Urteil des AG Wetzlar vom 24.04.2007

AG Wetzlar: berufliche tätigkeit, eintritt des versicherungsfalls, versicherungsschutz, gefahr, versicherungsvertrag, ausnahme, haftpflicht, verwahrung, kostenvoranschlag, privatperson

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Gericht:
AG Wetzlar
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
31 C 2032/05 (31)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 12 Abs 3 VVG, § 1 AHB, § 4
AHB, § 256 Abs 1 ZPO
Festestellungsklage bzgl. der Gewährung von
Versicherungsschutz seitens der
Privathaftpflichtversicherung wegen des Verlusts eines
beruflich anvertrauten Schlüssels und einer möglichen
Inanspruchnahme auf Schadensersatz
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, betreffs des Schadensfalls vom 25.5.2005 (S 05 6
2870) vertragsgemäße Versicherungsleistung gemäß Versicherungsvertrag zu
Versicherungsschein Nr. ... vom 1.8.2002 zu leisten.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 4.469,96 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage die Gewährung von Versicherungsschutz
aufgrund eines zwischen den Parteien bestehenden privaten
Haftpflichtversicherungsvertrages.
Die Klägerin ist Altenpflegerin im Altenheim der Arbeiterwohlfahrt. Ihr
wurde anlässlich des Dienstantritts ein Schlüssel zur Dauerpflegestation
überlassen. Es handelt sich dabei um einen Generalschlüssel, der es der Klägerin
ermöglicht sowohl das Pflegeheim zu betreten als auch die einzelnen Zimmer und
Wohnungen der Bewohner des Altenpflegeheims. Die Klägerin hat diesen Schlüssel
verloren, an dem u.a. auch ihr Wohnungsschlüssel angebracht war. Mit Schreiben
vom 23.8.2005 (Bl. 10 d.A.) teilte der Arbeitgeber der Klägerin, die
Arbeiterwohlfahrt in L mit, dass sie beabsichtige den entsprechenden
Schließzylinder auszutauschen und legte einen Kostenvoranschlag in Höhe von
4.469,92 Euro vor (Bl. 11 d.A.). Die Klägerin beantragte daher über ihren
Prozessbevollmächtigten Versicherungsschutz. Dieser wurde von Seiten der
Beklagten indes abgelehnt unter Hinweis auf die Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VVG
mit Schreiben vom 5.9.2005 (Bl. 13 d.A.). In dem Versicherungsvertrag ist in Ziff. I
der BBR bestimmt: "Versichert ist die gesetzliche Haftpflicht des
Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens –
mit Ausnahme der Gefahren eines Betriebes, Berufes, Dienstes, Amtes (auch
Ehrenamtes), einer verantwortlichen Betätigung in Vereinigungen aller Art oder
einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung". In IX der Bedingungen ist
Folgendes vereinbart: "Ziff. 1: Mitversichert ist, in Ergänzung von § 1 Ziff. 3 AHB
und abweichend von § 4 Ziff. I 6 a) AHB die gesetzliche Haftpflicht aus dem Verlust
von sich rechtmäßig im Gewahrsam des Versicherungsnehmers befindlichen
Schlüsseln für Schlösser oder Schließanlagen zu Gebäuden, Wohnungen, Garagen
oder Räumen, soweit es sich handelt um a) die Kosten für eine notwendige
Auswechslung oder notwendige Änderung von Schlössern und Schließanlagen; b)
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Auswechslung oder notwendige Änderung von Schlössern und Schließanlagen; b)
vorübergehende Sicherungsmaßnahmen (Notschloss und einen Objektschutz bis
zu 14 Tagen, gerechnet ab dem Zeitpunkt, an welchem der Verlust des Schlüssels
festgestellt wurde); c) Schäden durch Entwendung, Beschädigung oder
Vernichtung von Sachen infolge des Schlüsselverlustes. 2. Nicht versichert ist der
Verlust von Schlüsseln a) zu – Gebäuden, die Versicherte im Ganzen –
Wohnungen, Räumen oder Garagen, die Versicherte ganz oder teilweise – für
eigene – auch eigene gewerbliche, betriebliche oder freiberufliche – zwecke nutzen
oder besitzen bzw. nutzten oder besaßen; b) zu Gebäuden, Wohnungen, Räumen
oder Garagen, deren Betreuung (z.B. Bewachung, Objektschutz) Aufgaben der
gewerblichen, betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit eines Versicherten ist oder
war".
