Urteil des ArbG Aachen vom 20.02.2004

ArbG Aachen: versetzung, wichtiger grund, zuweisung einer anderen tätigkeit, juristische person, tarifvertrag, arbeitsbedingungen, arbeitsgericht, mindeststandard, suspendierung, konkretisierung

Arbeitsgericht Aachen, 5 Ca 3365/03 d
Datum:
20.02.2004
Gericht:
Arbeitsgericht Aachen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Ca 3365/03 d
Schlagworte:
Versetzung - Tarifauslegung - Direktionsrecht
Normen:
TVG § 1, KSchG § 2, GewO § 106
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine Tarifbestimmung, die jede unterwertige Beschäftigung bzw.
dauernde Suspen-
dierung für zumutbar und gleichwertig erklärt, ist wegen Verstoßes
gegen § 2 KSchG
unwirksam.
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass die Versetzung der Beklagten vom
30.05.2003 unwirksam ist.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.357,93 EUR festgesetzt.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung.
2
Der 1952 geborene Kläger ist seit 1966 bei der Beklagten bzw. deren
Rechtsvorgängerin beschäftigt, zuletzt gegen ein monatliches Bruttoentgelt von EUR
3.357,93. Nach einer Berufsausbildung und Tätigkeit als Fernmeldetechniker wurde er
seit 1974 als Aufbauleiter Netztechnik beschäftigt. In dieser Funktion nimmt er
gegenüber einfachen Montagearbeiten übergeordnete Tätigkeiten wahr. Auf die
Arbeitsverträge vom 29.5.1970, 30.1.1973, 6.8.1974 und 17.10.1991 sowie die
Arbeitsplatzbeschreibung vom 12.6.2001 wird Bezug genommen, Bl. 101-106, 10 d.A.
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Der Kläger wurde mit Schreiben vom 30.5.2003 unter Hinweis auf den von der
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Beklagten abgeschlossenen Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und
Beschäftigungssicherung (TV Ratio) vom 29.6.2002 mit Wirkung ab dem 1.6.2003 zur
Personalservice Agentur (PSA) unter Fortzahlung seines bisherigen Entgeltes (tarifliche
Entgeltgruppe T5) versetzt, Bl. 6 d.A. Die als Betrieb der Beklagten organisierte PSA
wurde bis 31.7.2002 als Ressort Projektmanagement und Service (PMS) bezeichnet, ab
dem 1.8.2002 als Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit (VQE), und tritt
zwischenzeitlich bundeseinheitlich unter dem Namen "Vivento" auf. Bei ihr sind u.a.
durch Versetzung etwa 20.000 Arbeitnehmer der Beklagten tätig. Der TV Ratio
bezweckt die sozialverträgliche Umsetzung von Rationalisierungsmaßnahmen. §§ 5, 7,
11 TV Ratio regeln auszugsweise:
§ 5 Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit (*Arbeitstitel)
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(1) Der nach den §§ 3 und 4 identifizierte Arbeitnehmer wird in die Vermittlungs-
und Qualifizierungseinheit (VQE) versetzt. Diese Versetzung ist zumutbar und
gleichwertig.
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Protokollnotiz zu Abs. 1: Der Arbeitnehmer wird dezentral der nächstgelegenen
OrgE der VQE zugeordnet. Bezüglich der räumlichen Auswirkung werden die
Arbeitnehmer so gestellt, als würde ihr bisheriger Arbeitsort erhalten.
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(2) Die VQE erstellt rechtzeitig die für die Vermittlung auf einen dauerhaften
Arbeitsplatz erforderlichen Qualifizierungsprogramme und führt die entsprechenden
Maßnahmen durch.
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(3) Bis zur Weitervermittlung auf einen dauerhaften Arbeitsplatz erfolgen
vorübergehende Beschäftigungen, auch in Form der Zeit- bzw. Leiharbeit i. S. d.
AÜG, innerhalb und außerhalb des Konzerns D T . Die Beschäftigungseinsätze in
Leih- und Zeitarbeit erfolgen im Regelfall wohnortnah und/oder berufsbildbezogen.
Die bei vorübergehenden Beschäftigungen hierbei jeweils auszuübende Tätigkeit
ist für den Arbeitnehmer zumutbar und gleichwertig; Einschränkungen können sich
lediglich aus den Absätzen 4 bis 7 ergeben.
