01.2009 vollständig und endgültig stillzulegen.
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Die Beklagte zu 2) beantragt ebenfalls,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, erst nach Ausspruch der Kündigung des Klägers habe sich
abgezeichnet, das indische Investoren bereit waren, den Einzelhandel von Textilien
unter Übernahme des alteingesessenen Firmenbestandteils X. von einem Teil der
Standorte aus vorzunehmen, die früher von der Insolvenzschuldnerin betrieben worden
seien. Bei Ausspruch der Kündigung des Klägers habe der Beklagte zu 1) nicht davon
ausgehen können, dass die Übernahme wesentlicher Vermögensbestandteile aus der
Insolvenzmasse durch einen Investor gesichert seien. Am 21.10.2008 sei noch nicht
abzusehen gewesen, über welche Flächen ein Nachfolgeunternehmen Mietverträge
abschließen konnte. Dieser Punkt sei jedoch für jeden Investor von grundlegender
Wichtigkeit gewesen, da ohne geeignete Verkaufsräume eine Fortsetzung des
Einzelhandels schlicht nicht möglich gewesen sei. Hinzu komme noch, dass ein
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Investor zwingend auf eine größere Anzahl von Mietverträgen angewiesen sei, ohne die
eine Fortsetzung der Geschäftstätigkeit nicht denkbar gewesen sei. Die Frage, welche
Mietverträge von der Beklagten zu 2) abgeschlossen werden konnten, habe sich erst
deutlich später geklärt. Vor der Klärung der Fragen, von welchen Flächen aus ein
Verkaufsbetrieb möglich gewesen sei, habe kein Investor eine verbindliche
Entscheidung über einen Kauf von Vermögensgegenständen und die von dem Kläger
behauptete Fortführung der Geschäftstätigkeit treffen können. Sie bestreitet, dass die X.
GmbH & Co. KG unter Wahrung ihrer Identität von der Beklagten zu 2) fortgeführt wird.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
35
Die Klage ist mit dem Antrag zu 1. gegenüber der Beklagten zu 2) unzulässig. Es fehlt
das gemäß §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse
daran, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt
wird. Die Rechtsstellung des Klägers wird durch die Feststellung, dass das
Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten zu 1) durch die Kündigung vom 21.10.2008 nicht
am 31.01.2009 beendet wird, nicht verbessert. Zwischen der Beklagten zu 2) und dem
Kläger ist streitig, ob es zu einem Betriebsübergang gekommen ist. Diese Frage wird
durch die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten zu 1) nicht
beendet wird, nicht geklärt.
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Der Antrag zu 1. Ist gegenüber dem Beklagten zu 1) ist begründet. Das Arbeitsverhältnis
zwischen den Parteien wurde durch die Kündigung des Beklagten zu 1) vom
21.10.2008 nicht beendet. Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1
Abs. 1 KSchG.
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Die Kammer geht davon aus, dass die Geschäftsführung mit Zustimmung des Beklagten
zu 1) am 17.09.2008 die Stilllegung des Betriebes zum 31.01.2009 beschlossen hat.
Dies ergibt sich aus der Kopie der schriftlichen unternehmerischen Entscheidung vom
17.09.2008. Dieser Beschluss war jedoch entweder von Anfang an nicht ernsthaft
gefasst oder er wurde bis zum Zeitpunkt der Kündigung nicht aufrecht erhalten. Der
Beklagte zu 1) hat schon nicht ausdrücklich dazu Stellung genommen, ob der Beschluss
bis zum Zeitpunkt der Kündigung aufrecht erhalten geblieben ist. Darüber hinaus
bestehen ausreichende Indizien, aus denen sich ergibt, dass jedenfalls im Zeitpunkt der
Kündigung am 21.10.2008 nicht die Absicht bestand, den Betrieb stillzulegen.
