Urteil des AG Schwelm vom 05.08.2008

AG Schwelm: rechtliches gehör, verordnung, feststellungsklage, erdgas, abrechnung, vollstreckung, vertreter, rechtssicherheit, versorgung, zukunft

Amtsgericht Schwelm, 20 C 88/08
Datum:
05.08.2008
Gericht:
Amtsgericht Schwelm
Spruchkörper:
Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 C 88/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die
Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Entgelte für Erdgaslieferungen.
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Die Klägerin ist als Energieversorgungsunternehmen tätig. Ihr Versorgungsgebiet
umfasst insbesondere auch den hiesigen Gerichtsbezirk.
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Die Klägerin belieferte aufgrund eines zwischen den Parteien bestehenden
Energielieferungsvertrages die beklagte Partei u.a. im Zeitraum von 18.10.2005 bis
18.10.2006 mit Erdgas. Die Klägerin erhöhte ihre Arbeitspreise (netto) vom 39.09.2004
von 3,75 Ct./kWh ausgehend zunächst um 0,38 Ct./kWh zum 01.10.2004, sodann um
weitere 0,65 Ct./kWh zum 01.10.2005, um weitere 0,45 Ct./kWh zum 01.01.2006, um
weitere 0,10 Ct./kWh zum 01.10.2006 sowie um weitere 0,20 Ct./kWh zum 01.01.2007.
Die Klägerin senkte sodann ihre Preise um 0,20 Ct./kWh zum 01.04.2007 und um
weitere 0,15 Ct./kWh zum 01.10.2007. Die von der Klägerin zugrunde gelegten Tarife
sind auf Bl. 9 ff. d.A. näher bezeichnet.
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Von den von der Klägerin berechneten Erdgaslieferungsentgelten sind insgesamt noch
303,64 € offen. Liefermenge und rechnerische Richtigkeit der Abrechnung sind
zwischen den Parteien unstreitig.
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Die Klägerin meint, die zugrunde gelegten Tarife seien für die Abrechnung zwischen
den Parteien maßgeblich und behauptet hierzu, die erfolgten Gaspreiserhöhungen
seien billig im Sinne von § 315 Abs.3 BGB. Sie behauptet hierzu, ihre Tarife seien
weniger stark als ihre Erdgasbezugskosten gestiegen und lägen deutlich unterhalb den
Tarifen vergleichbarer Versorger im Umland, insbesondere im Ruhrgebiet. Zur
Begründung bezieht sie sich u.a. auf ein vorgerichtlich eingeholtes Gutachten der U
GmbH vom 30.04.2007 (Bl.
19 ff.
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Sie beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 303,64 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.11.2006 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er meint, das LG Dortmund – Kammer für Handelssachen – sei gem. § 87 S.1, 89 Abs.1
GWB i.V.m. der Verordnung über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte vom
02.11.1994 (GV NW, S. 1067) sachlich zuständig. Im Übrigen seien die zugrunde
gelegten Tarife nicht maßgeblich, insbesondere habe die Klägerin hinsichtlich der
geltend gemachten Tariferhöhungen nicht dargelegt, dass diese angemessen seien. Die
Klägerin müsse ihre Kalkulationsgrundlage offen legen, insbesondere ihre
Bezugspreise vortragen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig.
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Das AG Schwelm ist sachlich unzuständig. Grundsätzlich wäre freilich gem. §§ 23 Nr.1,
71 GVG das hiesige Gericht zuständig. Es liegt aber eine speziellere Zuständigkeit des
LG Dortmund – Kammer für Handelssachen – gemäß § 87 Abs.1, 2 GWB i.V.m. der
Verordnung über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte vom 02.11.1994 (GV NW, S.
1067) vor. Denn die vorliegende Streitigkeit richtet sich nach den Vorschriften des GWB.
