Urteil des AnwGH Nordrhein-Westfalen vom 24.04.2009

AnwGH NRW: gesetzliche vermutung, vermögensverfall, gefährdung, rechtsanwaltschaft, vollmachten, insolvenz, konsolidierung, lebenshaltungskosten, widerruf, auskunft

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Anwaltsgerichtshof NRW, 1 AGH 11/09
24.04.2009
Anwaltsgerichtshof NRW
1. Senat
Beschluss
1 AGH 11/09
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der
An-tragsgegnerin werden der Antragstellerin auferlegt..
Der Gegenstandswert wird auf 50.000,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e:
I.
Die Antragstellerin ist seit dem ######### zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.
Nach ihren eigenen Angaben hatte die Antragstellerin nach Trennung von ihrem Ehemann
Mitte 2003 aufgrund der von ihr übernommenen Betreuung ihres damals
2-jährigen Sohnes erste Umsatzeinbußen hinzunehmen. Weitere Umsatzeinbußen traten
nach der Geburt ihres 2. Sohnes im Jahre 2007 ein. Nachdem es mangels
Rücklagenbildung infolge der Umsatzrückgänge zu Steuerrückständen gekommen war,
pfändete das Finanzamt N die Bankkonten der Antragstellerin. Diese stellte daraufhin unter
dem 29.02.2008 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das
Insolvenzverfahren wurde nachfolgend durch Beschluss des Amtsgerichts N vom
24.09.2008 (#########) wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Zuvor hatte der
Insolvenzverwalter Dr. G im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens in seinem
Gutachten vom 29.08.2008 u.a. festgestellt, dass einem freien Vermögen der
Antragstellerin von 7.783,19 Euro fällige Verbindlichkeiten von 70.975,79 Euro
gegenüberstünden und die Umsatz- und Ergebnissituation der Anwaltskanzlei nach
Maßgabe der wirtschaftlichen Eckdaten nur eingeschränkt geeignet sei, eine Basis zur
Deckung der persönlichen Lebensverhältnisse zu bieten, so dass eine Fortsetzung im
eröffneten Insolvenzverfahren ausscheide und der Kanzleibetrieb daher aus dem
Insolvenzbeschlag freigegeben werde. Eine positive Fortführungsaussicht für die Kanzlei
der Antragstellerin sah der Insolvenzverwalter nur für den Fall der Durchführung eines
Insolvenzplanverfahrens. Entsprechend erklärte der Insolvenzverwalter mit Schreiben vom
23.09.2008, dass das Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit der Antragstellerin als
Rechtsanwältin nicht zur Insolvenzmasse gehöre und Ansprüche aus dieser Tätigkeit im
Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden könnten (Bl. 7 d.A.)
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Im Rahmen ihrer Anhörung durch die Antragsgegnerin gab die Antragstellerin mit
Schreiben vom 17.11.2008 Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse und fügte dem
u.a. eine Ablichtung der Tabelle nach § 175 Ins0 bei, die per 27.10.2008 angemeldete
Forderungen in Höhe von insgesamt 92.417,73 – davon Hauptgläubiger das Finanzamt N
mit Forderungen von insgesamt 71.005,71 Euro – auswies. Ihr Einkommen gab sie für 2006
mit 40.290,- Euro, für 2007 mit 16.992,- Euro, für Januar 2008 mit 2.451,08 Euro netto, für
Februar 2008 mit 5.961,22 Euro netto und bis zum 11.03.2008 mit 2.652,50 Euro an.
Daraufhin widerrief die Antragsgegnerin unter dem 27.01.2009 die Zulassung der
Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRA0. Zur Begründung
verwies sie darauf, dass die gesetzliche Vermutung für den Vermögensverfall eingreife,
dieser aufgrund der ausgewiesenen Forderungen gegen die Antragstellerin aber auch
positiv feststellbar sei.
Gegen den ihr am 28.01.2009 zugestellten Widerrufsbescheid wendet sich die
Antragstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 12.02.2009, bei Gericht
eingegangen am 13.02.2009.
Zur Begründung hat die Antragstellerin u.a. geltend gemacht, eine Gefährdung
Rechtsuchender sei nicht gegeben. Zu keinem Zeitpunkt sei der Kanzleibetrieb gestört
gewesen. Sämtliche Mandantengelder seien prompt ausgezahlt worden. Inzwischen
würden Forderungen direkt auf die Konten der Mandanten überwiesen. Darauf und auf das
Fehlen einer Geldempfangsvollmacht werde auch in Anschreiben und Vollmachten
ausdrücklich hingewiesen. Ihre Verbindlichkeiten bestünden fast ausschließlich gegenüber
dem Finanzamt. Der Schuldenstand von 92.417,73 Euro sei in Bezug auf die Forderung
der B (Forderung: 4.500,- Euro) auf 400,- Euro und der L AG (Forderung: 5.504,65 Euro) in
mangels entsprechender Kontounterlagen nicht näher zu benennender Höhe zu
korrigieren. Ihre Einnahmen für die Zeit vom 08.10.2008 – 31.12.2008 hätten 7.092,72 Euro
brutto betragen. Da die Einnahmen zur Zeit noch nicht reichen würden, um ihren
Lebensunterhalt sicherzustellen, beziehe sie von der B Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes von monatlich 1.030,40 Euro. Hinzu kämen 285,- Euro
Unterhaltsvorschuss für die Kinder und 316,- Euro Kindergeld. Der Insolvenzverwalter
beabsichtige, durch einen drittfinanzierten Insolvenzplan das Insolvenzverfahren
abzukürzen. Diese Bemühungen sollten nach Ansicht der Antragstellerin abgewartet
werden, um ihr nicht die berufliche Existenz zu nehmen.
