Urteil des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 16.05.2007

AG Tempelhof-Kreuzberg: nachträgliche bewilligung, guter glaube, bischof, beratung, belastung, kostendeckung, zwischenverfügung, quelle, sammlung, link

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Gericht:
AG Tempelhof-
Kreuzberg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
70a II 5486/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 2 S 4 BeratHiG, § 7
BeratHiG
Beratungshilfe: Möglichkeiten der Bewilligung
Tenor
In der Beratungshilfesache … wird der Vergütungsantrag vom 16.05.2007 der
Rechtsanwältin N. zurückgewiesen.
Gründe
Die erste Tätigkeit der Antragstellervertreterin erfolgte ausweislich der Akte am
24.10.2006, der vorgelegte Beratungshilfeschein wurde aufgrund des Antrags vom
27.10.2006 (persönliche Beantragung vor dem Rechtspfleger) erteilt.
Da die hier zur Liquidation angemeldete Tätigkeit, somit vor der durch das Gericht
gewährten Beratungshilfe liegt, sind die vom dem Bevollmächtigten erbrachten
Tätigkeiten nicht von der bewilligten Beratungshilfe (= Scheinerteilung) erfasst und
können nicht zu Lasten der Landeskasse abgerechnet werden.
Ähnlich wie bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe, deren (Rück-)Wirkungen auch erst
ab dem Zeitpunkt eintreten können, in denen der (ordnungsgemäße) Antrag vorliegt,
entfaltet die Beratungshilfe Wirkung ebenfalls erst ab (ordnungsgemäßer) Antragstellung
(vgl. u.a. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.06.2003, FamRZ 2004, 122; BGH, Beschl. v.
09.10.2003, FamRZ 2004, 99f.; OLG Karlsruhe Beschl. v. 06.10.2003, FamRZ 2004, 1217
f.).
Wenn hier bei der Entscheidung über den Antrag bereits bekannt gewesen wäre (was
nicht der Fall war), dass der Bevollmächtigte bereits tätig geworden war, wäre kein
Schein erteilt worden. Die Frage der vorherigen Befassung des Bevollmächtigten ergeht
grundsätzlich in jedem Verfahren an die Antragsteller, wenn diese vor dem Rechtspfleger
erscheinen, um einen Beratungshilfeschein zu beantragen. Wird die vorherige Tätigkeit
bejaht, wird den Antragstellern neuerdings ein Schreiben ausgehändigt, worin diese und
der bereits tätig gewordene Anwalt mit entsprechend ausführlicher Begründung darauf
hingewiesen werden, dass die Scheinerteilung nicht (mehr) möglich und daher gem. §§
4, 7 BerHG zu verfahren ist oder der Antragsteller wird gebeten, dass der bereits
bevollmächtigten Rechtsanwalt einen Antrag auf nachträgliche Bewilligung von
Beratungshilfe gem. §§ 4, 7 BerHG einreicht.
Würde man die Ansicht vertreten, dass ein Beratungshilfeschein noch erteilt werden
könnte, wenn der Anwalt bereits tätig geworden ist, so würde dies bedeuten, dass die
Verweisung der Rechtsuchenden an das Amtsgericht zur Vermeidung eines
Kostenrisikos für den bereits tätig gewordenen Anwalt zulässig würde.
Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen und würde im übrigen auch dem Willen des
Gesetzgebers zuwider laufen, das Verfahren auf Gewährung von Beratungshilfe zu
beschleunigen (BT-Drucks. 8/3695 S.9; Nagel, Rpfleger 1982, 212 ff.; Schoreit/Dehn § 4
Anm. 8; Klein, JurBüro 2001, 172 ff.).
Die Erteilung eines Berechtigungsscheines ist nur vor einer Beratung möglich. Wendet
sich die rechtsuchende Person zuerst direkt an einen Rechtsanwalt, so ist eine
nachträgliche Bewilligung, nicht jedoch die Erteilung eines nachträglichen
Berechtigungsscheines möglich (vgl. §§ 4 Abs.2 S.4, 7 BerHG). Der Antrag ist durch den
beauftragten Rechtsanwalt zu stellen (vgl. o.g. Vorschriften).
Hierdurch soll u.a. vermieden werden, dass sich der Mandant nach Beratung durch einen
Rechtsanwalt mit einem Berechtigungsschein in der gleichen Angelegenheit an einen
weiteren Rechtsanwalt wendet, da es im Gegensatz zur Prozesskostenhilfe im
Beratungshilfeverfahren keine Möglichkeit der Anwaltsbeiordnung gibt.
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Auch war die Bereitschaft zur Übernahme des Gebührenrisikos durch die Anwaltschaft
eines der von dieser im Gesetzgebungsverfahren vorgebrachten Argumente für den von
ihr geforderten Direktzugang zum Anwalt (Bischof, NJW 1981, 898; Klinge § 7 Rn. 2).
