Urteil des AG Siegburg vom 24.11.2010

AG Siegburg (mietvertrag, verwertung, gläubiger, grundstück, höhe, ehefrau, vertrag, anfechtbarkeit, zwangsvollstreckung, zpo)

Amtsgericht Siegburg, 115 C 112/05
Datum:
24.11.2010
Gericht:
Amtsgericht Siegburg
Spruchkörper:
115. Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
115 C 112/05
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Wohnung im
Erdgeschoß und im ersten Obergeschoß des Hauses xx in zz,
bestehend aus sechs Zimmern, Küche, Diele, Bad und Toilette
einschließlich einer Garage zu räumen und an die Klägerin
herauszugeben.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten als
Gesamtschuldnern auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die
Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 7.500 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Die Klägerin nimmt die beklagten Eheleute auf Räumung eines Hauses in Anspruch,
dass die Klägerin im Rahmen einer gegen den Beklagten zu 2) betriebenen
Zwangsvollstreckung ersteigert hat. Die Beklagten widersetzen sich dem
Räumungsbegehren unter Berufung auf ein Mietrecht der Beklagten zu 1) aus einem vor
der Einleitung der Zwangsvollstreckung und der Eheschließung mit dem Beklagten zu
2) geschlossenen Mietvertrag.
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Der Beklagte zu 2) war Gesellschafter und Geschäftsführer der yy. Die Gesellschaft
hatte Darlehensschulden bei der Klägerin. Der Beklagte zu 2) hatte sich für diese
Verbindlichkeiten verbürgt. Zur Sicherung der klägerischen Forderungen war eine
Grundschuld auf dem Hausgrundstück "xx‘ in zz bestellt worden. Diese Grundschuld
war nachrangig gegenüber weiteren Grundpfandrechten der Volksbank gg, der der
Beklagte zu 2) die Rückzahlung eines Darlehens in Raten schuldete. Das Haus stand
zunächst im Alleineigentum des Beklagten zu 2). Dieser übertrug einen
Miteigentumsanteil von vier Fünfteln auf seine damalige Ehefrau.
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Im Jahr xxxx trennte sich der Beklagte zu 2) von seiner damaligen Ehefrau. Unter
anderem dadurch geriet der Beklagte zu 2) im Herbst xxxx in einen finanziellen Engpaß.
Da sich auch die yy in einer sehr schlechten Situation befand, war der Beklagte zu 2)
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nicht in der Lage, aus eigenen Mitteln die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner
Ehefrau und seinen Kindern, die laufenden Raten des vorrangig gesicherten Darlehens
und notwendige Reparaturarbeiten am Haus zu finanzieren. Als er zu dieser Zeit die
Beklagte zu 1) kennenlernte, schilderte er ihr seine persönliche Situation.
Am xxxx wurde das lnsolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet.
Am xxxx leitete die Klägerin zur Befriedigung ihrer Forderung die Zwangsvollstreckung
in das belastete Grundstück ein. Dieses wurde am xxxx beschlagnahmt.
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Am xxxx wurde der Beklagte zu 2), nachdem er auf dem Klageweg die Rückübertragung
des Miteigentumsanteils durch seine zwischenzeitlich geschiedene Ehefrau erzwungen
hatte, wieder Alleineigentümer des Grundstücks. Mit notariellem Vertrag vom xxxx
wurden zugunsten der Beklagten zu 1) ein Wohnrecht sowie eine Grundschuld über
200.000 € bestellt, daß im xxxx in das Grundbuch eingetragen wurden. Am xxxx
heiratete der Beklagte zu 2) die Beklagte zu 1).
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Am xxxx wurde das lnsolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten zu 2)
eröffnet. In diesem Verfahren machte die Beklagte zu 1) zunächst eine
Darlehensforderung gegen den Beklagten zu 2) in Höhe von 400.000 DM geltend. Mit
Schreiben vom xxxx erläuterte sie, daß das Darlehen in mehreren Teilbeträgen in Höhe
von insgesamt 250.000 DM ausgezahlt worden sei. Der Insolvenzverwalter akzeptierte
diese Forderung nicht. Das mit dem Grundpfandrecht belastete Hausgrundstück gab er
aus der lnsolvenzmasse frei.
