Urteil des AnwGH Nordrhein-Westfalen vom 12.03.2008

AnwGH NRW: finanzielle verhältnisse, vermögensverfall, haftbefehl, rechtsanwaltschaft, gefährdung, erlass, einverständnis, sanierung, zukunft, beweislast

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Anwaltsgerichtshof NRW, 1 ZU 74/07
12.03.2008
Anwaltsgerichtshof NRW
1. Senat
Beschluss
1 ZU 74/07
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der
An-tragsgegnerin werden dem Antragsteller auferlegt.
Der Gegenstandswert wird auf 50.000,- Euro festgesetzt.
I.
Der 1947 geborene Antragsteller bestand 1979 sein zweites Staatsexamen und ist seither
bei dem AG Bad Berleburg und dem LG Siegen als Rechtsanwalt zugelassen. Mit Wirkung
vom 1. Juli 2002 wurde er durch Urkunde des Präsidenten der RAK Hamm bei dem OLG
Hamm zugelassen.
Der Antragsteller betreibt seine Kanzlei in ####1 C2, M-Straße.
Im Juli 1991 war der Antragsteller zum Notar bestellt worden. Von diesem Amt wurde er
indes vom Präsidenten des OLG Hamm mit Schreiben vom 14. September 2006 enthoben,
weil "die Art der Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtssuchenden gefährdet". Der
Antragsteller hatte (auch) insoweit Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim Notarsenat
des OLG Köln gestellt. Durch Beschluss des OLG Köln vom 7. Mai 2007 (2 X [Not] 18/06)
wurde sein Antrag zurückgewiesen. Die Entscheidung ist seit dem 24. Mai 2007
rechtskräftig.
Mit Verfügung vom 17. Juli 2007 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls, nachdem dem Antragsteller zuvor ohne
Resonanz aufgefordert worden war, zu seinen Vermögensverhältnissen Stellung zu
nehmen. Die Antragsgegnerin verweist im Wesentlichen darauf, dass am 28. Juni 2007 ein
Haftbefehl gem. § 807 ZPO ergangen sei. Außerdem bestünden in vier laufenden
Vollstreckungsangelegenheiten Ratenzahlungsverpflichtungen.
II.
Gegen diese Widerrufsverfügung wendet sich der Antragsteller und begehrt,
den Widerrufsbescheid vom 17. Juli 2007 aufzuheben und festzustellen, dass die
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dort aufgeführten Widerrufsgründe nicht vorliegen.
Zur Sache trägt er in erster Linie vor, dass der Haftbefehl aufgrund eines Versehens
ergangen sei; die Forderung sei jedoch beglichen. Außerdem "besitze" er eine
selbstgenutzte Immobilie mit einem Verwertungswert von mindestens
200.000,- Euro, dem eine Restschuld bei der (finanzierenden) Bank in Höhe von nur
66.243,- Euro gegenüber stehe. Die Raten leiste er pünktlich und jeweils in voller Höhe. Er
befinde sich nicht in Vermögensverfall.
III.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
Sie verteidigt den Widerrufsbescheid als rechtmäßig, zumal zwischenzeitlich durch
Mitteilung des OGV Schmidt vom 8. Oktober 2007 bekannt geworden sei, dass der
Antragsteller seine Ratenzahlungsverpflichtungen in den Angelegenheiten nicht
eingehalten habe. Insoweit seien am 12. Oktober 2007 drei Haftbefehle ergangen.
IV.
Soweit der Antrag zulässig ist, ist er unbegründet. Der Senat kann nach den
übereinstimmenden Erklärungen der Parteien im Termin vom 14. Dezember 2007 im
schriftlichen Verfahren entscheiden.
1.
Der angegriffene Widerrufsbescheid vom 17. Juli 2007 wurde dem Antragsteller am
19. Juli 2007 zugestellt. Sein Fax mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung ging am
20. August 2007 auf der Telefaxstelle des OLG Hamm ein. Da der 19. August 2007 ein
Sonntag war, ist der Antrag rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 16 Abs. 5 S. 1 BRAO
eingegangen. Soweit der Antragsteller neben der Aufhebung des angefochtenen
Bescheides auch die Feststellung begehrt, dass die Widerrufsgründe nicht vorliegen, ist
sein Antrag unzulässig.