Im Kern sind kartellrechtliche Fragen, insbesondere die Vorschriften der §§ 19, 20 GWB
zu prüfen:
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Die Parteien streiten zumindest auch darüber, ob die Klägerin hier ihre
marktbeherrschende Stellung ausnutzt, wenngleich daneben auch die Frage betroffen
ist, ob die Erhöhungen sich im zulässigen Bereich des § 315 BGB bewegen. Es kommt
hiernach zumindest auch und wesentlich auf die Regelungen der §§ 19, 20 GWB an.
Zudem kann auch die Billigkeit gem. § 315 BGB vorliegend nicht unabhängig von den
kartellrechtlichen Bestimmungen beurteilt werden.
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Dabei ist unerheblich, ob die §§ 19, 20 GWB unmittelbare eigene Ansprüche gewähren
und ein den Schutz des Einzelnen bezweckendes Gesetz im Sinne des § 134 BGB
darstellen. Denn jedenfalls streiten die Parteien darüber, ob die Klägerin ihre
Machtstellung unter Verstoß gegen diese Vorschriften ausübt und bereits deshalb die
Preiserhöhungen, aber auch die Grundpreise (sog. Sockelpreise) unbillig sind. Ob die
Einwendungen der beklagten Partei dabei sachlich begründet sind, ist für die im
Rahmen der Zulässigkeit relevante Frage der Zuständigkeit unerheblich. Denn wenn
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ein Einwand – wie hier – zur Prüfung einer kartellrechtlichen Vorfrage führt, muss dies
durch das Gericht erfolgen, das für die kartellrechtliche Beurteilung zuständig ist.
Andernfalls würde die mit der besonderen Sachkunde einhergehende
Spezialzuständigkeit des Landgerichts Dortmund – Kammer für Handelssachen –
faktisch unterlaufen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass ständiger Rechtsprechung der § 315 BGB in
seiner unmittelbaren Anwendung neben §§ 19, 33 GWB steht (vgl. zur
Feststellungsklage BGH, NJW 2007, 2540 m.w.N.). Diese Rechtsprechung ermöglicht
es – vor allem im Rahmen der Feststellungsklage – dem Verbraucher, die Unbilligkeit
gem. § 315 BGB feststellen zu lassen. Hierfür sind nach Ansicht des BGH, solange
Vorschriften des GWB nicht betroffen sind, die ordentlichen Zivilgerichte zuständig. Aus
dieser Rechtsprechung folgt aber nicht, dass – wenn es, wie vorliegend, um Vorschriften
des GWB geht – die Zuständigkeit der Zivilgerichte generell und entgegen der
entsprechenden Sonderzuweisungen auch kartellrechtliche Fragen mitumfasst.
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Das Gericht hat auf die sachliche Unzuständigkeit im Termin vom 05.08.2008 auch
hingewiesen. Eine über die Verhandlung hinausgehende Gelegenheit zur
Stellungnahme war der Klägerin nicht zu gewähren, da die Frage der Zuständigkeit
bereits sehr ausführlich im schriftlichen Vorverfahren zwischen den Parteien sowie im
übrigen in vergleichbar gelagerten Fällen unter Beteiligung derselben Vertreter auf
Klägerseite diskutiert worden ist. Beiden Parteien wurde insoweit hinreichend
rechtliches Gehör gewährt.
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Die Berufung war gemäß § 511 Abs.4 ZPO zuzulassen, da die Sache grundsätzliche
Bedeutung hat und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Allein am hiesigen Gericht sind eine
Vielzahl parallel gelagerter Fälle anhängig. Da die Klägerin im hiesigen Gerichtsbezirk
nahezu vollständig die Versorgung mit Erdgas vornimmt, sind zudem auch in Zukunft
immer wieder gleich gelagerte Fälle zu erwarten. Ohne eine Entscheidung des
Berufungsgerichts wäre insofern – auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen
Zuständigkeiten innerhalb des Amtsgerichts Schwelm – eine uneinheitliche
Handhabung vergleichbarer Rechtsfälle zu befürchten, die dem Bedürfnis beider
Parteien nach Rechtssicherheit nicht gerecht würde.
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