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(4) Bei Arbeitnehmern, in deren Haushalt ein Kind unter zwölf Jahren überwiegend
lebt, ist eine dienstplanmäßig zu leistende Arbeitszeit zwischen 16.00 und 8.00 Uhr
nicht vorzusehen. Voraussetzung für diese Beschäftigungseinschränkung ist, dass
das Kind nicht von einer im Haushalt lebenden Person betreut werden kann und
dass die Lage der bisherigen Schicht nicht der neuen Schicht entspricht. Im
Übrigen sind bei Arbeitnehmern ortsnahe Beschäftigungen vorzusehen, damit die
vorstehend dargestellte Betreuung des Kindes gewährleistet bleibt. Der
Arbeitnehmer kann auf freiwilliger Basis von der Beschäftigungs-einschränkung
abweichen.
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(5) Die Arbeitnehmer sind nur auf solchen Arbeitsplätzen zu beschäftigen, für die
eine arbeitsmedizinische Untersuchung nach den einschlägigen Regelungen nicht
durchzuführen ist bzw. wenn der Betriebsarzt in den Fällen, in denen eine solche
Untersuchung durchzuführen ist, keine Einwände gegen den Einsatz hat.
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(6) Eine Beschäftigung im Rahmen des Absatzes 3 soll nicht in einer anderen
politischen Gemeinde erfolgen, wenn dadurch eine bereits bislang tatsächlich
durchgeführte und nach ärztlichem Gutdünken auch künftig durch den
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Arbeitnehmer erforderliche Pflege des Ehegatten oder eines Verwandten in
gerader Linie nicht mehr möglich wäre. Der Arbeitnehmer kann auf freiwilliger
Basis von dieser Beschäftigungs-einschränkung abweichen.
(7) Bei schwerbehinderten Menschen ist die Art der Behinderung bei den
Beschäftigungseinsätzen im Rahmen des Absatzes 3 zu berücksichtigen.
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(8) Der § 7 Absatz 7 gilt entsprechend.
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§ 7 Gleichwertige und zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem
Dauerarbeitsplatz
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(1) Die D T A ist verpflichtet, den nach § 3 und 4 identifizierten und von den
Regelungen des § 5 erfassten Arbeitnehmern einen anderweitigen und
zumutbaren Dauerarbeitsplatz innerhalb der D T A bzw. der
Beteiligungsunternehmen nach Anlage 7 anzubieten (interne Vermittlung).
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(2) Soweit dies nicht möglich ist, ist die D T A verpflichtet, dem betroffenen
Arbeitnehmer einen anderen zumutbaren Dauerarbeitsplatz (interne Vermittlung)
mit geringerer Bezahlung anzubieten. Davon betroffene Arbeitnehmer haben einen
vorrangigen Anspruch auf einen gleichwertigen Dauerarbeitsplatz. Ein Arbeitsplatz
mit geringerer Bezahlung ist ein Arbeitsplatz, der nicht gleichwertig im Sinne des
Absatz 5 ist.
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(3) Außerdem bietet die D T A diesen Arbeitnehmern auch zumutbare
Dauerarbeitsplätze außerhalb der D T A bzw. der Beteiligungsunternehmen nach
Anlage 7 an (externe Vermittlung).
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(4) Zumutbar ist ein interner oder externer Arbeitsplatz, wenn er die Anforderungen
der Anlage 4 erfüllt. Eine Qualifizierungsmaßnahme ist für einen Arbeitnehmer in
der Regel dann unzumutbar, wenn er das 55. Lebensjahr vollendet hat. Der
Arbeitnehmer, der das 55. Lebensjahr bereits vollendet hat, kann eine ihm
angebotene Qualifizierungsmaßnahme ablehnen. Der Arbeitnehmer kann auf
freiwilliger Basis von den einschränkenden Regelungen der Anlage 4 abweichen.
Der freiwillige Wechsel auf einen Dauerarbeitsplatz außerhalb der D T A bzw. der
Beteiligungsunternehmen nach Anlage 7 ist der Annahme eines Angebotes
gleichgestellt.
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(5) Gleichwertig ist ein Arbeitsplatz immer dann, wenn der Arbeitnehmer mit
gleichem Monatsentgelt und mit gleicher arbeitsvertraglich vereinbarter
durchschnittlicher Wochenarbeitszeit beschäftigt werden kann.
