Urteil des AG Wuppertal vom 05.08.2008

AG Wuppertal: besondere härte, fahrzeug, zwangsvollstreckung, rechtskraft, alter, abrede, verwertung, pfändung, auto, beschränkung

Amtsgericht Wuppertal, 44 M 8533/08
Datum:
05.08.2008
Gericht:
Amtsgericht Wuppertal
Spruchkörper:
Abteilung 44 des Amtsgerichts
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
44 M 8533/08
Nachinstanz:
Landgericht Wuppertal, 6 T 589/08
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Erinnerung der Schuldnerin wird zurück gewiesen.
Der Prozesskostenhilfeantrag der Schuldnerin wird zurück gewiesen.
Die Kosten der Erinnerung hat die Schuldnerin zu tragen.
Die Zwangsvollstreckung (Verwertung) wird hinsichtlich des
gepfändeten Pkws der Schuldnerin für die Dauer bis zum 31.12.2008
einstweilen eingestellt. Für diesen Zeitraum wird der
Obergerichtsvollzieher H angewiesen, der Schuldnerin wieder die
Nutzung des Fahrzeuges einzuräumen und den Fahrzeugschein zu
übergeben.
Dieser Beschluss wird erst mit seiner Rechtskraft wirksam; vorher hat
der Gerichtsvollzieher dem Beschluss nicht nachzukommen.
Gründe:
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I.
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Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung gegenüber der Schuldnerin aus einem
Kostenfestsetzungsbescheid des hiesigen Amtsgerichtes (Familiengerichtes) vom
27.5.2007 (Az. 66 F 171/05) hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 4.500,00 EUR. Die
Schuldnerin ist eine geschiedene Ehefrau des Gläubigers. Aus der Verbindung ist das
älteste Kind der Schuldnerin hervorgegangen (8 Jahre alt, Sohn C). Mittlerweile lebt die
Schuldnerin mit einem neuen Lebensgefährten zusammen und hat zwei weitere Kinder
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bekommen (20 und 3 Monate alt, Sohn N und Tochter E).
Die Schuldnerin hat die eidesstattliche Versicherung abgelegt.
Vollstreckungsmöglichkeiten sind nicht gegeben. In ihrem Eigentum steht indessen ein
Kraftfahrzeug, Fiat Punto, mit dem amtlichen Kennzeichen X-C 440. Auf Grund eines
Vollstreckungsauftrag aus Mai 2008 des Gläubigers wurde das Fahrzeug vom
zuständigen Obergerichtsvollzieher H, X, unter dem 6.6.2008 gepfändet (und die
zugehörigen Fahrzeugpapiere eingezogen). Der Gläubiger hatte zuvor einen
Kostenvorschuss von bislang 500,00 EUR eingezahlt.
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Gegen diese Maßnahme wendet sich die Schuldnerin mit ihrer als "Erinnerung gemäß §
766 ZPO" überschriebenen Eingabe vom 12.6.2008 unter gleichzeitiger Beantragung
von Prozesskostenhilfe.
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Als Begründung führt sie an, dass das Fahrzeug im Alter von ca. 10 Jahren und einer
Laufleistung von ca. 110.000 km lediglich einen geringen Wert habe, welcher allenfalls
die diesbezüglichen Vollstreckungskosten decken könnte, jedoch keinen Erlös für den
Gläubiger verspreche.
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Diesbezüglich hat der Gerichtsvollzieher ein Wertgutachten des Ingenieurbüros X2 vom
6.6.2008 eingeholt, mit welchem der "Zeitwert (Einkaufswert) inkl. Mehrwertsteuer" auf
1.200,00 EUR geschätzt wurde (diesbezüglicher Rechnungsbetrag 89,00 EUR). Bis
inklusive zum 4.8.2008 sind Abschlepp- und Unterstellkosten in Höhe von 295,41 EUR
aufgelaufen (Rechnung Fa. W GmbH).
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Zur Begründung ihres Rechtsbehelfes hat die Schuldnerin des Weiteren geltend
gemacht, auf das Fahrzeug dringend angewiesen zu sein. Teilweise nach Hinweis des
Gerichtes trägt sie insofern vor: Sie müsse mit dem Auto den Sohn der Parteien zur
Schule und zu dessen Sportvereinsveranstaltungen (Freitags 14.00 Uhr) fahren. Der
8jährige Sohn könne nicht allein den ca. 1,5 km langen Schulweg bewältigen, da er
dabei bereits zu zwei Gelegenheiten von einem fremden Mann belästigt worden sei.
