Urteil des AG Wuppertal vom 19.01.2009

AG Wuppertal: treu und glauben, karte, befristung, verjährungsfrist, gegenleistung, unangemessenheit, erwerb, agb, leitbild, buchführung

Amtsgericht Wuppertal, 35 C 39/08
Datum:
19.01.2009
Gericht:
Amtsgericht Wuppertal
Spruchkörper:
Abteilung 35 des Amtsgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
35 C 39/08
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin aufgrund des am 29.11.2005
durch den Erwerb einer 11er-Eintrittskarte abgeschlossenen
Benutzungsvertrages die dreimalige Nutzung des von ihr betriebenen
Saunabereiches bis zum Eintritt der gesetzlichen Verjährung zu
gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand und Entscheidungsgründe (gekürzt nach §§ 313a, 495a ZPO):
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf weitere dreimalige Benutzung
der Einrichtungen der Beklagten.
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Mit Erwerb einer 11-er Karte am 29.11.2005 durch die Klägerin wurde zwischen den
Parteien ein Benutzungsvertrag geschlossen, der die Klägerin berechtigte, die Bade-
und Saunalandschaft der Beklagten elf Mal zu nutzen. Nach der Überzeugung des
Gerichts steht fest, dass die Klägerin die Karte am 29.11.2005 gekauft hat und aufgrund
ihrer Schwangerschaft erst acht der elf Besuche absolvieren konnte. Die Klägerin
konnte die Quittung über den Erwerb der Karte zu einem Preis von 160,00 € vorlegen.
Auch hat der Zeuge Q in der mündlichen Verhandlung glaubhaft angegeben, er sei im
November 2005 dabei gewesen und habe gesehen, wie die Klägerin die
streitgegenständliche Karte gekauft habe. Der Zeuge Q berichtete ebenso glaubhaft,
dass die Klägerin aufgrund eines ärztlichen Rates nach acht Besuchen von weiteren
Saunabesuchen Abstand nahm.
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Der Anspruch der Klägerin auf die restlichen drei Besuche ist nicht aufgrund einer
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Befristung der erworbenen Karte ausgeschlossen.
Die Parteien gehen zutreffend davon aus, dass die streitgegenständliche Befristung
eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Rahmen des § 305 I BGB darstellt.
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Es kann dahinstehen, ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten
wirksam in den zwischen den Parteien geschlossenen Benutzungsvertrag einbezogen
wurden. Die Klausel, aus der die Beklagte eine Befristung des Vertrages herleiten
möchte, ist jedenfalls unwirksam, weil sie gegen § 307 I 1, II Nr. 1 BGB verstößt.
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Nach dieser Vorschrift sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den
Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben
unangemessen benachteiligen. Unangemessenheit liegt vor, wenn der Verwender
durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines
Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange
hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.
Nur wenn die Benachteiligung des Vertragspartners durch höherrangige oder zumindest
gleichwertige Interessen des Verwenders gerechtfertigt ist, ist die Unangemessenheit zu
verneinen (vgl. BGH, NJW 2005, 1774 m. w. Nachweisen). Eine unangemessene
Benachteiligung ist nach § 307 II Nr. 1 BGB im Zweifel anzunehmen, wenn eine
Bestimmung in AGB mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von
der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist.
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Das bürgerliche Recht kennt für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im
Allgemeinen nur das in den §§ 194 ff. BGB im Einzelnen geregelte Rechtsinstitut der
Verjährung. Davon unabhängige gesetzliche Ausschlussfristen gibt es nicht. Bei der
streitgegenständlichen Mehrfachkarte handelt es sich um ein kleines Inhaberpapier im
Sinne des § 807 BGB (vgl. Palandt, 67. Auflage, § 807, Rn. 3). Der Klägerin wurde
durch den Kauf der Eintrittskarte ein Erfüllungsanspruch gegen die Beklagte
eingeräumt. Derartige vertragliche Erfüllungsansprüche unterliegen der
Regelverjährung von drei Jahren, vgl. § 195 BGB. Die Gültigkeitsbefristung der
Mehrfacheintrittskarte auf ein Jahr enthält damit eine Abweichung von den gesetzlichen
Vorschriften des bürgerlichen Rechts.
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Zu den wesentlichen Grundgedanken der für schuldrechtliche gegenseitige Verträge
geltenden Regelungen des bürgerlichen Rechts gehört das Prinzip der Äquivalenz von
Leistung und Gegenleistung (vgl. BGH NJW-RR 2007, 1124), das durch die
Verjährungsvorschriften in zeitlicher Hinsicht näher ausgestaltet wird. In dieses
Äquivalenzverhältnis wird durch eine vertragliche Regelung eingegriffen, die die
Werthaltigkeit einer Gegenleistung, die ein Vertragspartner auf Grund eigener
Vorleistung verlangen kann, zeitlich über die Verjährungsregelungen hinaus beschränkt
(vgl. BGH NJW 2001, 2635, 2637).
