Urteil des AG Tettnang vom 29.10.2004

AG Tettnang: serbien und montenegro, internationale zuständigkeit, unterhalt, gutachter, ehescheidungsverfahren, republik, teilzeitbeschäftigung, ehepartner, rechtsberatung, ehescheidungsurteil

AG Tettnang Urteil vom 29.10.2004, 2 F 40/03
Nachträgliche Geltendmachung nachehelichen Unterhalts nach serbischem Recht
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 11.953,56 EUR
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt vom Beklagten nachehelichen Unterhalt.
2
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Sie haben am 10.12.93 vor dem Standesbeamten in Stuttgart die Ehe geschlossen.
3
Beide sind Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, heute des Staates Serbien und Montenegro. Ihre Ehe wurde durch Urteil des
Gemeindegerichts Becej, Autonome Provinz Vojvodina, Republik Serbien vom 27.12.2001 wegen Zerrüttung gemäß § 83 FGB der Republik
Serbien geschieden. Kinder sind aus der Ehe nicht hervorgegangen. Das serbische Gericht stützte seine internationale Zuständigkeit auf das
Vorliegen des Wohnsitzes des Ehemannes in Serbien, was von der Ehefrau bestritten wurde. In dem Urteil heißt es (Bl. 8 d. A.): "Die Beklagte war
trotz der ordnungsgemäßen Ladung nicht erschienen und ihr Prozessbevollmächtigter widersprach der Klage und dem Klageantrag, aber er
hatte nichts dagegen, dass die Gerichtsverhandlung in Abwesenheit der Beklagten abgehalten und das Beweisverfahren durchgeführt wird und
dass die Entscheidung gefällt wird". Das Urteil ist seit 24.04.02 rechtskräftig.
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Die Klägerin, die im Scheidungsverfahren in Serbien anwaltlich vertreten, jedoch nicht persönlich vor dem dortigen Gericht erschienen ist,
machte damals keinen Unterhalt geltend. Die vorliegende Klage wurde am 23.01.03 beim Amtsgericht Tettnang anhängig und am 14.11.03
durch Zustellung an den Gegner rechtshängig.
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Die Parteien streiten darüber, ob die Voraussetzungen der Art. 287 und 288 des serbischen Gesetzes über die Ehe und Familienbeziehungen
vom 22.04.1980 in der Form vom 30.05.1994 (GEF) erfüllt sind.
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Die Klägerin trägt vor, sie hätte schon während der ganzen Ehezeit, als sie berufstätig gewesen sei, nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen
können. Ihr sei es aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen, eine Vollzeitbeschäftigung auszuüben. Diese körperlichen Leiden
hätten schon vor der Ehescheidung bestanden und seitdem ununterbrochen angedauert. Aufgrund der beiderseitigen Einkommensverhältnisse
ergebe sich ihr Anspruch auf nachehelichen Unterhalt, da sie lediglich über ein bereinigtes Einkommen von 527,40 EUR, der Beklagte jedoch
über ein solches von 2519,66 EUR verfüge.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 01.08.2002 monatlichen nachehelichen Unterhalt in Höhe von 996,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %
Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Der Beklagte trägt vor, nach serbischem Recht sei nachehelicher Unterhalt grundsätzlich im Ehescheidungsverfahren zu beantragen. Ein
Ausnahmetatbestand liege nicht vor. Ferner liege ein Fall des böswilligen Verlassens vor.
12 Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Rechtsgutachtens beim Institut für ausländisches und internationales Privat- und
Wirtschaftsrecht durch Beschluss vom 21.01.04 (Bl. 74 d. A.), ergänzend durch Beschluss vom 19.04.04 (Bl. 128 d. A.) sowie durch Einholung
eines fachärztlichen Gutachtens durch Dr. med. Tilman Schumacher mit Beschluss vom 21.07.04 (Bl. 124 d. A.). Hinsichtlich der weiteren
Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, auf die Sitzungsprotokolle vom 14.01.04 (Bl. 69 ff d. A.), vom 05.05.04 (Bl. 121
ff d. A.) und vom 13.10.04 (Bl. 193 ff d. A.), auf das Rechtsgutachten vom 14.02.04 (Bl. 88 ff d. A.) und dessen Ergänzung vom 17.06.04 (Bl. 140 ff
d. A.) sowie das fachärztliche Gutachten vom 16.08.04 (Bl. 160 ff d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist unbegründet, denn die Voraussetzungen für eine nachträgliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs gem. Art. 288 Abs. 2
GEF liegen nicht vor.
14 Da beide Parteien Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, heute des Staates Serbien und Montenegro sind, findet gem. Art. 18 Abs.
