Urteil des AG Siegburg vom 27.08.2010

AG Siegburg (höhe, fahrzeug, grundsatz der erforderlichkeit, zustellung, umstände, abholung, tarif, liste, berechnung, vermietung)

Amtsgericht Siegburg, 112 C 85/10
Datum:
27.08.2010
Gericht:
Amtsgericht Siegburg
Spruchkörper:
112. Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
112 C 85/10
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.462,19 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
14.04.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 15% und die
Beklagte zu 85%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin indes nur gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden
Betrages. Jede Partei kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages
leistet.
Die Klägerin betreibt eine gewerbliche Autovermietung, wobei sie eine Erlaubnis zum
geschäftsmäßigen Erwerb von Forderungen zum Zwecke der außergerichtlichen
Einziehung besitzt. Sie begehrt aus abgetretenem Recht unfallgeschädigter Eigentümer
die Erstattung von Mietwagenkosten, die infolge von insgesamt 5 Verkehrsunfällen
entstanden sind. An den Unfällen, die sich im Bezirk des erkennenden Gerichts
ereigneten, waren neben den Zedenten (im Folgenden: Geschädigten) jeweils
Versicherungsnehmer der Beklagten beteiligt. Über die volle Einstandspflicht der
Versicherungsnehmer für den jeweiligen Unfallschaden besteht zwischen den Parteien
kein Streit. Alle Geschädigten mieteten zur Überbrückung der unfallbedingten
Ausfallzeit ihres Fahrzeuges bei der Klägerin ein (klassentieferes) Ersatzfahrzeug an.
Die von der Klägerin hierfür erstellten und an die Beklagte unmittelbar übersandten
Mietwagenrechnungen beglich die Beklagte jeweils nicht in vollem Umfang. Wegen der
Einzelheiten der Rechnungsdaten, der beglichenen Teilbeträge sowie der Berechnung
der noch offenen Forderungen wird auf die Klageschrift (Bl. 3 ff. d.A.) Bezug genommen.
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Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stünden über die Zahlungen der Beklagten
hinausgehende Ansprüche zu. Hierzu berechnet sie die jeweiligen Anmietungstarife
nach Maßgabe des Schwacke-Automietpreisspiegels 2008 auf Basis des Normaltarifs
nach dem Modus (gewichtetes Mittel), hilfsweise nahes Mittel, zuzüglich eines
pauschalen 20%igen Aufschlages für unfallspezifische Mehrleistungen sowie
Nebenkosten für Zusatzleistungen, wobei letztere auf Basis der Nebenkostentabelle zur
Schwacke-Liste ermittelt werden. Wegen der Einzelheiten der Abrechnung auf dieser
Grundlage wird auf die tabellarische Aufstellung der Klägerin (Bl. 16 d.A.) verwiesen.
Sie behauptet, unfallspezifische Mehrleistungen ergäben sich u.a. aus der
Vorfinanzierung von Mietzins und Umsatzsteuer, der Übernahme des Bonitäts- und
Ausfallrisikos, der Selbstbeteiligung an Vollkasko- und Teilkaskoversicherung, der zum
Zeitpunkt der Anmietung teilweise noch ungeklärten Haftungsfrage, der noch unklaren
Anmietungsdauer sowie dem erhöhten Verwaltungsaufwand. Zum Schadensfall 1 (Neu)
behauptet sie ergänzend, das Mietfahrzeug sei nicht nur von der Geschädigten, sondern
auch von ihrem Ehemann genutzt worden, der auch das verunfallte Fahrzeug zuvor
genutzt habe. Auch sei eine Zustellung/Abholung des Fahrzeuges notwendig gewesen,
da die Geschädigte, die in T gewohnt habe, den Mietwagen in ihrer Fachwerkstatt in C
erhalten habe und das Fahrzeug dort auch wieder abgeholt worden sei. Zum
Schadensfall 2 (I) behauptet sie ebenfalls ergänzend, das Mietfahrzeug sei nicht nur von
dem Geschädigten, sondern auch von seiner Ehefrau und seiner Tochter genutzt
worden, die auch das verunfallte Fahrzeug zuvor genutzt hätten. Auch sei eine
Zustellung/Abholung des Fahrzeuges notwendig gewesen, da der Geschädigte, der in T
gewohnt habe, den Mietwagen beim Abschleppunternehmen in T4 erhalten habe und
das Fahrzeug in der Reparaturwerkstatt in C wieder abgeholt worden sei. Zudem
behauptet sie, die Mietzeitdauer von 35 Tagen sei angemessen, wie sich aus dem
Reparaturablaufplan (Bl. 140 d.A.) ergebe. Ferner sei die Nebenkostenposition
"Vermietung außerhalb Geschäftszeiten" angemessen. Die Mobilität des Geschädigten
sei unmittelbar nach dem Unfall, außerhalb der üblichen Geschäftszeiten
(Inanspruchnahme des Notfalldienstes) wiederhergestellt worden; es habe
Eilbedürftigkeit vorgelegen. Zum Schadensfall 3 (SG) behauptet sie ergänzend, eine
Zustellung/Abholung des Fahrzeuges sei notwendig gewesen, da die Geschädigte, die
in M2 gewohnt habe, den Mietwagen in ihrer Fachwerkstatt in F erhalten habe und das
Fahrzeug dort auch wieder abgeholt worden sei.