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(6) Ein Dauerarbeitsplatz ist jeder Arbeitsplatz, der im Zeitpunkt der Vermittlung des
Arbeitnehmers arbeitsrechtlich unbefristet ist. Angebot im Sinne des TV Ratio (mit
den Folgen des Absatzes 7) ist der vom künftigen Arbeitgeber – nach Durchlaufen
eines erforderlichen Clearings II – vor Durchführung des Beteiligungsverfahrens
nach § 9 BetrVG angebotene Dauerarbeitsplatz im obigen Sinne.
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(7) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, einen ihm angebotenen zumutbaren anderen
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Arbeitsplatz anzunehmen und sich ggf. einer Qualifizierungsmaßnahme zu
unterziehen. Lehnt der Arbeitnehmer ein zumutbares Angebot oder eine
Qualifizierungsmaßnahme bei der D T A bzw. einem Beteiligungsunternehmen
nach Anlage 7 ab, so ist dies ein wichtiger Grund im Sinne des § 25 Absatz 4 und §
26 MTV, der zu einer Kündigung führen kann. Lehnt der Arbeitnehmer ein zweites
externes zumutbares Angebot ab, so verliert er die Ansprüche aus diesem
Tarifvertrag. Lehnt der Arbeitnehmer das dritte zumutbare externe
Vermittlungsangebot ab, so ist dieses ein wichtiger Grund im Sinne des § 25
Absatz 4 und § 26 MTV, der zu einer Kündigung führen kann. Derartige Einzelfälle
sind einer von der VQE festzulegenden Stelle mitzuteilen, die eine Regelung des
Einzelfalles mit der Tarifvertragspartei oder einer von ihr bestimmten Stelle vor
Ablauf der Zwei-Wochen-Frist herbeiführt.
Protokollnotiz zu § 7 Absatz 1-3.
24
Das Ziel der Vermittlungsbemühungen ist bei der externen Vermittlung die
Unterbringung auf Dauerarbeitsplätzen in Betrieben mit einem Betriebsrat und mit
mehr als 21 Arbeitnehmern. Dabei ist gleichrangiges Ziel die Vermittlung in
tarifierte Betriebe.
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§ 11 Betriebsbedingte Beendigungskündigungen
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(1) In der Zeit vom 1. Oktober 1997 bis zum 31. Dezember 2004 scheiden aus
Anlass von Maßnahmen im Sinne von § 1 betriebsbedingten
Beendigungskündigungen aus. Dies schließt jedoch Änderungskündigungen nicht
aus.
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(2) Der Ausschluss der betriebsbedingten Beendigungskündigungen gilt nicht für
Arbeitnehmer,
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a) deren Arbeitsverhältnis zur D T A seit weniger als zwei Jahren ununterbrochen
besteht oder
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b) die ein zumutbares Arbeitsplatzangebot oder eine Qualifizierungsmaßnahme
ablehnen.
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Anlass für die Versetzung des Klägers war der –von ihm bestrittene– Wegfall zweier von
32 Arbeitsplätzen "Aufbauleiter" in seiner Organisationseinheit. Dem Kläger wurden in
den acht Monaten nach seiner Versetzung zur PSA bis zum Schluss der mündlichen
Verhandlung insgesamt 4 Stunden Dateneingaben für T als Arbeit für Ungelernte
zugewiesen sowie etwa 2,5 Monate Fernmeldemonteursarbeiten; im Übrigen wurde er
nicht beschäftigt.
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Der Kläger bestreitet den Wegfall von Arbeitsplätzen, die Einhaltung des nach dem TV
Ratio vorgesehenen Auswahlverfahrens sowie die Anhörung des Betriebsrats. Er meint,
die Beklagte hätte ihn nicht zur PSA versetzen können, da er die ihm dort angebotenen
Tätigkeiten arbeitsvertraglich nicht schulde.
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Der Kläger beantragt,
33
festzustellen, dass die Versetzung der Beklagten vom 30.05.2003 unwirksam ist.
34
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
36
Die Beklagte verteidigt ihre Auswahlentscheidung sowie das Verfahren. Sie beruft sich
insbesondere auf § 5 TV Ratio, der ihr Direktionsrecht hinsichtlich der
streitgegenständlichen Versetzung erweitert habe, Bl. 141 d.A.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst
Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 29.7.2003 und
30.1.2004.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
39
I.