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Die streitgegenständliche Gültigkeitsbefristung der Eintrittskarte stellt einen so
weitgehenden Eingriff in das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung dar, dass sie als unangemessene Benachteiligung der Klägerin
angesehen werden muss.
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Zwar sind Gültigkeitsbeschränkungen bei Berechtigungskarten, die dem jeweiligen
Inhaber die Möglichkeit verschaffen, eine bestimmte Leistung zu verlangen, nicht
generell als unangemessen anzusehen (vgl. BGH NJW 2001, 2635, 2637; OLG
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München, Urteil vom 17.01.2008, 29 U 3193/07). Jedoch hat der Gesetzgeber durch die
Abkürzung der regelmäßigen Verjährungsfrist von dreißig Jahren auf drei Jahre im
Rahmen der Schuldrechtsreform bereits den Interessen der Schuldner Rechnung
getragen. Damit haben sich die Anforderungen an die Rechtfertigung von AGB, die eine
kürzere als die gesetzliche Verjährungsfrist zur Anspruchsdurchsetzung statuieren,
erhöht (vgl. OLG München, Urteil vom 17.01.2008, 29 U 3193/07).
Die Abwägung der Interessen der Beklagten an der Gültigkeitsbefristung der Karten mit
denen der Klägerin als Karteninhaberin ergibt, dass die Befristung eine für die Klägerin
unangemessen benachteiligende Abweichung vom Äquivalenzprinzip darstellt, die nicht
hinnehmbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in Streit stehende Klausel zu
einer doppelten Benachteiligung der Karteninhaberin führt. Gemäß §§ 195, 199 I BGB
beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der
Anspruch entstanden ist. Durch die hier vorliegende Beschränkung der Gültigkeit der
Mehrfachkarte wird die Zeit, in der die Klägerin ihren Erfüllungsanspruch unmittelbar
geltend machen könnte, auf weniger als ein Drittel des vom gesetzlichen Leitbild
Vorgesehenen herabgesetzt. Dies stellt eine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen
der Klägerin als Karteninhaberin dar. Daneben wird die auch nach Eintritt der
Verjährung mögliche Entgegenhaltung des Anspruchs im Wege der Aufrechnung oder
der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts (vgl. § 215 BGB) dadurch
ausgeschlossen, dass der Anspruch nach Ablauf eines Jahres endgültig untergehen
soll (vgl. OLG München, Urteil vom 17.01.2008, 29 U 3193/07).
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Aus dieser doppelten Abweichung vom gesetzlichen Leitbild der Verjährung in drei
Jahren folgt die Unangemessenheit der Benachteiligung der Klägerin als
Mehrfachkarteninhaberin, denn die Beklagte hat keine nachvollziehbaren
anerkennenswerten höherrangigen oder zumindest gleichwertigen Interessen dargetan,
die eine solche Benachteiligung zu Lasten der Klägerin rechtfertigen könnten.
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Der von der Beklagten pauschal behauptete höhere Verwaltungs- und Kostenaufwand
genügt jedenfalls nicht, um eine Verkürzung der Gültigkeit auf ein Jahr zu rechtfertigen
(vgl. OLG München, Urteil vom 17.01.2008, 29 U 3193/07). Insbesondere greift auch die
Behauptung der Beklagten, unter anderem seien bilanzielle Gründe für die
Gültigkeitsbeschränkung ausschlaggebend, nicht. Die Beklagte ist nach den
Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung stets verpflichtet, Verbindlichkeiten
gegenüber ihren Kunden aus Mehrfacheintrittskarten und Gutscheinen, bilanztechnisch
auszuweisen. Auch bei nur einjähriger Gültigkeit der Gutscheine müssen die jeweils
noch offenen Gutscheinwerte in Konten geführt und am Ende des Geschäftsjahres
bilanziert werden. Inwieweit eine aufgrund der gesetzlichen Verjährungsfrist bestehende
dreijährige Gültigkeit der Eintrittskarten im Rahmen heute üblicher elektronischer
Buchführung zu einem wesentlich höheren Bilanzierungs- und Verwaltungsaufwand
führen soll, ist nicht ersichtlich.
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Die Klägerin hat darüber hinaus keinen Anspruch auf Ersatz der ihr entstandenen
außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Sie hat trotz ausdrücklichen Bestreitens der
Beklagten nicht dargetan und bewiesen, dass sie die Rechtsanwaltskosten bezahlt hat
und ihr insoweit ein Schaden bereits entstanden ist.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I, 708 Nr. 11, 711, 713
ZPO.
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Die Berufung wird zugelassen. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
erfordert die Entscheidung des Berufungsgerichts (§ 511 IV S. 1 Nr. 1 ZPO).
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Streitwert: bis 300,00 €
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