Urteil des AG Stuttgart vom 16.09.2005
AG Stuttgart: computerprogramm, kritik, anwaltskosten, form, prüfungspflicht, gebühr, glaubhaftmachung, anmerkung, geschäft, rechtsberatung
AG Stuttgart Beschluß vom 16.9.2005, 04-0294035-0-9
Mahnverfahren: Reichweite der Prüfungskompetenz des Rechtspflegers hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Inkassokosten
Tenor
wird auf die befristete Erinnerung der Antragsteller der Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichtes Stuttgart vom 1.2.2005 aufgehoben und die
Rechtspflegerin angewiesen, einen Ergänzungsmahnbescheid zu erlassen, in den die geltend gemachten Inkassokosten einzubeziehen sind.
Gründe
I
1
Die Antragsteller wenden sich mit ihrer befristeten Erinnerung vom 17.2.2005, eingegangen am 17.2.2005 gegen den ihm am 10.2.2005
zugestellten Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichtes – Mahnabteilung – mit dem der Mahnbescheidsantrag vom 21.9.2004 in
Höhe der geltend gemachten Inkassokosten (51,04 EUR) kostenpflichtig zurückgewiesen wurde.
2
In dem Beschluss heißt es u. a.:
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"Da Inkassokosten neben Rechtsanwaltskosten als Verzugsschaden in der Regel nicht erstattungsfähig sind, es sei denn, der Gläubiger
habe ausnahmsweise aus besonderen Gründen darauf vertrauen dürfen, der Schuldner werde ohne gerichtliche Hilfe leisten, müssen sie in
irgendeiner Weise individualisiert und mit knappen Angaben dargelegt werden; siehe Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 24.1.1989 –
2 T 919/88 –.
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Hierzu werden dem Antragsteller zur Vereinfachung im Programm hinterlegte Kurzbegründungen angeboten.
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Als Gründe, die eine Erstattungsfähigkeit rechtfertigen, werden in der Regel anerkannt: Ratenzahlungsangebot des Schuldners, geleistet
Teilzahlung, ausdrücklich erklärtes Anerkenntnis (kein Stillschweigen) des Schuldners, Vergleichsangebot des Schuldners,
Stundungsersuchen des Schuldners und Vorliegen eines beiderseitigen Handelsgeschäfts. Erklärungen bezüglich der Erstattungsfähigkeit
der Inkassokosten wurden jedoch vom Antragsteller nicht abgegeben"
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Die Rechtspflegerin hat der fristgemäß eingelegten Erinnerung nicht abgeholfen.
II
1.)
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Gegen den an sich nach § 691 Abs. 3 ZPO nicht mit einem Rechtsmittel anfechtbaren zurückweisenden Beschluss ist nach § 11 Abs. 2 S. 3
RPflG die befristete Erinnerung eröffnet, über die der Richter zu entscheiden hat.
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Die rechtzeitig eingelegte Erinnerung ist zulässig.
2.)
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Das Rechtsmittel ist auch begründet.
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An der Rechtsprechung des Amtsgerichts Stuttgart zur Individualisierungspflicht bei der Geltendmachung von Inkassokosten zur Vermeidung
von Missbrauchsfällen wird nicht festgehalten.
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Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass von dieser Änderung der Rechtsprechung die bei allen zentralen Mahngerichten
durchgeführte Überprüfung der Inkassokosten der Höhe nach, dann wenn diese eine 15/10 Rechtsanwaltsgebühr zuzüglich anteiliger
Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer übersteigt, nicht betroffen ist.
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Bei dieser Überprüfung bleibt es daher auch weiterhin.
2.1.)
a)
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Dem Rechtspfleger steht im Mahnverfahren nach Wegfall der Schlüssigkeitsprüfung nur insoweit ein vollumfängliches Prüfungsrecht zu, als
über den Kostenerstattungsanspruch im Rahmen eines etwas abgewandelten, vereinfachten Kostenfestsetzungsverfahrens entschieden
wird (siehe hierzu auch LG Stuttgart, Rpfleger 88,537). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Inkassokosten werden als Nebenforderungen
geltend gemacht.
b)
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In Rechtsprechung und Literatur ist streitig, ob allein die Geltendmachung von Inkassokosten im Mahnverfahren gleichwohl eine nähere
Überprüfung rechtfertigt.