40
Die Klage ist zulässig. Das Feststellungsinteresse gem. § 256 Abs. 1 ZPO besteht grds.
auch hinsichtlich der Wirksamkeit direktionsrechtlicher Maßnahmen (BAG 8.9.1993 AP
Nr. 2 zu § 611 BGB Arbeitszeit).
41
II.
42
Die Klage ist auch begründet. Dabei können der tatsächliche Wegfall von
Arbeitsplätzen, die Einhaltung des ordnungsgemäßen Auswahlverfahrens nach TV
Ratio sowie die Beteiligung des Betriebsrats dahinstehen. Die Versetzung des Klägers
zum 1.6.2003 ist bereits deswegen unwirksam, weil das Direktionsrecht der Beklagten
sie nicht erlaubt. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der arbeitsvertraglichen
Inbezugnahme der jeweils für die Beklagte geltenden Tarifverträge.
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1. Der Kläger schuldet arbeitsvertraglich –unter Außerachtlassung der Bezugnahme
auf Tarifverträge- nicht die Tätigkeiten, die ihm nach einer Versetzung in die PSA
zugewiesen worden sind bzw. werden können.
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a. Der Kläger schuldet eine Tätigkeit als Aufbauleiter. Bei der mündlichen
Verhandlung hat der Kläger –von der Beklagten unwidersprochen– erklärt, als
"Aufbauleiter" gegenüber einfachen Montagetätigkeiten übergeordnete Funktionen
wahrzunehmen. Die Arbeitsplatzbeschreibung Bl. 10 d.A. weist insbesondere
Vorbereitungs-, Planungs- und Steuerungsaufgaben sowie Störungsbearbeitung
und Logistikaufgaben aus. Auch bei nur allgemeiner Umschreibung von
Tätigkeiten bei der Einstellung kann die lang andauernde Zuweisung einer
besonderen Tätigkeit zur Konkretisierung der Arbeitspflicht auf diese Tätigkeit
führen (zahlr. Nachw. bei KR/Rost, 6. Aufl. 2002, § 2 KSchG Rdnr. 40). Dies
geschieht in der Regel durch -ggf. stillschweigende- rechtsgeschäftliche
Übereinkunft oder aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (LAG Köln
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23.2.1987 LAGE § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 1 m.w.N.). Im vorliegenden Fall
sind die Parteien mangels weitergehenden Sachvortrages jedenfalls
stillschweigend übereingekommen, den Kläger nur noch als Aufbauleiter zu
beschäftigen. Er hat diese Tätigkeit zum Versetzungszeitpunkt die letzten 29 Jahre
seiner 37jährigen Betriebszugehörigkeit ausgeübt. Er wurde nach seiner
Ausbildung 1970 im "Fernmeldebau- und Werkstättendienst" eingestellt, Bl. 101
d.A. und seit 1974 in der Aufbauleiterfunktion beschäftigt.
b. Nach seiner Versetzung in die PSA wurde der Kläger nicht mehr als Aufbauleiter
beschäftigt, sondern mit geringerwertigen Tätigkeiten (etwa 2,5 Monate einfache
Monteursarbeiten und einfachste Dateneingaben) oder überhaupt nicht (etwa 5,5
Monate). Eine Versetzung auf einen geringerwertigen Arbeitsplatz ist jedoch
mangels vertraglicher Berechtigung unzulässig (st. Rspr. BAG, schon 11.6.1958
AP Nr. 2 zu § 611 BGB Direktionsrecht), auch bei Fortzahlung gleichen Entgelts
(BAG 30.8.1995, EzA § 611 Direktionsrecht Nr. 14; ErfK/Preis, 2. Aufl. 2001, § 611
BGB Rdnr. 529 m.w.N.; 3. Aufl. 2003, § 611 BGB Rdnr. 478, §§ 305-310 BGB
Rdnr. 55). Dies gilt ebenfalls für eine Nichtbeschäftigung, weil den Arbeitgeber
grds. eine Beschäftigungspflicht trifft (vgl. nur BAG GS 27.5.1985, DB 1985, 2197).
