Urteil des AnwGH Frankfurt vom 05.11.2007

AnwGH Frankfurt: rechtsanwaltschaft, betrug, unwürdigkeit, steuerhinterziehung, auskunft, berufsausübung, freiheit, rechtspflege, datum, bewährungsfrist

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Gericht:
Anwaltsgerichtshof
Frankfurt
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 AGH 9/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 7 Nr 5 BRAO, Art 12 Abs 1 S
1 GG, § 263 StGB, § 266 StGB
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft: Dauer der zu
fordernden Wohlverhaltensphase bei Unwürdigkeit des
Zulassungsbewerbers wegen wiederholter Straffälligkeit
über einen Zeitraum von mehreren Jahren
Tenor
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Gegenstandswert wird auf EUR 50.000,– festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wurde am 02.10.1961 in ... geboren. Seine erste juristische
Staatsprüfung legte er im Jahr 2004 ab. Von 2004 bis 2006 leistete er seinen
juristischen Vorbereitungsdienst beim Landgericht Fulda, wo er am 20.10.2006 die
zweite juristische Staatsprüfung ablegte.
Mit Antrag vom 03.11.2006, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 06.11.2006,
beantragte der Antragsteller die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft.
Dem Antrag war unter anderem ein ausgefüllter Fragebogen beigefügt. Frage 2 a)
lautete wie folgt: "Sind gegen Sie Strafen verhängt worden?". In der Erläuterung
hierzu hieß es:
"Es sind auch Verurteilungen und Maßnahmen anzugeben, die nicht in ein
Führungszeugnis oder ein Behördenführungszeugnis aufgenommen werden,
sofern diese Verurteilungen im Bundeszentralregister nicht zu tilgen sind. Die
Rechtsanwaltskammer hat gem. § 41 Abs. 1 Nr. 11 BZRG ein Recht auf
unbeschränkte Auskunft aus dem Register, so daß ihr gegenüber keine Rechte aus
§ 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG geltend gemacht werden können (§ 53 Abs. 2 BZRG)."
Der Antragsteller kreuzte hier die Antwort "nein" an.
Ausweislich verschiedener strafrechtlicher Verurteilungen, welche die
Antragsgegnerin auf der Grundlage einer Auskunft aus dem Zentralregister vom
06.11.2006 bei den genannten Gerichten eingeholt hat, sowie ausweislich dieser
Auskunft aus dem Zentralregister, ist der Antragsteller in der Vergangenheit wie
folgt bestraft worden:
- Verurteilung des Amtsgerichts ... vom 19.10.1987 zu einer Geldstrafe von 15
Tagessätzen à DM 25,– wegen fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr,
die der Antragsteller nach den Feststellungen des Gerichts am 01.04.1987 beging.
- Verurteilung durch das Amtsgericht ... (...) vom 26.11.1987 zu einer Geldstrafe
von 80 Tagessätzen à DM 25,– wegen Diebstahls in Tateinheit mit
Urkundenfälschung.
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Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Antragsteller im Dezember 1986
einem im selben Studentenwohnheim wohnenden Studienkollegen drei
Sparbücher und dessen Reisepass entwendete und mit gefälschter Unterschrift
Auszahlungen bei Banken in Höhe von DM 3.000,– erwirkte.
- Mit anschließendem Beschluss des Amtsgerichts ... vom 02.03.1988 wurde unter
Einbeziehung beider Entscheidungen eine nachträgliche Gesamtstrafe in Höhe von
90 Tagessätzen à DM 25,– gebildet.
- Verteilung durch das Landgericht ... vom 10.08.1992 zu einer Freiheitsstrafe von
sechs Monaten wegen gemeinschaftlichen Betrugs.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Antragsteller gemeinschaftlich
mit anderen im Jahr 1990 ein Geschäftsmodell entwickelte, bei dem per
Zeitungsinserat geworbene Mietwohnungssuchende gegen Gebühren in eine
automatisierte Datei aufgenommen wurden und ihnen geeignete
Vermieteranschriften übermittelt werden sollten. Den Mietwohnungssuchenden
konnten aber wegen der sehr angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt keine
Vermieteranschriften benannt werden, weswegen es in mindestens 108 Fällen zu
ungerechtfertigten Zahlungen der Kunden in Höhe von insgesamt DM 8.300,–
kam.
Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit betrug vier
Jahre.
Die Strafaussetzung wurde widerrufen. Der Strafrest wurde zur Bewährung
ausgesetzt bis zum 12.02.2000 und mit Wirkung vom 13.08.2001 erlassen.