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Das Amtsgericht Stuttgart hat bisher in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass Inkassokosten jedenfalls stichwortartig
begründet werden müssen. Die Inkassokosten müssten – ebenso wie die Hauptforderung – in irgendeiner Weise individualisiert und mit
knappen Angaben dargelegt werden. Andernfalls könne eine rechtsmissbräuchliche Handhabung nicht ausgeschlossen werden. Diese
Gefahr sei gerade bei der Geltendmachung von Inkassokosten besonders hoch. Würden Inkassokosten neben Rechtsanwaltsgebühren
verlangt, so liege es auf der Hand, dass der Gläubiger mit der Einschaltung eines Inkassoinstitutes gegen seine Schadensminderungspflicht
verstoßen habe bzw. dass ein dem Schuldner zurechenbarer ersatzfähiger Schaden nach § 286 Abs. 1 BGB gar nicht vorliege (AG Stuttgart
Beschluss vom 31.10.2002 AZ: 02-0247330-00-N und die Entscheidungen vom 10.12.2002 AZ: 02-0297266-00-N, sowie die Entscheidung
vom 16.6.2002 AZ 03-0040022-02-N).
16
Das Amtsgericht ist in den oben genannten Entscheidungen den Beschlüssen des Landgerichtes Stuttgart vom 30.6.1988 und vom
24.1.1989 – 2 T 919/88 JurBüro 1989, 559 (560) gefolgt.
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In der letztgenannten Entscheidung setzt sich das Landgericht mit der Kritik, die seine Entscheidung vom 30.6.1988 u. a. auch vom
Oberlandesgericht Stuttgart in dem Beschluss vom 31.8.1988 (Rpfleger 1988 S. 536) erfahren hat auseinander und hält an seiner
Rechtsprechung fest. Es führt im übrigen ausdrücklich aus, dass der Rechtspfleger dann, wenn er erkennt, dass Inkassokosten im
Mahnantrag enthalten sind, diesen Anspruch einer Überprüfung unterziehen müsse . Das Landgericht weist in diesem Zusammenhang auf §
5 Abs. 1 Nr. 1 RpflG in der damals gültigen Fassung hin, wonach der Rechtspfleger ein ihm übertragenes Geschäft dem Richter dann
vorzulegen hatte, wenn er von einer ihm bekannten Stellungnahme des Richters abweichen wollte. Insoweit sei die Entscheidungsfreiheit
des Rechtspflegers gemäß § 9 RpflG eingeschränkt; inzwischen wurde § 5 RpflG durch Gesetz vom 6.8.1998 neu gefasst, diese
Argumentation greift daher so heute nicht mehr.
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Das Landgericht führt im übrigen noch aus, dass das Mahngericht dem Umstand, dass im Computerprogramm keine Prüfungsmöglichkeit
bei der Geltendmachung von Inkassokosten eingebaut sei, abzuhelfen habe.
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Weiter fordert es, dass Inkassokosten in irgend einer Weise individualisiert und mit knappen Angaben dargelegt werden müssten, da
Inkassokosten neben Anwaltskosten als Verzugsschaden in der Regel nicht verlangt werden könnten, es sei denn, der Gläubiger habe
ausnahmsweise aus besonderen Gründen darauf vertrauen dürfen, der Schuldner werde ohne gerichtliche Hilfe leisten. Der Antragsteller
könne dann dazu entweder stichwortartig vortragen oder Belege vorlegen. Um dem Rechtspfleger die summarische Schlüssigkeitsprüfung
zu ermöglichen, könnten z. B. Angaben in Betracht kommen, dass ein beiderseitiges Handelsgeschäft vorliegt, welcher Grund zur
Beauftragung des Inkassounternehmens durch den Gläubiger geführt hat, die Beitreibungsbemühungen, dass eine Erfolgsvergütung nicht
geltend gemacht werde und anders. Wenn die Einschaltung eines Inkassounternehmens geboten war, dürfe es dem Antragsteller ein
Leichtes sein, dies in knapper Form darzulegen, dem Gläubiger bleibe es stets unbenommen, Inkassokosten im Klagewege geltend zu
machen, einen Rechtsverlust erleide er nicht, wenn er offensichtlich zweifelhafte Ansprüche nicht im Mahnverfahren tituliert erhalte.