Hinzu käme die Notwendigkeit von Einkäufen, das Bedürfnis ihrer Kinder,
besuchsweise zu Freunden gebracht zu werden, die Teilnahme an einem
Geburtsrückbildungskurs, der Besuch der Krabbelgruppe mit dem mittlerem Sohn N und
Krankengymnastiktermine für die jüngste Tochter E usw.
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Es sei ihr im Wesentlichen nicht möglich, auf öffentliche Verkehrsmittel auszuweichen.
Durch die Überbreite des Kinderwagens seien solche normalerweise nicht betretbar.
Eine Taxifahrt sei auf Grund des Bedürfnisses dreier Kindersitze ebenfalls nicht
praktikabel. Ihr neuer Lebensgefährte besitze zwar ebenfalls ein Fahrzeug, sei zur
Ausübung seines Berufes in E jedoch auf dieses angewiesen.
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Der Gläubiger beantragt,
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den Antrag der Schuldnerin zurück zu weisen.
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Er verweist im Wesentlichen darauf, dass die Schuldnerin bei dem vorangegangenen
Prozess, auf welchem der Vollstreckungstitel beruht, besonders vorwerfbar
vorgegangen sei. Zudem stelle die Verwertung des gepfändeten Fahrzeuges die
einzige Vollstreckungsmöglichkeit für den Gläubiger dar.
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Schließlich treffe es auch nicht zu, dass der Sohn von der Schuldnerin mit dem Auto zur
Schule gefahren werde. Für die Arztbesuche (Kinderarzt) stünde zudem schließlich das
andere Fahrzeug des neuen Lebensgefährten zur Verfügung. Insbesondere gäbe es
keinen Rechtsanspruch auf einen Zweitwagen.
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Der Gerichtsvollzieher hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
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II.
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Der von der Schuldnerin eingelegte Rechtsbehelf ist als Vollstreckungserinnerung
gemäß § 766 ZPO zulässig, indessen nicht begründet.
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Das Gericht vermag nicht festzustellen, dass die Pfändung des Fahrzeuges gegen
Vorschriften des Vollstreckungsrechtes verstoßen würde. Hierauf hat der
Gerichtsvollzieher bereits zutreffend verwiesen. Insbesondere greift § 811 ZPO nicht ein.
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Der von der Schuldnerin angesprochene Gesichtspunkt, dass kein nennenswerter Erlös
aus der Zwangsvollstreckung zu erwarten sei (§ 803 Abs. 2 ZPO) ist durch das vom
Gerichtsvollzieher eingeholte Gutachten widerlegt.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Der Gegenstandswert für das Erinnerungsverfahren wird festgesetzt auf bis 1.200,00
EUR.
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Der Prozesskostenhilfeantrag der Schuldnerin war mangels Erfolgsaussichten (§ 114
ZPO) zurück zu weisen, wobei insoweit auf die oben dargestellte Rechtslage verwiesen
wird.
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IV.
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Im Antrag der Schuldnerin ist auch ein Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a ZPO
enthalten, da die Schuldnerin offenbar auch darauf verweist, dass die Pfändung des
Fahrzeuges für sie eine besondere Härte bedeuten würde. Diesbezüglich zieht der
erkennende Vollstreckungsrichter die an sich dem Rechtspfleger überlassene
Entscheidung auf Grund Sachzusammenhanges an sich, § 6 RPflG.
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Der Antrag ist insoweit auch teilweise begründet und führt zu einer einstweiligen
Beschränkung der Zwangsvollstreckung im tenorierten Umfang. Hiervon hatte der
erkennende Vollstreckungsrichter den Gerichtsvollzieher telefonisch vorab informiert
und diesem aufgegeben, keine Versteigerung durchzuführen.
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Vorliegend ist für die Schuldnerin nach der Überzeugung des erkennenden Gerichtes
ein besonderer Härtegrund gegeben. Die Schuldnerin ist Mutter dreier Kinder, wobei
insbesondere auf Grund des Alters der beiden jüngsten mit einem Alter von 3 und 20
Monaten ganz erhebliche Schwierigkeiten mit notwendigen Reisetätigkeiten verbunden
sind. Nachdem sich der erkennende Vollstreckungsrichter insoweit erkundigt hat, sollen
öffentliche Verkehrsmittel für Kinderwagen mit zwei Sitzen tatsächlich mitunter
übermäßige bis gar unüberwindliche Schwierigkeiten darstellen. Auch mögen Fahrten
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übermäßige bis gar unüberwindliche Schwierigkeiten darstellen. Auch mögen Fahrten
mit dem Taxi nicht nur auf Grund der für eine pfändungsfreie Schuldnerin schwerlich
aufzubringenden Kosten, sondern auch wegen des Bedarfes mehrer Kindersitze
ebenfalls mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden sein.
