Urteil des AG Witten vom 20.10.2006

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Amtsgericht Witten, 2 C 768/06
Datum:
20.10.2006
Gericht:
Amtsgericht Witten
Spruchkörper:
2. Zivilabteilung des Amtsgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 C 768/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Das Mietverhältnis wird auf unbestimmte Zeit fortgesetzt.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Leistung einer
Sicherheit in Hö-he von 120 % des zu vollstreckenden Betrages
abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leisten.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger verlangt die Feststellung, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien
durch Kündigung zum 30.09.2006, hilfsweise zum 31.12.2006 beendet ist.
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Die Beklagten sind Mieter der streitgegenständlichen Wohnung im Hause L-straße ## in
Witten. Die Beklagten leben seit fast 40 Jahren in der genannten Wohnung im
Erdgeschoss. Der Kläger ersteigerte die Wohnung im Rahmen eines
Zwangsversteigerungsverfahrens. Mit Teilungserklärung vom 21.11.2005 wurde dem
Kläger das Sondereigentum an der gesamten Wohnung im Erdgeschoss des Hauses L-
straße ## samt Kellerräumen und Garage übertragen. Die Eintragung ins Grundbuch
erfolgte am 16.03.2006. Insoweit wird auf den mit Schriftsatz vom 15.09.2006
eingereichten Grundbuchauszug ( Blatt 52/53 der Akte) Bezug genommen.
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Die Beklagten zahlen eine Gesamtmiete von 446,59 €, wobei dieser Betrag einen
Mietzins für die Garage von 30,68 € und einen Nebenkostenvorauszahlungsbetrag von
53,94 € enthält.
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Mit Schreiben vom 02.01.2006 kündigte der Kläger durch seine
Prozessbevollmächtigten den Beklagten das Mietverhältnis zum 30.09.2006. Die
Kündigung wurde mit Eigenbedarf begründet. Wegen der Einzelheiten dieses
Kündigungsschreibens wird auf die Anlage K1 zur Klageschrift vom 14. Juni 2006 ( Blatt
6- 8 d.A.) verwiesen. Die Beklagten widersprachen dieser Kündigung mit Schreiben
vom 04.01.2006 sowie mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 17.01.2006.
Der Kläger kündigte, nachdem er am 16.03.2006 als Eigentümer eingetragen worden
war, nochmals mit Schreiben vom 30.06.2006 zum 31.12.2006, wobei er auch diesmal
Eigenbedarf als Grund angab. Mit Schreiben vom 05.04.2006 widersprachen die
Beklagten auch dieser Kündigung.
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Der Kläger ist der Ansicht, dass die Kündigung aufgrund des bestehenden Eigenbedarfs
begründet sei. Hierzu trägt er vor, er bewohne mit seiner Ehefrau und seinen in den
Jahren 1992 und 1995 geborenen Kindern eine Wohnung mit drei Zimmern, Küche und
Bad. Die Kinder teilten sich ein Zimmer mit einer Wohnfläche von ca. 14 qm. Die Kinder
seien unterschiedlichen Geschlechts und benötigten jeweils ein eigenes Zimmer. Dies
könne nur dadurch geschaffen werden, dass der Kläger in diese von den Beklagten
bewohnten Räumlichkeiten umziehe. Es sei beabsichtigt, die Wohnung der Beklagten
auf mehr als 100 qm zu erweitern. Das Baugenehmigungsverfahren sei bereits auf den
Weg gebracht. Es solle ein Umbau in der Erdgeschosswohnung dergestalt erfolgen, das
durch eine eingebaute Treppe Wohnraum im Kellergeschoss nutzbar gemacht werde.
Die jetzige Wohnung verfüge darüber hinaus über keinen Garten. Der geplante Umbau
der Erdgeschoss in dem Objekt L-straße ermögliche der Ehefrau des Klägers auch den
Erhalt eines separaten Arbeitszimmers. Der Kläger benötige die Wohnung auch zur
Meisterung der finanziellen Situation. Er müsse die Finanzierungskosten des Hauses L-
straße ## zahlen und zugleich die Miete für die jetzt bewohnte Wohnung aufbringen.
Auch die Eigenheimzulage könne er nur bekommen, wenn er die Wohnung selbst
nutze. Der Kläger weist darauf hin, dass er die Augen nicht vor der Situation der
Beklagten verschließe. Er habe sich bemüht, in einer seniorengerechten Wohnanlage
nur wenige Häuser entfernt eine Alternativwohnung für die Beklagten zu finden. Diese
weise ein Größe von 60 qm auf und sei ähnlich kostengünstig. Der Kläger sieht im
Rahmen der Abwägung der Interessen ein Übergewicht zugunsten seiner Situation.