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Vor dem ersten Versteigerungstermin legten zunächst der Beklagte zu 2) mit Schreiben
vom xxxx, sodann die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom xxxx dem Vollstreckungsgericht
einen auf den
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xxxx datierten Mietvertrag zwischen ihr und dem Beklagten zu 2) vor. Die
Vertragsurkunde enthält anstelle einer Regelung zur Höhe des Mietzinses folgende
Vereinbarung:
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"Frau aa hat bb ein Darlehen gewährt, in Höhe von 400.000,- DM. Dafür hat sie als
dingliche Absicherung ein grundbuchrechtlich eingetragenes Wohnrecht
bekommen. Die monatliche Miete mit allen Nebenkosten verrechnet sie mit dem
Darlehen und wohnt somit auf 10 Jahre mietfrei."
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Die Beklagte zu 1) machte außerdem geltend, daß die von ihr an den Beklagten zu 2)
ausgezahlten Beträge im Sinne von § 57c ZVG für die Instandsetzung des Mietraums
verwendet worden sei.
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Bei einem ersten Versteigerungstermin am xxxx wurden keine Gebote abgegeben.
Daraufhin erwirkte die Klägerin in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht cc (Az.
bbbbb) ein zwischenzeitlich rechtskräftig gewordenes Urteil, in welchem die Beklagte zu
1) verurteilt wurde, die Anmeldung geleisteter Beträge zurückzunehmen.
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In einem zweiten Versteigerungstermin, in dem wiederum keine Gebote von dritter Seite
abgegeben wurden, ersteigerte die Klägerin das Grundstück selbst und erhielt am xxxx
den Zuschlag. Vorrangige Grundpfandrechte einer anderen Gläubigerin löste sie ab. Die
Klägerin beabsichtigt, das Grundstück nach einer Räumung durch die Beklagten zu
verkaufen. Bislang wurde lediglich das Souterrain des Gebäudes geräumt. Mit einem
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der Beklagten am xxxx zugestellten Schreiben kündigte die Klägerin das Mietverhältnis
unter Hinweis auf § 57a ZVG und § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Mit einem Schreiben vom
xxxx sprach die Klägerin wegen Zahlungsverzuges vorsorglich eine weitere Kündigung
aus.
Die Klägerin behauptet, der Mietvertrag vom xxxx und die darin erwähnte
Darlehensgewährung seien fingiert worden. Die Beklagten hätten insofern planmäßig
zusammengewirkt, um Interessenten von der Abgabe eines Gebotes abzuhalten und
letztlich die Verwertung des Hausgrundstücks zu verhindern. Die Klägerin ist der
Auffassung, daß ein etwaiger Mietvertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wegen
Gläubigerbenachteiligung anfechtbar, zumindest aber wegen der bestehenden
Verwertungsabsicht kündbar sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Wohnung im Erdgeschoß
und im ersten Obergeschoß des Hauses zz, xx, bestehend aus sechs Zimmern,
Küche, Diele, Bad und Toilette einschließlich einer Garage zu räumen und an die
Klägerin herauszugeben.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten behaupten, daß die Beklagte zu 1) dem Beklagten zu 2) in dessen
finanzieller Notlage Ende xxxx geholfen habe. Insgesamt habe sie ihm verschiedene
Beträge in einer Gesamthöhe von umgerechnet rund 145.000 € darlehensweise
überlassen. Die notwendigen Mittel habe sich die Beklagte zu 1) in erheblichem Umfang
selbst geliehen, um dem Beklagten zu 2) helfen zu können. Allerdings sei die Beklagte
zu 1) irgendwann in Panik geraten, weil sie nicht wußte, was sie machen sollte, wenn
der Beklagte zu 2) das Geld nicht zurückzahlen könne. Der damalige Rechtsanwalt des
Beklagten zu 2) habe der Beklagten zu 1) dringend geraten, sich durch eine notariell