Die Versetzung "zur PSA" (Bl. 6 d.A.) war offenbar zunächst weder als Zuweisung
einer bestimmten Tätigkeit noch eines bestimmten Ortes zu verstehen, da der
Kläger "bis zu einer endgültigen Klärung der Tarifvertragsparteien" organisatorisch
bei seiner "jetzigen Regelarbeitsstelle" verbleiben sollte, Bl. 6 d.A. Nach Vortrag
der Beklagten handelt es sich bei der PSA um einen ihrer dezentral organisierten
Betriebe. Demnach meint die Versetzung "zur PSA" ersichtlich zunächst die
organisatorische Zuordnung des Klägers zu einem anderen Betrieb und sodann
die Weisungsausübung durch den Arbeitgeber nach den für diesen Betrieb
geltenden (auch tariflich festgelegten) Regeln. Zu diesen Regeln gehört § 5 Abs. 3
TV Ratio, wonach dem Arbeitnehmer vorübergehende Beschäftigungen
zugewiesen werden können, die jedenfalls außerhalb von Leih- oder Zeitarbeit
jeglicher Art sein dürfen, insbesondere nicht einmal berufsbildbezogen. Solche
Tätigkeiten schuldet der Kläger arbeitsvertraglich nicht.
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2. Der Kläger schuldet die Tätigkeiten, die ihm nach einer Versetzung in die PSA
zugewiesen worden sind bzw. werden können, auch nicht kraft arbeitsvertraglicher
Bezugnahme auf die für die Beklagte jeweils geltenden Tarifverträge. Diese
Klausel ist zwar zulässig, aber die inbezuggenommene tarifliche Regelung ist
wegen Verstoßes gegen höherrangiges Gesetzesrecht - § 2 KSchG - unwirksam.
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a. Die für die Beklagte geltenden Tarifverträge finden jedenfalls kraft
arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf den Kläger Anwendung. Ob es sich um
Betriebsnormen gem. § 3 Abs. 2 TVG handelt, kann daher dahinstehen. Die
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Parteien haben im Arbeitsvertrag vom 6.8.1974 die Geltung der Bestimmungen
des Tarifvertrags für die Angestellten der D B in ihrer jeweiligen Fassung
vereinbart, Bl.104 d.A. Bei Vertragsänderung am 17.10.1991 (Umwandlung
Angestellten- in Arbeiterverhältnis) haben sie die Weitergeltung der sonstigen
Vereinbarungen des vorherigen Arbeitsvertrags vereinbart, Bl. 106 d.A. und damit
die Bezugnahme auf die für die Beklagte jeweils gültigen Tarifverträge. Die
arbeitsvertragliche Bezugnahme auf tarifliche Bestimmungen ist grds. zulässig
(vgl. nur BAG 20.3.1991 NZA 1991, 736; BAG 26.9.2001 EzA § 3 TVG
Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 19). Sie führt dazu, dass die Tarifnormen
schuldrechtlicher Inhalt des Arbeitsvertrages werden. Individuelle Vereinbarungen
gehen den inbezuggenommenen Tarifregeln allerdings vor (Schliemann,
Sonderbeilage zu NZA 16/2003, 6). Aus der rechtlichen Möglichkeit
einzelvertraglicher Vereinbarungen folgt die Zulässigkeit entsprechender
Tarifklauseln (BAG 22.5.1985 AP Nr. 6 zu TVG § 1 Tarifverträge: Bundesbahn, Bl.
568R). Umgekehrt vermag die arbeitsvertragliche Bezugnahme allerdings nicht,
Tarifregelungen zur Gültigkeit zu verhelfen, die selbst dann ungültig sind, wenn sie
kraft unmittelbarer Tarifbindung auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung finden.
Tarifregeln werden durch eine individualvertragliche Inbezugnahme nicht
rechtswirksamer; allenfalls kann dem Einzelvertrag im Falle einer
Gesamtbezugnahme die gleiche Richtigkeitsgewähr wie der Tarifnorm zukommen
(vgl. BAG 6.9.1995 AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 23; ErfK/Preis, 3. Aufl.
2003, § 611 BGB Rdnr. 272). Jedenfalls muss die tarifliche Regelung noch als
Konkretisierung der den Kündigungsschutzbestimmungen zugrundeliegenden
Wertungen angesehen werden können (KR/Rost, 6. Aufl. 2002, § 2 KSchG Rdnr.