Weist der Rechtsuchende vor dem Gespräch auf seine beengte wirtschaftliche Lage hin,
so ist wiederum der Anwalt verpflichtet (§ 16 BORA und § 49a BRAO) den
Rechtsuchenden auf die Möglichkeiten der Beratungshilfe hinzuweisen und das Mandat
grundsätzlich zu übernehmen und ist verpflichtet über sein Büro einen Antrag gem. §§ 4,
7 BerHG im Auftrag des Mandanten zu stellen. Dies allein ist das dem Gesetz und dem
Intentionen des Gesetzgebers entsprechende Verhalten (Schoreit/Dehn § 7 Rdn. 6
m.w.N.; Kreppel, Rpfleger 1986, 86 ff.).
Die Ansicht, dass in grenzwertigen Fällen der Mandant an das Gericht verwiesen werden
kann, um eine Entscheidung des Gerichts zu “provozieren” (Klein, JurBüro 2001, 172 ff.),
wird hier abgelehnt, da es einem Volljuristen möglich und zumutbar ist eine Berechnung
nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BerHG i.V.m. mit den entsprechenden Vorschriften §§ 114
ff. ZPO vorzunehmen und abschließend zu beurteilen, ob die Voraussetzungen nach § 1
BerHG gegeben sind oder nicht.
Die Verweisung der Mandantschaft an das Gericht ist nach hiesiger Auffassung nur
zulässig, wenn der Mandant auf einem Mandatsverhältnis nach den
Beratungshilfevorschriften besteht und der Anwalt selbst die Voraussetzungen nach § 1
BerHG für nicht gegeben hält.
“Die bei Schaffung des Beratungshilfegesetzes bezweckte Regelung (meint:
Antragsverfahren nach §§ 4, 7 BerHG) erfordert es, dass “diese “Geschäftsgrundlage”
jetzt auch eingehalten werden [muss]” (Bischof a. a. O.).
Es entspricht auch nicht der Prozessökonomie, wenn der Rechtsanwalt die
Voraussetzungen selbst für gegeben hält, sich aber (z. B. aufgrund des Kostenrisikos)
seine Auffassung in Form der Erteilung eines Beratungshilfescheins vom Amtsgericht
nochmals bestätigen lassen möchte (vgl. obige Ausführungen).
In keinen Fall ist das Gericht als Vor- oder Überprüfungsinstanz zu “missbrauchen”.
Da es dem Bevollmächtigten hier sogar bekannt war, dass er bereits vor der
Antragstellung tätig war, ist für ihn an den Schein auch kein "guter Glaube" auf
Kostendeckung verbunden (LG Münster Beschl. 30.04.1985, JurBüro 1985, 1844;
Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, PKH/BerH, 4. A., Rdn. 1041 m.w.N.).
Vielmehr hätte hier das Gericht ggf. sogar die Möglichkeit bzw. Pflicht seine bisherige
Entscheidung (= Erteilung des Scheins) gem. §§ 5 BerHG, 18 FGG abzuändern (Kreppel,
Rpfleger 1986, 86 ff., LG Frankenthal, Beschl. v. 21.05.1986, Rpfleger 1986, 494 f.).
Soweit das Gericht seine vorherige Entscheidung auf Gewährung von Beratungshilfe
aufhebt, entfällt der Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts, falls dieser infolge
unmittelbaren Zugangs bereits vor Bewilligung der Beratungshilfe tätig geworden ist (LG
Frankenthal, a.a.O., LG Paderborn, Beschl. 11.03.1986, JurBüro 1986, 1211; LG Bochum,
JurBüro 1986, 403; OLG Hamm, Rpfleger 1984, 323; LG Kleve JurBüro 1986, 1384 und
JurBüro 1987, 75; Schoreit/Dehn § 6 Rdn. 6 a.E. m.w.N. u.a. auf den Rechtsgedanken aus
§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfg; Hansen, JurBüro 1987, 329; Weiß, Rechtspfleger 1988, 341).
Die Abänderung der gerichtlichen Entscheidung (s. o.) ist hier nicht notwendig, da der
Schein mittlerweile bei Gericht eingereicht wurde und somit eine weitere Belastung der
Landeskasse ausgeschlossen ist. Ferner ist lediglich die Zurückweisung des
Liquidationsantrags zu veranlassen.
Da die Tatsache, dass der Bevollmächtigte bereits vor Gewährung von Beratungshilfe
durch das Gericht tätig geworden ist, unabänderlich ist, war der Antrag ohne vorherige
Zwischenverfügung zurückzuweisen.
Dies rechtfertigt die ausgesprochene Zurückweisung.
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