- Verurteilung durch das Landgericht ... vom 04.10.1995 zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen Betrugs in vier
Fällen, Unterschlagung und Steuerhinterziehung.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Antragsteller im Zeitraum von
1991 bis 1993 verschiedene Vermögensdelikte beging, die im Zusammenhang mit
seiner Geschäftstätigkeit für die von ihm gegründeten Firmen ... und ... begangen
habe. Er habe etwa eine Kundin der ... veranlasst, von ihr zur Kaufpreisfinanzierung
zu entrichtende Leasingraten nicht auf das Konto des Leasingunternehmens,
sondern auf sein Konto zu überweisen ("Fall 2"). In einem weiteren Fall habe er
einen nicht umsatzsteuerpflichtigen Designer der Fa. ... dazu gebracht, der ...
fingierte Rechnungen zu stellen und darin Vorsteuer auszuweisen, um diese dann
beim Finanzamt einzureichen und eine Vorsteuerrückerstattung zu erlangen ("Fall
3"). Der festgestellte Gesamtschaden betrug mindestens DM 75.000,–.
Die Strafe wurde nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt.
- Verurteilung durch das Landgericht ... vom 04.11.1996 wegen Betrugs in 79
Fällen, davon in 68 Fällen gemeinschaftlich handelnd, davon einmal in Tateinheit
mit gemeinschaftlichem Herstellen und Gebrauchen einer unechten Urkunde,
unter Einbeziehung der Strafe aus dem vorangegangenen Urteil des Landgerichts
... vom 04.10.1995 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun
Monaten.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Antragsteller über von ihm
geführte Firmen sowie über Scheinfirmen im Zeitraum von 1992 bis 1995
Bestellungen tätigte, die dann nicht bezahlt werden konnten. Der festgestellte
Schaden betrug weit über DM 100.000,–.
Der Antragsteller hat einen Teil der Freiheitsstrafe verbüßt, der Strafrest wurde
durch Beschluss des Landgerichts ... vom 19.01.1998 zur Bewährung ausgesetzt.
Die Bewährungszeit lief am 12.02.2001 ab.
- Verurteilung durch das Amtsgericht ... (Strafbefehl) vom 15.07.1998 zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Monaten wegen gemeinschaftlicher
Steuerhinterziehung in 25 Fällen.
Der Entscheidung lagen drei Fälle aus den Jahren 1993 bis 1995 zugrunde, in
denen es das Gericht für erwiesen ansah, dass sich der Antragsteller
Vorsteuerleistungen in Höhe von rund DM 174.000,– von verschiedenen deutschen
Finanzämtern erschlich, indem er die Neuerrichtung von Gewerbebetrieben in
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Finanzämtern erschlich, indem er die Neuerrichtung von Gewerbebetrieben in
verschiedenen deutschen Städten vortäuschte. Die Strafe wurde zur Bewährung
ausgesetzt. Die Bewährungszeit betrug drei Jahre.
- Mit anschließendem Beschluss des Landgerichts ... vom 10.12.1998 wurde eine
nachträgliche Gesamtstrafe gebildet und gegen den Antragsteller eine neue
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verhängt. Der noch nicht
verbüßte Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt bis zum 08.02.2002, der
Strafrest wurde erlassen mit Wirkung vom 12.08.2002.
Die genannten Straftaten wurden im Zeitraum zwischen 1986 und 1995
begangen. Die letzte Verurteilung erfolgte im Juli 1998. Die letzte festgesetzte
Bewährungszeit lief am 08.02.2002 ab, der letzte Strafrest wurde mit Wirkung vom
12.08.2002 erlassen.
Aus den Straftaten resultierten festgestellte Schäden von mehreren
hunderttausend DM.
Der Antragsteller beantragte im Zusammenhang mit seiner Bewerbung für das
Referendariat ein Führungszeugnis, das ihm mit Datum vom 24.06.2004
ausgestellt wurde und das keine Einträge aufwies.
Mit Bescheid vom 14.02.2007 hat die Antragsgegnerin den Antrag des
Antragstellers auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 Nr. 5
"BRAO"
Bundeszentralregisterauszuges durch die Antragsgegnerin habe sich
herausgestellt, dass acht Eintragungen verzeichnet sind und der Antragsteller
auch Haftstrafen verbüßte. Der Antragsteller habe sich gemäß § 7 Nr. 5 BRAO
eines Verhaltens schuldig gemacht, dass ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf
des Rechtsanwalts auszuüben. Der Antragsteller habe über einen langen Zeitraum
zahlreiche Straftaten begangen, die sich gegen Rechtsgüter richteten, welche für
die anwaltliche Berufsausübung von erheblicher Bedeutung sind. Im Zeitraum vom
1986 bis 1995 habe er immer wieder fremde Vermögensinteressen in strafbarer
Weise verletzt. Seit dem Ablauf der letzten Bewährungsfrist seien erst fünf Jahre
vergangen, der letzte Strafrest sei dem Antragsteller erst vor ca. viereinhalb
Jahren erlassen worden. Eine Wohlverhaltensphase von vier bis fünf Jahren
erscheine vorliegend aber zu kurz.