54c). Eine Umgehung des zwingenden Kündigungsschutzes enthält ein Recht zur
einseitigen Änderung von Arbeitsbedingungen in der Regel, wenn wesentliche,
das Arbeitsverhältnis prägende Elemente geändert werden können, die das
Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung grundlegend stören (BAG
7.10.1982 AP Nr. 5 zu § 620 BGB Teilkündigung unter III.1.b. und IV.2.a. d.Gr.).
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b. Die Erweiterung des Direktionsrechts durch Tarifvertrag hinsichtlich der
Übertragung geringerwertiger Arbeiten war bereits Gegenstand höchstrichterlicher
Rechtsprechung (u.a. BAG 22.5.1985 AP Nrn. 6f. zu § 1 TVG Tarifverträge:
Bundesbahn; BAG 26.6.1985 EzA § 1 TVG Nr. 19). Danach sind tarifliche
Regelungen über die Zuweisung einer anderen Tätigkeit auch mit entsprechenden
Auswirkungen für die Vergütung des Arbeitnehmers grds. mit der geltenden
Rechtsordnung vereinbar und widersprechen nicht staatlichem Gesetzesrecht
(BAG 22.5.1985 a.a.O. unter Berufung auf BAG 12.7.1957 AP Nr. 5 zu § 242 BGB
Gleichbehandlung). Dies gilt jedenfalls, solange der Arbeitgeber von seinem durch
die Tarifnorm erweiterten Direktionsrecht nur unter eindeutig tariflich
umschriebenen Voraussetzungen Gebrauch machen darf, weil "der Dienst" die
Zuweisung einer anderen, ggf. auch niedriger zu vergütenden Tätigkeit "erfordern"
muss und außerdem die zugewiesene Tätigkeit dem Arbeitnehmer nach
"Befähigung, Ausbildung und körperlicher Eignung zumutbar" sein muss. Dabei
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handelt es sich um eindeutige und justitiable Kriterien (BAG 22.5.1985 AP Nr. 7 zu
§ 1 TVG Tarifverträge: Bundesbahn [Bl. 573]). Fehlen diese, so ist eine tarifliche
Regelung unwirksam, die dem Arbeitgeber ein einseitiges Gestaltungsrecht
einräumt, das ihn berechtigt, einseitig in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses
einzugreifen (BAG 27.1.1994 EzA Nr. 1 zu § 615 BGB Kurzarbeit unter II.2.b.bb.).
Ein gesetzlicher Mindeststandard des Kündigungsschutzes ist grundrechtlich
durch Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet. Tarifliche Regelungen, die dem
Arbeitgeber ohne Wahrung eines Minimums an Bestandsschutz die
Suspendierung des Arbeitsverhältnisses zubilligen und damit den
Kündigungsschutz ausschalten, sind damit nicht zu vereinbaren (BAG 18.10.1994
EzA Nr. 2 zu § 615 BGB Kurzarbeit). Auch tarifliche Regelungen, die zwar
eindeutige Vorgaben für die Ausübung des erweiterten Direktionsrechts setzen,
aber Kriterien wie Befähigung und Ausbildung nicht berücksichtigen, ist die
Wirksamkeit zu versagen (vgl. KR/Rost a.a.O., § 2 KSchG Rdnr. 54g).
c. Auch tarifvertragliche Vereinbarungen der hier streitgegenständlichen Art wurden
bereits gerichtlich überprüft. So kam das LAG Schleswig-Holstein im Urteil vom
23.6.1999 bezüglich nahezu wortgleicher Regelungen im RationalisierungsTV Nr.
33 der Beklagten zum Ergebnis, die Vorschriften verstießen "weder gegen das
KSchG noch gegen tragende Grundsätze des Arbeitsrechts. Sie können nur
zusammen mit den übrigen Bestimmungen des TV Nr. 33 bewertet werden, der
insgesamt ein Rationalisierungsabkommen darstellt" (juris Nr. KARE 545780766
unter II.4. d.Gr. a.E.). Die Versetzung widerspreche auch nicht billigem Ermessen,
da das bisherige Tätigkeitsgebiet des dortigen Klägers, die analoge
Vermittlungstechnik, im gesamten Unternehmen weggefallen sei und die Beklagte
sich bemühe, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Im
Revisionsverfahren zu einem Parallelfall wehrte sich der dortige Kläger, der nach
seiner Versetzung durchgehend, aber überwiegend unterwertig beschäftigt wurde,
nicht gegen die Versetzung, sondern wollte festgestellt wissen, dass er unterwertig
beschäftigt wird. Das BAG hat dies unter dem 23.1.2002 insbesondere im Hinblick
auf § 4a Abs. 3 TVArb verneint, wonach der Arbeiter jede ihm übertragene Arbeit
zu leisten hat, die ihm nach seiner Befähigung, Ausbildung und körperlicher
Eignung zugemutet werden kann (juris Nr. KARE600006285 unter II.2. d.Gr.).