2
Zum Schadensfall 4 (T3) behauptet sie ergänzend, das Mietfahrzeug sei nicht nur von
der Geschädigten, sondern auch von zwei weiteren Personen genutzt worden, die auch
das verunfallte Fahrzeug zuvor genutzt hätten. Auch sei eine Zustellung/Abholung des
Fahrzeuges notwendig gewesen, da die Geschädigte, die in T4 gewohnt habe, den
Mietwagen in ihrer Reparaturwerkstatt in T erhalten habe und das Fahrzeug dort auch
wieder abgeholt worden sei. Zum Schadensfall 5 (LR) behauptet sie ergänzend, das
Mietfahrzeug sei nicht nur von der Geschädigten, sondern auch ihren zwei Kindern
genutzt worden, die auch das verunfallte Fahrzeug zuvor genutzt hätten. Auch sei eine
Zustellung/Abholung des Fahrzeuges notwendig gewesen, da die Geschädigte, die in M
gewohnt habe, den Mietwagen in ihrer Fachwerkstatt in O erhalten habe und das
Fahrzeug dort auch wieder abgeholt worden sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.111,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 466,79 € seit dem 05.12.2009, aus
5
3.115,83 € seit dem 01.03.2010, aus 141,62 € seit dem 31.03.2010 und aus 252,36
€ seit dem 10.04.2010 und aus 135,11 € seit dem 14.04.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, zur Zahlung weiteren Schadensersatzes nicht verpflichtet zu
sein. Bei Ermittlung der Mietpreise könne nicht auf die sich aus der Schwacke-Liste
ergebenden Werte abgestellt werden, da diese unter erheblichen methodischen
Mängeln leide. Zudem habe sie hier konkret günstigere Angebote anderer Anbieter
aufgezeigt, was im Rahmen der Schadenschätzung zu berücksichtigen sei. Dem stünde
auch nicht entgegen, dass es sich bei den dargestellten Tarifen um Internetangebote
handele. Die im Internet dargestellten Tarife seien in Einklang zu bringen mit den auf
dem allgemeinen Markt erhältlichen Tarifen. Der von der Klägerin beanspruchte
pauschale Aufschlag von 20% sei ebenfalls nicht gerechtfertigt, da es nicht auf die
betriebswirtschaftliche Nachvollziehbarkeit etwaiger Mehrkosten ankomme und eine Eil-
und Notsituation nicht gegeben gewesen sei. Zudem seien die Mietwagentarife auch
insoweit falsch ermittelt worden, als diese nicht durch die Addition der Tarife für die 7-
tägige Anmietung, die Anmietung für 3 Tage und sodann für einzelne Tage ermittelt
werden könne. Mit zunehmender Anmietdauer werde der auf den Tag umgerechnete
Mietpreis geringer. Zusätzliche Kosten für die Nebenkostenpositionen "Zusatzfahrer",
"Zustellen/Abholen", "Vermietung außerhalb der Geschäftszeiten" und "Winterreifen"
könnten nicht verlangt werden. Bezüglich des Schadensfalles 2 (I) sei lediglich eine
Mietdauer von 30 Tagen angemessen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.07.2010 (Bl.
160 d.A.) Bezug genommen.
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Die Klageschrift ist der Beklagten am 13.04.2010 zugestellt worden.