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Der Kläger beantragt daher,
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festzustellen, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien über die
Erdgeschosswohnung, bestehend aus vier Zimmern, einer Küche, einem Korridor,
einem Bad , einem Kellerraum sowie einer Garage im Hause L-straße ## in Witten
durch die ordentliche Kündigung vom 02.01.2006 fristgerecht zum 30.09.2006,
hilfsweise durch die ordentliche Kündigung vom 30.03.2006 zum 31.12.2006 beendet
wird.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten halten die Kündigung für unwirksam und tragen hierzu vor:
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Zunächst müssten die familiären Verhältnisse und die derzeitigen Wohnverhältnisse
des Klägers mit Nichtwissen bestritten werden.
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Die Wohnung der Beklagten weise auch nur eine Wohnfläche von 79 qm auf, die
Beabsichtigung und die Möglichkeit der Erweiterung der Wohnung auf etwa 100 qm
werde gleichfalls bestritten. Darüber hinaus weisen die Beklagten darauf hin, dass sie
der Kündigung wirksam widersprochen hätten. Sie könnten daher die Fortsetzung des
Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit verlangen.
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Die Beklagten, die 81 und 85 Jahre alt sind, seien gesundheitlich stark angegriffen. Der
beklagte Ehemann leide unter einem metastasierenden Prostata-Carcinom, unter
Bluthochdruck und einem degenerativen Wirbelsäulen-Syndrom. Der Beklagte sei
wegen seiner Krebserkrankung mehrfach operiert worden. Die beklagte Ehefrau sei
nahezu blind und verfüge nur noch über 2 % ihrer Sehkraft, sie sei in fremder Umgebung
völlig orientierungs- und hilflos. Ferner leide die beklagte Ehefrau an
Herzfunktionsstörung, Bluthochdruck und sei seit 1999 ebenfalls an Krebs erkrankt.
Aufgrund des Alters und des Gesundheitszustandes der Beklagten sei ein Umzug mit
erheblichen physischen und psychischen Belastungen verbunden. Ein Umzug in eine
neue Umgebung bedeute für die Beklagte als alte Menschen, insbesondere für die
Beklagte aufgrund ihrer Erblindung eine besondere Härte. Die Abwägung der
Interessen falle ganz eindeutig zugunsten der Beklagten aus, die beide hochbetagt und
schwer krank seien. Allein aus diesem Grunde hätten sei ein berechtigtes und
vorrangiges Interesse an einer unbefristeten Fortsetzung des seit 40 Jahren
bestehenden Mietverhältnisses. Das Interesse des Klägers, die Wohnung mit seiner
Familie zu nutzen, habe dahinter zurückzustehen. Er hätte sich vor dem Erwerb des
Hauses über die Situation der Hausbewohner und insbesondere der Beklagten zu
informieren gehabt.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Beklagten haben der Kündigung des Klägers gemäß § 573 Abs. II Nr. 2 BGB nach §
574 BGB widersprochen und können die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf
unbestimmte Zeit verlangen, § 574 a I, II S.2 BGB.
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Nach Auffassung des Gerichts würde die Beendigung des Mietverhältnisses für die
Beklagten eine Härte bedeuten, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen
des Klägers nicht zu rechtfertigen ist.
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Zunächst kann dahinstehen, ob die im einzelnen von Klägerseite angegebenen Gründe
für die Eigenbedarfskündigung (finanzielle Situation, eigene Wohnraumsituation,
familiäre Situation) im einzelnen zutreffend ist. Eine Beweiserhebung hierüber ist nicht
erforderlich. Selbst wenn diese in dem Kündigungsschreiben angegebenen Gründe als
zutreffend unterstellt werden, ergibt die Abwägung der beiderseitigen Interessen, dass
die Beklagten die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen können.
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Bei den Beklagten handelt es sich um ein Ehepaar von 81 und 85 Jahren, die bereits
seit nahezu 40 Jahren in der Wohnung leben. Hinzu kommt, dass die beklagte Ehefrau
nahezu erblindet ist. Hiervon konnte sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung
überzeugen.
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Unabhängig von der Frage, wie schwer die Beklagten ansonsten erkrankt sind,
überwiegt das Interesse eines alten Ehepaars, das bereits seit über 40 Jahren in der
Wohnung beheimatet ist, das Interesse des die Wohnung ersteigernden Eigentümers.