gestaltete Vereinbarung abzusichern. In dieser Situation sei am xxxx auf Vorschlag des
Beklagten zu 2), der hierzu von seiner Ehefrau bevollmächtigt gewesen sei, der
Mietvertrag entsprechend der vorgelegten Vertragsurkunde abgeschlossen worden. Im
Vertrag sei eine höhere Darlehenssumme als die tatsächlich gezahlten Beträge
angegeben worden, um die Notwendigkeit von Vetragsanpassungen bei weiteren
Zahlungen der Beklagten zu 2) zu vermeiden. Ein weiterer Grund für den
Vertragsabschluß sei gewesen, daß die Beklagte zu 1) kurz zuvor vor ihrer eigenen
Wohnung in tt Opfer eines Überfalls geworden sei. Sie sei deshalb gerne bereit
gewesen, in das Haus des Beklagten zu 2) umzuziehen. Allerdings sei man zu diesem
Zeitpunkt noch nicht liiert gewesen. Der Beklagte zu 2) sei zunächst ins Souterrain des
Hauses gezogen, während die Beklagte zu 1) das angemietete Erd- und Obergeschoß
bewohnt habe. Zum Notar sei man allerdings erst viel später gegangen. Die Bestellung
des im Mietvertrag vorgesehenen Wohnrechts habe sich daher verzögert. Erst nach der
Heirat im xxxx sei der Beklagte zu 2) auch wieder in die oberen Räume eingezogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die von den
Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom
21. November 2005 (Bl. 159 d. A.) in der Fassung des
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Berichtigungsbeschlusses vom 8. Dezember 2005 (Bl. 166 d. A.) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Für die Streitigkeit zwischen den Parteien ist nach § 23 Nr. 2 a) GVG das Amtsgericht
sachlich zuständig. Die Parteien streiten über den Bestand eines Mietverhältnisses über
Wohnraum. Soweit die Klägerin ihren Anspruch auch mit den ausgesprochenen
Kündigungen begründet, macht sie einen Räumungsanspruch aus einem solchen
(beendeten) Mietverhältnis geltend. Daß die Klägerin auch geltend macht, der
Mietvertrag sei rückdatiert worden, wegen Sittenwidrigkeit nichtig bzw. wegen
Gläubigerbenachteiligung anfechtbar, steht der sachlichen Zuständigkeit des
Amtsgerichts nicht entgegen (vgl. Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 29a Rn. 13 zur
vergleichbaren Problematik bei der örtlichen Zuständigkeit).
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Die Beklagten sind der Klägerin gemäß §§ 546, 985 BGB zur Räumung verpflichtet.
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Die Klägerin ist durch den Zuschlagsbeschluß vom xxxx Eigentümerin des Grundstücks
geworden (§ 90 ZVG). Damit ist sie zugleich als Vermieterin in das durch den auf den
xxxx datierten Mietvertrag begründete Mietverhältnis eingetreten (§ 57 ZVG, § 566
BGB).
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1. Es ist davon auszugehen, daß der Mietvertrag wirksam war. Ein Scheingeschäft im
Sinne von § 117 BGB liegt bereits deshalb nicht vor, weil die Begründung des
Mietverhältnisses als rechtlicher Erfolg von den Beklagten gewollt war. Dies gilt gerade
dann, wenn die Beklagten - wie die Klägerin behauptet - durch den Mietvertrag eine
Verwertung des Grundstücks verhindern wollten. Der Vertrag ist auch nicht als
sittenwidrig und damit gemäß § 138 BGB nichtig anzusehen. Es kann nicht ohne
weiteres davon ausgegangen werden, daß die Beklagten im Sinne des Urteils des
Bundesgerichtshofs vom 5. April 2005 (NZM 2005, 432 (433)) beim Vertragsabschluß
planwidrig zusammengewirkt haben, um den Vollstreckungszugriff zu vereiteln.
Zweifelhaft ist insbesondere, ob es auch der Beklagten zu 1) nicht nur auf die eigene
Absicherung, sondern auch darauf ankam, das Grundstück vor dem Zugriff der Klägerin
zu retten. Ein Indiz hierfür läge zwar vor, wenn der Mietvertrag rückdatiert worden wäre.