10
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage ist in Höhe von 3.462,19 € nebst Zinsen begründet. Im Übrigen war
sie als unbegründet abzuweisen.
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Der Klägerin stehen – aus abgetretenem Recht der jeweiligen Geschädigten – gemäß
§§ 7, 17 StVG, 115 VVG, 398 BGB weitere Mietwagenkosten in Höhe des tenorierten
Betrages zu. Über die Haftung dem Grunde nach besteht kein Streit. Die Klägerin ist
auch berechtigt, die abgetretenen Ansprüche im Rahmen der Inkassodienstleistungen
gemäß entsprechender Registrierung geltend zu machen.
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Der Höhe nach steht der Klägerin ein weiterer Anspruch in Höhe von 3.462,19 € aus §
249 BGB zu.
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Grundsätzlich kann ein Geschädigter, dessen Ansprüche die Klägerin hier jeweils
geltend macht, nach § 249 BGB vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer als
erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen,
die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für
zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem
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Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im
Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der
Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich
relevanten Markt – nicht nur für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die
Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens)
grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich
ersetzt verlangen kann.
Ausgangspunkt für die Betrachtung bildet folglich der ortsübliche Normaltarif. Die Höhe
des danach erforderlichen Aufwands kann der Tatrichter dabei nach ständiger
Rechtsprechung des BGH in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO grundsätzlich
auf Basis des gewichteten Mittels des "Schwacke-Mietpreisspiegels” im
Postleitzahlengebiet des Geschädigten ermitteln.
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Soweit die Beklagte die Eignung des Schwacke-Mietpreisspiegels in Zweifel zieht, greift
dies nicht durch. Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung
Verwendung finden können, bedarf nur der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen
aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel sich auf den zu entscheidenden Fall
auswirken (BGH, Urteil vom 02.02.2010 - VI ZR 139/08, BGH, Urteil vom 18.05.2010 –
VI ZR 293/08). Dass andere Erhebungen wie etwa die von der Beklagten
herangezogene Erhebung des Fraunhofer Instituts oder die Untersuchungen des Dr. y
zu anderen Ergebnissen als der Schwacke Automietpreisspiegel gelangt sein mögen,
genügt nicht, um Zweifel an der Tauglichkeit der Schwacke-Liste als Schätzgrundlage
zu rechtfertigen. Insbesondere ist im Hinblick auf die – von den Versicherern in Auftrag
gegebene – Erhebung des Fraunhofer Instituts nicht ersichtlich, dass diese auf
überzeugender Weise zu verlässlicheren Schätzgrundlagen gekommen ist (vgl. die
weiterführenden Ausführungen bei OLG Köln, Beschluss vom 20.04.2009 – 13 U 6/09;
LG Bonn, Beschluss vom 21.01.2010 – 8 S 274/09). Auch die von Beklagtenseite
angeführten Gutachten "P1" und "F1" können die Schätzgrundlage nicht erschüttern.
Bei dem Gutachten "P1" handelt es sich um ein technisches Gutachten, dass im Jahre
2007 für den Raum T2 angefertigt worden ist. Das Gutachten "F1" ist ebenfalls für einen
hier nicht maßgeblichen Ort und Zeitraum angefertigt worden.
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Die Schwacke-Liste ist als Schätzgrundlage auch nicht deswegen erschüttert, weil die
Beklagte durch die Angabe konkreter örtlicher Angebote aus ihrer Sicht meint dargelegt
zu haben, dass die in der Schwacke-Liste verzeichneten Mietpreise deutlich übersetzt
sind. Aus den vorgelegten Angeboten der Firmen V, X und F ist nicht erkennbar, ob und
in welcher Höhe der Mieter bei der Anmietung zusätzliche Nebenkosten bspw. für
Winterreifen, Zustell- und Abholkosten etc. zu entrichten hat. Infolge dessen kann nicht
ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass im Falle der Anmietung eines
Fahrzeuges der Mietpreis einschließlich aller Nebenkosten unterhalb des in der
Schwacke-Liste ausgewiesenen Mietpreises gelegen hätte. Abgesehen davon stammen
die Angebote der Beklagten aus Juni 2010, während die Geschädigten ein Mietfahrzeug
Ende des Jahres 2009/Anfang des Jahres 2010 benötigten. Dass die in den Angeboten
ausgewiesenen Mietpreise aus Juni 2010 auch in dem jeweils in Rede stehenden
Zeitraum identisch gewesen wären, davon kann hinsichtlich der Schadenfälle 2, 3, 4
und 5 schon im Hinblick darauf nicht ausgegangen werden, als es sich um eine andere
Jahreszeit handelte und die Geschädigten ein mit Winterreifen angemietetes Fahrzeug
anmieten mussten. Aber auch bezüglich des Schadenfalles 1 kann nicht schlicht
unterstellt werden, dass in dem fraglichen Zeitraum die in den Angeboten
ausgewiesenen Mietpreise identisch gewesen wären.
