Urteil des AnwGH Nordrhein-Westfalen vom 19.02.2010

AnwGH NRW: berufliche tätigkeit, vermögensverfall, aufschiebende wirkung, finanzielle verhältnisse, mandat, gefährdung, richteramt, rechtsanwaltschaft, zustellung, darlehen

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Anwaltsgerichtshof NRW, 1 AGH 83/09
19.02.2010
Anwaltsgerichtshof NRW
1. Senat
Urteil
1 AGH 83/09
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Gegenstandswert beträgt € 50.000,00.
Tatbestand
Der jetzt 72-jährige Kläger ist seit dem 03.09.1968 als Rechtsanwalt im Bezirk der
Beklagten zugelassen.
Im Januar 2009 wurde auf Antrag der Volksbank M eG wegen eines dinglichen Anspruchs
in Höhe von € 51.129,19 zuzüglich Zinsen die Zwangsversteigerung des Grundstückes
Weite Breite 16, dessen Eigentümer der Kläger ist, angeordnet.
Dem lag zugrunde eine Briefgrundschuld über DM 100.000,00 aus dem Jahre 1980.
Am 04.02.2009 hat das Amtsgericht Lippstadt auf entsprechenden Antrag des Klägers die
einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens für einen Zeitraum von
sechs Monaten angeordnet.
Bereits unter dem 15.05.2009 ist auf entsprechenden Gläubigerantrag hin die
Verfahrensfortsetzung angeordnet worden.
Unter dem 02.07.2009 hat die Beklagte dem Kläger dann zunächst unter Fristsetzung von
zwei Wochen Gelegenheit zur Stellungnahme zu den gegen ihn anhängigen
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegeben.
Der Kläger hat sich unter dem 04.08.2009 dahingehend eingelassen, dass er "seit
Verschlechterung meiner Vermögensverhältnisse" damit begonnen habe, seine berufliche
Tätigkeit zu reduzieren. Damit eine Gefährdung der Interessen von Rechtsuchenden nicht
eintreten könne, sei er derzeit nur noch in einem Falle anwaltlich tätig.
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Sobald dieses Mandat abgeschlossen sei, könne er aus den ihm zustehenden
Honorarforderungen die Verbindlichkeiten ausgleichen, da das Honorarvolumen die
Verbindlichkeiten deutlich übersteige, weshalb er um Einräumung einer Fristverlängerung
bis Ende August 2009 nachsuche.
Kurz darauf erhielt die Beklagte Kenntnis von einem von der D AG beantragten und vom
Amtsgericht Lippstadt erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wegen einer
Hauptforderung von € 47.232,59.
Dies nahm die Beklagte zum Anlass, unter dem 18.09.2009 unter Fristsetzung von zehn
Tagen ab Erhalt den Kläger aufzufordern, ausführlich und umfassend zu seinen
Vermögensverhältnissen Stellung zu nehmen.
Mit Schreiben vom 03.10.2009 stellte der Kläger die beiden Forderungen der Banken
gegen ihn unstreitig und erklärte darüber hinaus, er sei derzeit nicht in der Lage, diese
Forderungen auszugleichen, was jedoch berufsrechtlich keinerlei Konsequenzen zeitigen
dürfte, da er bereits seit Mitte 2008 keine neue Mandate mehr angenommen habe.
Zudem lägen keine weiteren aktuellen Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn vor, er erziele
kein Einkommen und lebe vom Vermögen und Einkommen seiner Ehefrau und seiner
Geschwister.
Auf nochmalige Nachfrage der Beklagten erklärte er mit Schreiben vom 19.10.2009 weiter,
dass er eine endgültige Regelung seiner Vermögensverhältnisse anstrebe bis Ende April
2010.
Konkrete Ausführungen zu seinen Vermögensverhältnisses blieb der Kläger schuldig,
woraufhin die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft nach
§ 14 II Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfall durch Bescheid vom 27.10.2009 widerrief. Die
Widerrufsverfügung ist dem Kläger am 30.10.2009 zugestellt worden.
Gegen die Widerrufsverfügung vom 27.10.2009 wendet sich der Kläger mit der
vorliegenden Klage und begründet diese ausschließlich damit, dass wegen der Tatsache,
dass er seit 2008 auf die von ihm bereits antizipierten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen
gegen ihn seine berufliche Tätigkeit eingestellt, seine bisherigen Kanzleiräume
aufgegeben und auch keine neuen Kanzleiräume publiziert habe, so dass von einer
Gefährdung der Rechtsuchenden nicht ausgegangen werden dürfe.
Die gegen ihn laufenden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen stellt er demgegenüber
unstreitig. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger behauptet, die Forderung der D
habe sich durch Zahlungen auf € 37.000,00 ermäßigt. Zudem erwarte er kurzfristig aus dem
einen von ihm betreuten Mandat für den Zeitraum bis 2003 ein Honorar von mehr als
€ 300.000,00 netto, für den Zeitraum danach noch mehr.
Der Kläger
beantragt,
die Widerrufsverfügung der Beklagten vom 27.10.2009 aufzuheben.
Die Beklagte
beantragt,
die Klage zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Widerrufsentscheidung als rechtmäßig.
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Entscheidungsgründe
Die Klage ist gemäß § 6 I AGVwGONW ohne Durchführung eines Vorverfahrens gemäß
§ 68 VwGO zulässig.
Die Klage ist jedoch unbegründet, da die angefochtene Widerrufsverfügung rechtmäßig
ergangen ist. Zu Recht hat die Beklagte in der angefochtenen Widerrufsverfügung vom
27.10.2009 das Vorliegen der Voraussetzungen des § 14 II Nr. 7 BRAO angenommen;
diese Voraussetzungen sind im Nachhinein auch nicht entfallen.