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d. Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist die inbezuggenommene tarifliche
Regelung in § 5 TV Ratio wegen Verstoßes gegen höherrangiges Gesetzesrecht -
§ 2 KSchG - unwirksam. Die Tarifklauseln in § 5 Abs. 1, 3 TV Ratio "Der ...
identifizierte Arbeitnehmer wird ... versetzt. Diese Versetzung ist zumutbar und
gleichwertig" bzw. "Die bei vorübergehenden Beschäftigungen hierbei jeweils
auszuübende Tätigkeit ist für den Arbeitnehmer zumutbar und gleichwertig"
greifen in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses ein, ohne den gesetzlich
vorgesehenen Mindeststandard an Bestandsschutz zu gewährleisten.
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Die Tarifklauseln greifen deswegen in den Kern des Arbeitsverhältnisses ein,
weil sie erlauben, dass der Arbeitnehmer faktisch in eine besondere Art einer
Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft versetzt wird. Der
Unterschied zu den arbeitsrechtlich bekannteren Fällen (zum
unterschiedlichen Betriebszweck Gaul/Kliemt NZA 2000, 674, 675) liegt hier
allerdings darin, dass die PSM/VQE/PSA/Vivento von der Beklagten nicht mit
einer eigenen Rechtspersönlichkeit versehen, sondern als Betrieb organisiert
wurde. Dabei ist nicht zu verkennen, dass der Tarifvertrag grds.
Beendigungskündigungen aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen
ausschließt, indem die ausgewählten Arbeitnehmer in die
PSM/VQE/PSA/Vivento versetzt, dort ggf. qualifiziert und vorübergehend
beschäftigt werden sollen und Anspruch auf einen Dauerarbeitsplatz haben.
Es ist auch zu berücksichtigen, dass der TV Ratio in § 5 Abs. 4-7 bei der
Frage der zumutbaren Beschäftigung gesundheitliche Einschränkungen und
Pflege- oder Betreuungspflichten der Arbeitnehmer berücksichtigt. Der
Tarifvertrag verfolgt demnach grds. eine auch arbeitnehmerfreundliche und
beschäftigungspolitisch sinnvolle Zielsetzung. Gleichwohl schließt er
Änderungskündigungen in § 11 Abs. 1 ausdrücklich nicht aus, stellt also dem
Arbeitgeber das gesetzliche Instrument zur wesentlichen Verschlechterung
von Arbeitsbedingungen zur Verfügung. Gerade im Kernbereich des
Arbeitsverhältnisses, einer Beschäftigung des Arbeitnehmers nach seiner
Befähigung und Ausbildung, weicht er jedoch von der vom BAG gebilligten
Formulierung "nach Befähigung, Ausbildung und körperlicher Eignung
zumutbar" (22.5.1985 a.a.O.) ab und regelt, dass zwar die
Beschäftigungseinsätze in Leih- und Zeitarbeit "im Regelfall
berufsbildbezogen" erfolgen, bei allen anderen Beschäftigungen aber
keinerlei Tätigkeitseinschränkungen gemacht werden. Damit kann dem
Arbeitnehmer bis zur Weitervermittlung auf einen dauerhaften Arbeitsplatz
entweder die Beschäftigung vollständig entzogen werden oder er (außerhalb
der Leih- und Zeitarbeit) mit jeglicher Art von Arbeit beschäftigt werden.
Tatsächlich wurde auch der Kläger zu etwa 70% seiner Zeit in der PSA nicht
beschäftigt. Die Beklagte hat insoweit auch nicht vorgetragen, dass im
Regelfall überhaupt eine Beschäftigung erfolgt, sondern die Behauptung des
Klägers, regelmäßig erfolge die Suspendierung, unwidersprochen gelassen.