Die Klägerin behauptet, es sei keinerlei Nachschlüssel für das entsprechende
Objekt des Altenheims angefertigt worden (Beweis: Zeugnis des kfm.
Geschäftsführers der Arbeiterwohlfahrt S G).
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, betreffend des Schadensfalls vom 25.5.2005
(Schaden-Nr. S 05 6 2870) vertragsgemäße Versicherungsleistungen gemäß
Versicherungsvertrages zu Vers.-Schein-Nr. ... vom 1.8.2002 zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Schadensfall sei nicht vom Versicherungsschutz
umfasst, da nach Ziff. I der BBR nur die gesetzliche Haftpflicht als Privatperson
versichert sei. Es handele sich jedoch um eine Gefahr aus der Ausübung des
Berufes der Klägerin. Des Weiteren sei der Ausschlusstatbestand der Ziff. IX der
BBR gegeben, da die Klägerin Schlüssel verloren habe zu Räumlichkeiten, die sie
für eigene, auch eigene gewerbliche Zwecke genutzt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Der Feststellungsklage auf Gewährung des
Versicherungsschutzes fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Vorliegend ist das
Rechtsschutzbedürfnis schon aus der Vorschrift des § 12 Abs. 3 VVG gegeben,
nachdem die Beklagte den Versicherungsschutz abgelehnt hat war schon die
Klägerin wegen des ansonsten drohenden Rechtsverlustes nach § 12 Abs. 3 VVG
gehalten, den Anspruch gerichtlich geltend zu machen.
Das Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich ferner auch daraus, dass nach dem
vorgelegten Schreiben des Arbeitgebers vom 23.8.2005 mit entsprechendem
Kostenvoranschlag über die voraussichtlichen Kosten der Schließanlage zumindest
die Gefahr der Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber besteht.
Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits auch dahinstehen, ob konkret
tatsächlich die Inanspruchnahme der Klägerin durch ihren Arbeitgeber zu
befürchten oder gar wahrscheinlich ist und ob insbesondere nach den Grundsätzen
der gefahrgeneigten Arbeit bzw. der Haftungsverteilung bei betrieblicher Tätigkeit
hier eine volle Haftung der Klägerin überhaupt zum Tragen kommen kann oder
nicht. Dies kann letztlich dahinstehen, da zumindest abstrakt die Gefahr der
Inanspruchnahme durch ihren Arbeitgeber besteht, wie sich dies aus dem
Schreiben vom 23.8.2005 ergibt. Es konnte im vorliegenden Rechtsstreit ebenfalls
offen bleiben, ob etwa ein Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers deshalb
nicht gegeben wäre, wenn etwa Nachschlüssel oder andere Schlüssel vorhanden
wären und sonach keine Kausalität des Schlüsselverlustes für den Austausch der
Schließanlage gegeben wäre. Auch dies kann vor dem Hintergrund des
Rechtsverlustes nach § 12 Abs. 3 VVG nicht dazu führen, im vorliegenden
Rechtsschutz das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen.
Die Beklagte hat der Klägerin Versicherungsschutz zu gewähren aufgrund des
Verlustes der Schlüssel für die Dauerpflegestation des unter den im
Urteilstenor genannten Schadensnummer nach dem zwischen den Parteien
bestehenden Versicherungsvertrag.
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Der Schaden ist von dem Versicherungsvertrag umfasst. Allerdings ist nach Ziff. I
BBR eine Ausnahme bestimmt hinsichtlich der Ausnahme der Gefahren eines
Betriebes, Berufes, Dienstes oder sonstigen Amtes.
Um eine derartige berufliche Tätigkeit handelt es sich jedoch vorliegend nicht.
