Urteil des AG Witten vom 13.03.1985

AG Witten (einstweilige verfügung, klage auf zahlung, zpo, verfügung, antrag, betrag, verfügungsverfahren, trennung, höhe, erwerbstätigkeit)

Amtsgericht Witten, 10 F 108/85
Datum:
13.03.1985
Gericht:
Amtsgericht Witten
Spruchkörper:
Familiengericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 F 108/85
Tenor:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt,
der Antrag-stellerin vom 1. Februar bis 31. Juli 1985 eine monatliche
Unterhaltsrente von 1.500,-- DM zu zahlen.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt zu ¾ der Antragsgegner, zu ¼ die
Antragstellerin.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien sind verheiratet. Sie leben seit dem 1. Januar 1985 getrennt. Inzwischen
hat der Antragsgegner Scheidungsantrag gestellt (10 F 88/85 – Familiengericht Witten).
Die Antragstellerin ist ohne Einkommen. Der Antragsgegner ist praktizierender Arzt.
Sein Jahresumsatz beträgt mehr als 400.000,-- DM.
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Die Antragstellerin behauptet, der Antragsgegner habe ein monatliches
Nettoeinkommen von mindestens 9.000,-- DM. Mit Schreiben vom 08.01.1985 hat sie
ihn ohne Erfolg zur Zahlung von Trennungsunterhalt aufgefordert. Daraufhin hat sie
unter 10 F 84/85 beim Familiengericht Witten Klage auf Zahlung eines monatlichen
Trennungsunterhalts von 3.850,-- DM, beginnend ab 01.01.1985 eingereicht.
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Mit vorliegender einstweiliger Verfügungssache beantragt die Antragstellerin,
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den Antragsgegner zu verurteilen, an sie ab dem 01.02.1985 einen monatlichen
vorläufigen Notunterhalt von 2.000,-- DM zu zahlen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Er behauptet, die Antragstellerin verfüge über finanzielle Barmittel in Höhe von etwa
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100.000,-- DM. Darüber hinaus könne sie aber auch ihren Unterhalt durch eigene
Erwerbstätigkeit sicherstellen. Sie sei gelernte Chemotechnikerin. Bis zur Trennung
habe sie als Hauptkraft in seiner Praxis mitgearbeitet. Schließlich sei er bei seinen
derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnissen aber auch gar nicht in der Lage, den
verlangten Unterhalt zu zahlen. Er lebe zu Zeit auf Kredit.
Die Antragstellerin bestreitet die Angaben des Antragsgegners zu seinen finanziellen
Verhältnissen. Weiter gibt sie an, sich um eine Erwerbstätigkeit bemühen zu wollen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten
Schriftsätze und die Erklärungen im Verhandlungstermin Bezug genommen.
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Das Gericht hat weiter den vom Antragsgegner gestellten Zeugen Steuerberater x zu
den wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragsgegners gehört. Wegen des Ergebnisses
der Zeugenvernehmung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Der auf §§ 940, 935 ZPO, 1361 BGB gestützte Antrag ist zulässig und in Höhe von
1.500,-- DM begründet.
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Der Zulässigkeit steht das laufende Scheidungsverfahren, das eine Entscheidung nach
§ 620 ZPO ermöglichen würde, nicht entgegen. Zwar wird in der Rechtsprechung die
Auffassung vertreten, das Verfahren nach §§ 620 ff. ZPO stelle eine Sonderregelung
dar, die die Vorschriften über die einstweilige Verfügung verdränge (BGH, FamRZ 1979,
473; OLG Zweibrücken, FamRZ 1983, 621; OLG Düsseldorf, FamRZ 82, 408). Das kann
sinnvollerweise aber nur dann in Betracht kommen, wenn der Antragsteller des
einstweiligen Verfügungsverfahrens bei Einreichung des Antrages Kenntnis vom
Scheidungsverfahren hat. Das war hier nicht der Fall. Bei Einreichung des einstweiligen
Verfügungsantrages am 25.02.1985 war der Antragstellerin der Scheidungsantrag noch
nicht zugestellt. Das ist erst am 27.02.1985 geschehen. Würde die Antragstellerin bei
dieser Sachlage sich gleichwohl auf das Verfahren nach § 620 ZPO verweisen lassen
müssen, würde von ihr verlangt, unter gleichzeitiger Kostenmehrbelastung eine
Verzögerung der Entscheidung über ihr Unterhaltsbegehren hinzunehmen, obgleich ihr
bei der Anbringung des Antrages auf Erlass der einstweiligen Verfügung die Wahl einer
anderen Verfahrensmöglichkeit gar nicht offenstand. Sie bleibe belastet mit den im
einstweiligen Verfügungsverfahren bislang entstandenen Kosten. Eine einfache
Überleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens in das einstweilige
Anordnungsverfahren ist nicht möglich. Dem steht – von den damit verbundenen
kostenrechtlichen Schwierigkeiten (vgl. OLG Hamburg, FamRZ 82/4008) abgesehen –
entgegen, dass auf Seiten des Antragsgegners ein Anwaltswechsel stattfinden müsste.
