Urteil des AG Strausberg vom 02.07.2007

AG Strausberg: öffentliche versteigerung, fahrzeug, pfändung, unpfändbarkeit, eigentumsübergang, eigentümer, rückgabe, ablieferung, zwangsvollstreckung, herausgabe

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Gericht:
AG Strausberg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 M 1623/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 766 ZPO, § 811 Abs 1 Nr 5
ZPO, § 817a Abs 1 S 1 ZPO
Eigentumsübergang trotz Verfahrensfehlers durch
Nichteinhaltung der Mindestgebotsgrenze
Tenor
Die Erinnerung der Schuldnerin vom 02.07.2007 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, Kosten werde nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Gläubigerin vollstreckt gegen die Schuldnerin aus dem der Schuldnerin am
15.08.2006 zugestellten Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts H… vom 07.08.2006,
Az.: 06-1959155-0-9.
Nachdem Vollstreckungsversuche bei der Schuldnerin zunächst fruchtlos verliefen,
pfändete die Gerichtsvollzieherin am 01.06.2007 bei der Schuldnerin einen in deren
Gewahrsam befindlichen Pkw Renault Twingo und nahm diesen in Verwahrung. Der
Verkaufswert des gepfändeten Fahrzeugs wurde mit 1.000,-- €, der voraussichtliche
Verkaufserlös mit 500,-- € angegeben. Termin zur öffentlichen Versteigerung des
Pfandobjekts wurde auf den 26.06.2007, 09.00 Uhr bestimmt. Der Versteigerungstermin
wurde in der Zeitung B… und der M… veröffentlicht. Das Mindestgebot wurde mit 500,--
€ bezeichnet und festgesetzt.
Ausweislich des Versteigerungsprotokolls vom 26.06.2007 war zum
Versteigerungstermin neben der Gerichtsvollzieherin nur der Bieter anwesend. Dieser
gab ein Gebot über 300,-- € ab. Die Gerichtsvollzieherin wies den Bieter darauf hin, dass
dieses Gebot als unzulässig zurückzuweisen sei. Der Bieter erklärte daraufhin, dass er
kein höheres Gebot abgeben werde. In weiterer Folge hielt die Gerichtsvollzieherin mit
dem Gläubigervertreter fernmündliche Rücksprache und fragte bei diesem an, ob der
Zuschlag erteilt werden oder ein neuer Versteigerungstermin, der mit weiteren Kosten
verbunden wäre, bestimmt werden soll. Der Gläubigervertreter teilte mit, dass das
Fahrzeug auch für 300,-- € versteigert werden könne; die durch den Versteigerungserlös
nicht gedeckten Kosten könnten dem geleisteten Vorschuss entnommen werden. Eine
Anhörung der Schuldnerin dazu erfolgte nicht.
Nach dreimaligem Aufruf wurde dem im Rubrum benannten Bieter der Zuschlag erteilt.
Dieser zahlte den Betrag in Höhe von 300,-- €. Der Pkw Renault Twingo wurde ihm durch
die Gerichtsvollzieherin übergeben.
Mit Schreiben vom 02.07.2007 legte die Schuldnerin Erinnerung ein.
Sie beantragt,
die Versteigerung für unzulässig zu erklären sowie die Aufhebung der Pfändung
und die Rückgabe des Fahrzeugs.
Sie trägt dazu vor, dass der Zuschlag auf ein Gebot erteilt worden sei, welches unterhalb
des festgesetzten Mindestgebots gelegen habe. Der Zuschlag habe daher nicht erteilt
werden dürfen. Zudem sei die auf ausdrücklichen Wunsch des Gläubigervertreters
erfolgte Pfändung des Fahrzeugs nach § 811 ZPO unzulässig gewesen, da sie (die
Schuldnerin) das Fahrzeug dringend für die Fahrten zur Ausbildungsstätte benötige.
Nach telefonischer Mitteilung der Gerichtsvollzieherin sei der Erlös noch nicht verrechnet
worden und der Ersteher zur Rückgabe der Sache bereit. Dieser habe das Fahrzeug zu
diesem Zweck bereits an die Gerichtsvollzieherin herausgegeben.
Der angehörte Bieter hat mitgeteilt, dass er das Fahrzeug weiterhin haben wolle und
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Der angehörte Bieter hat mitgeteilt, dass er das Fahrzeug weiterhin haben wolle und
auch noch im Besitz der Schlüssel und der Papiere sei. Das Fahrzeug habe er nur an die
Gerichtsvollzieherin übergeben, weil diese ihn darum gebeten habe. Ferner habe er das
Fahrzeug gereinigt und bereits Ersatzteile bestellt.