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Die Mietwagentarife wurden vorliegend auch nicht insoweit falsch ermittelt, als diese
durch die Addition der Tarife für die 7-tägige Anmietung, die Anmietung für 3 Tage und
sodann für einzelne Tage ermittelt wurden. Zwar ist der Beklagten insoweit
zuzustimmen, als mit zunehmender Anmietdauer der auf den Tag umgerechnete
Mietpreis geringer wird. Indes werden die Mietpreise für Anmietung eines Fahrzeuges
tatsächlich nach dem genannten Modus – durch Addition der Tarifpreise – berechnet.
Der Geschädigte sieht sich in der Praxis einer solchen Mietpreisermittlung ausgesetzt,
so dass die gewählte Form der Preisermittlung zutreffend ist.
19
Die Klägerin ist auch berechtigt, einen Aufschlag von 20% auf den ortsüblichen
Normaltarif zu verlangen. Der Geschädigte verstößt nicht allein deshalb gegen das
Wirtschaftlichkeitsgebot, weil er ein Kraftfahrzeug zu einem Unfallersatztarif anmietet,
der gegenüber dem "Normaltarif” teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit
Rücksicht auf die Unfallsituation einen gegenüber dem "Normaltarif” höheren Preis
rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere
Unfallsituation veranlasst und in Folge dessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB
erforderlich sind (BGH, Urteil vom 02.02.2010 - VI ZR 139/08; Urteil vom 02.02.2010 - VI
ZR 7/09; Urteil vom 19.01.2010 - VI ZR 112/09). Dies ist hier der Fall. Nach den oben
genannten Grundsätzen müssen grundsätzlich Feststellungen zur Erforderlichkeit des
Unfallersatztarifs getroffen werden, wenn der Anspruchssteller Umstände vorträgt, die
einen gegenüber dem "Normaltarif” höheren Unfallersatztarif rechtfertigen sollen (BGH,
Urteil vom 02.02.2010 - VI ZR 139/08). Solche Umstände sind beispielsweise die
Vorfinanzierung der Mietwagenrechnung, das Risiko eines Ausfalls mit der
Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den
Kunden oder das Mietwagenunternehmen, der Verzicht auf eine Vorreservierungszeit,
der Verzicht auf eine Vorauszahlung oder Kaution für Fahrzeugschäden oder für die
Betankung, der Verzicht auf die Vereinbarung einer Nutzungseinschränkung sowie die
offene Mietzeit (BGH, Urteil vom 02.02.2010 - VI ZR 7/09; Urteil vom 19.01.2010 - VI ZR
112/09). Bei der Prüfung ist es nicht erforderlich, für die Frage der
betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines Unfallersatztarifs die Kalkulation des
konkreten Vermieters nachzuvollziehen. Vielmehr hat sich die Prüfung darauf zu
beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte
allgemein den Mehrpreis rechtfertigen (BGH, Urteil vom 02.02. 2010 - VI ZR 7/09; BGH,
Urteil vom 19.01.2010 - VI ZR 112/09). Dass aufgrund der Besonderheiten der
Unfallsituation in der Regel ein höherer Mietwagenpreis als der "Normaltarif" zur
Schadensbeseitigung erforderlich ist, steht nicht mehr grundsätzlich im Streit, nachdem
selbst der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft anerkennt, dass
wegen vermehrter Beratungs- und Serviceleistungen, erhöhten Verwaltungsaufwands
und Zinsverlusten aufgrund von längeren Zahlungsfristen ein Aufschlag auf den
Normaltarif geboten ist (vgl. LG Bonn, Beschluss vom 21.01.2010 – 8 S 274/09 m.w.N.).