Der Antragsteller tritt dem entgegen und gibt an, dass lediglich Betrugsdelikte,
Urkundenfälschung sowie Steuerhinterziehung zur Aburteilung gelangt seien.
Sämtliche Straftaten seien "in jungen Jahren" begangen worden. Der Antragsteller
habe sich schon lange aus seiner kriminellen Vergangenheit und Verstrickung
gelöst. Datum der letzten Tat sei der 31.03.1995, die Vorgänge lägen bereits 11
Jahre und 10 ½ Monate zurück.
Abzustellen sei nicht auf den Ablauf einer Bewährungsfrist oder den Erlass des
Strafrestes, sondern ausschließlich auf den Zeitpunkt, als dem Antragsteller seine
Schuld letztmalig deutlich vor Augen gehalten wurde, mithin zum Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung. Ein Straftäter, der eine günstige Sozialprognose
(und sodann unter Festsetzung einer Bewährungszeit eine Bewährungsstrafe)
erhalte, würde ansonsten schlechter gestellt als ein Straftäter, der gegen ihn
verhängte Straftaten voll verbüßen muss.
Zugunsten des Antragstellers sei weiter zu berücksichtigen, dass dieser die im
Raum stehenden Straftaten begangen hat, bevor er sich entschloss, den Beruf
des Rechtsanwalts zu ergreifen. Die Straftaten müssten daher in einem anderen
Licht betrachtet werden als solche, die ein bereits zugelassener Rechtsanwalt
begeht.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin greife unverhältnismäßig in die durch
GG
Hinsichtlich der Nichtangabe von verhängten Strafen sei der Antragsteller auf
Grund des ihm vorliegenden Führungszeugnisses in gutem Glauben gewesen, da
dieses keine Eintragungen aufweise.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin zu verurteilen, den Antragsteller nach der Entscheidung
des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Ein Rechtsanwalt habe in besonderem Maße Sorge für fremde
Vermögensinteressen zu tragen. Die persönliche Integrität sei daher von
überragender Wichtigkeit für das rechtsuchende Publikum. Sei sie nicht
gewährleistet, nehme das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes insgesamt
schweren Schaden.
Demgegenüber müsse das Interesse des Antragstellers, den Beruf des
Rechtsanwalts zu wählen, zurücktreten. Wegen der Bedeutung der
Rechtsanwaltschaft für die Rechtspflege müsse der Zulassungsbewerber
verlässlich gezeigt haben, dass er von seinen Verfehlungen innerlich abgerückt sei
und sich gewandelt habe. Ein solcher Wandlungsprozess werde sich in der Regel
über eine längere Zeit dokumentieren müssen. Zwar seien seit der letzten Straftat
des Antragstellers mittlerweile mehr als elf Jahre vergangen, doch sei zu
berücksichtigen, dass der Antragsteller noch bis zum 08.02.2002 unter Bewährung
stand und der Straferlass erst zum 12.08.2002 erfolgte. Daher könne zu Gunsten
des Antragstellers lediglich eine Wohlverhaltensphase von vier bis fünf Jahren
gewertet werden. Ein solcher Zeitraum sei nur in leichteren Fällen ausreichend.
Den Verurteilungen des Antragstellers lägen jedoch keine leichteren Straftaten zu
Grunde, sondern es handele sich ausnahmslos um Vorsatzdelikte, die von
Rücksichtslosigkeit gegenüber fremden Vermögensinteressen geprägt waren.
Der Antragsteller habe zahlreiche Möglichkeiten, als Assessor – auch in einer
Rechtsanwaltskanzlei – juristisch tätig zu sein.
Nicht unberücksichtigt bleiben könne zudem das Verschweigen der Vorstrafen im
Rahmen des Zulassungsverfahrens. Aus den Erläuterungen zu den Fragen 2 bis 4
des Zulassungsantrages gehe eindeutig hervor, dass auch Verurteilungen und
Maßnahmen anzugeben sind, die nicht in ein Führungszeugnis oder ein
Behördenführungszeugnis aufgenommen werden. Im Zweifel habe der
Antragsteller bei der Antragsgegnerin rückfragen können.
