Urteil des AG Bad Cannstatt vom 07.10.2005

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AG Stuttgart-Bad Cannstatt Urteil vom 7.10.2005, 8 C 1815/05
Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall: Auffahren auf ungesichertes Unfallfahrzeug
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des auf
Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Streitwert: 916,00 EURO
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagten als Fahrerin, Halterin und Haftpflichtversicherer aus einem Verkehrsunfall vom 24.01.2005 in Anspruch.
2
Gegen 8.10 Uhr befuhr der Ehemann der Klägerin mit deren PKW, amtliches Kennzeichen ..., die S straße in S. Kurz vor der Einmündung der Z
straße in die S straße erkannte der Ehemann der Klägerin zu spät, dass der Verkehr in der Z straße völlig zum Erliegen gekommen war. Er fuhr
mit dem klägerischen Fahrzeug trotz Einleitung einer Bremsung auf das unmittelbar vor der Einmündung Z straße bereits stehende Fahrzeug des
Herrn E auf und berührte dies leicht mit der Frontpartie. Sowohl der Ehemann der Klägerin als auch Herr E stiegen aus den beiden
unfallbeteiligten Fahrzeugen, um eventuell entstandene Schäden anzusehen. Eine Absicherung der Unfallstelle erfolgte nicht.
3
Nun näherte sich die Beklagte Ziffer 1 mit dem bei der Beklagten Ziffer 2 haftpflichtversicherten PKW, amtl. Kennzeichen ..., mit einer den
Verkehrsverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit mit der Folge, dass sie mit dem Beklagtenfahrzeug trotz Einleitung einer Bremsung auf
das klägerische Fahrzeug auffuhr.
4
Durch den Unfall entstand am klägerischen Fahrzeug ein Gesamtschaden in Höhe von 2.748,45 EURO, wovon die Beklagte Ziffer 1 2/3 (=
1.832,30 EURO) regulierte. Eine weitergehende Haftung lehnte die Beklagte ab.
5
Die Klägerin ist der Meinung, die unterlassene Absicherung der Unfallstelle habe keine Auswirkungen auf die Kollision mit dem
Beklagtenfahrzeug gehabt. Es habe sich um eine völlig normale Verkehrssituation gehandelt, die durch den Erstunfall mit dem Fahrzeug des ...
nicht verändert worden sei.
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Die Klägerin beantragt,
7
die Beklagten werden verurteilt, an die Kläger als Gesamtschuldner 916,15 EURO nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.04.2005 zu bezahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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Klagabweisung.
10 Die Beklagten sind der Meinung, der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs sei zur Absicherung der Unfallstelle verpflichtet gewesen. Wäre die
Absicherung ordnungsgemäß erfolgt, hätte die Beklagte ihr Fahrzeug rechtzeitig abbremsen können.
Entscheidungsgründe
I.
11 Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann von den Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 und 2 PflVG über den
durch die Beklagte Ziffer 2 regulierten Betrag hinaus keinen Ersatz der ihr durch den Verkehrsunfall entstandenen Schäden verlangen. Gemäß §
17 Abs. 2 StVG war die Haftung zwischen den Parteien im Verhältnis von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten zu verteilen, da unter
Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles der Unfall überwiegend durch die Fahrweise der Beklagten Ziffer 1 verursacht worden
ist.
12 1. Die Haftungsverteilung zwischen mehreren an einem Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeughaltern ergibt sich aus der jeweiligen Betriebsgefahr
der unfallbeteiligten Fahrzeuge sowie aus gefahrerhöhenden Umständen, die sich der Halter im konkreten Fall zurechnen lassen muss (vgl.
dazu nur Garbe/Hagedorn, JuS 2004, 287/291 ff.). Haftungserhöhend auf die Betriebsgefahr, die bei den unfallbeteiligten PKWs in gleicher Höhe
anzusetzen ist, wirkt sich insbesondere eine fehlerhafte und verkehrswidrige Fahrweise eines Fahrers, die sich im Unfallgeschehen realisiert,
aus. Dabei muss regelmäßig die Partei die Umstände darlegen und beweisen, die zu Gunsten des anderen Halters berücksichtigt werden sollen.
13 2. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt dazu, dass sich die Klägerin einer Haftungsquote von 1/3 anrechnen lassen
muss. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
14 a. Die Beklagte Ziffer 1 hat durch ihr Fahrverhalten die entscheidende Ursache für den späteren Unfall gesetzt. Sie hat entgegen § 4 StVO nicht
den erforderlichen Abstand zum klägerischen Fahrzeug eingehalten oder zu spät auf das stehende Fahrzeug der Klägerin reagiert.
15 b. Aber auch der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, dessen Verhalten sich die Klägerin zurechnen lassen musste, hat die ihm obliegenden
Verkehrspflichten in einem Maß verletzt, welches nicht außer Betracht bleiben kann. Ihm ist vorzuwerfen, dass er entgegen § 15 StVO das nach
dem Unfall stehen gebliebene klägerischer Fahrzeug nicht durch sofortiges Einschalten der Warnblinkanlage abgesichert hat, wobei das
Unterlassen der vorgeschriebenen Sicherung für die Unfallursächlichkeit spricht (vgl. Jagow in: Janiszewski/Jagow/Burmann, 18. Auflage 2004,
§ 15 RDN 9). Die Klägerin hat weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass der Unfall auch bei Aufstellung eines Warndreiecks sowie bei
Betätigung der Warnblinkanlage stattgefunden hätte.
16 Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sie sich nicht auf eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs berufen, da die angeführte
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.02.2004 (VI ZR 218/03, NJW 2004, 1375 ff.) einen nicht vergleichbaren Sachverhalt betrifft. Der
vorliegende Fall unterscheidet sich dadurch, dass die durch den Erstunfall liegen gebliebenen Fahrzeuge gerade nicht abgesichert wurden.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Unfall für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nach seinem Vortrag auch nicht unabwendbar im
Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war. Denn der Unfall wäre für ihn vermeidbar gewesen, wenn er auf das Unfallgeschehen sowie das Stauende durch
ein Betätigen der Warnblinkanlage, welches nach § 16 Abs. 2 Satz 2 StVO in der konkreten Verkehrssituation erlaubt war, hingewiesen hätte. Zu
einer solchen Absicherung bestand Anlass, nachdem der Verkehr nach dem Vortrag des Klägers unmittelbar vor der Einmündung der Z straße in
die S straße wegen eines Staus auf der Zuckerbergstraße zum Stehen gekommen war und auf Grund von starken Schneefällen die
Straßenverhältnisse besonders gefahrträchtig waren.
II.
17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.