Insofern hält auch das erkennende Gericht, auch angesichts der von der Klägerin mit
Schriftsatz vom 18.06.2010 vorgetragenen besonderen Umstände bei den einzelnen
Anmietfällen, einen Aufschlag auf den Mietpreis für gerechtfertigt. Sofern die Beklagte
hierzu in rechtlicher Hinsicht eine abweichende Auffassung vertritt, kann eine nähere
Auseinandersetzung hiermit schon deshalb dahinstehen, weil jedenfalls der Umstand
der Vorfinanzierung und die damit einhergehende – mitunter überaus lange –
Verzögerung mit der Begleichung berechtigter Forderungen, wie auch dieses Verfahren
zeigt, ohne weiteres gegeben ist. Auf die Frage, ob dem Geschädigten die Anmietung
zu einem günstigeren (Normal-)tarif – etwa wegen einer Eil- und Notsituation – "nicht
zugänglich" war, kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an (vgl. BGH, Urteil vom
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02.02.2010 – VI ZR 139/08).
Ein Aufschlag hat auch nicht deswegen zu unterbleiben, weil den jeweiligen
Geschädigten ein günstigerer Tarif "ohne weiteres zugänglich" gewesen wäre. Zwar
kann die Frage, ob ein Unfallersatztarif auf Grund unfallspezifischer Kostenfaktoren
erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist, grundsätzlich offen bleiben, wenn
feststeht, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif in der konkreten Situation "ohne
Weiteres zugänglich" war, so dass ihm eine kostengünstigere Anmietung unter dem
Blickwinkel der ihm gemäß § 254 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht
zugemutet werden konnte, mit der Folge, dass allenfalls der "Normaltarif" zu ersetzen
wäre. Für die Frage, ob dem Geschädigten ein wesentlich günstigerer Tarif "ohne
Weiteres zugänglich" war, ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen.
Die dafür maßgeblichen Umstände haben nach allgemeinen Grundsätzen der
Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer darzulegen und gegebenenfalls zu
beweisen, wobei es insofern eines hinreichend einzelfallbezogenen Vortrags bedarf
(vgl. LG Bonn, Beschluss vom 21.01.2010 – 8 S 274/09). Es obliegt insofern dem
Schädiger bzw. seinem Haftpflichtversicherer, konkrete Umstände aufzuzeigen, aus
denen sich ergibt, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif "ohne Weiteres
zugänglich" war, weil ihm etwa tatsächlich auch ein Fahrzeug zum "Normaltarif”
angeboten worden war (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.2006 - VI ZR 126/05 in: NJW 2006,
1506) oder der Haftpflichtversicherer den Geschädigten vor der Anmietung auf einen
günstigeren Tarif hingewiesen hat. Solche Umstände wurden vorliegend nicht
dargelegt. Die vorgelegten Angebote aus Juni 2010 enthalten – wie bereits ausgeführt –
keine aussagekräftigen Angebote für die entscheidenden Zeitpunkte.
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Ob und in welchem Umfang sich unfallspezifische Faktoren kostenerhöhend auswirken,
ist vom Tatrichter gemäß § 287 ZPO zu schätzen, wobei auch ein pauschaler Aufschlag
auf den "Normaltarif” in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 02.02.2010 - VI ZR 7/09; BGH,
Urteil vom 19.01.2010 - VI ZR 112/09). In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung
sämtlicher Obergerichte des hiesigen Bezirks schätzt das erkennende Gericht den zur
Erfassung der erhöhten Kosten bei der Vermietung von Unfallersatzwagen
erforderlichen Aufschlag auf 20% (vgl. BGH, Urteil vom 09.03.2010 – VI ZR 6/09; LG
Bonn, Urteil vom 08.07.2010 – 8 S 93/10; LG Bonn, Beschluss vom 21.07.2010 – 8 S
171/10; LG Bonn, Beschluss vom 12.07.2010 – 5 S 96/10; LG Bonn, Beschluss vom
21.01.2010 – 8 S 274/09; Urteil vom 26.05.2009 – 8 S 32/09; Urteil vom 05.09.2006 – 8
S 11/06; OLG Köln, Urteil vom 02.03.2007 – 19 U 181/06; Urteil vom 15.07.2008 – 4 U
1/08).