4 EGBGB das Recht dieses Staates Anwendung, da das im Ausland ergangene Ehescheidungsurteil in Deutschland anerkennungsfähig ist. Wie
der Gutachter Em.Prof.Dr.Dr.H.C.mult. Erik Jayme in seinem Gutachten ausführt, handelt es sich bei Art. 288 Abs. 2 GEF nicht um eine rein
prozessuale Norm, denn diese Norm verfolgt im serbischen Recht auch materielle Zwecke. Jeder der Ehepartner soll ganz genau wissen,
"welche Rechte und Pflichten er hat und auf Grund dessen seine Zukunft planen" können, so dass die Präklusionswirkung des Art. 288 Abs. 2
GEF vom Anwendungsbefehl des deutschen internationalen Privatrechts umfasst ist. Gem. Art. 288 Abs. 2 GEF kann der Ehegatte, der im
Ehescheidungsverfahren die Zusprechung von Unterhalt nicht verlangt hat, ausnahmsweise aus berechtigten Gründen in einem getrennten
Streitverfahren Unterhalt verlangen, "aber nur, wenn die Voraussetzungen für den Unterhalt vor der Ehescheidung entstanden und
ununterbrochen bis zum Abschluss der Hauptverhandlung im Streitverfahren andauern, oder wenn innerhalb dieser Frist eine Arbeitsunfähigkeit
als Folge einer körperlichen Verletzung oder einer angegriffenen Gesundheit aus der Zeit vor der Ehescheidung eingetreten ist" (die deutsche
Übersetzung des genannten serbischen Gesetzes ist zitiert aus Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Jugoslawien 1999).
15 Voraussetzung ist also, dass sowohl die allgemeinen Gründe für einen nachehelichen Unterhaltsanspruch gegeben sind, als auch, dass die
besonderen Voraussetzungen für die isolierte Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs erfüllt sind. Außerdem dürfen keine sonstigen
Abweisungsgründe gegeben sein.
16 Unabhängig davon, ob die allgemeinen Voraussetzungen oder etwaige Abweisungsgründe, wie vorgetragen, vorhanden sind, liegen die
Voraussetzungen für eine nachträgliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs nicht vor. Wie im nachvollziehbaren
Sachverständigengutachtens des Dr. med. Tilman Schumacher ausgeführt, besteht aus gesundheitlichen Gründen bei der Klägerin nicht
grundsätzlich eine Einschränkung auf eine Teilzeitbeschäftigung. Die Klägerin ist in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben, die nicht mit langem Stehen, nicht mit häufigem Bücken, Knien und Hocken, nicht mit Zwangshaltungen
und nicht mit besonderen Anforderungen an das räumliche Sehen verbunden sind. Bei Beachtung dieser Einschränkungen kann die Klägerin
vollschichtig tätig sein. Der Gutachter stellt lediglich fest, dass die aktuelle Berufstätigkeit der Klägerin im Rahmen ihrer Sortiertätigkeit am Band
mit einer Wochenstundenzahl von 25 die Grenze ihrer Belastbarkeit darstellt. Damit ist der Klägerin der Beweis nicht gelungen, seit dem
Zeitpunkt der Ehescheidung bis heute ununterbrochen erwerbsunfähig bzw. teilerwerbsunfähig gewesen zu sein. Vielmehr ist davon
auszugehen, dass die Klägerin einer vollschichtigen Tätigkeit, wenn auch mit qualitativen Abstrichen gewachsen ist. Es kommt damit nicht
entscheidend darauf an, ob Art. 287 Abs. 1 GEF, auf den Art. 288 Abs. 1 GEF verweist, die vollständige Erwerbsunfähigkeit voraussetzt oder ob
diese Voraussetzungen auch bei einer Teilerwerbsunfähigkeit erfüllt sind. Nicht erfasst ist jedenfalls die Vollerwerbsfähigkeit mit qualitativen
Abstrichen. Der Klägerin ist es nämlich verwehrt, gegenüber dem Beklagten sich auf ihre aktuelle Arbeitssituation zu berufen. Wenn sie an ihrem
derzeitigen Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen einer Vollerwerbstätigkeit nicht nachgehen kann, dies jedoch in einem anderen
derzeitigen Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen einer Vollerwerbstätigkeit nicht nachgehen kann, dies jedoch in einem anderen
Berufszweig möglich wäre, so kann von ihr verlangt werden, sich um einen anderen Arbeitsplatz zu bemühen. Dies gilt um so mehr, als ihre
bisherige Tätigkeit eine ungelernte darstellt und das von ihr erzielte Einkommen in anderen Bereichen von übertroffen werden könnte. Im übrigen
müsste die gesundheitlichen Ursachen für ihre mangelnde Leistungsfähigkeit auch schon im Zeitpunkt der Scheidung vorgelegen haben. Nach
alledem ist die Klägerin den Beweis schuldig geblieben, aus gesundheitlichen Gründen gehindert zu sein, einer Vollerwerbstätigkeit
nachzugehen.
17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 ZPO.