Dafür könnte wiederum sprechen, daß der Vertragstext ein "grundbuchlich
eingetragenes Wohnrecht" erwähnt, das tatsächlich erst im xxxx begründet worden ist.
Jedoch haben die Beklagten eine Rückdatierung des Mietvertrags unter Beweisantritt
bestritten. Ohne Einholung des gegenbeweislich angebotenen
Sachverständigengutachtens ist deshalb zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen,
daß der Mietvertrag nicht rückdatiert worden ist. Auf dieser Grundlage sieht das Gericht
keine hinreichenden Anhaltspunkte für die subjektiven Voraussetzungen einer
Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB.
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2. Das damit nach dem Eigentumserwerb der Klägerin zwischen dieser und der
Beklagten zu 1) übergegangene Mietverhältnis ist jedoch durch die der Beklagten zu 1)
am 30. November 2004 zugegangenen Kündigung zum
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28. Februar 2005 wirksam beendet worden.
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Die Klägerin war gemäß § 57a ZVG berechtigt, das Mietverhältnis zu kündigen. Das
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Sonderkündigungsrecht des Erstehers besteht nur im Rahmen der gesetzlichen
Bestimmungen zum Kündigungsschutz bei Wohnraummietverhältnissen (BGH NJW
1986, 1696). Das damit nach § 573 Abs. 1 BGB erforderliche berechtigte Interesse der
Klägerin an der Kündigung ergibt sich aus der beabsichtigten Verwertung des
Grundstücks durch Weiterveräußerung (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB).
a) Die Klägerin möchte das ersteigerte Grundstück weiterveräußern, also anderweitig
verwerten.
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b) Die beabsichtigte Verwertung ist nach den Gesamtumständen des Falles auch
angemessen.
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Insofern ist zwar davon auszugehen, daß es unter gewöhnlichen Umständen nicht als
angemessen angesehen wird, wenn eine Bank als Grundpfandgläubigerin das
vermietete Einfamilienhaus eines zahlungsunfähigen Schuldners ersteigert und das
Mietverhältnis sodann mit der Begründung kündigt, man müsse das Mietobjekt
möglichst gewinnbringend verkaufen (Schmitt-Futterer, Mietrecht, 8. Aufl. 2003, § 573
Rn. 153, 156 m. w. Nachw.). Die zugrundeliegende Erwägung, daß notleidende Kredite
zum typischen Risiko des Bankgeschäfts gehören und nicht über die
Kündigungsbefugnis auf den Mieter abgewälzt werden sollten, ist jedenfalls dann
überzeugend, wenn die Bank das Grundstück ersteigert hat, weil andere Interessenten
im Hinblick auf das bestehende Mietverhältnis keine Gebote abgegeben haben.
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Im vorliegenden Fall, auf den diese Überlegungen im Grundsatz zutreffen, gibt es
allerdings die Besonderheit, daß das Mietverhältnis zu einem Zeitpunkt begründet
worden ist, zu dem es dem Schuldner finanziell bereits sehr schlecht ging. Die
Beklagten haben im Termin am 21. November 2005 eindrucksvoll geschildert, daß die
damals vom Beklagten zu 2) betriebene yy, aus der dieser seine Einkünfte bezogen
hatte, bereits Anfang xxxx "gewissermaßen am Tropf‘ hing bzw. "den Bach hinunter
ging. In dieser Situation bedurfte es entgegen der von Beklagtenseite schriftsätzlich
vertretenen Auffassung keiner hellseherischen Fähigkeiten, um die konkrete Gefahr
einer Zwangsvollstreckung in das haftende Grundstück zu erkennen. Auch dies gehört
zu den Gesamtumständen, vor deren Hintergrund die Angemessenheit der
beabsichtigten Verwertung zu beurteilen ist.
