Urteil des AnwGH Nordrhein-Westfalen vom 22.01.2010

AnwGH NRW: vermögensverfall, finanzielle verhältnisse, aufschiebende wirkung, widerruf, richteramt, rechtsanwaltschaft, zustellung, erlass, eng, versicherung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Anwaltsgerichtshof NRW, 1 AGH 81/09
22.01.2010
Anwaltsgerichtshof NRW
1. Senat
Urteil
1 AGH 81/09
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
Der am 05.11.1965 in I geborene Kläger ist seit dem 28.04.1994 zur Rechtsanwaltschaft
zugelassen. Der Kläger ist Fachanwalt für Strafrecht und gibt als Tätigkeitsschwerpunkte
Sozialrecht und Verkehrsrecht an. Ab 2004 kam es wiederholt vor, dass der Kläger erst
nach mehrfachen Mahnen und unter Androhung aufsichtlicher Maßnahmen Zeugnisse für
Referendare einreichte.
Mit Bescheid vom 15.10.2009, zugestellt am 19.10.2009, wurde dem Kläger die Zulassung
zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls widerrufen. Die Beklagte begründet den
Widerruf damit, es sei gegen den Kläger in einer Vielzahl von Fällen zu
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einschließlich des Erlasses mehrerer Haftbefehle
gekommen. Die Gesamtverbindlichkeiten beliefen sich per Stand Anfang September 2009
auf rd. 13.000,00 €, wobei in zwei Fällen bereits Haftbefehle erwirkt worden waren. Per
Stand 15.01.2010 haben sich die Verbindlichkeiten auf 46.338,09 € aus 23
Vollstreckungsfällen erhöht. Mit acht Haftbefehlen ist der Kläger im Schuldnerverzeichnis
eingetragen. Am 12.11.2009 hat der Kläger die eidesstattliche Versicherung abgegeben.
Gegen die Widerrufsverfügung richtet sich die am 18.11.2009 eingegangene Klage. Der
Kläger räumt die Tatsachen, aus denen ein Vermögensverfall herzuleiten ist, ein. Er ist
aber der Auffassung, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden
ausnahmsweise nicht gegeben sei. Hierzu führt er aus:
Seit dem 01.09.2008 sei er nicht mehr selbstständig tätig. Er sei (wieder) als angestellter
Rechtsanwalt in der Kanzlei X2 tätig, auf deren Briefbogen er neben den Rechtsanwälten
K. H. X2 und S. X3 als Rechtsanwalt genannt ist.
Ausweislich des vorgelegten Anstellungsvertrages vom 10.08.2008 hat der Kläger die ihm
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übertragenen Mandate umfassend und grundsätzlich selbstständig zu bearbeiten (§ 3 a).
Gemäß § 4 c führt der Kläger die von ihm bis zum 31.08.2008 angenommenen und
mitgebrachten Mandate bis zum Abschluss des laufenden Verfahrensabschnittes auf
eigene Rechnung fort. Gemäß § 7 a ist der Kläger unterschriftsberechtigt. Er wird in das
Praxisschild, die Drucksachen, Stempel der Kanzlei und sonstigen Verzeichnisse, in denen
die Kanzlei geführt wird, aufgenommen (§ 7 b). Regelungen darüber, ob er Rechnungen
schreiben oder Gelder annehmen darf, ob er Zugriff auf die Konten der Praxis hat u. ä.,
enthält der Anstellungsvertrag nicht.
Der Kläger trägt vor, er habe seine Vermögenssituation mit seinem Arbeitsgeber erörtert
und von diesem die volle Unterstützung. Er sei Herrn Rechtsanwalt X2 seit über 25 Jahren
persönlich verbunden. Durch die Trennung von seiner Frau sei er persönlich und infolge
dessen auch finanziell in Schwierigkeiten geraten. Herr Rechtsanwalt X2 sen. und dessen
Söhne, mit denen er ebenfalls eng befreundet sei, kümmerten sich sehr um ihn und hätten
es geschafft, dass er wieder an eine Zukunft glauben könne.
Der Widerruf der Zulassung hätte für eine nicht unerhebliche Anzahl seiner Mandanten
erhebliche Schäden zur Folge. So sei er beispielsweise in einem Prozessverfahren gegen
Ärzte aus dem St. Y Hospital in X tätig. Dies sei bundesweit eines der größten Verfahren
gegen Ärzte. Der Prozess habe Mitte September 2009 begonnen und werde noch bis März
2010 dauern. Seinen Mandanten könne er nicht zumuten, sich aus der Verteidigerstellung
zurückzuziehen. Auch habe er weitere umfangreiche Strafsachen vor dem Widerruf
angenommen. Auch diesen Mandanten sei eine Mandatsniederlegung nicht zuzumuten.
Auch habe er mit einem Rechtsanwalt L Kontakt, der kurzfristig seine private Insolvenz
einleiten werde. Beantragt habe er das Insolvenzverfahren noch nicht. Die Eigenmandate,
die er in die Praxis X2 mitgebracht habe, seien abgewickelt.
Der Kläger reicht ergänzend eine Stellungnahme des Rechtsanwaltes K. H. X2 zur Akte, in
dem sich dieser sehr eingehend für den Kläger verwendet und am Ende ausführt, beruflich
sei der Kläger in seiner Kanzlei so eingebunden, dass er ausschließlich Mandate
annehme, die für und auf Rechnung der Kanzlei geführt würden. Eigene Mandate auf
eigene Rechnung bearbeite der Kläger nicht. Sämtlicher Geldverkehr würde ausschließlich
über ihn persönlich bzw. die Büroleiterin abgewickelt. Auch diese sei bereits viele
Jahrzehnte in der Kanzlei tätig, so dass absolut gesichert sei, dass der Kläger auf
Mandanten- oder Fremdgelder keinen Zugriff habe.