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Für den Beklagten zu 1) streitet nicht die gesetzliche Vermutung aus § 125 Abs. 1
Insolvenzordnung, dass für die Kündigung des Klägers betriebsbedingte Gründe
bestanden. § 125 Abs. 1 Insolvenzordnung setzt nämlich voraus, dass eine
Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG geplant ist. Im vorliegenden Fall kommt
nur eine Betriebsstilllegung in Betracht. Zwar ist im Interessenausgleich vom 16.10.2008
auch die Möglichkeit einer sanierenden Übertragung erwähnt. Gemäß Abschnitt II der
schriftlichen Urkunde betrifft der Interessenausgleich aber nur die Stilllegung zum
31.01.2009. Bei der Möglichkeit eine sanierende Übertragung vorzunehmen, soll es sich
zu diesem Zeitpunkt, so wie es im Interessenausgleich dargestellt ist, lediglich um eine
vage Hoffnung handeln, so dass sich darauf die Betriebsvereinbarung nicht beziehen
kann. Zwischen den Parteien ist daher gerade streitig, ob die Betriebsstilllegung im
Zeitpunkt des Interessenausgleichs am 16.10.2008 (noch) geplant war. Der Beklagte zu
1) hat daher die Voraussetzungen für die Anwendung der Vermutung schon nicht
ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt.
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Darüber hinaus ließe sich die gesetzliche Vermutung auch im Fall ihres Bestehens
durch die vorliegenden Indizien widerlegen.
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Das entscheidende Indiz, das dafür spricht, dass bereits im Zeitpunkt der Kündigung
des Klägers, am 21.10.2008, nicht mehr der Wille bestand, den Betrieb stillzulegen,
besteht darin, dass die Gesellschafterversammlung der Rheinsee
Zweihundertsechzigste VV GmbH am 01.10.2008 beschloss, ihre Firma in "X. M.
GmbH" zu ändern sowie den Unternehmensgegenstand unter anderem dahingehend zu
ändern, dass dies insbesondere der Betrieb von Einzelhandelsgeschäften im
Textilbereich sein sollte. Es ist also bereits vor der Kündigung des Klägers eine neue
Gesellschaft entstanden, die den gleichen Gegenstand zu ihrem Geschäftszweck
gemacht hat, der auch Geschäftszweck der Insolvenzschuldnerin war. Zudem hat die
Gesellschaft auch die Firma der Insolvenzschuldnerin, also einen vermögenswerten
Vorteil erworben. Hieran hat der Beklagte zu 1) mitgewirkt, anders hätte die X. M. GmbH
die Firma nicht erwerben können, da es sich um einen geschützten Namen handelt. Aus
diesem Vorgang ergibt sich, dass bereits am 01.10.2008 konkrete Pläne bestanden, die
Geschäfte der Insolvenzschuldnerin durch die neu gegründete GmbH fortführen zu
lassen. Es ist kein anderer Grund ersichtlich, aus dem ansonsten der Name "X." auf die
neue Gesellschaft übertragen worden sein sollte. Ohne eine solche konkrete Planung,
die Geschäfte fortzuführen, hätte der Beklagte zu 1) diesen geldwerten Bestandteil des
Unternehmens nicht abgegeben.
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Hinzu kommt, dass der frühere Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin mit dem Memo
vom 10.10.2008 mitgeteilt hat, in der letzten Woche seien Gespräche aufgenommen
worden mit interessierten Investoren. Es seien auch solche dabei, die ein großes
Interesse an der Übernahme hätten und unter Umständen könnte schon in wenigen
Wochen ein neuer Eigentümer vorhanden sein. Es ist davon auszugehen, dass der
frühere Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin über diesen Fortgang der
Verhandlungen informiert war. Auch der Beklagte zu 1) hat nichts Gegenteiliges
vorgetragen. Es ist auch seitens des Beklagten zu 1) nicht behauptet worden, dass der
Inhalt dieses "Memos" falsch gewesen ist. Es ist daher bereits in der Woche vor dem
10.10.2008, also in der Woche vom 29.09.2008 bis 03.10.2008 ein konkreter Investor
vorhanden gewesen, der das Unternehmen übernehmen konnte. Hierzu passt zeitlich
auch der Vorgang am 01.10.2008, an dem die Umfirmierung und die Änderung des
Unternehmensgegenstandes der jetzigen Beklagten zu 2) erfolgt ist.
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Schließlich wird dieses Ergebnis auch durch die Rundemail vom 20.10.2008 gestützt.
Mit dieser Email wurden Betriebsinterna, nämlich der aktuelle Verkaufsbericht, in dem
die Umsatzzahlen, die Einkaufszahlen und die Kalkulationsgrundlagen aller Filialen
festgehalten werden, an einen zu diesem Zeitpunkt noch Betriebsfremden, nämlich den
Geschäftsführer der Beklagten zu 2) weitergeleitet. Betriebsinterna werden
üblicherweise Betriebsfremden unter keinen Umständen mitgeteilt und auch die
Mitarbeiter, welche Kenntnis davon haben, werden zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Wird hier anders gehandelt, ist dafür kein anderer Grund ersichtlich, als eine ernsthafte
Übernahmeabsicht desjenigen, dem die Betriebsinterna mitgeteilt werden, so dass sich
auch aus diesem Vorgang schließen lässt, dass die Betriebsstilllegung nicht mehr
feststand, als am 21.10.2008 die Kündigung ausgesprochen wurde.