Dies allein vermag zwar noch keine übermäßige Härte im Sinne des § 765a ZPO zu
begründen. Doch will das erkennende Gericht nicht außer Acht lassen, dass die
Aufgabe einer Mutter dreier Kinder, insbesondere wenn diese – wie hier - besonders
jung sind, auch ganz erhebliche Anforderungen stellt. Dies dürfte auch im
herausgehobenen Maße gerade für die Fortbewegung zu anderen Orten gelten, wobei
das Gericht davon ausgeht, dies nicht näher erläutern zu müssen. Der erkennende
Vollstreckungsrichter hat insoweit bei mehreren Müttern aus dem Kollegenkreis
Informationen eingeholt.
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Die Schuldnerin hat dieses Reisebedürfnis für das Gericht auch in genügender Weise
glaubhaft gemacht. Zumindest der wesentliche Anteil ihrer Schilderung wird vom
Gläubiger auch gar nicht erst in Abrede gestellt.
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Das Gericht verkennt nicht, dass – selbstverständlich – kein genereller Anspruch eines
Schuldners auf ein Kraftfahrzeug, oder gar ein zweites Fahrzeug, bestehen kann.
Gerade hierauf hatte das Gericht der Schuldnerin mit Hinweisverfügung vom 16.6.2008
auch mit deutlichen Worten verwiesen und Gelegenheit gegeben, näher vorzutragen. Es
kommt insoweit jedoch stets auf den jeweiligen Einzelfall an, welcher vorliegend aus
Sicht des Gerichtes eine gewisse Ausnahme geboten erscheinen lässt.
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Auch wird die von der Schuldnerin dargelegte Härte nicht bereits dadurch entkräftet,
dass ihr neuer Lebensgefährte seinerseits Eigentümer eines Kraftfahrzeuges ist. Dieser
ist offenbar mit dem Kfz beruflich tagsüber abwesend ist. Das Gericht will nicht in
Abrede stellen, dass während des Tages die von der Schuldnerin jedenfalls in
überwiegendem Umfang glaubhaft gemachten Termine und Fahrten ebenfalls
notwendig werden.
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Auf der anderen Seite ist die vom Gericht angenommene besondere Härte auch
lediglich für eine zeitlich sehr beschränkte Übergangszeit gegeben. Auch wenn man
nicht in Abrede stellen kann, dass Kinder in einem höheren Alter ebenfalls ganz
erhebliche Anforderungen an die Betreuungsleistung einer Mutter stellen, stellt sich die
Situation dann doch anders dar. Um so älter Kinder werden, desto leichter lassen sich
solche Betreuungsanforderungen meistern.
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Das jüngste Kind der Schuldnerin (die Tochter E) wurde ausweislich der PKH-
Unterlagen unter dem 29.2.2008 geboren. Nach Ablauf von 10 Monaten, zum
Jahresende 2008, sollte die Schuldnerin auch ohne zusätzliches Kraftfahrzeug
auskommen können bzw. wäre dann zumindest nicht mehr der Grad der Unzumutbarkeit
überschritten. Dies gilt zumindest deshalb, weil auch entgegenstehende berechtigte und
besondere Vollstreckungsinteressen des Gläubigers gegeben sind.
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Entsprechend der Tenorierung wird die Pfändung des Kraftfahrzeuges ausdrücklich
nicht aufgehoben. Es wird lediglich der weitere Verwertungsprozess für die
ausgesprochene Dauer ausgesetzt (also lediglich ein Aufschub, eine Aussetzung der
Verwertung wie etwa in den Fällen der §§ 813a, 813b ZPO). Entgegen der vom
Gerichtsvollzieher zutreffend beachteten Regelung der §§ 157f. GVGA iVm. § 808 ZPO
soll das Fahrzeug (nur) während dieser Zeit im Gewahrsam der Schuldnerin zu deren
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Nutzung verbleiben (unter Aufbringung von Pfandsiegeln). Der Fahrzeugbrief hat als
Sicherheit beim Gerichtsvollzieher zu verbleiben.
V.
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Hinsichtlich des Vollstreckungsschutzantrages bedarf es keiner gesonderten
Kostenentscheidung. Die diesbezüglichen Kosten wären im Übrigen ohnehin der
Schuldnerin aufzuerlegen, § 788 ZPO.
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Das Gericht hat die tenorierte Beschränkung der Zwangsvollstreckung unter den
Vorbehalt der Rechtskraft dieses Beschlusses gestellt.
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