II.
Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet. Die Antragsgegnerin
hat zu Recht die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen
Vermögensverfalls bejaht.
Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen,
wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die
Vermögensinteressen der Rechtsuchenden nicht gefährdet werden. Ein Vermögensverfall
liegt z.B. dann vor, wenn ein Rechtsanwalt in ungeordnete schlechte wirtschaftliche
Verhältnisse geraten ist und seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen kann.
Er wird darüber hinaus vermutet, wenn ein Rechtsanwalt in das vom Insolvenzgericht oder
vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis eingetragen ist.
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Die Antragstellerin befand sich zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Entscheidung in
Vermögensverfall. Dieser ist in der Folgezeit auch nicht wieder entfallen.
a)
Vorliegend kommt aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der
Antragstellerin bereits die Vermutungswirkung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRA0 zum Tragen.
Diese ist von der Antragstellerin nicht zweifelsfrei ausgeräumt worden.
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Antragstellerin ist noch nicht beendet, so
dass die Grundlage der gesetzlichen Vermutung nicht entfallen ist. Insbesondere waren die
Bemühungen des Insolvenzverwalters um eine Abkürzung des Verfahrens bislang
erfolglos.
Der Umstand, dass der Insolvenzverwalter den Kanzleibetrieb aus dem Insolvenzverfahren
freigegeben hat, rechtfertigt keine andere Sicht. Der Grund liegt allein darin, dass dessen
Fortführung im Rahmen der Insolvenz nicht wirtschaftlich ist ( vgl. hierzu auch Beschluss
des BGH v. 16.04.2007 – AnwZ (B) 6/06 ).
Daraus, dass die Antragstellerin einen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt hat, der
auch vom Insolvenzverwalter in seinem Gutachten befürwortet worden ist, lässt sich
ebenfalls nichts abweichendes herleiten. Denn ob es dazu einmal kommt, steht noch
keineswegs fest. Hier hat sich vielmehr – anders als in dem Beschluss des BGH vom
07.12.2004 – AnwZ (B) 40/40 – die Möglichkeit der Restschuldbefreiung noch nicht zu
einer konkreten Aussicht verdichtet.
b)
Abgesehen von der nicht ausgeräumten Vermutungswirkung für den Vermögensverfall der
Antragstellerin ist ein solcher auch positiv festzustellen.
Wie schon ausgeführt, bestehen gegen die Antragstellerin ganz erhebliche Steuerschulden
von über 70.000,- Euro, deren Tilgung durch ihre anwaltliche Tätigkeit auf absehbare Zeit
nicht möglich sein wird. So trägt die Antragstellerin selbst vor, dass ihre derzeitigen
Einnahmen nicht einmal ihre Lebenshaltungskosten decken, sondern lediglich zur
Begleichung der Bürokosten reichen. Das belegt deutlich die desolate finanzielle Situation
der Antragstellerin, die ohne staatliche Unterstützung sich und ihre Kinder nicht unterhalten
kann.
Unerheblich ist auch, dass ihre Verbindlichkeiten – wie die Antragstellerin betont – fast
ausschließlich gegenüber dem Finanzamt bestehen. Dies ändert am Vermögensverfall als
solchem nichts. Abgesehen davon sind sehr wohl noch andere Gläubiger mit nicht gänzlich
unerheblichen Forderungen vorhanden.
Sonstige Umstände, die die Annahme rechtfertigen könnten, die Antragstellerin werde sich
alsbald und nachhaltig in einer besseren wirtschaftlichen Situation befinden, sind nicht
ersichtlich.
2.
Von einer Gefährdung Rechtsuchender ist vorliegend ebenfalls auszugehen.
Regelmäßig führt der Vermögensverfall insbesondere im Hinblick auf den Umgang des
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Rechtsanwaltes mit Fremdgeldern sowie auf den darauf möglichen Zugriff durch seine
Gläubiger zu einer solchen Gefährdung. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine
abweichende Betrachtung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
Insbesondere ergeben sie sich vorliegend nicht im Zusammenhang mit der
Insolvenzeröffnung. So entfällt die Gefährdung der Rechtsuchenden grundsätzlich nicht
durch die Insolvenzeröffnung und die damit verbundenen Verfügungsbeschränkungen ( vgl.
bereits BGH, Beschluss vom 16.04.2007, a.a.0.). Hier ist zudem die Freigabe der Kanzlei
durch den Insolvenzverwalter erfolgt. Auch der Hinweis der Antragstellerin, Gelder würden
nur auf Mandantenkonten fließen, sie habe keine Geldempfangsvollmacht und weise auch
darauf hin, vermag daran nichts zu ändern. Es besteht sehr wohl nach wie vor die
Möglichkeit, dass faktisch Zahlungen – wie insbesondere Barzahlungen – an die
Antragstellerin erfolgen. Sie könnte zudem ohne weiteres jederzeit ihre Vorgehensweise
ändern. Eine irgendwie geartete Kontrollmöglichkeit besteht nicht, zumal die Antragstellerin
als Einzelanwältin tätig ist und eigenständig agieren kann. Entsprechend kann ein
dauerhafter Wegfall der Gefährdung Rechtsuchender nur angenommen werden, wenn
zumindest – nach Abschluss des Insolvenzverfahrens – mit einer nachhaltigen
Konsolidierung der Antragstellerin zu rechnen ist. Das aber ist derzeit noch nicht der Fall.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 201 BRAO, die Entscheidung über die Erstattung
außergerichtlicher Kosten aus § 13 a FGG.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes entspricht der ständigen Rechtsprechung des
Senates zu §§ 202 Abs. 2 BRA0, 30 Abs. 2 Kost0 in Zulassungssachen.