Ebensowenig hat sie sich über die Aussichten des Arbeitnehmers auf
Verwirklichung des Anspruches aus § 7 TV Ratio geäußert. Unter üblichen
Arbeitsmarktgesichtspunkten ist die Vermittlung eines über 50jährigen
gelernten Fernmeldetechnikers mit fast 40jähriger Betriebszugehörigkeit auf
einen anderweitigen Dauerarbeitsplatz mit außerordentlichen Schwierigkeiten
behaftet. Die Beklagte hat auch nichts dazu erklärt, was sie unter der
vorübergehenden Beschäftigung versteht. Dieses Tatbestandsmerkmal wird
z.B. in zahlreichen arbeitsrechtlichen Gesetzen (§ 1 AÜG, § 1 NachwG, § 11
BUrlG, § 14 TzBfG, § 87 Nr. 3 BetrVG, §§ 11, 14 MuSchG etc.) für Zeiträume
von einem Monat ( § 1 NachwG) bis von über fünf Jahren (BAG 15.1.1997
EzA § 620 BGB Hochschulen Nr. 12) und auch ohne zeitliche Grenze (vgl.
BAG 17.4.2002 NZA 2003, 159, 162 unter II.3.e.) verwendet.
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Diese Folgen der unabsehbaren Nichtbeschäftigung bzw. unterwertigsten
Beschäftigung ändern das prägende Element des Arbeitsverhältnisses,
nämlich die Beschäftigung nach Befähigung, und stören dadurch das
Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung grundlegend. Der TV
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Ratio gewährleistet keinen gesetzlich vorgesehenen Mindeststandard an
Bestandsschutz. Das folgt im Wesentlichen aus Sinn und Zweck des § 2
KSchG. Diese Norm soll Vertragsinhaltsschutz gewähren; insbesondere soll
es in der Hand des Arbeitnehmers liegen, sich trotz einer Verschlechterung
seiner Arbeitsbedingungen den Arbeitsplatz zu erhalten (KR/Rost a.a.O., § 2
KSchG Rdnr. 7 m.w.N.) und gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die neuen
Bedingungen zumutbar sind (ErfK/Ascheid a.a.O., § 2 KSchG Rdnr. 2). Diese
gerichtliche Prüfung erfolgt in zwei Stufen. In der ersten Stufe wird eine
betriebsbedingte Änderungskündigung bis auf die Möglichkeit einer
Weiterbeschäftigung wie eine Beendigungskündigung geprüft; erst in der
zweiten Stufe wird die Zumutbarkeit geprüft. Demgegenüber ist eine
direktionsrechtliche Maßnahme anhand von § 315 BGB zu überprüfen,
nämlich ob billiges Ermessen gewahrt wurde. Durch die Einhaltung der Zwei-
Stufen-Prüfung bei der Änderungskündigung will das BAG gerade verhindern,
dass die Prüfung in eine "mehr oder weniger diffuse reine Billigkeitskontrolle
abgleitet" (KR/Rost a.a.O. § 2 KSchG Rdnr. 96 m.w.N.).
Indem der TV Ratio letztlich eine dauernde Suspendierung oder
unterwertigste Beschäftigung für zumutbar erklärt, vereitelt er das aus § 2
KSchG folgende Recht des Arbeitnehmers auf gerichtliche Überprüfung
außerhalb einer reinen Billigkeitskontrolle. Es liegt nicht in der Hand der
Tarifparteien, dieses Verfahren dadurch zu umgehen, indem sie jede
mögliche einseitige Änderung des Kerns eines Arbeitsverhältnisses für
"zumutbar und gleichwertig" erklären. Dies gilt auch dann, wenn die
Tarifparteien ihren Vertrag zu arbeitnehmerfreundlichem
Beschäftigungsabbau gestalten. § 2 KSchG steht auch unter
beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten nicht zu ihrer Disposition.
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III.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. 91 Abs. 1 ZPO sowie
§§ 46 Abs. 2, 61 ArbGG i.V.m. 3 ZPO. Der Versetzungsstreit ist in der Regel mit einem
Bruttomonatseinkommen zu bewerten (GK-ArbGG/Wenzel, Stand 12/2002, § 12 Rdnr.
182 m.w.N.).
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von der Partei
63
B e r u f u n g
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eingelegt werden.
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Für die Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Berufung muss
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innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat
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beim Landesarbeitsgericht Köln, Blumenthalstraße 33, 50670 Köln eingegangen sein.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung. § 9 Abs. 5 ArbGG
bleibt unberührt.
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Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt eingereicht werden; an seine Stelle können Vertreter einer Gewerkschaft
oder einer Vereinigung von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher
Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und
der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglieder Partei sind. Die gleiche
Befugnis haben Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im
wirtschaftlichen Eigentum einer der zuvor genannten Organisationen stehen, solange
die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der
Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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