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Schließlich handelt es sich bei der Fortführung der Geschäfte durch die Beklagte zu 2)
auch nicht nur um die Übernahme einzelner Vermögenswerte, sondern um einen
Übergang des gesamten Betriebes im Sinne des § 613 a BGB. Es wurde nicht der alte
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Betrieb stillgelegt und ein neuer Betrieb gegründet.
Es handelt sich bei den verbliebenen Filialen mit der Aachener Zentrale um den
gesamten verbliebenen Betrieb bzw. um mehrere Betriebe, je nach dem, ob es sich bei
den Filialen um selbstständige Betriebe oder um Betriebsteile handelt. Jedenfalls sind
alle Filialen mit der Zentrale gemeinsam offensichtlich eine auf Dauer angelegte
wirtschaftliche Einheit. Der Inhaber dieses Betriebes bzw. dieser Betriebe hatte
gewechselt, da die arbeitsrechtliche Organisation und Leitungsmacht auf die Beklagte
zu 2) übergegangen ist. Die Betriebe sind im Sinne des § 613 a BGB "durch
Rechtsgeschäft auf einen anderen übergegangen". Dafür ist erforderlich, dass der
Betrieb bzw. die Betriebe trotz des Inhaberwechsels ihre Identität bewahrt haben. Dafür
sind sämtliche den Vorgang kennzeichnenden Tatsachen im Rahmen einer
umfassenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigen. Von Bedeutung sind dabei
insbesondere die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der Übergang
oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, der
Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder
Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang oder
Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und
nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen
Unterbrechung dieser Tätigkeit. Im vorliegenden Fall hat der Betrieb bzw. haben die
Betriebe ihre Identität bewahrt, da sämtliche Vermögenswerte und vermögenswerte
immateriellen Werte auf die Beklagte zu 2) übergegangen sind. Das Vermögen der
Insolvenzschuldnerin bildet zum Teil durch eine Sacheinlage die Hälfte des
Stammkapitals der Beklagten zu 2). Die Betriebsräume der Insolvenzschuldnerin
werden durch die Beklagte zu 2) weiter genutzt, die Mietverträge der vorherigen Räume
wurden übernommen. Das Konzept wurde über die Beibehaltung des Angebots und der
verkauften Marken beibehalten. Die noch vorhandene Ware ist durch die Beklagte zu 2)
übernommen worden. Die Stamm- und Laufkundschaft ist übernommen worden. Die
Einrichtungsgegenstände sind übernommen worden. Der wesentliche
Namensbestandteil "X." ist übernommen worden. Es handelt sich auch bei der
Beklagten zu 2) sowie bei der Insolvenzschuldnerin um ein Unternehmen, das mit
Textilien handelt.
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Nach alledem ist die Kündigung schon auf Grund der fehlenden sozialen
Rechtsfertigung unwirksam, so dass es dahinstehen kann, ob die Anhörung des
Betriebsrates und die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erfolgt sind. Die
Anträge zu 2. sind nicht zur Entscheidung gestellt, da der Antrag zu 1. gegenüber dem
Beklagten zu 1) Erfolg hatte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, wobei
zu berücksichtigen war, dass Klage gegen zwei Beklagte erhoben wurde und die Klage
gegen einen Beklagten Erfolg hatte, gegen die andere Beklagte aber erfolglos
geblieben ist. Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 42 Abs. 4 S. 1 GKG, 3 ff. ZPO.
Die Entscheidung zur Berufung beruht auf § 64 Abs. 3, 3 a ArbGG.
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Rechtsmittelbelehrung
48
Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger und von dem Beklagten zu 1)
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B e r u f u n g
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eingelegt werden.
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Für die Beklagte zu 2) ist kein Rechtsmittel gegeben.
52
Die Berufung muss
53
innerhalb einer N o t f r i s t * von einem Monat
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beim Landesarbeitsgericht Köln, Blumenthalstraße 33, 50670 Köln eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
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Die Berufungsschrift
muss
Bevollmächtigte
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1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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gez. X.
62
Richterin
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