22
Erstattungsfähig sind grundsätzlich auch die anfallenden Nebenkosten, wobei diese im
Rahmen der Schätzung anhand der Nebenkostentabelle zum Schwacke
Mietpreisspiegel ermittelt werden können (vgl. LG Bonn, Beschluss vom 21.01.2010 – 8
S 274/09; OLG Köln, Urteil vom 02.03.2007 – 19 U 181/06; Urteil vom 23.02.2010 - 9 U
141/09), ohne dass hierbei ein Aufschlag erfolgt (vgl. LG Bonn, Beschluss vom
21.01.2010 – 8 S 274/09; OLG Köln, Urteil vom 02.03.2007 – 19 U 181/06).
23
Danach sind ohne weiteres die Kosten für eine Haftungsreduzierung erstattungsfähig,
und zwar unabhängig davon, ob die geschädigten Fahrzeuge entsprechend versichert
waren. Denn der durch einen Unfall Geschädigte ist während der Mietzeit einem
erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt (BGH, Urteil vom 12.02.2005 – VI ZR
74/04). Er hat regelmäßig ein Interesse daran, für die Kosten einer eventuellen
Beschädigung nicht selbst aufkommen zu müssen, zumal Mietwagen in der Regel neuer
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und damit höherwertig sind als das beschädigte Fahrzeug (vgl. LG Bonn, Beschluss
vom 21.01.2010 – 8 S 274/09; OLG Köln, Urteil vom 18.03.2008 – 15 U 145/07; Urteil
vom 23.02.2010 - 9 U 141/09),
Ebenso sind Nebenkosten für die Zustellung und Abholung des Mietwagens bei
Anwendung des Mietpreisspiegels grundsätzlich als erstattungsfähig anzusehen, wenn
diese angefallen und in Rechnung gestellt worden sind (BGH, Urteil vom 2. 2. 2010 - VI
ZR 7/09; OLG Köln, Urteil vom 23.02.2010 - 9 U 141/09). Dass eine Zustellung und
Abholung der Mietfahrzeuge nicht erforderlich gewesen wäre, wird von der Beklagten
nicht ernsthaft bestritten. In der Klageerwiderung vom 01.06.2010 (Bl. 24 der
Klageerwiderung, Bl. 70 d.A.) wird lediglich pauschal behauptet, dass die Geschädigten
auf eine Zustellung und Abholung der Mietfahrzeuge nicht angewiesen gewesen wären.
Angesicht des substantiierten Vortrages der Klägerin zu den jeweiligen
Anmietsituationen der einzelnen Geschädigten, dem die Beklagte im weiteren Verlauf
des Rechtsstreits nicht entgegengetreten ist, war dieser Vortrag als unsubstantiiert
zurückzuweisen. Es hätte eines qualifizierten Bestreitens bedurft.
25
Ersatzfähig sind auch die Kosten von Winterreifen. Den Autovermieter trifft – wie die
Beklagte zutreffend vorträgt – die Pflicht, den Kunden ein verkehrssicheres Fahrzeug
zur Verfügung zu stellen, wozu in den Wintermonaten auch die entsprechende
Bereifung gehört. Da Neufahrzeuge regelmäßig nur über Sommerreifen verfügen, fallen
den Autovermietern durch Anschaffung und Bereithaltung von Winterreifen besondere
Ausgaben zu Last, die sie im Rahmen der Preisgestaltung an ihre Kunden weitergeben
dürfen (vgl. LG Bonn, Beschluss vom 21.01.2010 – 8 S 274/09; abw. OLG Köln, Urteil
vom 23.02.2010 - 9 U 141/09).
26
Weiterhin ersatzfähig sind die im Schadensfall 2 geltend gemachten Kosten für eine
Anmietung außerhalb der Geschäftszeiten (OLG Köln, Urteil vom 23.02.2010 - 9 U
141/09). Die Klägerin hat besondere Umstände dargelegt, deren Vorliegen von der
Beklagten nicht in Zweifel gezogen worden sind.
27
Ersatzfähig sind hier auch die angesetzten Kosten für Zusatzfahrer. Kosten für
Zusatzfahrer sind bei entsprechender Veranlassung zu tragen (OLG Köln, Urteil vom
23.02.2010 - 9 U 141/09). Die Klägerin hat substantiiert bezüglich jedes einzelnen
Schadensfalls vorgetragen, dass das Unfallfahrzeug mehreren Fahrern zur Verfügung
stand. Dem ist die Beklagte nicht konkret entgegengetreten.