Dabei ist hinsichtlich der Gefahren eines Berufes darauf abzustellen, wo das
Schwergewicht der Tätigkeit liegt. Danach ist nach herrschender Meinung aber die
Verwahrung beruflich anvertrauter Schlüssel dem Privathaftpflichtrisiko
zuzuordnen (siehe OLG Köln, Recht und Schaden 1992, S. 228 und Prölss/Martin,
Voit/Knappmann, VVG, Privathaftpflicht Nr. 1, Rdz. 7). Dem schließt sich das
Gericht an. Es kommt dabei darauf an, dass letztlich es sich gerade nicht um eine
berufliche Tätigkeit handelt. Der berufliche Schwerpunkt besteht hinsichtlich der
Klägerin nicht in dem Verwahren von Schlüsseln sondern in der Pflege alter und
pflegebedürftiger Menschen. Zwar dient auch der Schlüssel der Möglichkeit den
Beruf überhaupt ausüben zu können. Es besteht jedoch auch eine andere
Möglichkeit, etwa durch einen Pförtner oder sonstige Möglichkeit, die
Pflegetätigkeit zu ermöglichen. Eine typische Ausübung der beruflichen Tätigkeit
läge etwa vor, bei einem Zuschadenkommen eines pflegebedürftigen
Heimbewohners nicht jedoch in dem Überlassen des Schlüssels. Dies gilt im
Einzelfall dann nicht, wenn der Versicherungsnehmer etwa dienstlich verpflichtet ist
den Schlüssel im Interesse des Betriebes bei sich zu verwahren wie etwa bei dem
Tresorschlüssel einer Bank oder dem Filialleiterschlüssel zum Auf- und Abschließen
bei Geschäftsbeginn oder Geschäftsschluss (siehe Prölss/Martin, Voit/Knappmann
a.a.O.). Um eine derartige dienstliche Verpflichtung zur Verwahrung des Schlüssels
handelt es sich jedoch nicht sondern um eine normale Verwahrung des Schlüssels
zum Zwecke der Ausübung der beruflichen Tätigkeit.
Es handelt sich sonach bereits nicht um eine Gefahr eines Berufes die sich in dem
Schlüsselverlust verwirklicht hat.
Des Weiteren ist jedoch nach § 1 Abs. 3 AHB grundsätzlich nicht mitversichert die
reine Vermögensbeschädigung, die weder durch Personen noch Sachschaden
entstanden ist sowie wegen Abhandenkommens von Sachen (siehe § 1 Abs. 3
AHB).
Hiervon macht jedoch ausdrücklich die Ziff. IX BBR des zwischen den Parteien
geschlossenen Versicherungsvertrages eine Ausnahme. Hierdurch wird
klargestellt, dass gerade auch Vermögensschäden aus dem Schlüsselverlust
umfasst sind. Dabei ist es auch herrschende Meinung, dass es sich bei dem
Abhandenkommen eines Schlüssels nicht um einen Sachschaden sondern um
einen reinen Vermögensschaden handelt (siehe AG Hamburg, Recht und Schaden
1994, S. 250 und Prölss/Martin a.a.O. § 1 AHB, Rdz. 28). Da jedoch ausdrücklich
eine Position insoweit angeboten wurde in Ziff. IX der BBR zwischen den Parteien
kommt es nicht darauf an, dass es sich um einen reinen Vermögensschaden
handelt, da dieses Risiko ausdrücklich von den Versicherungsbedingungen mit
umfasst wird. Ein weiterer Ausschlusstatbestand im Sinne der Ziff. IX 2) ist nicht
gegeben, da die Klägerin die Schlüssel gerade nicht für eigene gewerbliche,
betriebliche oder freiberufliche Zwecke genutzt oder besessen hat. Die Beklagte
kann sich hierauf nicht berufen. Insbesondere nicht darauf, die Klägerin habe den
Schlüssel für gewerbliche Zwecke genutzt. Gerade dies ist von der lediglich
beruflichen Tätigkeit abzugrenzen, insbesondere der freiberuflichen Tätigkeit. Die
berufsbedingte Nutzung des verlorenen Schlüssels hindert daher nicht den Eintritt
des Versicherungsfalls, da die Klägerin den Schlüssel nicht für eigene gewerbliche
Zwecke nutzte. Unter Gewerbe wird gemeinhin verstanden eine erkennbar
planmäßige auf Dauer angelegte selbstständige und auf Gewinnerzielung
ausgerichtete Tätigkeit am Markt unter Ausschluss freiberuflicher Tätigkeit.
Darunter fällt insbesondere der Begriff der Selbstständigkeit der in § 84 Abs. 1
Satz 2 HGB eine Legaldefinition erfahren hat. Es geht daher darum, ob bei der
Tätigkeit die Arbeitszeit und der Arbeitsumfang frei bestimmt werden kann. Nach
allgemeiner Auffassung fallen Arbeitnehmer – wie die Klägerin als Altenpflegerin –
nicht unter eine selbstständige Tätigkeit, sonach übt sie auch bei ihrer beruflichen
Tätigkeit keine gewerbliche Tätigkeit aus. Andere Ausschlussgründe sind nicht
ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708
Ziff. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.