Das mit § 620 ZPO verfolgte Ziel einer vereinfachten Eilentscheidung würde damit ins
Gegenteil verkehrt. Würde eine Entscheidung über eine einstweilige Verfügung schon
dann nicht mehr für zulässig erachtet, sobald ein Antrag nach § 620 ZPO gestellt
werden kann, würde damit auch dem Gegner die Möglichkeit eröffnet, jederzeit schon
durch die bloße Anbringung eines PKH-Gesuches im Sinne des § 620 a ZPO jedes
einstweilige Verfügungsverfahren zu unterlaufen.
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Weiter erscheint der Verweis auf das einstweilige Anordnungsverfahren nur dann
gerechtfertigt, wenn dieses Verfahren der Interessenlage der Antragstellerin in gleicher
Weise gerecht wird wie das einstweilige Verfügungsverfahren. Die Antragstellerin
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erstrebt eine vorläufige Regelung für die nächsten Monate, deren Bestand unabhängig
ist vom Ausgang des von ihr als abweisungsreif beurteilten gegnerischen
Scheidungsantrages. § 620 ZPO ermöglicht eine über das Scheidungsverfahren
hinauswirkende einstweilige Unterhaltsanordnung nur für den Fall der Scheidung. In
allen anderen Fällen verliert die einstweilige Anordnung gemäß § 620 f ZPO mit
Abschluss des Scheidungsverfahrens ihre Wirkung, ganz abgesehen davon, dass der
Antragsgegner durch die Rücknahme des Scheidungsantrages jederzeit selbst die
Anordnung nach § 620 ZPO außer Kraft setzen kann. Eine einstweilige Verfügung
hingegen gewährt der Antragstellerin eine Entscheidung mit einer von dem
prozessualen Verlauf des Scheidungsverfahrens unabhängigen Bestandskraft. In
Fällen, in denen wie hier der Antragsteller sich gegen das gegnerische
Scheidungsbegehen selbst wendet, ermöglicht das einstweilige Anordnungsverfahren
keine seinem Rechtsschutzbedürfnis und seiner Interessenlage gerecht werdende
Entscheidung. Hier muss deshalb das einstweilige Verfügungsverfahren weiterhin
zulässig sein.
Würde die Weiterführung des einstweiligen Verfügungsverfahrens in Fällen der
vorliegenden Art für unzulässig erachtet, würde der Partei abverlangt, zur Herbeiführung
einer vorläufigen Regelung unter Umständen über den bereits gestellten Antrag hinaus
noch zwei weitere anhängig zu machen, nämlich den auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung und nach deren Erledigung erneut einen solchen auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung, obgleich alles im ersten Verfahren hätte entschieden werden
können. Das widerspricht den Grundsätzen der Prozessökonomie.
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Dem Antrag konnte nur in Höhe eines Betrages von 1.500,-- DM entsprochen werden.
Das einstweilige Verfügungsverfahren dient lediglich der kurzfristigen Beseitigung einer
Notlage bis zur Entscheidung in dem regelmäßig nachfolgenden Hauptverfahren. Um
ihren dringendsten Unterhaltsbedarf sicherzustellen, bedarf die Antragstellerin eines
Betrages von lediglich etwa 1.500,-- DM monatlich. An Miete und Nebenkosten muss sie
für ihre 80 qm und damit ihren Verhältnissen angemessene große Wohnung monatlich
915,-- DM zahlen. Ihr verbleiben dann noch fast 600,-- DM, also 150,-- DM wöchentlich
zur Bestreitung ihrer dringendsten sonstigen Lebenshaltungskosten, zumal sie nach
ihren eigenen Angaben noch über ein Guthaben von etwa 2.000,-- DM verfügt.
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Der Antragsgegner ist ohne weiteres in der Lage, den Betrag von 1.500,-- DM zu zahlen.
Bei einem Jahresumsatz von mehr als 400.000,-- DM kann kein vernünftiger Zweifel
aufkommen, dass er nicht in der Lage sein sollte, den monatlichen Betrag von 1.500,--
DM für seine Ehefrau aufzubringen. Zwar mag es sein, dass er gegenwärtig zur
Finanzierung von Lebenshaltungskosten einen Kredit in Anspruch nimmt. Wesentlich für
die hier zu entscheidende Frage ist aber seine wirtschaftliche Situation insgesamt.