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Die aufgezeigten Besonderheiten rechtfertigen es, die von der Klägerin beabsichtigte
Verwertung als angemessen anzusehen. Dabei bedarf es keiner genauen Festlegung
der Grenze, jenseits deren die Belange des Mieters hinter einem bereits bei Abschluß
des Mietvertrags erkennbaren Verwertungsinteresse des Gläubigers zurückzustehen
haben. Diese Grenze ist jedenfalls überschritten, wenn der Mietvertrag wegen
Gläubigerbenachteiligung anfechtbar war und die für den betreffenden
Anfechtungstatbestand vorgesehene Anfechtungsfrist noch nicht abgelaufen ist, bevor
die Anfechtbarkeit gerichtlich geltend gemacht wird. Sind diese Voraussetzungen erfüllt,
besteht keine Gefahr, daß die im Anfechtungsgesetz festgelegten Grenzen des
Gläubigerschutzes durch eine zu großzügige Handhabung des Kündigungsrechts nach
§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB unterlaufen werden.
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Der Mietvertrag vom xxxx unterlag als Rechtshandlung des Beklagten zu 2) der
Gläubigeranfechtung nach § 1 AnfG. Der Abschluß des Mietvertrags hat die Gläubiger
des Beklagten zu 2) objektiv benachteiligt. Eine Benachteiligung liegt vor, wenn die
Möglichkeit der Gläubiger, sich aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen,
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ganz oder teilweise weggefallen, erschwert oder verzögert ist (Huber, AnfG, 9. Aufl.
2000, § 1 Rn. 32, Nerlich/Niehus, AnfG, 2000, § 1 Rn. 42). Durch den Abschluß des
Mietvertrages hat der Beklagte zu 2) der Beklagten zu 1) das Recht eingeräumt, die
vermieteten Räume für zehn Jahre mietfrei zu nutzen. Dieses Recht hat gemäß § 57
ZVG, § 566 BGB grundsätzlich auch im Rahmen einer
Zwangsversteigerung des Grundstücks Bestand. Es mindert damit den bei einer
Versteigerung des Grundstücks erzielbaren Erlös und schmälert auf diese Weise die
Möglichkeit der Gläubiger, sich aus dem Grundstück zu befriedigen.
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Der Mietvertrag war nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AnfG anfechtbar. Der Beklagte zu 2) hat den
Vertrag mit dem Vorsatz abgeschlossen, seine Gläubiger zu benachteiligen und die
Beklagte zu 1) hat diesen Vorsatz gekannt.
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Vorsatz im Sinne des § 3 Abs. 1 AnfG liegt vor, wenn der Schuldner die Benachteiligung
der Gläubiger im allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt oder als
mutmaßliche Folge seiner Rechtshandlung erkannt und gebilligt hat; dabei genügt es,
wenn er die Benachteiligung der Gläubiger als möglichen Erfolg seines Handelns
vorausgesehen und billigend in Kauf genommen hat (Huber, § 3 Rn. 21; Nerlich/Niehus,
§ 3 Rn. 13). Das Gericht ist auf Grund der Gesamtumstände, insbesondere der von den
Beklagten in der mündlichen Verhandlung am xxxx geschilderten Situation bei
Abschluß des Mietvertrags davon überzeugt, daß der Beklagte zu 2) eine
Benachteiligung seiner Gläubiger als möglichen Erfolg seines Handelns billigend in
Kauf genommen hat. Der Beklagten zu 2) kannte seine schlechte finanzielle Situation.
Er wußte, daß das Grundstück für die notleidenden Verbindlichkeiten haftete. Der
Mietvertrag hatte erklärtermaßen das Ziel, der Beklagten zu 1) eine Sicherheit für
erhaltene Darlehensbeträge zu gewähren. Die Beklagte zu 1) hatte keinen Anspruch
darauf, daß ihr ein zehnjähriges Nutzungsrecht an den vermieteten Räumen eingeräumt
wurde. Darin daß die Beklagte zu 1) mit dem zehnjährigen Nutzungsrecht etwas
anderes erhalten, als ihr auf Grund der behaupteten Darlehensverträge von Rechts
wegen zustand, liegt darin ein Beweisanzeichen für einen Benachteiligungswillen des
Beklagten zu 2). Das Gewicht des Beweisanzeichens hängt vom Ausmaß der
lnkongruenz zwischen erbrachter und geschuldeter Leistung ab (Huber, § 3 Rn. 34; vgl.
etwa BGH NJW 1995, 1093, NJW 1998, 1591, NJW 1999, 1395). Hier hat die Beklagte
zu 1) eine Absicherung erhalten, die durch den Kündigungsschutz bei
Wohnraummietverhältnissen grundsätzlich sogar dem Zugriff der dinglich gesicherten
Gläubiger entzogen wäre. Daß diese hierdurch benachteiligt wurden, lag dermaßen auf
der Hand, daß das Gericht hinsichtlich des Benachteiligungsvorsatzes des Beklagten zu
2) keinerlei Zweifel hat.