Nach Abwägung der Gesamtumstände müsse aktuell noch befürchtet werden,
dass durch die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft Belange der Rechtspflege
gefährdet würden. Der Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei daher zu
versagen.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, aber unbegründet, weshalb
er auf Kosten des Antragstellers zurückzuweisen war.
Der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO wurde zu Recht bejaht.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu
versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn
unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Der
Unwürdigkeitsvorwurf und die daraus folgende zeitweilige Einschränkung der durch
Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheit der Berufswahl seien gerechtfertigt, wenn
dem Bewerber ein Verhalten zur Last gelegt wird, das ihn bei Berücksichtigung
aller erheblichen Umstände, einschließlich des Zeitablaufs und der
zwischenzeitlichen Führung, nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den
Rechtsanwaltsberuf (noch) nicht tragbar erscheinen lässt (exemplarisch BGH NJW-
RR 2000, S. 1445).
Die Frage, wie viele Jahre zwischen einer die Unwürdigkeit begründenden Straftat
und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
wieder möglich sei, lasse sich nicht allgemein beantworten (a. a. O.). In leichteren
Fällen wird in der Regel ein Zeitraum von vier bis fünf Jahren als ausreichend
angesehen, bei besonders gravierenden Straftaten, darunter auch schweren Fällen
von Betrug und Untreue, wird jedoch ein zeitlicher Abstand von in der Regel 15 bis
20 Jahren für erforderlich gehalten (a. a. O.).
Namentlich bei Straftaten, die sich gegen Rechtsgüter gerichtet haben, die für die
anwaltliche Berufsausübung von unmittelbarer Bedeutung sind, ist die
Unwürdigkeit des Bewerbers anzunehmen, etwa bei Vermögensdelikten, da die
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Unwürdigkeit des Bewerbers anzunehmen, etwa bei Vermögensdelikten, da die
Betreuung fremder Vermögensinteressen zu den zentralen beruflichen Aufgaben
des Rechtsanwalts gehört (BGH BRAK-Mitt. 1998, S. 198 f.).
Erforderlich sei eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den
Zulassungsbewerber sprechenden Umstände (BGH BRAK-Mitt. 1995, S. 162 und
S. 208, 209).
Für den Antragsteller spricht vorliegend, dass der Zeitpunkt der letzten
Tatbegehung im Jahr 1995 mittlerweile 12 Jahre zurückliegt. Er hat seitdem sein
Studium abgeschlossen, sein Assessorexamen bestanden und hat seit den
fraglichen Vorfällen offenbar ein straffreies Leben geführt.
Gegen den Antragsteller sprechen nach wie vor die Straftaten, die Gegenstand der
genannten Verurteilungen waren. Innerhalb eines Zeitraums von neun Jahren
wurde der Antragsteller in erheblichem Ausmaß strafrechtlich auffällig. Die
Aussetzung der Strafe zur Bewährung hielt ihn nicht davon ab, weitere Straftaten
zu begehen, so dass die Bewährung widerrufen wurde. Gegenstand insbesondere
der jüngeren Verurteilungen waren im Wesentlichen Betrug, Urkunden- und
Steuerdelikte. Es handelt sich hierbei um Straftaten aus dem Kreis solcher Delikte,
die Rechtsgüter schützen sollen, die für die anwaltliche Berufsausübung von
unmittelbarer Bedeutung sind (s. auch die Aufzählung bei Feuerich/Weyland, § 7
Rn. 49 f. und Kleine-Cosack, § 7 Rn. 19). Dies gilt in besonderem Maße für die
begangenen Betrugstaten, die den Schwerpunkt der vom Antragsteller
begangenen Straftaten bilden. Denn die Betreuung fremder Vermögensinteressen
gehört zu den zentralen beruflichen Aufgaben des Rechtsanwalts (BGH BRAK-Mitt.
1998, S. 198, 199). Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Antragsteller
die Straftaten lange vor seinem Zulassungsantrag – also noch nicht "als
Rechtsanwalt" – begangen hat, selbst wenn eine Begehung dieser Straftaten
während einer Zulassung möglicherweise als noch schwerwiegender zu bewerten
wäre.
Weiter spricht die Art der Tatbegehung gegen den Antragsteller. Zur Ermöglichung
der Straftaten ersann er komplexe Strukturen (Gründung von Scheinfirmen u. a.)
und bewirkte damit erhebliche Schädigungen bei den Opfer in Höhe von mehreren
hunderttausend DM. Der Antragsteller beging die Taten auch nicht in jugendlichem
Alter. Im Zeitraum der Tatbegehung war er bereits zwischen 25 und 34 Jahre alt.