1. Gemäß § 14 II Nr. 7 BRAO ist die Zulassung der Rechtsanwaltschaft zu widerrufen,
wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die
Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind.
Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn entweder ein Insolvenzverfahren über das
Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet worden ist oder der Rechtsanwalt in das von
Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis eingetragen ist.
Im Übrigen liegt ein Vermögensverfall vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete,
schlechte finanzielle Verhältnisse gerät, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann und
außerstande ist, seinen Zahlungsverpflichtungen geregelt nachzukommen.
Beweisanzeichen sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtitel und
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn.
2. Vorliegend kann für den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung am
27.10.2009 das Vorliegen des Vermögensverfalls positiv festgestellt werden.
Der Kläger hat den Vermögensverfall selbst unstreitig gestellt, indem er in der
mündlichen Verhandlung zugestanden hat, dass er nicht in der Lage sei, die gegen ihn
anhängigen Zwangsvollstreckungsvollstreckungsmaßnahmen durch Zahlung aus der Welt
zu schaffen.
Bei dieser Betrachtung hat außer Acht zu bleiben die Behauptung des Klägers, sein
von ihm betreutes einziges Mandat beinhalte einen zu erwartenden Honoraranspruch von
mehr als € 300.000,00 netto bis zum Ende des Jahres 2003 und für die Folgezeit ein noch
höheres Honorar, wobei dieser Honoraranspruch in Kürze zum Tragen käme, da das von
ihm zu vermittelnde Darlehen wohl in Kürze bewilligt werde.
Allein der Zeitablauf von mehr als sieben Jahren, in denen es auch nach dem
Sachvortrag des Klägers Verhandlungen über dieses Darlehen gegeben hat, ohne dass
Zahlungen auf ein etwaiges Honorar des Klägers erfolgt sind, zeigt, wie ungewiss diese
Hoffnung des Klägers ist, so dass sie für die Frage des Vorliegens des Vermögensverfalls
unbeachtlich ist.
Damit befand sich der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung in
ungeordneten, schlechten finanziellen Verhältnissen.
3. Wird ein Vermögensverfall festgestellt, so war es nach bisherigem Recht Sache des
Rechtsanwaltes im Einzelnen nachzuweisen, dass tatsächlich ein Vermögensverfall nicht
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mehr besteht.
Dies konnte dadurch geschehen, dass der Rechtsanwalt die Befriedigung seiner
Gläubiger nachweist und seine derzeitige wirtschaftliche Lage offenlegt; gleiches galt,
wenn der Rechtsanwalt den Verpflichtungen aus Vergleichs- und
Ratenzahlungsvereinbarung regelmäßig nachkam und er außerdem die laufenden Kosten
einschließlich der Lebenshaltungskosten aufbringen konnte.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob angesichts der nunmehrigen Geltung der
VwGO für das verwaltungsrechtliche Verfahren in Anwaltssachen für die Frage der
Begründetheit der Klage allein auf den Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung
abzustellen ist oder ob diese Grundsätze fortgelten.
Denn von einer zweifelsfreien Konsolidierung des Klägers kann keine Rede sein.
Der Kläger wendet lediglich ein, dass sich die Forderung der D AG zwischenzeitlich
auf € 37.000,00 ermäßigt habe, ohne dies zu konkretisieren, geschweige denn zu belegen.
Auch gänzlich fehlt es an der Darstellung der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse durch den Kläger.
Der Vermögensverfall liegt mithin unverändert vor.
4. Der Widerruf wegen Vermögensverfall kommt dann nicht in Betracht, wenn die
Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall nicht gefährdet sind.
Dies ist bei einem Vermögensverfall nur ganz ausnahmsweise der Fall. Denn der
Vermögensverfall führt regelmäßig zu einer derartigen Gefährdung insbesondere mit Blick
auf den eigenen Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern sowie auf den darauf
möglichen Zugriff seiner Gläubiger.
Anhaltspunkte dafür, dass hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, sind nicht gegeben
und liegen auch insbesondere nicht darin begründet, dass der Kläger nach seinem
Sachvortrag noch lediglich ein Mandat betreut und keine Kanzleiräume unterhält.
Unabhängig davon, dass das Nichtunterhalten einer Kanzlei einen möglichen
Widerrufsgrund gemäß § 14 III Nr. 1 BRAO darstellt, hat die Beklagte auch keinerlei
Kontrollmöglichkeiten, ob der Kläger sich an die von ihm behauptete Verhalten tatsächlich
oder nicht doch wieder weiterer Mandate annimmt mit den hieraus folgenden Gefahren für
die Rechtsuchenden.
5. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 I, 167 II VwGO, 709 Satz 1 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen
Urteils schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden.
Der Antrag ist bei dem Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen,
Heßlerstraße 53, 59065 Hamm, zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe
darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
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Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem
Bundesgerichthof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere, tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des
Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht
oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im
Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch
für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet
wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer deutschen
Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt
zugelassen. Ferner sind die in § 67 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und
Organisationen als Prozessbevollmächtigte zugelassen. Ein nach dem Vorstehenden
Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten; es sei denn, dass die sofortige
Vollziehung einer Widerrufsverfügung angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder
ganz noch teilweise wiederhergestellt worden ist. Behörden und juristische Personen des
öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben
gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum
Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder
juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung
ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Die Festsetzung des Streitwertes ist unanfechtbar.