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Für die Kenntnis der Beklagten zu 1) vom Benachteiligungsvorsatz des Beklagten zu 2)
gilt im Ergebnis nichts anderes. Auch bezüglich ihrer Person geht bereits von der
lnkongruenz der Deckung eine beachtliche lndizwirkung aus. Im übrigen haben die
Beklagten im Termin vom 21. November 2005 eingeräumt, daß der Beklagte zu 2) der
Beklagte zu 1) geschildert hatte, wie schlecht es ihm Ende xxxx/Anfang xxxx ging.
Nachdem sie ihm nach eigener Darstellung bereits Geldbeträge in Höhe von rund
145.000 € geliehen hatte, sogar mit seinem damaligen Rechtsanwalt gesprochen hatte
und von diesem gewarnt worden war, "sie könne auf der Straße stehen‘, kannte sie über
die drohende Zahlungsunfähigkeit. Mit der Panik, die sie daraufhin ergriffen habe, erklärt
sie auch ihre Bemühungen, eine Absicherung zu erlangen. Es war demnach gerade der
Sinn des Mietvertrags, ihr mit dem zehnjährigen Nutzungsrecht einen Gegenstand aus
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dem Vermögen des Schuldners zu sichern. "Absicherung‘ konnte in diesem
Zusammenhang aber nur bedeuten, daß andere Gläubiger beim Zugriff auf das
vermietete Objekt entsprechend benachteiligt wurden. Auch dies war der Beklagten zu
1) somit bekannt. Unter diesen Umständen wird die Kenntnis vom
Benachteiligungsvorsatz des Beklagten zu 2) vermutet (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AnfG).
Die Klägerin hat die Anfechtbarkeit des Mietvertrags konkludent bereits in der am xxxx
zugestellten Klageschrift des vorliegenden Verfahrens geltend gemacht, indem sie
gegen ein auf den Mietvertrag gestütztes Besitzrecht der Beklagten eingewandt hat, der
Vertrag sei ein Versuch, "die Verwertung des Hausgrundstücks als dingliche
Gläubigerin zu verhindern". Die für die Vorsatzanfechtung nach § 3 Abs. 1 AnfG
vorgesehene Frist von zehn Jahren war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen
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Allerdings kann die Klägerin dem von Seiten der Beklagten geltend gemachten
mietvertraglichen Besitzrecht nicht im eigentlichen Sinne die Gegeneinrede der
Anfechtbarkeit entgegenhalten. Mit dem Zuschlag sind nach § 91 Abs. 1 ZVG die
titulierte Grundschuld und das davon nach § 2 AnfG abhängige Anfechtungsrecht der
Klägerin erloschen. Andere vollstreckbare Schuldtitel wegen Geldforderungen gegen
den Beklagten zu 2) sind nicht ersichtlich. Eine Gegeneinrede der Anfechtbarkeit käme
der Klägerin nicht als Gläubigerin des Beklagten zu 2), sondern als Ersteherin des
Grundstücks zugute. Das der Beklagten zu 1) eingeräumte Nutzungsrecht fiele dadurch
nicht (für Zwecke der Zwangsvollstreckung) ins Vermögen des
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Vollstreckungsschuldners zurück, würde also nicht im Sinne des § 11 AnfG zu einer
Befriedigung der Klägerin führen.
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All dies spricht aber nicht dagegen, die bis zur Versteigerung des Grundstücks
bestehende Anfechtbarkeit des Mietvertrags bei der Bewertung der Angemessenheit der
beabsichtigten Verwertung im Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu berücksichtigen.