Diese rechtfertigt ohne weiteres die Annahme der Leistungsfähigkeit. Es folgt schon
daraus, dass er bei Trennung der Parteien über die von Januar bis September 1984
hinaus eingenommenen 308.000,-- DM noch Außenstände in Höhe von etwa 150.000,--
DM gegenüber der Krankenkasse und der Privatpatienten hatte. Diese brauchen nur
realisiert zu werden, soweit sie nicht inzwischen schon beglichen sind. Soweit der
Antragsgegner darauf verweist, sein Einkommenssteuerbescheid für 1983 weise ein
Negativeinkommen von 123.000,-- DM aus, ist dem entgegenzuhalten, dass dieser
Betrag wesentlich bedingt ist durch den mit fast 165.000,-- DM bezifferten Verlust aus
Vermietung und Verpachtung. Dieser wiederum ist aber nur bedingt durch die
Inanspruchnahme erheblicher Abschreibungswerte, die unterhaltsrechtlich nicht
relevant sind. Selbst das mit 60.000,-- DM bezifferte Einkommen aus der Praxis, ist, wie
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im Termin festgestellt worden ist, wesentlich darauf zurückzuführen, dass bei der
Gewinnermittlung des Einkommens aus der Praxis ein Betrag von etwa 110.000,-- DM
vorweg abgeschrieben worden ist für Afa und Verlust aus Anlagen. Das hat der Zeuge x
bestätigt. Die Werte des Einkommenssteuerbescheides für 1983 könnten also für die
Beurteilung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit nicht als maßgebend erachtet
werden. Die dort festgestellten Werte rechtfertigen vielmehr, wenn die nur
steuerrechtlich bedeutsamen Beträge für Abschreibung und Verlust aus Anlagen außer
Betracht bleiben, die Feststellung, dass Einkommen in erheblicher Höhe erzielt worden
ist. Immerhin war der Antragsgegner 1983 ohne weiteres in der Lage, seiner Ehefrau
zum Geburtstag für 24.000,-- DM einen C-Pkw zu schenken. Nach seinen Angaben im
Termin sind seine Einkommensverhältnisse 1984 nicht anders gewesen als 1983. Sie
sind also gleich gut gewesen. Es ist nicht vorgetragen worden, dass sich daran in der
Zwischenzeit wesentliches geändert hat.
Der Antragsgegner kann nicht einwenden, die Antragstellerin habe 100.000,-- DM zur
Bestreitung ihrer eigenen Lebenshaltungskosten zur Verfügung. Soweit er behauptet,
die Antragstellerin habe ein Guthaben von 40.000,-- DM bei der Sparkasse in C, hat
dieser durch Vorlage der Bankauszüge glaubhaft gemacht, dass das Konto vor der
Trennung ein Guthaben von etwa 21.000,-- DM aufgewiesen hat, dass es inzwischen
aber um etwa 10.000,-- DM überzogen ist. Sie hat durch Vorlage einer Liste dargelegt,
dass das Geld zum großen Teil im Zusammenhang mit dem Umzug nach E, der
Anmietung und Einrichtung der Wohnung und zum Lebensunterhalt verbraucht ist. Bei
der L Bank hat die Antragstellerin zwar Sparbriefe über 10.000,-- DM. Die Sparsumme
wird aber erst fällig im Januar 1986. Geld aus einem Totalschaden, das von dem
Antragsgegner mit einem Betrag von 20.000,-- DM beziffert wird, hat die Antragstellerin
nicht erhalten. Sie bestreitet, überhaupt einen Unfall mit ihrem Pkw gehabt zu haben
und irgendwelche Schadensersatzbeträge bekommen zu haben. Der Antragsgegner hat
seine anderslautende Behauptung nicht näher spezifiziert. Soweit der Antragsgegner
behauptet, die Antragstellerin habe vor der Trennung noch 10.000,-- DM von einem
seiner Konten abgehoben, hat die Antragstellerin dargelegt, es habe sich hierbei
lediglich um einen Betrag von 4.000,-- DM gehandelt, den sie zur Regulierung von
Verbindlichkeiten aus der Praxis verwendet habe. Seine weitere Behauptung, die
Antragstellerin habe auch Zahlungen von Patienten vereinnahmt, hat der Antragsgegner
im Termin nicht näher konkretisiert.
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Der Antragsgegner kann dem Unterhaltsbegehren der Antragstellerin nicht
entgegenhalten, sie könne ihren Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit
sicherstellen. Zwar ist die Antragstellerin gehalten, sich um eine angemessene
Erwerbstätigkeit zu bemühen. Bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage kann aber nicht
erwartet werden, dass sie sofort nach der Trennung eine Anstellung findet. Die
Antragstellerin kann in diesem Zusammenhang nicht vorbringen, sie müsse sich erst
einmal orientieren und zur Ruhe kommen. Die Verpflichtung, sich um eine
angemessene Beschäftigung zu bemühen, besteht schon jetzt.
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Nach allem muss davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin ihren
unmittelbaren Lebensbedarf für die nächste Zeit nicht selbst sicherstellen kann und sie
deshalb zur Bestreitung der notwendigsten Lebenshaltungskosten auf
Unterhaltszahlungen durch den Antragsgegner angewiesen ist. Die Tatsache, dass sie
nach eigenem Bekunden noch ein Guthaben von etwa 2.000,-- DM hat, steht ihrem
Anspruch nicht entgegen. Dieses Geld wird in Kürze aufgezehrt sein.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
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