Die letzte Verurteilung erfolgte im Jahr 1998, also drei Jahre nach der letzten
Tatbegehung im Jahr 1995. Die letzte festgesetzte Bewährungszeit lief am
08.02.2002 ab, der letzte Strafrest wurde mit Wirkung vom 12.08.2002 erlassen.
Soweit hierfür vom Antragsteller nicht zu vertretende Verfahrensverzögerungen u.
a. ursächlich waren, dürfen sich diese nicht zu seinem Nachteil auswirken.
Angesichts der Notwendigkeit, alle Umstände des Einzelfalls in eine umfassende
Würdigung einzubeziehen, wird man auch nicht pauschal darauf abstellen können,
dass nicht der Zeitpunkt der Tatbegehung, sondern der Zeitpunkt der Verurteilung
oder des Ablaufs der Bewährung bzw. des Erlasses des Strafrestes für den Beginn
der relevanten "Wohlverhaltensphase" entscheidend sei. Auf der anderen Seite
setzt eine umfassende Abwägung voraus, dass auch die konkreten Umstände,
welche die Wohlverhaltsphase kennzeichnen, berücksichtigt werden. Dazu kann
dann etwa – wie im vorliegenden Fall – auch der Umstand gehören, dass der
Antragsteller zum Teil noch unter dem Eindruck einer laufenden Bewährung stand,
also einem erhöhten Druck von außen ausgesetzt war.
Gegen den Antragsteller spricht weiter, dass er die genannten Verurteilungen bei
seinem Zulassungsantrag verschwiegen und die Frage, ob gegen ihn Strafen
verhängt wurden, verneint hat. Der Einwand des Antragstellers, er sei hinsichtlich
der Nichtangabe von verhängten Strafen auf Grund des ihm vorliegenden
Führungszeugnisses in gutem Glauben gewesen, da dieses keine Eintragungen
aufweise, greift nicht durch. Die der betreffenden Frage zugehörige Erläuterung
enthält gerade eine Belehrung dahingehend, dass auch solche Verurteilungen
anzugeben sind, die nicht in ein Führungszeugnis oder ein
Behördenführungszeugnis aufgenommen werden, sofern diese Verurteilungen im
Bundeszentralregister nicht zu tilgen sind. Aus dieser Formulierung kann gerade
nicht der Schluss gezogen werden, dass bei Vorliegen eines Führungszeugnisses
ohne Eintragungen die Frage nach verhängten Strafen mit "nein" beantwortet
werden kann. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Einträge gemäß
"BZRG"
Fristen über Einträge in Führungszeugnissen gemäß §§ 33 ff. BZRG hinausgehen,
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Fristen über Einträge in Führungszeugnissen gemäß §§ 33 ff. BZRG hinausgehen,
tilgungsreif waren. Tilgungsreife kann vorliegend noch nicht angenommen werden.
Es kann dem Antragsteller in Anbetracht des Gewichts der eingetragenen
Straftaten auch zugemutet werden, bei Zweifeln entsprechende Erkundigungen
einzuholen und bei der Beantwortung dieser Frage besondere Sorgfalt walten zu
lassen.
Bei Abwägung aller Umstände, bei denen zu Lasten des Antragsteller
insbesondere die Anzahl der Straftaten, ihre Art (insbesondere Betrug, Urkunden-
und Steuerdelikte), die Länge des Zeitraums, in der es zu diesen Straftaten kam
(neun Jahre), der hohe Schadensbetrag sowie das Verschweigen der
Verurteilungen im Zulassungsverfahren gehören, erscheint eine
Wohlverhaltensphase von 12 Jahre seit der letzten Tatbegehung trotz der deutlich
erkennbaren positiven Tendenz noch nicht ausreichend und eine Zulassung zur
Rechtsanwaltschaft zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht.
Die daraus folgende zeitweilige Einschränkung der durch Art. 12 Abs. 1 GG
geschützten Freiheit der Berufswahl ist demgegenüber noch als verhältnismäßig
anzusehen, insbesondere, da der Antragsteller als Assessor etliche juristische
Berufe – auch in einer Rechtsanwaltskanzlei – ergreifen und ihm die dort
gesammelte Erfahrung bei einer späteren Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
zugute kommen kann.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 1 BRAO, die Festsetzung des
Geschäftswerts auf § 202 Abs. 2 BRAO i. V. m. § 30 Abs. 2 Kostenordnung.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.