Es wäre sogar widersprüchlich, eine Verwertung des Grundstücks durch den Ersteher
mit Rücksicht auf einen Mietvertrag als unangemessen anzusehen, der bis zur
Zwangsversteigerung zu Gunsten der Gläubiger des Vollstreckungsschuldners
anfechtbar war.
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c) Die geplante Verwertung wird durch den Bestand des Mietverhältnisses gehindert.
Einfamilienhäuser sind in vermietetem Zustand ohnehin nur schwer verkäuflich, weil
solche Objekte gewöhnlich von Interessenten zur eigenen Nutzung gesucht werden. Mit
einem für den Erwerber nach § 566 BGB bindenden Mietvertrag, demzufolge die
Mieterin auf fünf Jahre keine Miete zahlen muß, ist eine Weiterveräußerung, wenn
überhaupt, nur zu einem unzumutbaren Preisnachlaß möglich.
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d) Die Klägerin würde durch den Fortbestand des Mietverhältnisses erhebliche
Nachteile erleiden. Ausgangspunkt bei diesem Tatbestandsmerkmal ist zwar in Fällen,
in denen der Vermieter das Objekt mit einem bereits bestehenden Mietverhältnis
erworben hat, ein Vergleich des Einkaufspreises und des bei Fortbestand des
Mietverhältnisses erzielbaren Verkaufspreises; auf diesen Gesichtspunkt darf sich die
Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals "erheblicher Nachteil" jedoch nicht beschränken
(Schmitt-Futterer, § 573 Rn. 164). Im vorliegenden Fall fällt wiederum maßgeblich ins
Gewicht, daß der Mietvertrag wegen Gläubigerbenachteiligung anfechtbar war.
Berücksichtigt man diesen Umstand, so erscheint der Fortbestand eines anfechtbar
begründeten Mietverhältnisses, das den Ersteher des versteigerten Grundstücks an
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dessen angemessener Verwertung hindert, als erheblicher Nachteil. Im übrigen ist es
nach dem Ablauf des Versteigerungsverfahrens sogar denkbar, daß die Klägerin den
dort eingesetzten Betrag bei einem freihändigen Verkauf unter Fortbestand des
Mietverhältnisses nicht realisieren könnte.
3. Das Kündigungsschreiben vom xxxx genügt den formellen
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Anforderungen des § 573 Abs. 3 BGB. Der dem Kündigungsrecht zugrundeliegende
Sachverhalt wird durch das Schreiben hinreichend identifiziert.
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Nachdem das Mietverhältnis durch die Kündigung zum xxxx sein Ende gefunden hat,
sind die Beklagten gemäß § 546 BGB zur Räumung der vermieteten Wohnung
verpflichtet. Dem sich zugleich aus § 985 BGB ergebenden Herausgabeanspruch der
Klägerin können sie ein mietvertragliches Besitzrecht nicht mehr gemäß § 986 BGB
entgegensetzen.
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Das Gericht hat von der Gewährung einer Räumungsfrist gemäß § 721 ZPO abgesehen.
Bei der Abwägung der wechselseitigen Interessen der Parteien fällt zu Gunsten der
Klägerin entscheidend ins Gewicht, daß die Beklagten mietfrei gewohnt haben und eine
Nutzungsentschädigung im Hinblick auf die finanzielle Situation der Beklagten nicht
realisierbar erscheint. Eine besondere, über den Verlust der Wohnung hinausgehende
Härtesituation haben die Beklagten nicht geltend gemacht. Vor diesem Hintergrund ist
der Gläubigerin eine die mit einer Räumungsfrist verbundene Verzögerung der
Durchsetzung ihres Anspruchs nicht zumutbar.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 7, 711 ZPO. Die
Höhe der Sicherheitsleistung entspricht (aufgerundet) sechs Monatsmieten von je 1.208
€ (berechnet auf der Grundlage des zuletzt in Rede stehenden Darlehensbetrags). § 712
ZPO war wegen des entgegenstehenden und überwiegenden Interesses der
Gläubigerin (§ 712 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht anzuwenden.
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Streitwert: 15.000€
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