Die Gläubigerin widerspricht einer Aufhebung der Pfändung und der Rückgabe des
Fahrzeugs. Sie trägt weiter vor, dass für den Fall, dass die Sache unzulässigerweise zu
einem zu geringen Gebot versteigert worden sei, ein erneuter
Zwangsvollstreckungstermin stattfinden möge.
Das Gericht hat die Gerichtsvollzieherin angehört.
II.
Die Erinnerung der Schuldnerin nach § 766 ZPO ist als Rechtsbehelf gegen Maßnahmen
der Zwangsvollstreckung statthaft.
Die Erinnerung der Schuldnerin ist insgesamt zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass
Stöber in Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 817 Rn. 14 die Auffassung vertritt, dass die Erinnerung
nach § 766 ZPO nur bis zum Eigentumsübergang zulässig ist.
Ist - wie hier - gerade fraglich, ob der Bieter Eigentümer des Fahrzeugs geworden ist und
ob die staatlichen Hoheitsakte (Zuschlag und Übereignung) wirksam sind, muss die
Erinnerung nach § 766 ZPO zur Prüfung dieser Rechtsfragen zulässig sein, als ansonsten
die Rechtsfragen ungeklärt blieben und ein nicht hinnehmbarer Schwebezustand
bestünde.
Soweit die Schuldnerin sich erstmals im Erinnerungsverfahren auf die Unpfändbarkeit
des Fahrzeugs und damit ein Pfändungsverbot im Sinne des § 811 ZPO beruft, ist die
Erinnerung nach § 766 ZPO ohnehin zulässig, da der Schuldner insoweit bis zur
Beendigung der Vollstreckung, somit auch nach der Versteigerung vor Erlösauszahlung
noch Erinnerung einlegen kann (vgl. Zöller a. a. O. § 811 Rn. 41).
In der Sache hat die Erinnerung der Schuldnerin keinen Erfolg.
a) Das gepfändete Fahrzeug ist wirksam versteigert worden. Der Bieter Herr N. ist trotz
eines Verfahrensfehlers wirksam Eigentümer des Pkw Renault Twingo geworden. Ein
erneuter Versteigerungstermin kommt nicht in Betracht.
Nach der Legaldefinition des § 817 a Abs. 1 S. 1 ZPO darf der Zuschlag nur auf ein
Gebot erteilt werden, das mindestens die Hälfte des gewöhnlichen Verkaufswertes der
Sache erreicht (Mindestgebot). Dieses Mindestgebot hat die Gerichtsvollzieherin mit
500,-- € festgesetzt. Danach durfte der Zuschlag nur auf ein Meistgebot in Höhe von
mindestens 500,-- € erteilt werden. Erteilt worden ist der Zuschlag auf ein Meistgebot in
Höhe von 300,-- €, was unter dem Mindestgebot liegt und grundsätzlich zur Versagung
des Zuschlags hätte führen müssen.
Nach herrschender Meinung (einschränkend nur OLG München NJW 59, 1832) können die
Verfahrensbeteiligten auf die Einhaltung der Schutzvorschrift des § 817 a Abs. 1 S. 1
ZPO verzichten. Der Zuschlag ist daher auch auf ein Gebot unter dem Mindestgebot zu
erteilen, wenn alle beteiligten Gläubiger und der Schuldner damit einverstanden sind
(vgl. Zöller a. a. O. § 817 a Rn. 2).
Daran mangelt es hier. Die Schuldnerin hat ein Einverständnis, dass der Zuschlag zu
einem Meistgebot unter dem Mindestgebot erteilt werden kann, nicht erklärt. Ein
wirksamer Verzicht auf die Schutzvorschrift des § 817 a Abs. 1 S. 1 ZPO liegt damit nicht
vor. Dies jedoch hindert den Eigentumsübergang des Fahrzeugs auf den Bieter nicht.