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Diese Rechtsprechung hat zahlreiche Kritik erfahren (siehe hierzu Beschluss des AG Duisburg-Hamborn vom 31.8.1989 – JurBüro 1990 S.
56 mit der Besprechung von Mümmler a. a. O) -und AG Delmenhorst Beschluss vom 30.6.2003 JurBüro 2003. S. 485 – mit Anmerkung von
Brunner und weiteren Nachweisen.
21
Das Amtsgericht – Mahngericht – Stuttgart hat in Folge der oben genannten Entscheidungen des Landgerichtes Stuttgart, anders als die
anderen Mahngerichte bei denen das automatisierte Mahnverfahren eingeführt ist, im Computerprogramm bei Geltendmachung von
Inkassokosten eine Prüfungspflicht eingeführt und Kurztexte zu den im oben zitierten Beschluss der Rechtspflegerin genannten
Themenbereiche zur Glaubhaftmachung vorgesehen.
2.2)
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Die Rechtsprechung des Amtsgerichts Stuttgart zur Individualisierungspflicht bei der Geltendmachung von Inkassokosten zur Vermeidung
von Missbrauchsfällen wird aufgegeben.
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Angesichts des Umstandes, dass es zur Beantwortung der Frage, ob und in welcher Höhe Inkassokosten gegen den Schuldner geltend
gemacht werden können, einer umfangreichen materiell-rechtlichen Einzelfallprüfung bedarf (siehe hierzu auch LG Gießen JurBüro 2004,
609-610) und auch der Gesichtspunkt der Schadensgeringhaltungspflicht aufgrund der Regelung im RVG zur Anrechenbarkeit von
vorgerichtlichen Anwaltskosten (Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3, Absatz 4 RVG) eine andere Bewertung erfordert, erscheint eine generelle
Überprüfung bei der Geltendmachung von Inkassokosten im Mahnverfahren zur Vermeidung von offensichtlichen Missbrauchsfällen
jedenfalls nunmehr nicht mehr angezeigt.
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Es wird ausdrücklich daraufhingewiesen, dass von dieser Änderung der Rechtsprechung die bei allen zentralen Mahngerichten
durchgeführte Überprüfung der Inkassokosten der Höhe nach, dann, wenn diese eine 15/10 Rechtsanwaltsgebühr zuzüglich anteiliger
Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer übersteigt, nicht betroffen ist.
25
Bei dieser Überprüfung bleibt es daher auch weiterhin.
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Weiter wird daraufhingewiesen, dass es dem Schuldner unbenommen bleibt, Widerspruch gegen den Mahnbescheid nur insoweit
einzulegen als Inkassokosten festgesetzt wurden und damit die oben angesprochene ausführliche Einzelfallprüfung im ordentlichen
Verfahren zu erzwingen, für die im Mahnverfahren kein Platz ist.
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Ein Hinweis auf eine offensichtliche Missbrauchssituation, in der dem Rechtspfleger im Mahnverfahren auch nach Wegfall der
Schlüssigkeitsprüfung weiterhin ein Überprüfungsrecht zusteht, kann aber bei der bloßen Geltendmachung von Inkassokosten nicht mehr
gesehen werden.
28
Anders zu beurteilen ist die Situation dann, wenn als Inkassokosten eine Gebühr von mehr als 15/10 einer entsprechenden
Rechtsanwaltsgebühr zuzüglich anteiliger Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer verlangt werden. In diesen Fällen liegt ein Versehen
nahe, welches den Rechtspfleger ermächtigt und auch verpflichtet nachzufragen, warum Inkassokosten in dieser ungewöhnlichen Höhe
angefallen sind.