28
Insgesamt berechnet das erkennende Gericht den erforderlichen Aufwand anhand der
obigen Ausführungen wie folgt:
29
Im Schadensfall 1 (Bl. 8 d.A.) entspricht die klägerische Berechnung der richterlichen
Schätzung, so dass insgesamt Kosten in Höhe von 891,00 € ersatzfähig sind, von
denen die Beklagte 424,21 € beglichen hat. Es verbleiben 466,79 €.
30
Im Schadensfall 2 (Bl. 10 d.A.) sind lediglich 30 Tage ersatzfähig. Der Geschädigte I war
nicht berechtigt, ein Ersatzfahrzeug für die Dauer von 35 Tagen anzumieten. Das
Sachverständigengutachten lag dem Geschädigten am 14.12.2009 vor (vgl. Bl. 140
d.A.). Er hatte eine angemessene Bedenkzeit von 4 Tagen, namentlich bis zum
18.12.2009. Mit Ablauf des 18.12.2009 wurde die Reparatur dennoch nicht in Auftrag
gegeben. Erst weitere 5 Tage später, namentlich am 23.12.2009 erfolgte die Freigabe
zur Reparatur. Die Anmietzeit wurde dadurch unnötigerweise um 5 Tage verlängert.
31
Insoweit hat der Geschädigte gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht
verstoßen. Angesichts dessen ergeben sich insgesamt folgende Kosten:
4 x Wochenpreis, je 520,10 €
2.080,40
2 x Tagespreis, je 99,00 €
198,00 €
Pauschaler Aufschlag 20 %
455,68 €
Voll-/Teilkasko,
32
a. 4 x Wochenpreis, je 132,00 €
b. 2 x Tagespreis, je 22,00 €
33
528,00 €
44,00 €
Winterreifen 30 x 15,00 €
450,00 €
Zusatzfahrer 30 x 20,00 €
600,00
Vermietung außerhalb der Geschäfts- zeiten
60,00 €
Zustellen/Abholen, 2 x 25,00 €
50,00 €
Erforderliche Kosten
4.466,08
34
Berechtigt sind Kosten in Höhe von 4.466,08 €, die die Beklagte durch ihre Zahlung von
1.999,77 € in Höhe von 2.466,31 € noch nicht beglichen hat. Der darüber hinaus
begehrte Betrag von weiteren 649,52 € ist nicht ersatzfähig.
35
Im Schadensfall 3 (Bl. 10 d.A.) entspricht die klägerische Berechnung der richterlichen
Schätzung, so dass insgesamt die geltend gemachten Kosten in Höhe von 371,86 €
ersatzfähig sind, von denen die Beklagte 230,24 € beglichen hat. Es verbleiben 141,62
€.
36
Im Schadensfall 4 (Bl.11 d.A.) entspricht die klägerische Berechnung der richterlichen
Schätzung, so dass insgesamt die geltend gemachten Kosten in Höhe von 531,39 €
ersatzfähig sind, von denen die Beklagte 279,03 € beglichen hat. Es verbleiben 252,36
€.
37
Im Schadensfall 5 (Bl. 11 d.A.) entspricht die klägerische Berechnung der richterlichen
Schätzung, so dass insgesamt die geltend gemachten Kosten in Höhe von 408,81 €
ersatzfähig sind, von denen die Beklagte 273,70 € beglichen hat. Es verbleiben 135,11
€.
38
Insgesamt steht damit ein Betrag in Höhe von 3.462,19 € noch zur Zahlung aus.
39
Die Zinsforderung der Klägerin ergibt sich aus § 291 BGB aufgrund der Klagezustellung
40
am 13.04.2010. Ein zeitlich früherer Verzug, wie ihn die Klägerin mit § 286 Abs. 3 BGB
mit Vortrag zur Übersendung der jeweiligen Rechnungen begründen möchte, kommt
nicht in Betracht. Insofern macht die Klägerin gegenüber der Beklagten nämlich keine
Entgeltforderung geltend, sondern aus abgetretenem Recht der Geschädigten eine
Schadensersatzforderung. Auf Schadensersatzforderungen, insbesondere auch
Zahlungsansprüche gegen Versicherungen, findet § 286 Abs. 3 BGB jedoch nach
seinem einschränkenden Wortlaut keine Anwendung (Palandt/Grüneberg, BGB, § 286,
Rn. 27).
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 11, 709
Satz 2, 711 ZPO.
41
Streitwert: 4.111,71 €
42