Die Verwertung der gepfändeten Sache durch den Gerichtsvollzieher erfolgt durch zwei
selbstständige Verfahrensakte, und zwar die Veräußerung (Zuschlag an den
Meistbietenden) und die Übereignung der Pfandsache. Der Zuschlag ist ein staatlicher
Hoheitsakt, der durch das Meistgebot ausgelöst wird und mit Abgabe (Verkündung)
wirksam wird. Den Eigentumsübergang begründet der Zuschlag hingegen nicht, da die
Übereignung die gleichzeitige Zahlung des Bieters erfordert. Als öffentlich-rechtlicher
Vorgang begründet der Zuschlag die Amtspflicht des Gerichtsvollziehers, die Sache an
den Meistbietenden zu den Versteigerungsbedingungen abzuliefern (vgl. Zöller a. a. O. §
817 Rn. 7). Die Übereignung der Sache hat durch den Gerichtsvollzieher zu erfolgen. Die
Übereignung erfolgt mit Ablieferung, d. h. der körperlichen Übergabe der Sache an den
Meistbietenden, was nur gegen bare Zahlung geschehen darf (vgl. Zöller a. a. O. Rn. 8).
Vorliegend hat die Gerichtsvollzieherin den Pkw Renault Twingo nach Zuschlagserteilung
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Vorliegend hat die Gerichtsvollzieherin den Pkw Renault Twingo nach Zuschlagserteilung
durch körperliche Übergabe an den Bieter abgeliefert und der Bieter hat bare Zahlung in
Höhe von 300,-- € geleistet.
Als Voraussetzungen des Eigentumsübergangs werden eine wirksame Pfändung - die im
Zeitpunkt der Übergabe noch bestehen muss (vgl. dazu unten b) -, eine öffentliche
Versteigerung, bei der keine wesentlichen Vorschriften verletzt sein dürfen, sowie die
Einhaltung der bekannt gegebenen Mindestgrenze angesehen. Als hoheitliche
Maßnahme der Zwangsvollstreckung könnte die Übereignung mit Ablieferung jedoch nur
nichtig sein, wenn Ursache ein schwerwiegender Fehler bei Vornahme dieser Maßnahme
selbst wäre. Fehlerhafte Erfordernisse der Vornahme (Zulässigkeit) dieses Zwangsaktes
(wirksame Pfändung, wirksame öffentliche Versteigerung, und Einhaltung des
Mindestgebots) können die Unwirksamkeit des durch hoheitliches Handeln des
Gerichtsvollziehers bewirkten Eigentumsübergangs daher nicht bewirken (vgl. Zöller a. a.
O. § 817 Rn. 9 sowie Zöller a. a. O. § 817 a Rn. 6 m. w. N.).
Der Bieter Herr N… ist danach trotz der Nichteinhaltung des Mindestgebots wirksam
Eigentümer des Pkw Renault Twingo geworden.
b) Soweit die Schuldnerin sich erstmals im Erinnerungsverfahren auf das
Pfändungsverbot des § 811 ZPO beruft und die Aufhebung der Pfändung sowie die
Herausgabe des gepfändeten Fahrzeugs begehrt, ist die Erinnerung ebenfalls
unbegründet.
Mit dem wirksamen Eigentumsübergang des Fahrzeugs auf den Bieter hat die
Verstrickung der Sache geendet, so dass allein schon deswegen eine Aufhebung der -
nicht mehr bestehenden - Pfändung und die Herausgabe des Fahrzeugs an die
Schuldnerin selbst bei Vorliegen eines Verstoßes gegen das Pfändungsverbot des § 811
ZPO nicht erfolgen könnte. Allenfalls die Erlösverteilung wäre bei einem Verstoß gegen
die Vorschrift des § 811 ZPO tangiert.
Ein Verstoß der Gerichtsvollzieherin gegen die Bestimmung des § 811 ZPO liegt jedoch
nicht vor.
Eine Unpfändbarkeit des Fahrzeugs käme allein nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO in Betracht,
wonach bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen
persönlichen Leistungen ihren Erwerb erzielen, die zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit
erforderlichen Gegenstände nicht der Pfändung unterworfen sind.
Dazu, dass das von der Gerichtsvollzieherin gepfändete Fahrzeug eine unpfändbare
Sache im Sinne des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO darstellt, hat die Schuldnerin konkret nichts
vorgetragen. Es hätte eines Vorbringens der Schuldnerin dahingehend bedurft, welche
Ausbildung sie absolviert, wo die Ausbildungsstelle sich befindet und warum sie diese
ausschließlich nur mit einem Pkw und nicht auch mit anderen Beförderungsmitteln
erreichen kann. Allein die durch nichts belegte Behauptung, sie benötige das Fahrzeug
dringend für Fahrten zur Ausbildungsstätte, ist daher nicht ausreichend, zumal
derjenige, der sich auf die Unpfändbarkeit der Sache beruft, die Unpfändbarkeit des
Gegenstandes zusätzlich beweisen muss (vgl. Zöller a. a. O. § 811 Rn. 41).
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