Der Kläger beantragt,
den Widerrufsbescheid der Beklagten vom 15.10.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Gründe des Bescheides, auf die Liste der Verbindlichkeiten Stand
15.01.2010 und zusätzlich den Umstand, dass die Eigentumswohnung des Klägers,
eingetragen im Grundbuch von N Blatt ####1 am 09.02.2010 zur Zwangsversteigerung
anstehe; betreibende Gläubiger seien das Land Nordrhein-Westfalen wegen einer
Forderung von 13.762,50 €, die Stadt-Sparkasse N wegen einer Forderung von 74.173,32
€ und die Stadt N wegen einer Forderung von 142,06 €.
Gründe:
Die Klage ist nach § 6 Abs. 1 AGVwGO NW ohne Durchführung eines Vorverfahrens nach
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§ 68 VwGO zulässig. Sie ist rechtzeitig erhoben.
Die Klage ist unbegründet, weil die angefochtene Widerrufsverfügung rechtmäßig
ergangen ist. Die Beklagte hat die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu Recht
angenommen; diese Voraussetzungen sind auch später nicht entfallen.
1.
Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen,
wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die
Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall wird vermutet,
wenn entweder ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet
worden ist oder der Rechtsanwalt in das vom Insolvenzgericht oder vom
Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis eingetragen ist. Im Übrigen liegt ein
Vermögensverfall vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle
Verhältnisse gerät, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann oder außer Stande ist,
seinen Zahlungsverpflichtungen geregelt nachzukommen. Beweisanzeichen sind
insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
gegen ihn.
2.
Bei Erlass der angefochtenen Verfügung am 15.10.2009 lagen sowohl die
tatbestandlichen Voraussetzungen der Vermutung als auch des Vermögensverfalls selbst
vor. Seit Ende 2008 ist es zu einer Vielzahl von Vollstreckungsmaßnahmen gegen den
Kläger gekommen, die bereits zu zwei Haftbefehlen geführt hatten. Die Gesamtsumme der
Verbindlichkeiten beläuft sich nach der aktuellen Liste, Stand 15.01.2010 auf 46.338,09 €.
Nach Erlass der Widerrufverfügung hat der Kläger die eidesstattliche Versicherung
abgegeben. Seit dem 22.10.2009 ist er mit insgesamt acht Haftbefehlen im
Schuldnerverzeichnis eingetragen.
Der zum Zeitpunkt des Widerrufs bestehende Vermögensverfall ist somit auch nicht
nachträglich entfallen. Der Kläger selbst geht von einem Vermögensverfall aus.
3.
Der Widerruf wegen Vermögensverfalls kommt dann nicht in Betracht, wenn die
Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall nicht gefährdet sind. Dies ist
bei einem Vermögensverfall nur ganz ausnahmsweise anzunehmen. Denn der
Vermögensverfall führt regelmäßig zu einer derartigen Gefährdung der Rechtsuchenden
dadurch, dass der Rechtsanwalt in der Gefahr steht, auf Fremdgelder zuzugreifen.
Entgegen der Auffassung des Klägers liegt ein solcher nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes eng zu begrenzender Ausnahmefall nicht vor. Weder hat der Kläger
mit einem Eigenantrag das Insolvenzverfahren eingeleitet, noch erfüllen die Umstände,
unter denen der Kläger in der Kanzlei X2 tätig ist, die strengen Anforderungen. So verlangt
der Bundesgerichtshof, dass ein in Vermögensverfall geratener Rechtsanwalt in einer
größeren Kanzlei im Hintergrund arbeitet, ohne dass er nach außen in Erscheinung tritt.
Schon diesen Anforderungen genügt das Anstellungsverhältnis des Klägers in der Kanzlei
K. H. X2 nicht. Daher kommt es auf den weiteren Umstand, ob durch die Abläufe in der
Kanzlei gesichert ist, dass der Kläger mit dem Geldverkehr nicht in Kontakt kommt, nicht
entscheidungserheblich an. Die Rechtsprechung verlangt zudem, dass der betroffene
Rechtsanwalt berufsrechtlich im Übrigen nicht in Erscheinung getreten ist. Auch hieran fehlt
es im Falle des Klägers.
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4.
Die Berufung war nicht nach §§ 124 VwGO, 112 c Abs. 1 BRAO zuzulassen. Weder
weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, noch
hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§§ 124 a Abs. 1, 124 a Abs. 2 Nr. 2 u. 3
VwGO); die entscheidungserheblichen Fragen sind in der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes geklärt. Auch liegt ein Fall der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4
VwGO nicht vor.
5.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 167 Abs. 2 VwGO, § 709 Satz 1
ZPO. Der Streitwert entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senates und des
Bundesgerichtshofes.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen
Urteils schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag ist bei dem
Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstraße 53, 59065 Hamm, zu
stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach
Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung
zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt
worden ist, bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des
Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht
oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im
Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch
für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet
wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer deutschen
Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt
zugelassen. Ferner sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Personen und Organisationen als
Bevollmächtigte zugelassen. Ein nach dem Vorstehenden Vertretungsberechtigter kann
sich selbst vertreten; es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung
angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergestellt
worden ist. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der
von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können
sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit
Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen
Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten
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Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Die Festsetzung des Streitwerts ist unanfechtbar.