Nach einer Gesamtwürdigung der Interessen gelangt das Gericht eindeutig zu der
Überzeugung, dass die Interessen der Beklagten an einem Verbleib in der Wohnung
und damit an einem Fortbestand des Mietverhältnisses deutlich höher wiegen, als die
Interessen des Klägers.
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Der Kläger hat erst Ende des Jahres 2005 die Wohnung ersteigert und ist erst im März
2006 als Eigentümer eingetragen worden. Er hat sich vor Ersteigerung ein Bild von dem
Objekt machen können und wusste um die Wohnsituation in der von ihm ersteigerten
Wohnung. Finanzielle Aspekte, wie Einplanen der Eigenheimzulage in das
Finanzierungskonzept und doppelte Zahlungsverpflichtungen durch Zahlung der
Finanzierungsrate für die erworbene Wohnung und Zahlung der Miete für die eigene
Wohnung müssen hinter dem Interesse der Beklagten zurückstehen. Bei einer
entsprechenden finanziellen angespannten Situation hätte der Kläger vorab Wert darauf
legen müssen, sogleich in einen erworbenen Wohnraum einziehen zu können, um die
Eigenheimzulage erlangen zu können. Er hat sich aber bewusst dafür entschieden, eine
Wohnung zu ersteigern, die seit 40 Jahren von einem betagten Ehepaar bewohnt ist.
Das Gericht sieht sehr wohl das Interesse, getrennte Kinderzimmer für verschieden
geschlechtliche Kinder zur Verfügung zu stellen sowie ein Arbeitszimmer und einen
Garten zur Verfügung zu haben. Bei diesem grundsätzlich berechtigten und
verständlichen Interesse, hätte es dem Kläger aber oblegen, vorab ein geeigneteres
Objekt auszusuchen, das seinen Bedürfnissen und denen seiner Familie ebenfalls nahe
kommt.
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Auf der anderen Seite handelt es sich bei den Beklagten um ein altes Ehepaar, was seit
vielen Jahrzehnten nicht nur in der unmittelbaren Umgebung, sondern auch
insbesondere in der Wohnung selbst beheimatet und vertraut geworden ist. Dies ist
insbesondere für die erblindete Beklagte von äußerster Wichtigkeit. Das Gericht konnte
im Termin einen persönlichen Eindruck von der Beklagten gewinnen. Danach ist der
beklagte Ehemann offenbar in der Lage für sich und seine Ehefrau zu sorgen, mit seiner
Hilfe ist es der beklagten Ehefrau möglich, sich in der lange bekannten Wohnung auch
ohne Augenlicht zurecht zu finden. Unabhängig von weiteren Krankheiten ist das Alter,
die persönliche Situation der erblindeten beklagten Ehefrau und die jahrzehntelange
Verwurzelung in dieser Wohnung ausschlaggebend für das Überwiegen des Interesses
der Beklagten am Verbleib in der Wohnung.
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Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger sich bemüht hat, den Beklagten
alternativen, insbesondere im Bereich des betreuten Wohnens aufzuzeigen. Es muss
aber die persönliche Entscheidung eines jeden einzelnen bleiben, wann der Verbleib in
den eigenen vier Wänden aus Alters- oder Gesundheitsgründen aufgegeben wird. Es
gebietet die Würde des Alters, selbst zu entscheiden, wann ein eigenverantwortlicher
Verbleib in eigenen Wohnräumen nicht mehr möglich ist, solange eine solche
Entscheidung noch getroffen werden kann. Abzustellen ist hierbei nicht auf einen
Maßstab eines objektiven Außenstehenden, der Vernunftgesichtspunkte ins Spiel
bringt. Jeder einzelne alternde Mensch muss die Möglichkeit haben, solange er dies
noch kann, selbst zu entscheiden, wann ein eigenverantwortlicher Verbleib in den
eigenen vier Wänden nicht mehr möglich ist. Das Gericht hat den Eindruck gewonnen,
dass bei der derzeitigen Situation aufgrund der Hilfe des beklagten Ehemanns und das
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noch Beisammensein des Ehepaars an sich ein Verbleib in der seit 40 Jahren
vertrauten Umgebung noch möglich ist.
Gemäß § 574 a Abs. II S. 2 können die Beklagten in diesem Falle verlangen, dass das
Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird. Entsprechendes war im Tenor
auszusprechen ( vgl. Börstinghaus, § 574 a , 2. Auflage § 574 a Rndnr. 24). Es ist
vorliegend nicht abzusehen, ob und wann Gründe eintreten werden, die eine
Beendigung des Mietverhältnisses nicht mehr als Härte erscheinen lassen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Der Streitwert wird auf 4.347,96 € festgesetzt.
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