2.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat in der
angefochtenen Widerrufsverfügung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 14 Abs. 2
Nr. 7 BRAO mit Recht angenommen. Diese Voraussetzungen sind im Nachhinein auch
nicht entfallen.
Im Einzelnen:
a.)
wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die
Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Diese Voraussetzungen waren zum
Zeitpunkt der Widerrufsverfügung erfüllt.
Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete schlechte
finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und
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außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen; Beweisanzeichen hierfür sind
insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn
(st. Rspr.; vgl. nur BGH BRAK-Mitt. 1991, 102; BRAK-Mitt. 1995, 126; Beschl. vom
5.12.2005 – AnwZ (B) 14/04). Der Vermögensverfall wird vermutet, wenn der Rechtsanwalt
in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§§ 26 Abs. 2 InsO, 915 ZPO)
eingetragen ist.
So lagen die Dinge zum Zeitpunkt der Widerrufsverfügung aufgrund des Haftbefehls vom
28. Juni 2007.
Der Vermögensverfall führt regelmäßig (Laufhütte DRiZ 1990, 431, 433; Henssler/Putting,
BRAO, 2. Aufl. 2004, § 14 Rdnr. 29) zu einer Gefährdung der Interessen der
Rechtsuchenden, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit Mandantengeldern.
Anhaltspunkte dafür, dass eine Gefährdung der Rechtsuchenden bei Erlass der
Widerrufsverfügung ausnahmsweise nicht vorlag, sind nicht ersichtlich. Die Darlegungs-
und Beweislast trifft den Antragsteller (BGH NJW-RR 2000, 1228, 1229).
b.)
Der Widerrufsgrund ist auch nicht, was im Widerrufsverfahren zu berücksichtigen wäre
(BGHZ 75, 356; 84, 149), nachträglich weggefallen. Das wäre nur dann der Fall, wenn der
Antragsteller nachweist, dass alle Forderungen zu deren Durchsetzung
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet worden waren, getilgt sind und er seinen
Verpflichtungen auch in Zukunft nachzukommen vermag (Feuerich/Weyland, BRAO [6. Aufl
2003], § 7 Rn. 60 m. w. Nws.). Daran fehlt es. Der Antragsteller hat zwar im Termin zur
mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 14. Dezember 2007 durch Vorlage von
Urkunden den Nachweis geführt, dass die Haftbefehle zwischenzeitlich aus dem
Schuldnerverzeichnis gelöscht sind. Auch der Ausgleich der Verbindlichkeiten, die
Gegenstand der Schuldenliste der Antragsgegnerin sind, ist mindestens zu erheblichen
Teilen erfolgt – nach dem Vortrag des Antragstellers im Termin sollen sie sogar restlos
erfüllt sein. Doch selbst wenn sie es wären, würde dies, wie dem Antragsteller im Termin im
Einzelnen dargelegt wurde, nicht ausreichen, um die notwendige zweifelsfreie Sanierung
seiner Vermögensverhältnisse zu belegen. Ihm wurde daher im Einverständnis mit der
Antragsgegnerin aufgegeben, innerhalb einer Frist von einem Monat vollständigen
Nachweis über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erbringen, und zwar
durch eine detailierte Auflistung seines gesamten Vermögens, insbesondere durch Vorlage
aktueller Steuerbescheide und Kontoauszüge sowie einer aktuellen
betriebswirtschaftlichen Auswertung seiner Kanzlei. Auch sämtliche Verbindlichkeiten
waren aufzulisten.
Diesen Auflagenbeschluss hat er nicht erfüllt. Der Antragsteller bat lediglich am Tage des
Fristablaufs um eine Verlängerung von 14 Tagen. Auch diesen Zeitraum hat er ohne
weiteren Vortrag verstreichen lassen. Ein Vermögensverfall lag also nicht nur zum
Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung vor; auch heute noch muss von einem
Vermögensverfall ausgegangen werden.
3.
Die Kostenentscheidung fußt auf §§ 201 Abs. 1, 202 BRAO. Der Gegenstandswert von
50.000,00 € entspricht der ständigen Spruchpraxis des Senats.